von Henning Eichberg
Wandlungen der neuen Rechten. Die neue nationale Frage, und wie man sich rechts den linken Feind erdichtet
Was ist rechts, und was ist links? Was ist die Neue Rechte im Vergleich zur alten, und was ist die Neue Linke im Vergleich zur alten? Das Neue an der Neuen Rechten – um diesen Fall herauszugreifen – wandelt sich im gesellschaftlichen Prozess. Und damit wandelt sich auch, wozu ein Wissen über die gestrige Neue Rechte, wie Sebastian Maaß (2014) es in dem hier zu besprechenden Buch gesammelt hat, eigentlich heute nützlich sei.
Die neue nationale Frage zwischen Stacheldraht, Identitätsangst, und Willkommenskultur
März 2016: Als eine ›neue Rechte‹ erregte die Aktion für Deutschland (AfD) Aufmerksamkeit. Bei ihrem Einzug in die Parlamente sah man ihre Sprecher als beschlipste Vertreter bürgerlicher Tugenden. Sie stellten sich als eine neue konservative Bewegung dar, wirtschaftsliberal, antiökologisch, familienpolitisch reaktionär und antisozialistisch. Die AfD positionierte sich gegen Mindestlohn, für Steuererleichterungen für die Reichen, gegen die Förderung erneuerbare Energien – Atomkraft ja danke. Das erinnerte an eine bundesweite CSU, mit historischen Reminiszenzen an Partei Freier Bürger, Schill-Partei, DVU und Republikanern. Dem habituell konforme Auftreten entsprach das Programm einer alten Rechten, die in der Mitte ankommen wollte.
Die Abwesenheit sozialer Kompetenz stand jedoch in einem eigentümlichen Missverhältnis zu dem sozialen Unmut, die den AfD-Wahlerfolg anschob. Hier lag eine neue Triebkraft, die man bislang in diesem Umfang noch nicht gesehen hatte – die jedoch ihren Ausdruck nicht in expliziter Gesellschaftskritik fand, sondern in einer Ein-Punkt-Rhetorik gegen Einwanderung und Moslems. Der Stacheldrahtnationalismus, der sich damit ausdrückte, verband die AfD mit rechtspopulistischen Bewegungen in ganz Europa. Und hinter dieser Tagesordnung sammelte sich eine Riege von durchaus unbürgerlichen Scharfmachern, die eher das aggressive Segment des alten Rechtsextremismus repräsentierten. Daraus wurde ein Gemisch aus ›Nationalstolz‹ (Deutschland den Deutschen!), ›christlichem Abendland‹ (Keine Moscheen in Deutschland!) und Verschwörungsängsten.
Die neue nationale Frage wurde jedoch nicht nur von der AfD angesprochen. Unter den intellektuellen Stimmen haben sich vor allem Botho Strauß und Martin Walser zu Wort gemeldet, und zwar in durchaus widersprüchlicher Weise.
Botho Strauß (2015) brachte die Angst vor der ›Flutung des Landes mit Fremden‹ wortmächtig zum Ausdruck. Aber nicht da draußen sah er das primäre Problem, sondern im Kampf ›nach innen um das Unsere‹. Manchmal habe er das Gefühl, nur bei den Ahnen noch unter Deutschen zu sein. Als ›Obdachloser‹ blickte er auf die ›geistige Heroengeschichte von Hamann bis Jünger, von Jakob Böhme bis Nietzsche, von Klopstock bis Celan‹ zurück. Damit brachte Strauß in der Tat die neue nationale Frage auf den Punkt, nämlich auf den zentralen Widerspruch zwischen Identität und Entfremdung. Das tat er mit dem Gestus der Rechten, also klagend, als ›der letzte Deutsche‹, und vorwurfsvoll gegen ›Massen und Medien‹.
Anders, und doch nicht ganz anders, reagierte Martin Walser (2016) auf die Herausforderung der Einwanderung. ›Deutschland als Willkommensklasse! Das ist unter den Rollen, die Deutschland im Welttheater gespielt hat, die schönste.‹ Auch Walser blickte auf die deutsche Geistesgeschichte zurück, auf den Goethe des ›West-östlichen Divans‹ – Goethe als Mohammedaner? Und: ›Alles entscheidet die Sprache.‹ Es gehe darum jenen anderen ›unsere Sprache selbstverständlich‹ zu machen, denn nur das schaffe Menschenwürde. Und Walser erinnerte an die Zeit, als die nationale Frage noch die Teilung Deutschlands war: Schämen sich die damaligen Schönredner der Teilung denn immer noch nicht? – Auch Walser ging es also zentral um die deutsche Identität, aber nicht aus einem Angstnationalismus heraus, sondern mit dem Blick auf einen Willkommensnationalismus.
Gemeinsam war Botho Strauß und Martin Walser jedoch ein aufrührerischer Ton. Die Identitätsfrage ist eine Provokation gegenüber dem Etablierten. Ist sie rechts oder links? Walser wurde, wie er berichtete, in den bürgerlichen Medien zunächst zum Kommunisten und später dann zum Nationalisten gestempelt.
Und sowohl Strauß als auch Walser setzten offenbar keine Hoffnung auf jenes EU-Europa, das den bürgerlichen Politikern als Alibi dient – so als sei über Quoten, Grenzbefestigungen und Flüchtlingslager in der Türkei eine Lösung der Einwanderungsfrage zu erwarten. Nein, es gehe um etwas anderes, und das sei hier und jetzt. Es gehe um die deutsche Identität – auf dem Spiel stehen wir selbst.
Die Bürgerlichen und die Nationalen
Wie verhält sich das nun zueinander – Nationalismus, bürgerlicher Konservatismus und Aufruhr? Also jene Kombination, die man, ob im Selbstverständnis oder in der Fremdbezeichnung, auch als ›Neue Rechte‹ bezeichnet hat. An dieser Stelle lohnt sich ein historischer Rückblick, und damit darf man die Untersuchung von Sebastian Maaß (2014) zur Hand nehmen. Die Geschichte der Neuen Rechte macht nämlich historische Veränderungen sichtbar. Die Karten werden heute neu gemischt – und wie lagen sie damals? Was lässt sich aus der überraschenden Veränderung lernen? – Damit geraten wir an eine Schicht, die tiefer liegt als die Spekulationen über das Wählerverhalten des letzten Sonntags.
