Gerd Held
Um den Niedergang von Wirtschaft und Staat in Deutschland zu beenden, genügt es nicht, sich von Rot-Grün zu distanzieren. CDU und CSU müssten sich klar und selbstkritisch von ihrer eigenen Politik der leichten Auswege verabschieden.
Das abrupte Ende der Ampel-Koalition kann man als Erlösung begrüßen. Aber es gibt auch die Gefahr, dass die jetzige Beschleunigung der Dinge dazu führt, dass die tieferen Probleme des Landes aus den Augen verloren werden. Es geht um mehr als um die ›Zerstrittenheit‹ einer Regierung. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben in Deutschland schwerwiegende Eingriffe in die Grundaufstellung von Wirtschaft und Staat stattgefunden, die sich nun als Irrweg erweisen. Mit dieser Aufstellung steuert das Land auf einen fundamentalen Engpass zu.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war das Missverhältnis zwischen den Belastungen des Landes und seiner Produktivität so groß. Die Konsequenz ist eine Reproduktionskrise. Es gelingt nicht mehr, die Grundelemente von Wirtschaft und Staat aus den eigenen Erträgen zu finanzieren. Der Niedergang ehemals tragender Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie und Maschinenbau ist viel mehr als eine konjunkturelle Krise. Das gleiche gilt für die immer größere Sanierungslücke bei der Brücken-, Straßen- und Schienen-Infrastruktur. Zur dieser Reproduktionskrise gehören auch die Nachwuchsprobleme in vielen Berufen und die sinkende Bereitschaft, längerfristige Investitionen von Kapital einzugehen.
Zugleich beobachten die Bürger auch einen Hoheits- und Substanzverlust bei den gemeinsamen Beständen und Rechtsgütern des Landes, die dem Staat anvertraut sind. Es gibt nicht nur einzelne Fehlentwicklungen, sondern insgesamt ein eklatantes Missverhältnis zwischen einer zunehmenden Gewaltneigung und Verwahrlosung im öffentlichen Raum einerseits und den Schutzleistungen des Staates andererseits. Für die Mehrheit der Bürger gehört es inzwischen zur Normalität, bestimmte Bahnhöfe oder Parks in den Abend- und Nachtstunden zu meiden. Bei der Massenimmigration laufen die Dinge ganz offensichtlich aus dem Ruder, aber das Regierungshandeln läuft oft darauf hinaus, dass die Bürger diesen Zustand hinnehmen sollen. Ähnliches lässt sich von der Leistungskrise des Bildungssystems sagen.
Es sind die elementaren Errungenschaften, die unsicher geworden sind Bemerkenswert an der deutschen Krise ist, dass es gar nicht hochspezielle und unerhört neue Dinge sind, die fehlen, sondern es sind eigentlich elementare Errungenschaften, die unsicher geworden sind. Die ›einfachen‹ Dinge gelingen nicht mehr. Die Bürger sehen auch, dass die so stark ins Rampenlicht gestellten ›Innovationen‹ oft als Ersatz wenig taugen, sondern das Leben umständlicher machen. Diese Entwicklung geht auf Kosten eines zentralen Elements jeder modernen, freiheitlich-demokratischen Ordnung: der selbsttragenden Grundeinheiten.
Die Haushalte der Bürger, die Unternehmen, die Kommunen werden immer mehr mit Aufgaben überfrachtet und von Subventionen abhängig gemacht. Sie verlieren die Fähigkeit, ihre Dinge selbst zu bestimmen und das mit den Mitteln und dem Wissen zu tun, über die sie selbst verfügen. Wie hieß noch Immanuel Kants Wahlspruch der Aufklärung: ›Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!‹ Für die Ordnung eines Landes bedeutet dieser Wahlspruch, dass die Grundeinheiten von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft so eingerichtet sein müssen, dass sie aus eigener Mündigkeit und eigenen Mitteln ihr Dasein gestalten können. Von dieser elementaren Souveränität hat Deutschland sich weit entfernt. Deshalb kommt jetzt gerade aus den Unternehmen, aus den Kommunen und aus den Bürger-Haushalten die Klage:
Unsere eigenständige Existenz wird kaputt gemacht. Leichte Auswege gibt es nicht mehr.
