von Ulrich Schödlbauer
Das ganze Elend des etablierten Journalismus besteht darin, dass das Internet, also ein Medium, gnadenlos seine Inkompetenz aufgedeckt hat: Jeder Augenzeuge, der seine Smartphone-Kamera hochreckt, jeder Leserbriefschreiber, taktvoll ›Kommentator‹ genannt, jeder Blogger mit ein wenig Hintergrundwissen, jeder Wikipedia-Benutzer, jeder, der auch nur fünf Minuten per Mausklick recherchiert, weiß es besser als der Berufsjournalist, der von Thema zu Thema hetzt und dazu verdammt ist, die Twitter-Ausdünstungen unbedeutender Politiker als Nachrichten wiederzugeben: das zermürbt, es zermürbt unendlich und fördert damit die bockige Verhärtung, die diese Menschen als ›Haltung‹ missverstehen, weil ihnen die Vorstellung, sie besäßen eine, kompensatorische Befriedigung verleiht. Schließlich sind sie die Profis und ihre vorgestellten Leser nicht. Das stimmt zwar, aber in einem fatalen Sinn: sie sind Profis der Vermittlung, jedoch einer Form der Vermittlung, die angesichts der modernen Vermittlungsformen keinen Sinn mehr ergibt. Vielleicht verschlechtert sich auch deshalb ihr Stil von Woche zu Woche mehr, weil er gezwungen ist, die Sinnlosigkeit ihres Tuns abzubilden. Aber die Arkana der Wirtschaft? Die schmutzigen Geheimnisse der Politiker? Um die aufzudecken, braucht es ein paar tüchtige Whistleblower und sonst nichts. Weltweit sieht man, wie sich der Journalismus aus diesem Metier zurückzieht. Warum? Man lebt zunehmend von der objektiv nutzlosen Vervielfältigung von Agenturmeldungen und dem Kult sogenannter Edelfedern. Um Edelfeder zu sein, braucht es Recherche-Unfähigkeit: Unfähigkeit und Unwillen, sich wie jeder anständige Mitmensch zu informieren. Du hast dich in drei Wochen Lektüre gestürzt, weil du wissen musstest, was vorgeht, und der nächstbeste … nennt dich, ohne einen Augenblick innezuhalten, einen Covidioten – so sieht sie aus, die Gesellschaft der parasitären Meinungsbildner, die das Land unter ihre Klauen geschlagen haben und die erstaunlichsten Demonstrationen, deren Wissensfundierung an ihnen abgleitet, nur als befremdlichen Klamauk wahrzunehmen imstande sind. Noch erschreckender allerdings der Anblick von Professoren, die wissen müssten, vielleicht wirklich wissen, aber den Verrat am Wissen der Möglichkeit vorziehen, ein wenig Wissen an die Bedürftigen zu verraten. Zum Glück hört und sieht man von den meisten nicht viel, sie sind zu sehr damit beschäftigt, den offenkundigen Nöten des Landes auszuweichen, das sie ins Amt gesetzt, genährt und gepflegt hat und ihre Auslandsreisen finanziert. Gewiss, es macht keine Schwierigkeit, dem eigenen Land auszuweichen, nicht, weil man ein anderes besser fände, sondern weil man keine anderen als die eigenen Nöte anerkennt. Huch, ich stehe mit meiner Ansicht allein – das blamiert schlimmer als alle Nacktheit. Wenn die Politik andere Saiten aufzieht, errichtet die Wissenschaft Unbestimmtheitszonen. Die Frage, wieviel Journalismus inzwischen in der Wissenschaft steckt, bedarf noch der Klärung.