Maaß hat ein anspruchsvolles Buch geschrieben, reich an Material und nuanciert. Den Status einer Doktorarbeit in Chemnitz, der ihm von Gutachtern mit ›cum laude‹ zugesprochen wurde, wurde ihm von CDU-naher Seite jedoch verbaut. Die Studie verdient aber eine inhaltliche Auseinandersetzung. Bei einem solchen Thema – und zumal da der Verfasser gewisse Sympathien für die Neue Rechte zu erkennen gibt – ist es allerdings nicht verwunderlich, dass die Arbeit zugleich tendenziös und begrenzt ist.
Das Buch ist aufgebaut nach intellektuellen Biographien. Von den rechten Querdenkern der Weimarer Republik zieht es eine Linie zu Armin Mohler, der den Begriff der ›Konservativen Revolution‹ zuerst wirkungsmächtig prägte, aber damit doch auch Widerspruch hervorrief (Eichberg 1996). Als Blütezeit der Neuen Rechten beschreibt die Studie Ideen, die seit den 1960/70er Jahren zirkulierten, formuliert von Henning Eichberg, Alain de Benoist, Caspar von Schrenck-Notzing, Hans-Dietrich Sander, Joachim Ritter, Günter Rohrmoser und Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Eichberg spitzte die deutsche Frage auf die ›nationale Identität‹ zu und rückte sie – den ›progressiven Nationalismus‹, den ›Ethnopluralismus‹ und den Volksbegriff – über antikoloniale und ›nationalrevolutionäre‹ Positionen nach links. Benoist entwickelte, von Friedrich Nietzsche her, eine Kritik des Liberalismus als Hauptfeind und erträumte sich ein heidnisch inspiriertes europäisches ›Reich‹. Schrenck-Notzing konzentrierte sich überwiegend auf die Kritik der Linken und deren ›Charakterwäsche‹ und versuchte, dagegen einen neuen Konservatismus zu mobilisieren. Sander kam von Bert Brecht her, radikalisierte sich aber dann gegen den ›Hauptfeind Sowjetunion‹ und richtete den ›nationalen Imperativ‹ auf ein nicht-demokratisches ›Viertes Reich‹. Ritter, namhafter Philosoph und Begründer der nach ihm benannten Ritter-Schule, entwickelte hingegen eine liberalkonservative Kritik der ›Entzweiung‹ von Weltlichem und Göttlichem und verhielt sich eher affirmativ zu den gegebenen bürgerlich-konservativen Strukturen. Ähnlich der Philosoph Rohrmoser, der seine Hauptkritik gegen die Frankfurter Schule und die ›Krise der Moderne‹ richtete und – in Verlängerung von Hegels ›sittlichem Staat‹ und mit Bezug auf Carl Schmitt – einen starken, auf christlichen Werten beruhenden Staat herbeiwünschte. Kaltenbrunner schließlich versuchte sich nicht an einer grundlegenden konservativen Theorie, sondern breitete mit großer Gelehrsamkeit eine Vielfalt von kulturellen und kulturkritischen Themen aus. Hier sammelten sich, überschnitten und bisweilen widersprachen einander also nationale, aufrührerische und konservative Haltungen. Suchte man die historische Kontinuität, so fände man sie im Nebeneinander von nationalrevolutionären und jungkonservativen Strömungen in der Weimarer Zeit.
Die Theorieentwicklungen der bundesrepublikanischen Neuen Rechten geschahen jedoch nicht in einem luftleeren Raum von Ideen, wie die Ideengeschichte – und auch Maaß – tendieren es darzustellen, sondern in einem spezifischen gesellschaftlichen Zusammenhang. Sie stand insbesondere im Zeichen des geteilten Deutschland. Die Spaltung des Landes durch die Siegermächte – oder die ›Befreier‹, wie man sie auch nannte – machte den Kern der nationalen Frage aus. Diese Frage bezeichneten die neurechten Theoretiker als offen und ungelöst, während das Problem für die Hüter des bundesrepublikanischen Konsenses abgeschlossen und endgültig beantwortet war, nämlich durch die Existenz zweier deutscher Staaten. (Auf der Linken fielen nur wenige aus dem konformen Bild, unter ihnen Martin Walser, Rudi Dutschke und Peter Brandt.)
Aber damit war noch nicht alles gesagt. Denn: Ging es bei der nationalen Frage um die Einheit, also das größere Deutschland, das ›Reich‹ – oder ging es um die demokratische Selbstbestimmung der Deutschen, also um nationale Demokratie? Das sind zwei durchaus verschiedene Dimensionen. Ging es um nationale Interessen – oder um die deutsche Identität? Und was war das Eigene, das das ganze Deutschland ausmachen sollte? – Zu solchen Fragen und Widersprüchen gab es keine eindeutige neurechte Haltung. Immerhin wurden sie da und dort angeschnitten.
Die Geschichte ging jedoch weiter. Als neuere Akteure der Neuen Rechten stellt das Buch anschließend vor: das Thule-Seminar, Bernard Willms, die Junge Freiheit, Botho Strauß, Rainer Zitelmann, Günter Maschke, Björn Clemens und den Kreis um die Sezession. Im Vergleich zu dem metapolitischen Niveau von Mohler, Benoist und Kaltenbrunner ergibt sich damit ein großenteils erbärmliches Bild. Ein intellektuelles Niveau war zwar bei Willms, Strauß und Maschke zu erkennen, aber ansonsten sammelten und stritten sich da sektiererische Schreihälse und Geheimbündler, Schlechtschreiber und -reimer, elitäre Aktionisten und bürgerliche Anpasser, Parteitaktiker und fremdenfeindliche Hetzer – die oft nur vom Feindbild der Linken zusammengehalten wurden, falls sie dann nicht irgendwann private Geschäftemacher wurden. Von der Jungen Freiheit und der Sezession gehen nun neuerdings die Linien zur AfD – aber was ist da ›neu‹?