Einige Jahrzehnte lang konnte man in Deutschland darauf setzen, dass die Produktivität der deutschen Industrie und die Tragfähigkeit der Infrastruktur so hoch waren, dass das Land bei Konjunktur-Einbrüchen und einzelnen Struktur-Krisen ›wie von selbst‹ immer wieder auf die Füße fiel. ›Politik‹ bedeutete da nur ein begleitendes, moderierendes, allenfalls überbrückendes Handeln.
Ebenso beruhte die internationale Stellung Deutschlands auf einem Produktsegment, das im Zuge des Wachstums der Weltwirtschaft stark nachgefragt wurde – wie Maschinen- und Anlagenbau oder die Produktion von Automobilen gehobener Standards. Gelegentliche Schwächen im deutschen Binnenmarkt konnten durch Exportstärke aufgewogen werden. In politisch-militärischen Krisen konnte man im Schatten der USA eine eher weiche, vermittelnde Rolle spielen. So gewöhnte man sich hierzulande daran, von wirtschaftlichen und politischen Krisen mit einer routinierten Leichtigkeit zu sprechen. Immer wieder wurde die Erwartung geweckt, dass ›wir gestärkt aus der Krise hervorgehen werden‹. Was die Regierenden nicht daran hinderte, im gleichen Atemzug die Gefahr immer größerer ›sozialer‹ und ›ökologischer Krisen‹ in düsteren Farben an die Wand zu malen.
Doch nun zeigt sich die Krise an einer Stelle, an der man das Land für unverwundbar hielt: Die Überschüsse, die dem Land früher über alle Krisen hinweghalfen, stehen nicht mehr zur Verfügung. Auch der Ausweg auf die Exportmärkte wird zum Engpass, denn immer mehr Länder stellen die Produkte des ›deutschen Segments‹ nun selber her oder beziehen sie von anderen Lieferanten – siehe China. Auf einmal muss Deutschland die eigene industrielle Basis rehabilitieren. Zugleich erlauben die politisch-militärischen Krisen kein leichtes Mitfahren mehr. Aber eine ›Flucht nach vorne‹ in eine neue europäische Weltmacht-Politik wäre auch keine Lösung, sondern abenteuerlicher Leichtsinn. Vielmehr müssten in dieser Lage viel strikter die Grenzen der deutschen Möglichkeiten als mittelgroßem Land klar definiert und gewahrt werden.
In dieser Lage wäre es ein Gebot der Redlichkeit, offen zu sagen, dass der gewohnte Ausweg aus Krisen jetzt nicht mehr funktioniert und eine Revision der Grundaufstellung dieses Landes vorzunehmen. Doch die Regierung der ›Ampelkoalition‹ brachte die Kraft zu dieser Redlichkeit nicht auf. Ihre Krisenpolitik folgte dem Schema längst vergangener Jahrzehnte: Man setzte darauf, dass ›Innovation‹ und ›Exportüberschuss‹ schon bald wieder die zusätzlichen Erträge liefern würden, um aus der Krise ›herauszuwachsen‹.
Substanzverzehr und Verschuldung
Man baute eifrig weiter an der ›großen Transformation‹. Und man versuchte, mit teuren Subventionen und zusätzlichen Leistungen für ›Soziales‹ gute Stimmung zu machen und nochmal etwas Zeit zu kaufen. Einerseits wurde so die Substanz verzehrt, andererseits gewöhnte man sich mit dieser Politik an eine ständig wachsende Verschuldung. Man deklarierte ›Notlagen‹ und griff zu rechtswidrigen Umbuchungen. Man gelangte schließlich an den Punkt, dass die im Grundgesetz verankerte ›Schuldenbremse‹ angetastet werden sollte. Exakt an diesem Punkt ist die Ampelkoalition zerbrochen.
Wie zu hören ist, will der rot-grüne Ampelrest diese Scheinlösungen durch Schuldensteigerung bis zu den Neuwahlen weiter verfolgen, eventuell im Rahmen einer europäischen Gemeinschaftsverschuldung. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Ursache zu benennen, die bis zu diesem Punkt geführt hat. Es ist der Versuch, Wirtschaft und Staat unter einen höheren Zweck zu stellen: das ›Soziale‹ und das ›Ökologische‹. Es liegt auf der Hand, dass SPD und Grüne sehr empfänglich für eine solche sozial-ökologische Verschiebung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind.
