von David Ramsay Steele

Napoleon Bonaparte war ein Genie, Adolf Hitler hatte einen überdurchschnittlichen IQ, Joe Biden ist eingeschränkt amtstauglich: alle drei sind Narren, die glaubten, sie könnten Russland zerstören.

Das gescheiterte Ukraine-Projekt des Westens hat eine verwirrende Abfolge von Dummheiten beschert, die beinahe an Psychose grenzen. Kompetente Analysten wie John Mearsheimer und Jacques Baud haben das Offensichtliche festgestellt: Eine totale Niederlage der Ukraine sei von Anfang an unvermeidlich gewesen, doch Politiker und Medien hätten immer wieder erzählt, dass die Ukraine mit Sicherheit gewinnen werde, und selbst wenn die Ukraine verlöre, könnte zumindest Putin leicht aus dem Amt entfernt werden.

Das rätselhafteste unter all den vielen seltsamen Vorkommnissen war für mich das Versäumnis der USA, die Produktion der notwendigen Kriegsmittel zu erhöhen – bis hin zu Artilleriegranaten. Wenn ich vorhätte, gegen fast jeden in den Krieg zu ziehen, um die Welt zu erobern, würde ich wohl sicherstellen, dass genügend Granaten vom Band laufen, ganz zu schweigen von Panzern, Raketen und Düsenjägern.

Die Pannen waren so ungeheuerlich, dass der nagende Verdacht, dies sei nur eine ausgeklügelte Fassade, kaum von der Hand zu weisen wäre. Dahinter muss sicherlich eine erstaunlich tiefe und komplizierte Verschwörung stecken, eine Art Quantenschach, bei dem alles nur richtig oder vielleicht auch teuflisch falsch ausgehen müsste? Aber nein, war schließlich festzustellen, alles wurde genauso gründlich verpeilt und verpfuscht, wie es an der Oberfläche erschien, in genau der deprimierenden Art und Weise, wie sich auch die US-Debakel im Irak und in Afghanistan abspielten. Um auch den geringsten Zweifel auszuräumen: Wir erleben jetzt, wie die USA, die von den Houthis besiegt wurden, immer noch davon träumen, einen Krieg mit China zu beginnen!

Und so wenden wir uns einer anderen Frage zu: Warum sind wankende Imperien anfällig für außergewöhnliche Wahnvorstellungen? Glenn Diesens kenntnisreiches und gut argumentierendes Buch liefert reichlich Material für eine Antwort.

Ein System internationaler Ordnung – eine Vereinbarung, in der gegenseitig schädliche Kriege in erträglichen Grenzen gehalten werden – könne, so Diesen, auf zwei Arten erreicht werden, entweder durch das Diktat eines einzigen Hegemons oder durch das im Wesentlichen anarchische Gleichgewicht vieler Machtzentren, die die Souveränität des jeweils anderen anerkennen, sodass ein Gleichgewicht entstünde, da jede souveräne Nation umsichtig ihre eigenen Interessen verfolge.

Hier, wie in so vielen Bereichen, funktioniere Anarchie normalerweise besser als aufgezwungene Ordnung.

Das Monopol eines einzelnen Hegemons gehe tendenziell mit Bemühungen einher, viele verschiedene Kulturen durch die Oktroyierung eines universellen Glaubenssystems zu vereinheitlichen, während Multipolarität die Blüte unterschiedlicher Zivilisationen fördere, sodass wir heute eine herzliche Freundschaft zwischen Nationen beobachten könnten, die in ihren Kulturen so unterschiedlich seien wie Russland, China und der Iran. Glenn Diesen ist sich durchaus bewusst, dass der westliche ›Rechtspopulismus‹ dazu neigt, die multipolare Ordnung zu bevorzugen.

In Diesens historischem Szenario etabliert sich eine internationale Ordnung für mindestens mehrere Jahrzehnte und würde dann durch neue Herausforderungen, steigende Spannungen und oft schrecklich zerstörerische Kriege erodiert, bis eine neue Ordnung die alte ersetze. Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, an dem das, was Diesen ›hegemoniale liberale Unipolarität‹ nennt, der eurasischen Multipolarität Platz macht. Für Leser mit etwas eingerostetem historischem Hintergrund ist dieses Buch ein guter Leitfaden zur raschen Auffrischung, es erinnert aber auch an nützliche historische und politische Wahrheiten.