Diese ›neueren Akteure‹ schrieben vorwiegend in einem veränderten Bezugsrahmen. Er war geprägt durch den Fall der Mauer in Berlin 1989. Damit war die übergeordnete Problemsituation wesentlich verändert, denn: Was war ohne die deutsche Teilung überhaupt die nationale Frage? Darauf hatte die neue Neue Rechte offenbar keine Antwort. Ohne die nationale Frage aber schrumpfte ihr Diskurs zu einer Selbstreflexion über die Rechte als solche und ihr allgemeines ›Dagegensein‹. Bemerkenswert ist nun eine Feststellung von Maaß, die heute eine überraschend aktuelle Bedeutung hat. Die Masseneinwanderung tauche zwar da und dort als ein Thema der neuesten Rechten auf, nehme aber – wir schreiben das Jahr 2014 – »keine beherrschende Rolle ein« (S.29). So schnell können die Zeiten sich also ändern. Der Fall enthält demnach eine methodologische Herausforderung: Welchen Stellenwert hat angesichts solcher Veränderung die Ideengeschichte überhaupt?
Deutlich macht Maaß jedoch bei alledem, dass das Label ›Neue Rechte‹ mehr ist als nur ein Denunziationsbegriff von Antifa oder Verfassungsschutz, wie es von neurechter Seite bisweilen defensiv behauptet wurde (Stein, 2005). Andererseits ist die ›Rechte‹ aber auch kein metapolitischer Universalbegriff. Der Verfasser versucht es mit einer historischen Differenzierung: Die Neue Rechte sei abgegrenzt von einerseits der alten Rechten des Neonazismus, andererseits auch von Altkonservatismus und Liberalkonservatismus (S.26). Zugleich differenziert Maaß zwischen einem bürgerlichen und einem nationalem Flügel der Neuen Rechten. Aber die Frage, was denn eigentlich im Kerne rechts sei, bleibt offen.
Selbstkritische Zwischenfragen
Da mein jugendliches Engagement bei der Neuen Rechten einen Gegenstand dieser Untersuchung ausmacht, sei eine persönliche Zwischenbemerkung erlaubt. Meine damaligen Überlegungen stellt Maaß durchaus seriös dar, wenngleich sich aus der Sekundärliteratur einzelne Fehler in biographischen Details eingeschlichen haben. Was man sich jedoch wünschen könnte, wären grundlegend kritische Fragen an meine Position.
Eine Frage wäre, warum und wie weit Eichberg in den 1960ern in die Nähe faschistischen Denkens gerückt war. (Das ist für mich selbst eine durchaus unbehagliche Frage.) Und mehr generell: Wie dicht schloss oder schließt sich die Neue Rechte an den Faschismus an? Die Zeitschrift Nation Europa, die zeitweilig zu einem Hauptorgan der Neuen Rechten wurde, hatte ein europa-faschistisches Umfeld, mit Oswald Mosley und Julius Evola als markanten Figuren. Später hatte Armin Mohler sein coming out und bezog sich nun auf den Faschismus im Sinne von José Antonio Primo de Rivera. Und der Regin-Verlag, in dem Maaß‘ Buch erschien, publiziert schwerpunktmäßig im Feld eines romantisierten und esoterischen Faschismus (Evola, D’Annunzio, Codreanu, Drieu La Rochelle, Mosley). Aber analytisch scheint es hier eine Scheu vor dem Faschismus zu geben.
Eine andere Frage wäre, warum Eichberg sich in den 1970ern zur Linken wandte. Und, auch hier mehr generell: Inwiefern führt eine mögliche Linie vom nationalrevolutionären Unbehagen zum Linkssozialismus? Hier wäre grundsätzlicher zu erörtern, wie man von der Kritik der nationalen Frage her zu einer neuen Gesellschaftskritik kommen konnte, wie sie von der Neuen Linken gegen die kapitalistische Konsumgesellschaft und deren Entfremdung entwickelt wurde. Und auch: Welche Rolle die Kultur bzw. deren Geringachtung auf der Rechten spielte (Seitenbecher, 2013: 220). Und weiterhin: Inwiefern zerfiel 1968 das Feindbild der ›Roten‹, als der Sozialistische Deutsche Studentenbund an der Berliner Mauer für die sowjetischen Dissidenten demonstrierte?
Die Orientierung am Hauptfeind
Damit stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Feindbilds. Die Neue Rechte war, wie ihre Geschichte zeigt, zwar vielfältig und in sich widersprüchlich, insbesondere mit ihrer inneren Spannung zwischen Konservatismus und Nationalismus, wurde aber zusammengehalten durch die Fixierung auf den Gegner. Der Feind, das waren zunächst in der Zeit des Kalten Kriegs – wie auch für die Rechte allgemein – die ›Roten‹, also jene die zum ›Osten‹ hielten, oder denen solches, unter dem verbreiteten Stichwort der ›kommunistischen Infiltration‹, unterstellt wurde. Die Sowjetunion bedrohte ›uns‹ militärisch von außen und durch ›Zersetzung‹ von innen, sie hielt das Land gespalten und wurde unterstützt von linken ›Fellow-travelern‹. Hier knüpften die neurechten Denker noch an die alte Rechte an. Ihr Fest war der 17. Juni, zum Gedenken an den Volksaufstand in der DDR 1953.
