von Ulrich Schödlbauer

Die neue Domino-Theorie: Fällt die FDP um, fällt die CDU ihr nach.

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Festzustellen, ob eine Partei auf dem Boden der Verfassung steht, obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Wenn Parteien dazu eine Meinung haben: umso besser. Aber es bleibt ihre Meinung.

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Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz hebt diese Aussage nicht auf.

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Wenn zwei Parteien in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, was folgt daraus? Dass die Verfassungstreue von Teilen beider Parteien in Frage steht. Nicht mehr, nicht weniger. Kein Zweifel: Das muss politisch gewichtet werden.

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Die Wahl des FDP-Abgeordneten Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen war zwar demokratisch korrekt, muss aber im Licht ihrer Folgehandlungen als Farce betrachtet werden.

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Die FDP hat zwar dem Land Thüringen Schaden zugefügt, aber der Bundespolitik genützt, weil sie den Machtverschleiß an der Spitze für jedermann sichtbar machte.

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Die Tendenz der Bundespolitik, auf Meinungen und Gesinnungen des Wahlvolks und seiner gewählten Vertreter durchzugreifen, hat das Zeug dazu, Verfassungskonflikte heraufzubeschwören.

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Wahl ist Wahl, geheime Wahl ist geheime Wahl. Ein gewählter Ministerpräsident ist vor allem eines: Ministerpräsident. Er bestimmt die Politik seines Landes, das Parlament kontrolliert seine Amtsführung und erlässt Gesetze. Alles andere hieße nicht Wahl, sondern Ermächtigung, und davon steht nichts im Wahlgesetz.

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Demokratische Parteien stehen prinzipiell in der Verpflichtung, pragmatisch, das heißt im Zweifel gesprächsoffen miteinander umzugehen. Diese Verpflichtung ist keine Einbahnstraße. Gesprächsverweigerung, Gesprächsabbrüche dürfen, sie können politisch, aber nicht verfassungsrechtlich begründet werden. Wäre es anders, bräuchte es kein ›Parla‹-ment. Gesetze werden von denen beschlossen, die miteinander reden können.

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Ein Zeichen für den pragmatischen Umgang mit Konkurrenzparteien ist die unterschiedliche Praxis auf unterschiedlichen Ebenen: Was im Bund ausgeschlossen wird, ist auf Länderebene möglich; was auf Landes(nicht: Länder-)ebene ausgeschlossen wird, ist auf kommunaler Ebene möglich usw. Die entgegengesetzte Praxis bezeugt einen Mangel an demokratischer Kultur und die Ersetzung des Konkurrenzverhältnisses durch das Freund-Feind-Schema: Ausgangspunkt mancher Entgleisung.

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Scham, werte FDP, öffentlich ausgestellte Scham ist lächerlich, wo keine Schuld vorliegt. Man kontrolliere die Gesetzbücher: Von der Schuld, sich in geheimer Wahl wählen zu lassen, ist nirgends die Rede. Wofür schämt sich der Vorsitzende? Dafür, dass sich der Parteifreund von der falschen Partei hat wählen lassen. Er hat es zugelassen, sich wählen zu lassen. Das ist unerhört.

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Die Thüringer Ereignisse haben die Bundes-FDP aus-, die Bundes-CDU wieder eingeschaltet. Währenddessen übt die verbliebene Sozialdemokratie sich in ihrer neuen Rolle. Gleichgültig, was sie zu sagen hat: es ist nicht von Belang. Die SPD ist aus dem Meinungsgefüge des Landes diffundiert. Viele finden das bedauerlich, einige unverzeihlich. Immerhin ist sie die erste Partei dieses Landes, die Minister ins Wolkenkuckucksheim entsendet und anschließend die Leiter entfernt.

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Wenn in der CDU der Machtkampf beginnt, springt als erstes die Werte-Union über die Klinge. Nichts sagt mehr über diese Partei aus als so ein Detail.