Auf den verheerenden dreißigjährigen Krieg in Europa folgte der Westfälische Friede von 1648, der eine Ordnung schuf, die bis zu den Napoleonischen Kriegen Bestand hatte, und der Wiener Kongress, der eine neue Ordnung einführte, die bis zum Ersten Weltkrieg Bestand hatte. ›Westfälisch‹ ist heute ein allgemeinerer Begriff für Multipolarität im Gegensatz zu einem Imperium. Neben den Übergängen von einer Ordnung zur anderen hat sich der Umfang der Ordnung inzwischen über Europa hinaus erweitert und schließt aufstrebende Ostmächte ein, sodass die neue Ordnung Eurasien und nicht nur Europa umfasst.

Als der Kalte Krieg endete, freuten sich viele Menschen über die Aussicht auf eine neue Epoche des Friedens und des guten Willens. Die USA versprachen feierlich, dass sich die NATO keinen Zoll weit nach Osten ausdehnen werde. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst und einige nahmen an, dass die NATO bald ebenfalls zerfallen werde. Alternativ wurde erwogen, dass Russland der NATO beitreten könnte, aber russische Annäherungsversuche in dieser Richtung wurden zurückgewiesen. Es folgten dreißig Jahre ›liberaler Hegemonie‹, in denen ›Amerika‹ (so nennen wir eine kleine Gruppe mörderischer Psychopathen in Washington und Langley) sich daran machte, seinen unangefochtenen Zugriff auf die Welt aufrechtzuerhalten und zu verstärken.

Als die schnelle Expansion der NATO ernsthaft begann, wurden Warnungen von George Kennan, Henry Kissinger, William Perry, Strobe Talbot, Robert McNamara, Richard Pipes, William Burns, Jack Matlock und Pat Buchanan ausgesprochen, um nur einige zu nennen. Doch die USA kündigten einseitig mehrere Rüstungsbegrenzungsverträge, um von ›Abschreckung‹ zu ›Gegenmacht‹ (counterforce) überzugehen. Bedenken hinsichtlich der russischen Unsicherheit wurden mit der Feststellung, dass Russland nun eine erbärmliche Macht dritter Klasse sei, beiseite gewischt, während die USA der einzige globale Hegemon seien, der sich der Förderung von Freiheit und Demokratie verschrieben habe. Während wir diesen Albtraum miterlebten, verschwammen die Worte ›Freiheit‹ und ›Demokratie‹, und wenn wir die Augen zusammenkniffen und genau hinsahen, erkannten wir, dass sie sich in ›Pädophilie‹ und ›Pubertätsblocker‹ verwandelt hatten.

Als die Sowjetunion sich auflöste und freiwillig ihr europäisches Imperium aufgab, beschlossen gewisse eifrige Visionäre, die wir als Neocons kennen, als erste Stufe ihres Ansinnens der Unterwerfung der gesamten Welt, Russland als Staat zu zerschlagen. Sie hatten für dieses Vorhaben bereits ein kleines Modellprojekt: Ihren brutalen Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 unter dem Vorwand serbischer Gräueltaten, der zur Zersplitterung des Landes und zur lohnenden Übergabe des Kosovo an drogenhandelnde islamische Terroristen führte. Bei ihrem Plan, Russland ein ähnliches Schicksal aufzuerlegen, fanden die Neocons unter den russischen Oligarchen willige Verbündete, aber sie rechneten nicht mit Wladimir Putin, dem konservativen Christen, der Russland wieder zur alten Größe führen sollte.

