von Henning Eichberg
Soziale Bewegungen singen. Im Gesang – insbesondere im Gemeinschaftsgesang – zeigt sich, dass sie mehr sind als ideologische Konstruktionen oder Fraktionen. Zugleich zeigt sich in den Liedern aber auch mehr als nur ›Inhalt‹. Singen hat etwas mit Stimmung zu tun, mit Untertönen, mit kollektiver Praxis. Gesang sagt etwas aus über politische Kultur. Einige Lieder der Linken aus Dänemark können dazu Denkanstöße geben.
So ist der Kapitalismus
(Sådan er kapitalismen)
Sie war arm, und sie war ehrlich,
Sie war braver Leute Kind.
Doch ein Reicher, der begehrlich,
Zog sie in sein Bett geschwind.
So ist der Kapitalismus,
Undank ist des Armen Lohn.
Paradiesisch schwelgt der Reiche.
Doch ich halte nichts davon.
Als die Schande offenbart sich,
Flieht sie in die große Stadt.
Steht schon balde dort auf dem Strich,
Weil sie nichts zu essen hat.
So ist der Kapitalismus...
Schweig mir von des Lebens Wonne,
Schweig mir von des Lebens Glück,
Sie ist unten angekommen,
Sieben Kronen für einen Fick.
So ist der Kapitalismus...
Doch nun Schluss mit dem Elende,
In der Lampen Licht so fahl
Macht sie ihrem Los ein Ende
Stürzt sie sich in den Kanal.
So ist der Kapitalismus...
Zwar man zieht sie aus dem Nassen,
Sie ist tot, voll Schlick und Tang.
Doch durch Nyhavns enge Gassen
Hört man ihren letzten Gesang:
So ist der Kapitalismus.
Undank ist des Armen Lohn.
Paradiesisch schwelgt der Reiche.
Doch ich halte nichts davon.
Das Lied ist von Per Dich (1926-94) und wurde im Jahre 1966 verfasst. Per Dich war Sänger und seit der Gründung der Sozialistische Volkspartei (SF) 1959 Journalist bei deren Zeitschriften, insbesondere beim Socialistisk Dagblad. 1971-73 saß er für SF im Folketing. Seine Lieder hatten große Bedeutung für den ungdomsoprør, die Jugendrevolte der sechziger Jahre. Er trat auch beim Roskílde Festival auf, dem dänischen ›Woodstock‹.
Die Vorlage des Liedes war die englische Moritat von Billy Bennett (1930): She was poor, but she was honest... Die Melodie gleicht auch der russischen Volksballade über Stenka Rasin, aber der schwermütige Ton russischer Melancholie wird hier zum ironisch-kitschigen Küchenlied.
Freunde lasst die Werkzeuge fallen
(Venner lad værktøjet ligge)
Freunde lasst die Werkzeuge fallen.
Wozu brauchen wir sie nun?
Arbeit missfällt uns doch allen.
Lasst das die Deutschen tun.
Andre nutzen unsre Produkte.
Wozu wenden sie sie an?
Bürohäuser, Steinviadukte –
Verschleiß – o Mann o Mann.
Hört ihr es raunen und mahnen:
Mit den Fabriken ist es aus?
Unter der Faulheit Fahnen
Baun wir der Zukunft Haus.
Paul Schmidt schrieb dieses Lied zum 1. Mai 1979. Es wurde das Lied der SABAE, des ›Zusammenschlusses der bewusst arbeitsscheuen Elemente‹, einer linken Jux-Vereinigung. Gesungen wurde das Lied besonders von dem populären Komiker Jacob Haugaard, der 1994 für SABAE in das Folketing gewählt wurde (und dort vom Mangel an Jux enttäuscht wurde).
Die Melodie ist diejenige des Sozialistenmarsches von Leonid Petrowitsch Radin 1895/96. Auf Deutsch wurde daraus 1918 das Kampflied: Brüder zur Sonne, zur Freiheit, und auf Dänisch ebenso im gleichen Jahr.
Etwas über Helden
(Noget om helte)
Leben ist ne Morgengabe,
Sonne scheint, die Luft ist frisch.
Schau den Krokus, den ich habe,
Und das Bier auf meinem Tisch.
Eine Lerche steigt am Himmel,
Flieg nur höher, Vogel, flieg!
Denn ne Lerche denkt sich nimmer
Was von Kampf und Tod und Sieg.