In den sechziger Jahren vervielfältigte und dynamisierte sich das Feindbild jedoch. Nun waren da plötzlich die 1968er und deren Kulturrevolution, die neomarxistische und antiautoritär-anarchistische Neue Linke und die Frankfurter Schule mit ihrer Kritischen Theorie. Maaß (2014: 28-29) bezeichnet zutreffend die Studentenrevolte als »Hauptaktivator«. Wie sollte man sich als Rechter dazu verhalten? Die Antworten waren grundlegend widersprüchlich. Aufseiten der jungen Nationalisten reagierte man zwar zunächst tagespolitisch und reflexhaft gegen die Neue Linke, aber es dauerte nicht lange, bis man die Faszination und Bedeutung dieses neuen Phänomens registrierte. Wenn man in eine Massendemonstration gegen den Vietnamkrieg geriet, wie ich in Hamburg um 1967/68, sollte man dann das Amerikahaus verteidigen und damit die ›Freie Welt‹ und den bürgerlichen Antikommunismus – oder stand die ›Nationale Front für die Befreiung Südvietnams‹ (Vietcong) für einen Befreiungsnationalismus? Welchen Stellenwert hatte das Nationale in dieser Auseinandersetzung? Und was war das Nationale überhaupt? Bald hieß es von neurechts her: ›Von der Linken lernen‹ – oder gar: ›Linksnationalismus – Kulturrevolution – Nationalisten gegen die Konsumgesellschaft‹. Vieles war zwar zunächst mehr rhetorisch, und doch…
Auf der anderen Seite wurde die Neue Linke zum zentralen Feindbild von Neuen Rechten. Insbesondere das Gespenst der Frankfurter Schule spukte durch die Vorstellungswelt neurechter Theoretiker (Maaß, 2014: 95-100, 138-144). Einerseits fühlte man sich hier auf Augenhöhe – Philosophie stand gegen Philosophie – aber anderseits sah man sich dem inkarnierten Bösen gegenüber: marxistisch und freudianisch, antiautoritär und totalitär, liberal (?) und zersetzend. Unterstrichen wurde oft, dass man es bei den Frankfurtern wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit amerikanischen Remigranten zu tun hatte, mit Vaterlandsverrätern und ›Umerziehern‹ – mit dem Unterton: Juden.
Inhaltlich konnten dabei jedoch Verwirrungen vorkommen. So musste man irritiert feststellen, dass »die von Nietzsche erkannte Dekadenz und die von Marx analysierte Selbstentfremdung im Grunde genommen das gleiche Phänomen umschreiben« (Maaß, 2014: 171). Günter Rohrmoser beobachtete dies mit einem Blick auf Ernst Jünger – und lehnte sich mit seiner christlichen Staatslehre dann doch letztlich an die CDU und ihre Wirtschaftskreise an. Es war eben der äußere Feind, der die Position diktierte.
Außerdem blieb die Neue Rechte auf der Ebene der Ideologien und der Ideengeschichte hängen. Inwiefern ging aber in den 1960-80er Jahren das Ost-West-Arrangement auf Kosten der deutschen Selbstbestimmung einher mit den kommerziellen Interessen von ›Wodka-Cola‹, und damit mit dem kapitalistischen System? Inwiefern trieben Kapitalinteressen die frühe Einwanderung der sogenannten Gastarbeiter an? Und inwiefern bilden nun neuerdings die Ausbeutung der Länder Afrikas, die Landnahme durch westliche Landwirtschaftskonzerne und das Investieren gerade auch deutscher Waffenproduzenten in die Kriege des Nahen Ostens einen Hintergrund für die gegenwärtigen Wanderungsbewegungen? – Aber nein, Gesellschaftsanalyse überließ man der (marxistischen) Linken.
Auch nach ›innen‹ hinein fehlte es jedoch an Neugier. Wie verhält sich das ›Wir‹ – zum Beispiel der Nation – zum ›Ich‹? Wie steht es also mit der Subjektivität der nationalen Frage? – Auch solche Fragen überließ man der (oft freudianischen) Linken. Hier lag wohl auch eine Voraussetzung für die auffällige Schwäche der Rechten im kulturellen Bereich, die so manchen Intellektuellen vertreiben konnte.
Die methodologische Feindorientierung hat sich, so scheint es, auch auf den Erforscher übertragen: In Maaß‘ Darstellung fehlen die Querdenker Sebastian Haffner und Wolfgang Venohr, die zwar nie eigentlich rechts-links zu verorten waren, aber für die nationale Frage hoch empfindlich waren. Und Alfred Mechtersheimer wird nur mit einem Satz gestreift: Als Offizier kam er vom Konservatismus und der CSU her, wurde dann als Friedensforscher prominent, saß für die Grünen im Bundestag und dachte mit seinem ›Nationalpazifismus‹ innovativ quer gegen den Strich – bevor er in seiner späteren Zeit dann allerdings wieder zur äußeren Rechten zurückkehrte. Wenn die Linke der Hauptfeind ist, fällt eben einiges aus dem Blickfeld heraus.
Dabei muss man allerdings beobachten, dass ähnliches seitenverkehrt auch für die Linke gilt. Auch auf der Linken definiert sich so mancher von daher, dass er oder sie gegen die Rechte sei. Damit bewegt man sich ebenso wie die Rechte im Überbau der Ideen, des ›falschen Denkens‹ – oft ›Ideologiekritik‹ und neuerdings ›Diskursanalyse‹ genannt – statt sich der schwierigen Arbeit gesellschaftlicher Analyse zu unterziehen. Sogar in Verschwörungstheorien kann man sich so begegnen. Jürgen Elsässer, einst Kommunistischer Bund und nun als Orban- und Putin-Anhänger rechts außen, verkörpert einen solchen Brückenschlag. Über die Feindbildfixierung sitzt man selbst dem ›Feind‹ auf.
Man erdichtet sich also nicht nur den Feind, sondern man erdichtet sich selbst am Bilde des Feindes. Bei alledem ist die Frage, wer oder was ›uns‹ bedroht, keineswegs unwichtig. Aber wer sind denn ›wir‹?
Literatur, Ideen, Meinungen – oder Habitus?
Wer war das ›wir‹ der Neuen Rechten? Ausweislich des Buches handelt es sich ausschließlich um Männer. Das gibt zu denken hinsichtlich einer Dimension, die über den Überbau der Ideen hinausgeht. Denn die geschlechtspolitische Einseitigkeit ist nicht etwa demographisch, sondern habituell.