Doch was ist eigentlich mit der CDU/CSU? Die Christdemokraten waren ja einmal so etwas wie die Gründungs- und Ordnungspartei der Bundesrepublik. Sie hatten die Weitsicht, um wichtige Grundentscheidungen für Staat und Wirtschaft zu treffen. Und sie hatten die Statur, um sie auch durchzusetzen und nachhaltig zu wahren. So richteten sich immer dann, wenn Deutschland vor schwierigen Entscheidungen stand, die Blicke auf die Union. Auch jetzt bieten sich die christdemokratischen Parteien als die große und einzige Alternative für Deutschland an.
Allerdings gibt es hier ein großes Fragezeichen. Denn in der jüngeren Vergangenheit haben die beiden Schwesterparteien in ihrer Ordnungsaufgabe versagt. Sie haben selber einen beträchtlichen Anteil an der Weichenstellung, die Deutschland auf das falsche Gleis gebracht hat. Sie haben an der Illusion leichter Krisen-Auswege führend mitgewirkt. Und sie sind auch jetzt weit davon entfernt, von dieser Illusion ausdrücklich Abschied zu nehmen.
Die CDU und das Ziel ›Klimaneutralität‹.
Im neuen Grundsatzprogramm der CDU, das im Frühjahr 2024 beschlossen wurde, findet sich folgender Satz: »Bei einem Prozent Weltbevölkerung und zwei Prozent CO2-Ausstoß global wollen wir zu 20 Prozent zu der Lösung beitragen: mit Technologien für die Welt.« Dieser Satz stammt von Friedrich Merz persönlich, wie man einem Bericht der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ vom Mai entnehmen kann. Er drückt die Erwartung aus, dass man die ›Klimaziele‹ (die nicht in Frage gestellt werden) mit einer Stärkung der deutschen Wirtschaft und ihrer Rolle in der Welt verbinden kann.
Das scheint auch die generelle Botschaft des neuen CDU-Grundsatzprogramms zu sein, wenn man Andreas Jung, dem stellvertretenden Parteivorsitzenden, folgt. Er wird in der ›FAZ‹ mit folgenden Worten zitiert: »Wir sind die Partei der Nachhaltigkeit, die Wirtschaft, Umwelt und Soziales zusammenbringt. Nur wenn wir ein starkes Industrieland bleiben, erreichen wir auch die Klimaziele.« Das hört sich so an, als sei das Industrieland Deutschland bei der CDU in guten Händen. In Wirklichkeit wird hier ein Junktim zwischen allen möglichen Zielen formuliert. Eine Zurücknahme oder auch nur eine Verschiebung der Klimaziele wird ausgeschlossen. Dabei sind bei den Ausgaben für ›Soziales‹ die Einsichten schon weiter. Dort wird vielfach offen ausgesprochen, dass es mit dem ›Zusammenbringen‹ nicht getan ist, sondern Kürzungen unvermeidlich sind. Doch bei Umweltthemen ist die Union offensichtlich nicht zu diesem Schluss gelangt.
Die ›Klimaziele‹ sind inzwischen durch höchste Institutionen festgeschrieben. Jede Revision oder Relativierung wird dadurch extrem erschwert. Und es geht nicht nur um Ziele, sondern um handfeste Maßnahmen. Immer höhere Normen und Kosten, immer weitergehende Verbote sind beschlossene Sache. Die Klimaziele haben eine Prioritätsstellung im Land erobert, bei der für die Bürger nur die Alternative Friss oder Stirb übrig bleibt.
Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts
Das ist nicht irgendein ›grüner Ausrutscher‹, der dem Geist der Christdemokraten eigentlich fremd ist. Im Gegenteil: Die Klimapolitik ist von prominenten Vertretern der CDU aktiv in die höchsten Institutionen Deutschlands und Europas transportiert worden. Das gilt für die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel genauso wie für die Vorsitzende der EU-Kommission Ursula von der Leyen wie auch für Stephan Harbarth, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und Vorsitzenden jenes ersten Senats, der das Klimaurteil vom März 2021 gefällt hat.
