von Gunter Weißgerber
Erwiderung auf den Beitrag von Siegfried H. Seidl
Siegfried H. Seidl wünscht einen Machtwechsel in Berlin. Den wünsche ich ebenso. Der Autor sieht eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen als realistische und für die FDP erstrebenswerte Option. Hauptsache die Union ist nicht nur raus, sondern nimmt im Verbund der kommunizierenden Röhren Union/SPD den Platz unterhalb 20 Prozent an Stelle der SPD ein. Er hofft auf drei Hauptentwicklungen, so ich ihn richtig verstehe: Merkel-Entourage weg, FDP in die Regierung, kein Linksrutsch. Liegt er richtig? Doch der Reihe nach:
1) Die Spannung
Stimmt. So spannend und unberechenbar war es vielleicht nicht einmal 1949 zur ersten Bundestagswahl. Im Moment sind noch drei Parteien, sollten die Stimmungsbilder der in Deutschland führenden SPD-Medien zutreffen, nahe der 20-Prozent-Linie. Union, SPD, Grüne. Wobei die SPD den Platz oberhalb der 20 Prozent mit der Union tatsächlich tauschen könnte. Ein Ergebnis von Laschets schwachem Auftritt in Verbindung mit Söders Querschüssen und vor allem Olaf Scholz‘ Erfolg, die SPD und ihren linksgrünen Sektiererflügel zur vorläufigen Ruhe gebracht zu haben. Olaf Scholz verschweigt die SPD. Peer Steinbrück gelang das nicht.
Das wird allerdings nur bis zum Wahlabend halten. Mit dem heute möglichen Wahlergebnis oberhalb 20 Prozent für die SPD im Rücken wird Olaf Scholz, sekundiert von Saskia Esken (man achte auf ihr Selbstverständnis als Antifazugehörige) über Norbert Walter-Borjans, Svenja Schulze, Kevin Kühnert usw. grün-links auftrumpfen. Auch von Aydan Özoğuz, die eine spezifische deutsche Kultur abstreitet, dies jedoch nicht bezüglich einer türkischen Kultur genauso handhabt, und dem Leitbild zur Integration (FES-Papier 2017) wird wieder von ganz oben zu hören sein.
Es gibt keine Scholz-SPD. Die heutige SPD ist EskenKühnertundCo. Hier sollte der Autor noch einmal genau hinschauen. Kein anderer als Henning Voscherau prägte Anfang der 90er Jahre den Satz: ›In Koalitionsverhandlungen der SPD mit den Grünen sitzen auf allen Seiten der Verhandlungstisches Grüne – Grüne und grüne Sozis‹. 30 Jahre später könnte Voscherau sagen: ›In Koalitionsverhandlungen von SPD, Union, Grünen, FDP und Linken sitzen auf allen Seiten Grüne – Grüne, grüne Sozis, grüne Unionisten, grüne FDPler, grüne Linke‹.
Dem Autor scheint nicht bewusst zu sein, dass nach dem Nationalsozialismus, dem Kommunismus und dem Islamismus die weltweite grüne Bewegung der so unverdächtige wie durchschlagende Angriff auf unsere Freiheit ist. Es sind die Grünen in allen Parteien aber besonders die richtig Grünen, die uns vorschreiben, wie wir denken, was wir denken, wie wir denunzieren, wie wir leben, essen, uns fortbewegen sollen. Die Grünen sind eine Lagerordnungsbewegung. Eine grün lackierte Union besitzt vielleicht noch die größten Restbestände gegen die grünen Erziehungsanmaßung. SPD und Linke sind genauso grün wie die Grünen, sie sehen nur anders aus. Und die FDP? Gäbe es eine Teuteberg-FDP, gäbe ich dem Autor vielleicht Hoffnung. Es gibt aber nur eine grün kostümierte Lindner-FDP.
Wer also die grüne Anmaßung 2021 noch einmal mit letzter Kraft abwehren will, muss vor allem die besonders grünen Parteien in ihren unterschiedlichen Kostümen außen vorlassen wollen. Schwer und kompliziert genug. Pessimismus scheint angebracht.