Hier ist‘s friedlich, hier ist‘s stille,
Ist kein Krach und kein Radau,
Und ich säe Petersille
Samt Vergissmeinnicht so blau.
Lass die ganze Welt sich schlagen
Und bekämpfen bis aufs Blut,
Ich will euch was Nettes sagen
Und mir selbst – und hab es gut.
Samson stürzte manchen Tempel,
Donnerhall erscholl am Rhein –
Gegen solcherlei Exempel
Ist mein Tun verschwindend klein.
Konnte noch keinen Riesen töten,
Nicht erobern Raum und Zeit,
Und wenn starke Männer tröten,
Tut mir‘s für mich selber leid.
Andre gehen mit dem Gedanken,
Wie man sprengt die Welt entzwei –
Hinter meinen Brombeerranken
ist kein Platz für Kanonen frei.
Während andere sich hauen
Auf den Kopf und auf die Nas,
Will ich auf die Rüben schauen,
Auf Sellerie und grünes Gras.
Wozu soll ich Kerle schlagen,
Wenn ich mein Gemüse seh.
Selbst die rötesten Radieschen
Sind doch letztlich ganz ok.
Dänische Helden allerorten –
Wozu braucht‘s denn mich dabei?
Ich lausche ihren großen Worten
Ohne eigenes Geschrei.
Zeit vergeht, und Zeit mag hetzen
Männlich Tat ins Feld hinaus –
Ich, der letzte von den letzten
Breche oft in Tränen aus.
Schon an meiner Hand die Blasen
Tun mir manchmal ziemlich leid.
Lieber schneid ich meinen Rasen
Als Kopf ab den guten Leut.
Leben ist ne Morgengabe
Und die Erde herrlich rund.
Wenn ich Bier im Bauche habe,
Leuchtet mir der Krokus bunt.
Wenn’s Kommando geht: Steht stille!
Marsch! Und Schießen! Sprung! Und Gang!
Schreibe ich mit Petersille
Den allerkleinsten Heldengesang.
Dieses Lied schrieb Halfdan Rasmussen (1915-2002) im Jahr 1955. Halfdan Rasmussen, einer der populärsten Liedermacher Dänemarks, war früher Anarchosyndikalist und Widerstandskämpfer. In den 1970ern engagierte Halfdan Rasmussen sich in der Volksbewegung gegen die Europäische Union, die der dänischen Linken einen starken ›volklichen‹ (links-nationalen) Impuls gab.
Zu einer Phänomenologie des linken Singens
Alle diese dänischen Lieder sind populär als Gemeinschaftsgesang, zum Beispiel zum ersten Mai oder in sozialistischen Sommerlagern, den sogenannten ølejr (Insellager). Die Lieder sind ein wichtiger Teil dessen, was man auf Dänisch „volklich“ (folkelig) nennt – volkstümliche Kultur oder Populärkultur. (Der folk-Begriff ist offenbar unübersetzbar.)
Auffallend an den dänischen Liedern ist ihre Selbstironie. Sozialistische Ironie nimmt ernst und unernst zugleich, dass die Gesellschaft aus Widersprüchen besteht. Nicht zuletzt auch aus Widersprüchen gegen den Sozialismus. Wie zum Beispiel:
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Baut der Sozialismus etwa auf einem romantischen, kitschigen Verhältnis zu Arm und Reich? (Und warum eigentlich nicht, um mit Friedensreich Hundertwasser zu sprechen: Kitsch für alle?)
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Ist Arbeiterkampf etwa der Aufstand der Arbeitsscheuen?
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Träumt der Pazifismus etwa von der Schrebergartenidylle?
Die dänischen Lieder singen nicht weg von solchen Widersprüchen, sondern hin zum Widerspruch. Durch den dialektischen Unernst wird der Sozialismus noch strahlender – oder? Er wird jedenfalls sangbar und Teil der Volkskultur.
Und in Deutschland – wie singt da die Linke? Eine vergleichende Phänomenologie des linken Singens könnte aufschlussreich sein. Vielleicht erzählt das Singen mehr über die Dynamik einer linken Bewegung als ihre Manifeste und Theorien.
https://www.youtube.com/watch?v=yyY829WwR9A
https://www.youtube.com/watch?v=7B7KLZS6ORY
https://www.youtube.com/watch?v=CTQOUtLYVLw