In diesem Urteil wurde die Aufstellung eines Fahrplans zur Erreichung der Klimaneutralität Deutschlands zum Verfassungsgebot erklärt und daraus direkt Handlungspflichten des Parlaments (der Legislative) und der Regierung (der Exekutive) abgeleitet. In diesem Urteil ist der Fall, dass das Schutzgebot des Klimas mit der Existenz von Wirtschaft und Staat in Konflikt gerät und eine Abwägung von Rechtsgütern vorzunehmen ist, gar nicht vorgesehen. So ist eine Revision der Klimaziele vom höchsten deutschen Gericht eigentlich ausgeschlossen worden.
Der Marsch in die Klimaneutralität wird damit zu einer Art Zweitverfassung der Bundesrepublik. Die Aufnahme des Klimaziels ändert dabei das Wesen der Verfassung. ›Klimaneutralität‹ ist nur ein Postulat, das dem Bereich von Wunsch und Vision zugehört. Eine Verfassung, die aus Postulaten besteht, ist etwas ganz anderes als eine Verfassung, deren Rechte und Pflichten sich auf die gegebenen Ressourcen und realgeschichtlichen Errungenschaften eines Landes beziehen.
Das Ziel ›Klimaneutralität‹ legt die Bundesrepublik auf die sogenannte ›große Transformation‹ fest. Sie macht aus unserem Grundgesetz eine Transformations-Verfassung. Mit anderen Worten: Sie wirft das Land in den Strom einer Veränderung, deren erfolgreicher Abschluss noch in den Sternen steht. Denn hinreichende technologische und zivilisatorische Voraussetzungen für das Erreichen der Temperaturziele sind noch gar nicht in greifbarer Nähe. Das Urteil ist daher ein tiefer Einschnitt in der deutschen Verfassungsgeschichte. Und an diesem Urteil war mit Stephan Harbarth ein ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beteiligt.
Wettbewerbs-Metaphysik
Roland Koch, Ex-CDU-Ministerpräsident von Hessen und gegenwärtig Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung konstatierte in seiner wöchentlichen Kolumne (›Erhard heute‹) Anfang Oktober:
Während die deutsche Wirtschaft in diesem Herbst 2024 nicht aus der Rezession herausfindet, sieht Koch seine Aufgabe darin, die EU-Klimapolitik zu retten. Die zitierte Passage enthält eine wundersame Wandlung: Zuerst wird alles teurer, damit es ›klimafreundlich‹ wird. Dann aber wird auf einmal alles billiger: Auf einmal sollen E-Autos ›preiswert‹ sein, soll es eine ›kostengünstige und flächendeckende Wasserstoffversorgung‹ geben, und die neuen Heizsysteme sollen so ›effizient‹ sein, dass die Bürger ihre bisherige Heizung schnellstmöglich zum alten Eisen werfen wollen.
Das ist nicht eine von Kapital und Arbeit getragene Marktwirtschaft, sondern eine naive Wettbewerbs-Metaphysik. Wie soll die Verteuerung der Güter, die ja durch die ökologischen Eingriffe in die Produktionssphäre verursacht ist, einfach ›durch Wettbewerb‹ verschwinden? CO2-Emissions-Zertifikate kann man schnell beschließen, aber die Entwicklung von Technologien und Arbeitsprozessen ist ungleich zäher. Oft erweisen sich vielversprechende Zukunftsprojekte als reine Luftschlösser. Roland Koch will nicht die Klimaziele revidieren, sondern die Verteuerung der fossilen Energieträger nur ergänzen – durch das sogenannte ›Klimageld‹. Es soll an ›einkommensschwache Haushalte‹ gezahlt werden. Finanziert werden soll es aus den Einnahmen durch die CO2-Zertifikate. Ihr Verkauf spült einen Batzen Geld ins Staats-Säckel, und da denkt Herr Koch: Na super, da kann man einfach einen Teil an die Bedürftigen zurückgeben, und alle gesellschaftlichen Probleme sind erledigt.