2) Die Merkel-Entourage in den Parteien und im Feuilleton
Stellen wir uns Angela Merkel als Ferromagnet in einem Feld mit vielen Eisenspänen vor. Die Eisenspäne stehen hier bildlich für die Merkelentourage. Alle Eisenspäne sind auf den Magneten ausgerichtet. Der Magnet verliert momentan an Stärke. Er wird in der CDU gegen einen anderen Magneten ausgetauscht. Die Eisenspäne kommen in die Bredouille und richten sich neu aus. Viele werden das schaffen, einige bleiben liegen. Der Magnet Merkel verliert im Herbst an Einfluss, die Antimerkelisten in Union und Feuilleton werden sich über die vielen Wendehälse unter den Eisenspänen die Augen reiben. Der neue Magnet muss diese Bewegung nutzen und sich stärker vom alten absetzen. Geschieht das nicht, kommt der nächste Möchtegern-Magnet. Die Union wird sich von Merkel absetzen, wie sie sich von Kohl durch Merkel absetzte. Dieser Prozess hat größere Chancen, findet er unter Regierungsverantwortung statt, weil der neue Magnet sofort in Realität neu kehren muss, um seine Position zu festigen. In Oppositionsumständen wird es ein Gehaue und Gesteche mit anderen Magneten geben, Noch mehr grün-multikulti-gender ist dann in der Union nicht aufhalten.
Wo allein eine Merkel-Ablehnung die Agenda setzt, wird der Blick auf die Situation verdeckt. Frau Merkel ist Vergangenheit, zugegebenermaßen mit einem langen Schatten, dennoch: Andere bestimmen ab Herbst über die Karrieren in der Union. Interessant in diesem Zusammenhang ist Laschets Nominierung des Terrorismusexperten Peter Neumann. Merkel wäre das nie passiert. Für die Bundeskanzlerin ist das ein Affront. Armin Laschet wird munter, vielleicht sogar mutig. Nicht sehr mutig, das ist ihm nicht gegeben, aber ein bisschen mutig vielleicht doch.
3) Olaf Scholz
Olaf Scholz ist kein Gerhard Schröder. Nicht als Alphatier, erst recht nicht, was die Zahl der Anhänger in Partei und Umfeld angeht. Olaf Scholz ist ein Scheinriese ohne Heerscharen hinter sich. Sein Wertverfall beginnt am Wahlabend. Die SPD-Blindgänger im Wartestand, die jetzt um des Wählertäuschen willens stillhalten, sind ihm an Zahl weit überlegen und sie fordern ihren Stillhaltepreis ein. Bereits am Wahlabend werden die, wenn er es nicht tut, das SPD-Wahlprogramm aus dem Hut zaubern und dem Michel zwischen Alpen und Rügen um Augen und Ohren hauen.
Ich meine nicht das persönliche Schlafwagenprogramm ›Scholz‹, ich meine das grünlinksaußenlastige Wahlprogramm der SPD 2021 mit den Schwerpunkten weiterer Zerstörung des Wirtschafts-, Automobil-, Energie- und Forschungsstandortes Deutschland, mit der weiteren Zuwanderung aus archaischen Regionen ohne den Vorbehalt unserer Regeln, dem Vorantreiben des Genderirrsinns, mit der sogenannten Entkriminalisierung von Drogen, mit der gut deutschen Vormachtstellung in der Europäischen Union, mit der ›Weiterentwicklung der Demokratie‹ unter der die SPD das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und die Ausspionierung der Bevölkerung versteht.
Mit der SPD an führender Stelle wird die Bundesrepublik Deutschland wie im Fall einer grünen oder linken Vormacht endgültig zu einem Haltungsstaat, der die Bevölkerung erzieht und in Gut und Böse einteilt. Gehörte in der DDR das Bekenntnis zu Frieden und Sozialismus in jede Doktor- und Diplomarbeit, so wird in der kommenden Haltungsrepublik Deutschland ein Bekenntnis zur Klimareligion unter grünlinkensozialistischen Predigern zum Standard werden. Wer nicht dafür ist, ist dagegen und hat die Folgen zu tragen. Olaf Scholz und seine real schwindsüchtige Haltungspartei werden das befördern. Sie werden mit Hilfe der Grünen, auch mit Hilfe der opportunistischen Lindner-FDP die Dekonstruktion des Freiheits- und Rechtsstaates Bundesrepublik unter den Slogans Energie- ,Verkehrs-, Agrar- und (linkslastiger) Demokratieförderung (unter Mithilfe der Antifa) weiter ins Werk setzen.