Die Neocons hätten den 11. September als Gelegenheit für endlose Angriffe auf ein Land nach dem anderen gesehen. General Wesley Clark sei erstaunt gewesen, als ihm von höchster Ebene mitgeteilt wurde: ›Wir werden in den nächsten fünf Jahren sieben Länder ausschalten.‹ Als Rezept zur Verbreitung von Liberalismus und Demokratie funktioniere das nicht, aber es habe eine gewisse quasi-darwinistische Logik: Wenn man wahllos jedes Land verwüstet, das einem missfällt, hat man schließlich alle möglichen Herausforderer im voraus verkrüppelt, und so bleibt man als einziger übrig, als letzter Demogorgon. Der Fehler in diesem hübschen kleinen Plan bestünde darin, dass tiefgreifende wirtschaftliche, kulturelle und technologische Entwicklungen die Vorherrschaft einer Nation unaufhaltsam untergrüben, wobei diese unsichtbaren Kräfte mit der unerbittlichen Kraft einer Plattentektonik die internationale Ordnung unausweichlich in Richtung Multipolarität bewegten.

Das von der herrschenden Klasse der USA für ihren großen Vorstoß zur Weltkontrolle ausgewählte Theater sei die Ukraine gewesen. Die USA hätten dabei vor der Herausforderung gestanden, dass eine nachweislich große Mehrheit der Ukrainer ihr Land aus der NATO heraushalten und weiterhin gute Beziehungen zu Russland wahren wolle. Nach zahlreichen Machenschaften mit Hilfe von als NGO getarnten CIA-Organisationen sei den USA 2014 der Durchbruch gelungen. Sie hätten den gewalttätigen Maidan-Putsch verübt , den beliebten, russlandfreundlichen Wiktor Janukowitsch gestürzt– der ukrainische Bürgerkrieg habe begonn.en Die Putschisten hätten sich mit den Anhängern Stepan Banderas verbündet, einer in der Westukraine aktiven radikalen Minderheit mit einem bedeutenden militärischen Arm, dem Asow-Bataillon.

Bandera propagiere eine besondere Interpretation des Kiewer Rus, des historischen Ursprungs des russischen Staatswesens. Der Begriff Kiewer Rus bezeichnet eine Siedlung der Wikinger, die im 9. Jahrhundert zunächst Nowgorod und dann Kiew besetzten. Laut den Banderaisten, die im Kampf gegen die sowjetische Unterdrückung mit dem Dritten Reich verbündet gewesen seien, seien die Ukrainer daher keineswegs slawische Untermenschen wie die Russen, sondern echte Nordländer mit Wikinger-Abstammung. Allerdings befürworte Bandera selbst die selektive Zucht von Ukrainern, vermutlich um sie durch Ausmerzen einiger verirrter russischer Gene noch übermenschlicher zu machen. Es habe sich 2014 eine natürliche Allianz der USA, Großbritanniens und dieses ukrainischen Quasi-Nazis ergeben; sie gehe auf das Ende des Zweiten Weltkriegs zurück, als westliche Geheimdienste feststellt hätten, dass ehemalige Nazis oft die entschiedensten Antikommunisten gewesen seien.

Mit westlicher Unterstützung hätten die Banderisten ab 2014 Krieg gegen die ethnisch russischen Ostprovinzen geführt, deren Zivilisten mit Streugranaten bombardiert, ukrainische Fernsehsender und andere Medien verstaatlicht , die Verwendung der russischen Sprache (die für die Mehrheit der Ukrainer die Muttersprache sei) unterdrückt, seien hart gegen die orthodoxe Kirche vorgegangen und hätten die Rassentheorie der Banderisten zum Schulstoff gemacht.

2019 fanden in der Ukraine Wahlen statt, die Wolodymyr Selenskyj gewann, ein bekannter Komiker, der neu in der Politik war und früher dafür gefeiert wurde, mit seinem Penis Klavier zu spielen. (Wenn Sie sich das YouTube-Video ansehen, können Sie erkennen, dass dies eine Fälschung ist.) Selenskyj habe sich im Wahlkampf für Frieden und Neutralität eingesetzt, aber sobald er ein politisches Amt bekleidete, sei ihm im übertragenen Sinne eine Waffe an den Hinterkopf gesetzt worden und er habe sich daher in seinen Entscheidungen den CIA-MI6-Banderisten angeschlossen. Seine gelegentlichen Ausrutscher in eine vom Volk favorisierte Friedenspolitik mit Russland hätten mehrmals unterbunden werden müssen, am prominentesten und endgültig am 9. April 2022, als Boris Johnson nach Kiew flog, um Selenskyj seine Befehle zu überbringen: Er müsse das Abkommen, das er für sein Volk gerade in Istanbul mit Russland geschlossen habe (Russischer Truppenabzug für ukrainische Neutralität), ablehnen und den Krieg so lange fortsetzen, wie es dauern könnte, um die Ukraine auf Kosten von Millionen ukrainischer Leben in die NATO zu zwingen. Die Ressourcen des Westens seien als unendlich angenommen worden, also könnte die vom Westen unterstützte Ukraine einfach nicht verlieren.