Was war also der Habitus der Neuen Rechten – in Abgrenzung zur Alten Rechten und zur Linken? Der Habitusbegriff macht grundlegendere Analysen notwendig (Eichberg 1996, Brodkorb 2011: 49-64, Sepp 2013: 87-109). Hier werden phänomenologische Unterscheidungen notwendig, die jenseits – oder unterhalb – der Ideen, Literaturen und Meinungen, der Ideologie und der politischen Denkfiguren das Praktisch-Habituelle betreffen: Stil und Stimmung, Körperlichkeit und Praxis. Dazu gehört aber auch das Verhältnis zu Existenziellem, das Menschenbild, wie es sich im Tun der Menschen zeigt. Von da her kommt auch das Denken zu seinem Recht, aber als Praxis und Stil des Denkens.
Besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Rechten verdient der ›militärische Habitus‹. Es gibt dort eine spezifisch rechte Neigung zur Uniform, zur Inszenierung von Hierarchie und zu einem theatralisierten Bewegungsstil, den man als ›straff‹, ›zackig‹ oder ›schneidig‹ bezeichnet hat. Zwar hat man auch auf der Linken da und dort solche Muster imitiert, insbesondere in der Zwischenkriegszeit, aber man begegnete ihnen im linken Lager immer mit Misstrauen. Auch die paramilitärischen Ansätze unter den K-Gruppen der 1970er Jahre blieben isoliert. Links theatralisierte man sich eher mit dem Happening und dem Kabarett, mit der ironischen Inszenierung und dem spontanen, improvisierten Ereignis. Der Mai 1968 und der Situationismus hatten Züge eines solchen Polittheaters (Dreßen/Kunzelmann/Siepmann 1991). Auch die Rockmusik und Woodstock waren mit der linken Szene verbunden.
Wie verhielt sich die Neue Rechte zum militärischen Habitus und ihren Alternativen? Unter den neurechten bürgerlichen Professoren fanden weder das Paramilitärische noch das Rock-Happening Anklang, und an die jungen Nationalisten appellierte eher der Habitus der 1968er, während sich bei der französischen Nouvelle Droite und den neueren ›Identitären‹ gewisse Anzeichen einer Theatralisierung von Disziplin fanden. In dieser Beziehung war die Neue Rechte also nicht einheitlich.
Der militärische Habitus ging oft zusammen mit einem narzisstischen Körperkult, typischerweise mit dem Sport als einem positiven Bezugspunkt. Olympismus (von Coubertin zu Riefenstahl und Samaranch) und Fankultur des Fußballs tendieren eher zur Rechten, Sportkritik zur Linken. Im Kontrast zu solcher Ästhetisierung wäre der linke Körper eher asketisch und ideologisch diszipliniert – oder aber vernachlässigt (›Bürger, wir stinken!‹). In der Welt der Linken herrschten das Wort über die Körperinszenierung und der kritische Diskurs über die Ästhetik des Muskels (Hobermann 1984).
In solchem Zusammenhang gibt die geschlechtspolitische Differenzierung Sinn: Männerbündisches findet sich eher rechts, Feminismus eher links. Zwar gab es auch in linken Parteien herrschende Altmännerriegen und auf der anderen Seite frauenbewegte Faschistinnen, aber symmetrisch waren die Verhältnisse nie. Insofern ist Maaß‘ Geschichte der Neuen Rechten als einseitige Männergeschichte aussagekräftig.
Auch was das Denken angeht, zeigen sich habituelle Unterschiedeund zwar als Denkstil. Fragen zu stellen und Bestehendes infrage zu stellen, das erscheint eher als links, während das Beharren auf vorfindlichen Antworten – Moral, angebliche Naturgesetzlichkeit, gesellschaftliche Ungleichheiten – einen rechten Unterton haben. All das wäre analytisch auf die Neue Rechte fragend anzuwenden, die dabei wohl ein zwiespältiges und in sich widersprüchliches Bild ergeben dürfte.
Ähnliches gilt für das Habituelle des sozialen Zusammenspiels, also das Verhältnis von Denkarbeit zu politischer Aktion – welcher Art? – und von beidem zur Organisation. Es ist problematisch, die ›reine‹ Theorie aus ihrem habituellen und politisch-praktischen Zusammenhang zu lösen. Von besonderer Bedeutung ist das Lagerdenken, d.h. die Selbstzuschreibung politischer Identität zu über-organisatorischen Milieus oder Zusammenhängen wie ›der Rechten‹, ›dem nationalen Lager‹, ›der Neuen Linken‹ oder ›der alternativen Szene‹.
Und nicht zuletzt gehört zum habituellen Muster politischer Bewegungen auch ihr Verhältnis zur Entfremdung. Die Entfremdung ist eine moderne Grunderfahrung, die seit dem späten 18. Jahrhundert von sensiblen Intellektuellen und Künstlern zum Ausdruck gebracht worden ist. Wie geht man damit um? Auf der Linken richteten insbesondere der junge Karl Marx und die frühe Frankfurter Schule philosophische Aufmerksamkeit auf die Entfremdung im Zusammenhang mit der kapitalistischen Vergesellschaftung und der ›Dialektik der Aufklärung‹. Auch Kulturkritiker wie Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Theodor Lessing trugen zur Frage des entfremdeten Seins bei. Nachdem die Entfremdungsfrage bei einigen 1968ern und Situationisten wieder virulent wurde, wurde sie auf der Linken – im Zeichen von Habermas – jedoch heruntergestuft, bis neuerdings Hartmut Rosa (2010) von der Frankfurter Schule her das Thema erneut aufgriff.
Auf der Rechten gab es zur Entfremdung durchaus auch Einsichten, aber auch die Tendenz, die praktische Erfahrung der Entfremdung zu verschieben hin zu ›den Fremden‹. Wer ist schuld an der Unwirtlichkeit unseres Lebens? Sind es ›der Jude‹, jetzt die Einwanderer, insbesondere die Moslems? Nur oberflächlich klingt das bisweilen wie ein neuer Religionskampf, es liegt aber unterhalb des religiösen Glaubens im eher habituellen Bereich. Wo verortete sich hier die Neue Rechte?
Wie dem auch sei, Karl Marx (1845/1953: 16) hat in seinen frühen Schriften versucht, das Augenmerk in diese Richtung zu verschieben. Selbstkritisch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit der linkshegelianischen Religionskritik, stellte er die Frage nach dem Verhältnis von Basis und Überbau. Nicht das Denken der Menschen sollte der philosophische Ausgangspunkt kritischer Philosophie sein, sondern – was?
›Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur.‹
Allerdings verfolgte Marx später die Geschichte dieser basalen Körperlichkeit als solche nicht weiter, sondern richtete die Analyse enger auf das Produzieren und die davon abgeleiteten ökonomischen Konsequenzen. Wenn aber die Basis mehr ist als nur Arbeit, sondern körperliche Praxis im breiteren Sinne, darunter Geschlechtlichkeit und Geschlechterbeziehung, körperlich-praktische Sozialität, Spiel und körperliche (Selbst-) Inszenierung, so gerät man nicht zuletzt an den politischen Habitus. Die Frage, was die Basis im Einzelnen ausmache, ist damit zwar noch keineswegs definitiv beantwortet. Aber jedenfalls geht es darum, die Politik herunterholen aus den luftigen Höhen des ideologischen Überbaus. Und dies ohne dem Ökonomismus aufzusitzen. Denn die Erklärung politischer Verhältnisse durch die – durchaus reale – Dominanz von ökonomischen Interessen, die aber immer irgendwie beabsichtigt und gedacht sein müssen, führt dann doch zurück zu Gedankenfiguren des Überbaus. Oder gar zu Verschwörungstheorien.
Allerdings ist das Studium des Habituellen keine einfache Aufgabe. ›Rechts‹ und ›links«, ›neu‹ und ›alt‹ lassen sich nicht säuberlich in Kästchen sortieren.
Aufschlussreich ist ein Seitenblick auf diejenige Neue Linke, die zeitgleich neben der Neuen Rechten einher lief. Von 1969 bis 1997 erschien die Zeitschrift Links, herausgegeben vom Sozialistischen Büro in Offenbach (Oy 2007). Hier kamen ›heimatlose Linke‹ zu Wort, die, wie Arno Klönne, Klaus Vack und Oskar Negt, jenseits der Sozialdemokratie einerseits und des Kommunismus andererseits – und doch in Tuchfühlung mit beiden – einen eigenen Weg radikaler Gesellschaftskritik suchten. In Verlängerung der Ostermarschbewegung und zugleich gewerkschaftlich angebunden, begegneten sie dabei – zuweilen irritiert – den post-68er Antiautoritären, den neuen Grün-Alternativen und der Friedensbewegung.
Inhaltlich zeigt sich im Rückblick, wie sehr in Links bei der Diskussion sozialistischer Theorie und Politik einerseits die nationale Frage vernachlässigt wurde. Deswegen wurde man von den Ereignissen immer wieder überrollt und zerstritt sich daran zum Teil intern: an den nationalen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt (Palästina-Solidarität oder ›Antisemitismus‹?), am Golfkrieg von 1990 (als Pazifisten und linke Bellizisten aufeinander losgingen) und an der Einwanderungs- und Asylrechtsfrage. Die Frage der deutschen Zweistaatlichkeit und der Fall der Mauer blieben ganz überwiegend draußen vor. Diese Leerstelle bildete also einen Kontrast zum nationalen Focus der Neuen Rechten. – Andererseits waren die Analysen in Links ›überpolitisiert‹ und ökonomisiert , so dass, wie Oskar Negt 1980 feststellte, kulturelle Fragen unterbewertet wurden (Oy 2007: 65). Das verweist auf Habituelles – und erinnert an das Dilemma der Rechten.
Das Problem der Universalbegriffe
Sowohl die Ideengeschichte als auch die Habitusgeschichte zeigen also, dass die Begriffe Links und Rechts nicht als reale Gegebenheiten genommen werden können. Sie sind historisch veränderliche Benennungen, müssen also nominalistisch betrachtet werden. Das bedeutet nicht, dass sie ohne Bedeutung wären – der politische Dualismus von Rechts und Links ist mit der modernen Industriekultur entstanden und scheint von daher eine tiefere Logik zu haben. Bislang blieb es illusorisch, Rechts und Links durch einen »dritten Weg« zu ergänzen oder zu überholen (Eichberg 2006).
Die Frage nach dem ›Wesen« der Rechten führt jedoch nicht weiter. Verschiedentlich berief man sich bei der Neuen Rechten auf die von Moeller van den Bruck stammende Leerformel: Man wolle nicht nur – wie die Rechte – etwas erhalten, sondern »Dinge neu erschaffen, deren Erhaltung sich lohnt« (Maaß 2014: 178, 335). Das allerdings wollten auch Sozialisten, Kommunisten, Liberale und Islamisten.
Universalbegriffe scheitern also im Politischen auf eine Weise, die man auch aus der Religionsforschung kennt. Auch das eine Christentum gibt es nicht – und schon gar nicht das ›Jüdisch-christliche‹ Syndrom, von dem die französische Nouvelle Doite sprach, bisweilen mit antijüdischen Untertönen. Der staatsfaschistische Katholizismus im Spanien Francos und des Opus Dei ist etwas anderes als die lateinamerikanische Revolutionstheologie etwa von Helder Camara, und wieder etwas anderes als der Grundtvigianismus in Dänemark, der offen zur Freidenkerei ist (und zur ›Mythologie des Nordens‹). Die Unterschiede sind nicht zuletzt Unterschiede habitueller Praxis. Insofern ist auch hier ein Unterschied zu machen zwischen Überbau und Basis, zwischen dem Glauben als einem ideologischen Gedankenkonstrukt einerseits und der Religion als sozial-ritueller Praxis. Oder, wie Pierre Bourdieu es einmal gut materialistisch pointiert hat: ›Glauben ist ein Zustand des Körpers.‹
Ähnlich verwischt auch der Begriff ›Neue Rechte‹”, sobald er ›realistisch‹ statt nominalistisch genommen wird, grundlegende Unterschiede, etwa zwischen den (subjektiv) sozialistischen Nationalrevolutionären der frühen 1970er, dem CDU-nahen christlichen Konservatismus Rohrmosers und der fremdenfeindlichen Hetze aus den Reihen der Sezession. Eine historisch tiefere Kluft wird vor allem sichtbar zwischen dem Nationalismus, der seine deutschen Wurzeln im linken und demokratisch-revolutionären Spektrum des Vormärz hatte, und dem Konservatismus, der dem von der Rechten her dynastisch und antinational entgegentrat. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde daraus jedoch eine eigentümliche nationalistisch-konservative Allianz, die dann 1931 als ›Harzburger Front‹ aus Deutschnationalen, Stahlhelm und Nazis vor Augen trat. Die Geschichte der Neuen Rechten zeigt, dass dieses Allianz-Phänomen weiterhin Bedeutung hat, insbesondere als Lagervorstellung – und zugleich fraglich ist.