Siegfried H. Seidls Scholz- und Lindner-Überschätzung steht seiner Habeck-Fehleinschätzung scheinbar in nichts nach. Warum nimmt der Autor Robert Habeck nicht ernst? In dessen Buch von 2010 Patriotismus: Ein linkes Plädoyer schrieb der heutige grüne Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat: ›Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.‹ Das ist der Robert Habeck, der fachlich nicht einmal Kilometer- und Entfernungspauschale auseinanderhalten kann.
4) Machtwechsel wäre kein Linksruck
Union, SPD, Grüne, Linke, FDP sind, wenn auch in unterschiedlichem Maße, grüne Parteien bzw. grün kostümiert. Das alles ist beinahe so gleich grün wie links, dass Unterschiede ohne ein gutes Mikroskop und vor allem dem Willen es so zu sehen, nicht zu erkennen sind.
Die Frage ist demnach, welche Konstellation am ehesten in der Lage wäre, den grünen Ansturm auf unsere Freiheit einzudämmen.Mit Olaf Scholz an der Spitze wird das Deutschlandabbauprogramm massiv weitergehen. Der schwache Armin Laschet ist der Einzige in dieser schwachgewordenen Liga, der kümmerlich zwar aber immerhin dagegen vorsichtig anlöckt. Würde er am Wahlabend mit der Union vor der SPD liegen, müsste er das beweisen oder untergehen. Stichwort neuer Magnet unter Eisenspänen.
5) Die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner
Der Autor unterliegt dem Eindruck der 16 Merkeljahre, in denen die SPD, wenn sie in der Regierung war, immer Juniorpartner war. Die scheinbare Verlässlichkeit wird perdu sein, kommt die SPD in die ungleich größere Versuchung ›Seniorpartner‹. Die Ideologen werden vor Kraft nicht laufen können. Da die FDP gleich nach der AfD Lieblingsgegner der SPD-Linken ist, wird es schnell aus sein mit dem nach außen gemeinsam Tragen einer Koalition ausgerechnet mit der FDP.
6) Union und AfD auf der Oppositionsbank
Beide werden sich in Regierungskritik überbieten. Vielleicht machen sie es auch wie die SPD mit Linksaußen bald nach dem Zusammenbruch der zweiten deutschen Diktatur und kommunizieren gemeinsame Schwerpunkte und Strategien. Ist das im Sinn des Autors? Ich glaube nicht. Wobei Armin Laschet nicht die Chuzpe eines Reinhard Höppner besitzt. Das würde ein anderer Magnet bewerkstelligen. Nichts ist unmöglich unter einem diesbezüglichen Slogan: ›Gleiches Unrecht für alle. Was die SPD konnte, kann die Union auch‹.
Anders als Siegfried H. Seidl sehe ich mich nicht in der Lage, eine Empfehlung für die Wahl zu formulieren. Ich weiß nur, Angela Merkel wird ab Herbst unrühmliche Geschichte sein. Sie hat die Union lächerlich und klein gemacht, die Bundesrepublik der Wiedervereinigung in ihrer politischen Statik schwer beschädigt und die Europäische Union so anmaßend wie ideologisch an die Wand gefahren. Die Byzantiner vergaßen in ihrem Abwehrkampf 1453 ein offenes Tor in der Außenmauer, die Kerkaporta. Angela Merkel nahm sich selbstherrlich ihre eigene Kerkaporta und veränderte die Europäische Union und Deutschland dramatisch. Wie sagte es doch die grüne Spitzenfrau Katrin Göring-Eckardt: ›Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf!‹
Siegfried H. Seidl ist bereit mit den Grünen und der SPD eine Deutschland-Abbruchkoalition einzugehen. Ich antworte mit Goethes Zauberlehrling
Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.