Die Tatsache, dass die CO2-Einnahmen erst einmal von der ganzen Gesellschaft bezahlt werden müssen, taucht gar nicht mehr auf. Die gigantische Kostenwelle, die eine Verteuerung der Energie quer durchs ganze Land auslöst, soll weiter rollen, sie muss weiter rollen, sonst kann das Klimageld ja nicht bezahlt werden – fürwahr eine sozial-ökologische Großtat.
Die Standhaftigkeit Ludwig Erhards
Was Roland Koch vorschlägt, ist das glatte Gegenteil von dem, was Ludwig Erhard vertrat. Das vorgeschlagene ›Klimageld‹ ist Teil aller möglichen Konsum- und Investitionsbeihilfen, die jetzt, wo allmählich die wahren Kosten der ›großen Transformation‹ sichtbar werden, installiert werden. Hier findet nicht nur eine neue Ausdehnung von Sozialausgaben statt, sondern eine sozialökologische Zentral-Bewirtschaftung des ganzen Landes. In diesem Räderwerk gibt es weder Platz noch Motivation für die Leistungen von Unternehmern und Belegschaften. So kann das Brachfallen vieler Wirtschaftsstandorte nicht verhindert werden. Und so wird auch kein verlorener Produktionszweig wieder ins Land zurückgeholt.
An dieser Stelle ist eine Rückbesinnung auf die tatsächliche Leistung Ludwig Erhards sinnvoll. In der Aufbauphase der Bundesrepublik, vor dem Hintergrund der Zerstörungen und Knappheiten nach dem zweiten Weltkrieg, gab es starke Tendenzen, ein Zentral-Bewirtschaftungssystem einzuführen. Die Ordnungspolitik Ludwig Erhards misstraute dagegen dem bloßen ›Machen‹ von oben und setzte darauf, die eigenständige Handlungsfähigkeit der Unternehmen, der Bürger-Haushalte und der verschiedenen Staatsebenen wiederherzustellen. Das bedeutete, dass nicht alle Ansprüche sogleich bedient und alle Notlagen sogleich behoben werden konnten. Die Ordnungspolitik hatte also auch ihre eigenen Härten.
So waren damals in Deutschland Weitsicht und Durchhaltevermögen gefragt. Das war in den kargen, angespannten Nachkriegsjahren alles andere als selbstverständlich, aber es gelang. Dazu hat damals – vor allem in Wirtschaftsfragen – die ordnungspolitische Standhaftigkeit von CDU und CSU ganz wesentlich beigetragen. Es wurde zum Markenkern der Christdemokratie, aber auch – für einige Zeit – zum Markenkern des politischen Lebens der Bundesrepublik.
Ordnungspolitik: Härte und Freiheit
Wo es einst diese Grundfähigkeit im Lande gab, klafft heute eine große Leerstelle. Das ordnungspolitische Versagen der heutigen Christdemokratie macht diese Leerstelle besonders deutlich. Wir haben keine klare Vorstellung mehr von dem, was eine gute Grundaufstellung leisten könnte. Doch wir sehen, wie kurzatmig und zugleich unbeweglich die Dinge im Lande geworden sind. Wir sehen, wie schwer es fällt, bei kurzfristigen Wünschen ›Nein‹ zu sagen, und wie zugleich die Fähigkeit verloren geht, langfristige Investitionen aus eigenen Erträgen zu finanzieren. Ganz ähnlich wurzelt auch die Unfähigkeit, die Souveränität über die Grenzen unseres Staatswesens zu wahren, in einer solchen Schwäche des Nein-Sagens.
Wenn ein Land in einer tiefen Krise gefangen ist, gibt es keine nachhaltige Lösung ohne eine Verschiebung in der Sichtweise der Bürger – in der Bildung einer neuen demokratischen Mehrheit. Dazu müssen die lange Zeit vernachlässigten Ordnungsaufgaben wieder deutlicher von den tausend Vormundschaften und Fördertöpfen, die man uns täglich andient, unterschieden werden. Es geht darum, dass die Bürger eine realitätsfeste, dauerhafte und keineswegs extreme Grundaufstellung von Wirtschaft und Staat als ihre eigene Ordnung verstehen, aus der heraus sie dann ihr eigenes Ding machen können.