Während Diesen in der Hauptsache völlig recht hat, sind seine allgemeinen ideologischen Annahmen eher umstritten. Er scheint ein skandinavischer Sozialdemokrat mit einem technokratischen Dreh zu sein (beispielsweise bezeichnet er Handelsbeziehungen zwischen Ländern als ihre ›Konnektivität‹!), er ist von der Hamilton-Listschen Protektionstheorie überzeugt, missbilligt freie Märkte und spielt gleichzeitig ihre Bedeutung herunter. Er behauptet, dass Großbritanniens industrielle Revolution ›durch staatliche Intervention unterstützt‹ worden sei, eine seltsame Bemerkung, die impliziert, dass diese beispiellose und unvorhergesehene Entwicklung die Erfüllung einer bewussten Erfindung gewesen wäre, und er erwähnt Ricardos Entdeckung des komparativen Vorteils, als wäre sie nichts weiter als das ideologische Instrument einer Interessengruppe.

Diesen meint, dass ›die Ideologie der Pax Americana schließlich unter großen Druck geraten sei, als die Erzählung vom endgültigen Triumph des Kapitalismus und der Demokratie ins Wanken geriet.‹ Wirklich? Der Kapitalismus hat heute entschieden gesiegt, wie unter anderem Jeffrey Sachs dokumentiert hat. China, Russland, Indien und der Iran sind jetzt alle durch und durch (und sicherlich unumkehrbar) kapitalistisch. Wie Putin während des Tucker-Carlson-Interviews erklärte: ›Wir sind genauso bürgerlich wie ihr!‹ Anders als noch vor einigen Jahrzehnten gibt es nicht den leisesten Schimmer eines hypothetischen Systems, das überzeugend als Alternative zum Kapitalismus heraufbeschworen werden könnte. Eine fortschrittliche Alternative zum Kapitalismus war schon immer undurchführbar und ist heute unvorstellbar geworden.

Die Demokratie wird als Staatsform weltweit noch immer nur in einer Minderheit der Länder praktiziert und verkümmert in den USA und Europa. In Ländern wie Indien und Japan ist sie lebendig und gesund, sie wird von vielen Regimen, die sie nicht vollständig praktizieren, nachgeahmt und ist bis heute die einzige überzeugende Vision eines gerechten Gemeinwesens.

Der Einfluss Amerikas und Europas ist geschwunden, aber dies geschah genau zu dem Zeitpunkt, als die USA und Europa ihre Monopolstellung als Identifikationsorte von Kapitalismus oder Demokratie verloren haben. Wenn etwas sicher ist, dann, dass die entstehende multipolare Welt vollständig kapitalistisch und zumindest zu einem großen Teil von demokratischen Bestrebungen beseelt sein wird.

Dabei scheint Diesen nicht begriffen zu haben, dass der unaufhaltsame Drang der Welt zur Multipolarität, den er so erfreulich findet, das natürliche Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung ist. Vor 300 Jahren sah Adam Smith dem Tag entgegen, an dem die unterentwickelten Regionen der Welt in Produktivität und militärischer Stärke mit Europa gleichziehen würden. Smiths Vorhersage hat sich inzwischen zu 90 Prozent erfüllt. Dies wurde nicht von Regierungen bewirkt, die viel dazu beigetragen haben, es zu verzögern, sondern von Smiths unsichtbarer Hand.

Der Text wurde von Jobst Landgrebe aus dem Englischen übertragen.

 

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