Zur differenziellen Phänomenologie des Nationalismus
Allerdings sind – wie die Begriffe Rechts und Links – auch die Begriffe Konservatismus und Nationalismus nicht als Universalbegriffe und ›Realien‹ zu nehmen. Auch der Nationalismus – um diesen herauszugreifen – veränderte sich im historischen Prozess, unter anderem mit dem Wandel der nationalen Frage. In der Zeit der Neuen Rechten folgten zum Beispiel aufeinander die Frage der Teilung Deutschlands 1945-1989, die Frage des Anschlusses an die multinationale Europäische Union und die Einwanderungsfrage, und diese wiederum differenziert sich als die Gastarbeiterfrage der 1960/70er Jahre und die Flüchtlingswanderung nach 2010. Insofern existierte auch ›die nationale Frage‹ nie als eine einzige.
Nationalismus ist also ein differentielles Phänomen, und nur eine differentielle Phänomenologie kann ihn angemessen analysieren. Es lassen sich dabei mindestens drei unterschiedliche Typen unterscheiden (und auch diese nicht als Universalbegriffe): Befreiungs-, Bedrohungs- und Staatsnationalismus.
Der Befreiungsnationalismus war repräsentiert durch die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika, aber auch in Irland, Grönland und im Linkszionismus. Er war im Ausgangspunkt überwiegend links. In der leninistischen Tradition sprach man positiv von der ›nationalen antikolonialen Frage‹. Die Befreiung richtete sich gegen den Feind ›draußen‹, typisch die koloniale Besatzungsmacht, wurde aber in Zusammenhang gesehen mit einem sozialen Aufruhr gegen die kollaborierenden Eliten im Inneren. Die irischen Republikaner um James Connolly repräsentierten diese Haltung ebenso wie der indische Nationalismus des Mahatma Gandhi, später dann der Vietcong und die amerikanische Black-Power-Bewegung, die Sandinisten in Nicaragua und das Libyen Muammar al-Gaddafis, Fidel Castros Kuba und Nelson Mandelas südafrikanischer Nationalkongress. Es wurden auch Versuche gemacht, diesen Trikont-Nationalismus international zusammenzuführen – zunächst im ›Geiste von Bandung‹ (1955), später im Sinne von Frantz Fanon (»Die Verdammten dieser Erde«) – aber auf die Dauer ohne Erfolg. Der gedachte nationalrevolutionäre Akteur war in jedem Fall das Volk als eine aufrührerische, antikoloniale Bewegung.
Befreiungsnationalismus hatte also Untertöne von revolutionärem Zorn und romantischer Liebe zum Volk. Man müsse die herrschenden Verhältnisse bekämpfen, um nationale Demokratie und Selbstbestimmung zu verwirklichen.
Ganz anders verfährt der Bedrohungsnationalismus, der typisch repräsentiert ist durch die fremdenfeindlichen rechts-populistischen Bewegungen der Jahre nach 2000. Früher richtete der Bedrohungsnationalismus sich oft gegen ›den Juden‹, heute gegen den Islam. Hier sah und sieht man den Feind also im Inneren, besonders verkörpert durch ethnische Minderheiten. Ein durchgehendes Feindbild sind dabei außerdem die Linken, die die Bedrohung angeblich begünstigen. Im faschistischen Antibolschewismus dienten die Linken ›dem Juden‹, in der Zeit des Kalten Kriegs die Kommunisten ›dem Russen‹. In der Zeit des Kalten Kriegs bezog sich der Bedrohungsnationalismus einerseits auf die ›Freie Welt‹, sonst aber meist auf das ›biologische‹ Volk, dessen Substanz gegen die ›Fremden‹ verteidigt werden müsse.
Bedrohungsnationalismus hat also ebenfalls widerständige Untertöne, sucht aber die Schuld bei ›den anderen‹, oft in einer Verschwörung. Bedrohungsnationalismus versteht sich selbst überwiegend als rechts, bisweilen als Rechtsaußen. Als Aufrüstungs- und Stacheldrahtnationalismus ist er stark defensiv.
Eine ältere Tradition hat, als drittes, der Staatsnationalismus. Ihn kultivierten verschiedene Regimes der Moderne. Das reichte von den faschistischen Staaten (Mussolinis Nationalfaschismus und Francos militärstaatlicher Falangismus) über demokratische Länder (das jakobinische Frankreich, das imperialistische England, die USA insbesondere unter George W. Bush) bis hin zu kommunistischen Staaten (Albanien, Nordkorea, VR China). Hier mobilisierte man gegen den Feind drinnen und draußen und nannte dies typischerweise ›Patriotismus‹. In Russland ging eine vaterländische Linie von Stalin zu Putin. In Deutschland hat der Staatsnationalismus eine rechte Hegemonie und bezog sich auf Preußen und Hegel, auf Bismarck und Hindenburg. Aber auch die DDR trug staatsnationalistische Züge, und Habermas‘ Idee eines westdeutschen ›Verfassungspatriotismus‹ war nicht gar so weit davon entfernt. Dieser Nationalismus bezieht sich stets auf den Staat und seine Bevölkerung, wie sie von oben, von den Institutionen her definiert wird – auf das Staatsvolk.