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Die Linkspartei (oder was als solche firmiert) hat sich angesichts der Abwahl ihres ersten Landesfürsten in einen Rausch des Recht- und Guthabens hineingesteigert, der ihr kurzfristig Sympathien einbringen mag, sie aber auf lange Zeit stigmatisiert: Wer beim ersten Anlass bereit ist, demokratische Prozeduren zu überrennen, weil er die Trennung von der Macht nicht hinnehmen will, degradiert sich selbst zum Paria des parlamentarischen Systems. ›Ein Blumenwurf zuviel‹ hätte ein linientreuer Parteisoldat getitelt – damals, als sie noch die Macht besaß, im Recht zu sein, gleichgültig, was ihre Führung sich aus ihm machte.

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Die AfD als ›bad bank‹ des Parteiensystems sammelt die Verluste der anderen Parteien und verwandelt sie in parlamentarischen Leerraum. Wer genauer hinsieht, der versteht, wie sie ihn nutzt: Sie richtet Parlamentsmuseen ein und führt den Leuten vor, wie Demokratie einst ging, so wie man in manchen Provinzmuseen dem Hufschmied von anno dunnemal bei der Arbeit zusehen kann. Die Wahl des Herrn Kemmerich war, aus ihrer Warte gesehen, so ein musealer Akt: Wäre dies ein funktionierendes Parlament, so wäre Herr K. jetzt Ministerpräsident. Der Besucher hat die Wahl: Nebenan werkelt die sozialistische Nostalgie. Hätten wir bereits den Sozialismus, so wäre diese Wahl nicht möglich gewesen. Offenbar neigt das Publikum der zweiten Auffassung zu. Was daraus wird, weiß keiner.

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Das öffentliche Scharfschützentum im Land hat mancherorts ein Ausmaß erreicht, dass man nicht um den Verstand seiner Bewohner, sondern um ihre Irrtumsfähigkeit bangen sollte: Jeder Irrtum setzt ein Körnchen Urteilsfähigkeit voraus. Gerade darum scheint es bei vielen uniformierten Meinungsträgern geschehen zu sein.

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Über Gewinn und Verlust von Wahlen entscheiden die Wähler. Über Gewinn und Verlust von Ansehen entscheiden die Parteien selbst. Über Gewinn und Verlust der Macht entscheidet das Parteienkalkül. Über Statthaftigkeit und Unstatthaftigkeit des Kalküls entscheidet die öffentliche Meinung. Über die öffentliche Meinung entscheidet das Urteil der Konsumenten – Tendenz fallend. Das Zünglein wächst, während die Waage auseinanderfällt. Eine Wirtschaftskrise, ein Migrantenzug zuviel und die gestrige Meinung ist … gestrig.

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Eben noch stand die Umständlichkeit demokratischer Prozeduren der Klimarettung entgegen, sofern es nach den Aussagen patentierter Weltretter ging. Derselbe Personenkreis rettet heute die Demokratie vor ihren demokratischen ›Verächtern‹. Wen das verblüfft, der hat seine Lektion nicht gelernt. Wen es nicht verblüfft, der hat noch nicht verstanden, dass sie ihm bevorsteht. Kleiner Tipp am Rande: Sie wird bitter sein. Aber das wissen ja alle. Deshalb sind sie auch so erbittert.

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Wenn ein Kandidatur-Aspirant wie der CDU-Politiker Merz vor Publikum die Trivialität erwähnt, dass auch Politiker sich der sozialen Medien bedienen, schlagen die Leitmedien Alarm. Soll heißen, wer den Ist-Zustand ausplaudert, ist ihr Gegner. Das geht schon seit Jahren so und die Lösung heißt: Steuerfinanzierung. Also ist, wer ihnen Gebühren und Hilfsgelder zuschleusen will, ihr Freund, wer es ernst mit der Marktwirtschaft meint, ihr Feind. Auf dieser Basis lässt sich gut Politik ›begleiten‹. Andererseits lässt, wie das Beispiel USA zeigt, eine solide Feindschaft das klassische Geschäft brummen, gesetzt, der ›Feind‹ bekennt sich zu seiner Rolle. Soviel Einsicht scheint Herrn Merz (vorerst?) nicht gegeben zu sein.

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›Thüringen‹ hat die neuen Machtpole der Republik sichtbar gemacht: CDU, Linke, AfD. Die CDU ist ›drin‹, aber ihr Anspruch klingt weitgehend hohl, die Linke ist ›drin‹ und drängt, die AfD ist draußen und wächst. Die Grünen sind, was sie vor der Schröder-Fischer-Koalition waren: im Zweifel links. Koalieren sie mit der CDU, dann, um ›linke Politik‹ im Bund zu ermöglichen, koalieren sie mit der SPD, dann, um die Linke ins Boot zu holen. Als selbständige Größe sind sie vor allem eins: käuflich, wie es sich für eine Lifestyle-Partei gehört.

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Das Machtsystem der Bundesrepublik ist ›bis zum Zerreißen‹ gespannt. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass der Kampf der Parteien um ›Legitimität‹ sie im Kern verwandelt: Eine Partei, die Legitimität monopolisiert, tendiert dazu, entweder Staatspartei zu sein oder Sekte. Die Parteien der GroKo bieten das groteske Schauspiel, dass sie sich zu Staatsparteien stilisieren, während die Wähler begonnen haben, sie zu Sekten zu degradieren. Währenddessen wachsen die Flügelsekten an den Wahlurnen zu veritablen Kirchen heran und begehren Teilhabe an der Macht. Das Volk, auf der Suche nach der letzten verbliebenen Volkspartei, klammert sich an die Kanzlerin, deren Tage im Amt gezählt sind – teils, weil es von der Illusion der glücklichen Kanzlerschaft nicht lassen kann, teils, weil es denkt, ein Wechsel an der Spitze brächte die Dinge ins Lot. Dieser Wechsel … hoppla! Da kommt sie, die ›Zerreißprobe‹.

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Wenn, nach den AKWs, das letzte ›fossile‹ Kraftwerk geschlossen, das letzte Windrad errichtet ist und der Strom reicht immer noch nicht, während das Klima treibt, was es will, wenn das letzte Automobil aus dem Stadtbild verbannt wurde und der Ruf nach den Eseln fordernder wird, die sich davon das Glück auf Erden erträumten, dann schließt sich die ideologische Lücke zwischen Grün und Rot und es erweist sich, dass beide miteinander identisch sind. Beide verkörpern den langen Marsch der sozialen Religion an die Macht. Was sie aneinander kettet, ist das einst Eiserner Vorhang genannte Band zwischen West und Ost. Was sie trennt und verbindet, ist der Eigensinn – und Eigennutz – der Gruppen und Grüppchen, die sich auf dem Marsch herausgebildet haben. Der Marsch ist der Sinn. Die jungen Leute wissen es längst.

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Cum-Ex: Wer Leerverkäufe steuerlich absichert, scheint sich mancher Politiker hierzulande zu denken, der hat auch das Recht, die Luft zu besteuern, um damit das entstandene Defizit auszugleichen. Was gut fürs Klima ist, kann nicht schlecht sein. Was wäre besser fürs Klima als Geschäfte, die keine sind? Was wäre besser fürs Geschäft als ein kleiner Ablasshandel, über den sich die Parteikasse freut? Soziale Gerechtigkeit hat viele Facetten.

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Die CDU mag den nächsten Kanzler stellen, die Frage ist, was er bewirkt. Bleibt er in der Spur, wachsen die zentrifugalen Kräfte. Steuert er um, bläst ihm der Meinungssturm ins Gesicht. Die Politik, heißt das, ist an einem Punkt angelangt, an dem sie auf Charisma setzen muss – also auf etwas, das ihr, nicht zu Unrecht, verdächtig ist und das ihr gegenwärtiges Personal am wenigsten hergibt. Demnach dürfte sie das negative Charisma des (ausgeschlossenen) Unholds weiterhin pflegen und damit die Krise vertiefen. Klug ist das nicht.

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Die SPD hat den Kampf gegen die AfD verloren. Der CDU steht er noch bevor.

 

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