Staatsnationalismus hat Untertöne von: Alles soll so bleiben, wie es ist, oder werden, wie es mal war. Recht und Ordnung zu verteidigen ist erste patriotische Pflicht, und die natürliche Autorität muss wieder aufgerichtet werden. Regionale Autonomiebewegungen und ethnische Minderheiten sind gefährlich, und die Grenzen nach außen sind zu sichern. Staatsnationalismus ist tendenziell elitär und konservativ-rechts, jedoch unter Einschluss von Stalinismus und Post-Maoismus. Die drei Typen unterscheiden sich gerade auch hinsichtlich der sozialen Klassen, die ihre Klientelen ausmachen (Hroch 1968). Die Typologie des Nationalismus – wie jede differenzielle Phänomenologie – sollte jedoch nicht als Aufteilung in fein abgegrenzte little boxes missverstanden werden. Übergänge und Zwischenzonen waren häufig.
Jedenfalls war der Nationalismus, der für die Neue Rechte eine wichtige Rolle spielte, nicht einheitlich. Weder war er ›der nationale Imperativ‹ (Sander) im Singular, noch ein Einheits-Label, wie er von gegnerischer Seite zugeschrieben wurde. Und mit dem Befreiungsnationalismus hatte auch die 1968er Neue Linke Berührungsflächen (Eichberg 2013). Heute ist es Gregor Gysi von der Linkspartei, der davon spricht, dass Deutschland ein besetztes Land sei.
Widersprüche aufdecken – und daraus lernen
Ein methodisches Problem bringt die Analyse der Neuen Rechten mit sich, sobald der Versuch gemacht wird, das Phänomen in ein Verhältnis zur ›freiheitlich-demokratischen Grundordnung‹ zu bringen. Maaß benutzt verschiedentlich – in defensiver Absicht – Formulierungen wie ›keinen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit‹ oder ›auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung‹ stehend. Das reagiert auf den Jargon des Verfassungsschutzes und die bürgerliche Extremismusforschung, die sich um die Sortierung der weißen und der schwarzen Schafe bemüht. Aber zu einer Analyse des Phänomens trägt es wenig bei.
Peter Glotz (1989), einer der klügsten linken Beobachter der Rechten und zugleich Vordenker der Sozialdemokratie, war in seiner Analyse schärfer. Ein Beispiel:
Eichberg … plädiert für ›Abkoppelung‹, für eine Balkanisierung Europas. Heute will er einen gesamtdeutschen Separatismus, der ›die von den Supermächten besetzten Teile des deutschen Volkes aus den entfremdeten Multisystemen herausbricht und die kleinere Einheit schafft, die Demokratie erst möglich macht: Deutschland‹… Das führt allerdings keineswegs zur Aufgabe der Idee einer Wiedervereinigung…
Der Mann argumentiert vollständig anders als es die alte Rechte getan hat, nicht mit machtstaatlichem Anspruch, nicht mit historischer Größe, sondern mit Begriffen der kulturellen Vielfalt, der Dezentralisierung, einer sanften Technik. Aber er kommt zum gleichen Ergebnis, zu dem die Nationalisten immer gekommen sind: Das ganze Deutschland muss es sein. Eichbergs Identitätsbegriff, mit dem er gegen die ›multinationalen Imperialismen‹ losrennt, wirkt sanft, ja geradezu pazifistisch. Wozu er genutzt werden kann, kann man in der Geschichte und Gegenwart Mitteleuropas studieren (Glotz 1989:137-141).
Glotz‘ Kritik war datiert auf den 15. September 1989. Wenige Wochen später, am 9. November, fiel die Berliner Mauer, und Deutschland wurde wiedervereinigt. Damit war Glotz noch keineswegs ins Unrecht gesetzt, aber der historische Ort der nationalen Frage war problematisiert. Das befürchtete ›ganze Deutschland‹ war da, und Willy Brandt kommentierte, dass ›nun zusammenwächst, was zusammen gehört‹. Was war hier rechts und was links?
Die Geschichte der Neuen Rechten beleuchtet also zugleich Dilemmata linken Denkens. Eben deswegen lohnt es sich, sich mit ihr auseinandersetzen. Feindbildkonstruktion kann dabei jedoch leicht kontraproduktiv wirken – während die ›Wunderlichkeiten‹ und Widersprüche der anderen die Gelegenheit bieten, etwas über die eigene positionelle Relativität zu lernen.
Literatur
BRODKORB, MATHIAS (2010): Vom Verstehen zum Entlarven. Über ›neu-rechte‹ und ›jüdische Mimikry‹ unter den Bedingungen politisierter Wissenschaft. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 8: 32-64.
DERSELBE (2011) (Hrsg.): Extremistenjäger!? Der Extremismusbegriff und der demokratische Verfassungsstaat. (= Endstation Rechts. 1) Banzkow: Adebor.
DRESSEN, WOLFGANG, DIETER KUNZELMANN & ECKHARD SIEPMANN (1991) (Hrsg.): Nilpferd des höllischen Urwalds – Spuren in eine unbekannte Stadt – Situationisten, Gruppe SPUR, Kommune I. Berlin: Werkbund-Archiv & Gießen: Anabas.
EICHBERG, HENNING (1996): Der Unsinn der ›Konservativen Revolution‹. Über Ideengeschichte, Nationalismus und Habitus. In: Wir selbst, 1/1996, 5-33.
DERSELBE (2006): Rechte Hand, linke Hand und keine dritte. Über die Zweiteilung politischer Positionen. In: Volkslust, Nr. 3, 12-21.
DERSELBE (2013): Die 1968er und die nationale Frage – links und rechts. Eine historische Studie erweitert den Blick. In: Iablis – Jahrbuch für europäische Prozesse. http://www.iablis.de/iablis_t/2013/eichberg13rez.html
GLOTZ, PETER (1989): Die deutsche Rechte. Eine Streitschrift. Stuttgart: DVA.
HOBERMAN, JOHN M. (1984): Sport and Political Ideology. Austin: University of Texas Press.
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SEITENBECHER, MANUEL 2013: Mahler, Maschke & Co.: Rechtes Denken in der 68er-Bewegung? Paderborn: Schöningh.
SEPP, BENEDIKT (2013): Linke Leute von rechts? Die nationalrevolutionäre Bewegung in der Bundesrepublik. Marburg: Tectum.
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