Von Stephan Hilsberg

›Jackie‹, ist ein hochklassiger US-amerikanischer Film, in dessen Mittelpunkt Jackie Kennedy in den wenigen Tagen, die mit der Ermordung ihres Mannes beginnen, und mit der Beisetzung ihrer beiden toten Kinder neben ihrem Mann in Arlington enden, steht. Es hat schon viele Versuche gegeben die Geschichte der First Lady, deren Mann neben ihr erschossen wird, in einen Film zu übertragen. Diesen hier kann man getrost als gelungen betrachten.

Gemeinhin steht einem Jackie Kennedy als diese Glamour-Frau vor Augen, die einst Glanz ins Weiße Haus gebracht hat, und die später diesen stinkreichen griechischen Reeder Onassis geheiratet hat. Um des Geldes wegen?

Im Film wird sie als eine starke, gebildete, selbstbewusste Frau, überzeugend von Natalie Portman gespielt, dargestellt. Eine Frau, die mit der Organisation des Abschieds von ihrem toten Mann, sich selbst, ihrer Familie und nicht zuletzt ihrer Nation nach dem traumatisierenden Attentat auf ihren Mann, die Würde erhält, und wieder zurückgibt.

Es gibt keine Feindbilder in diesem Film. Es gibt mehr oder weniger herausragende Rollen, oder Persönlichkeiten. Da sind neben Jackie selbst, Robert (Bobby) Kennedy, Justizminister und Bruder des ermordeten Präsidenten, welcher, wie wir ja wissen, später ebenfalls in seinem eigenen Präsidentschaftswahlkampf ermordet wird. Es gibt den Journalisten, gespielt von Billy Crudup, dem Jackie Kennedy ein ausführliches Interview über sich und die zurückliegenden Tage gibt. Es gibt die Beraterin und Freundin Nancy Tuckerman, gespielt von Greta Gerwig, und es gibt den vom kürzlich verstorbenen John Hurt überragend gespielten Priester. Alle anderen Rollen bleiben im Hintergrund, selbst Lindon B. Johnson, den Nachfolger Kennedys, der im Film nicht eben gut wegkommt, obwohl er in der Geschichte der USA in jeder Hinsicht der Erbe der Kennedy‘schen Politik ist, im Guten wie im Schlechten.

Der Film zeigt Szenen von bedrückender Deutlichkeit. Das Attentat wird genauestens von Jackie geschildert. Wie sie den ersten Schuss hört und dann den zweiten, der seinen Kopf trifft. Wie sie sein Gehirn zerplatzen sieht, wie sie versucht, die Schädeldecke auf dem Kopf zu halten, aber im Grunde schon weiß, dass er tot ist. Später im Film wird sie sich Vorwürfe machen, dass sie ihn nach dem ersten Schuss nicht versucht hat zu schützen. Sie ist über und über mit Blut besudelt. An ihren Händen, in ihrem Gesicht; überall Blut. In dieser Verfassung ist sie anwesend, als noch im Flugzeug der neue Präsident vereidigt wird. Das muss sein. Das Land braucht einen Präsidenten. Aber plötzlich ist da ein anderer Präsident und ihr wird bewusst, dass das alte Leben zu Ende ist, dass jetzt ein anderer die Anweisungen gibt, dass alles auf einen anderen hört.

Da wird das Erscheinen von Bobby Kennedy zum Trost. In der Tat, er, der seinen Bruder verloren hat, und mit ihm noch mehr, nämlich die Vorstellung von einem anderen Amerika, ist der einzige, der richtig zu ihr hält. Womöglich kostet ihn das den Job. Denn, und das ist eine Szene zum Schmunzeln, er orientiert sich nicht am neuen Machtzentrum Lindon B. Johnson, der ihm völlig egal ist. Er herrscht ihn sogar an und zwingt ihn so, Rücksicht auf die alte First Lady zu nehmen. Bobby Kennedy, man weiß das, bleibt in der neuen Administration nicht Justizminister.

In den vielen Szenen, die beide, Jackie und Bobby gemeinsam im Film haben, gibt es eine, in denen Bobby resigniert. Er sinniert darüber, dass mit diesem Attentat alles von der Präsidentschaft seines Bruders verloren ist. Nicht nur, dass John F. keinerlei Spuren hinterlassen habe, sondern sich vermutlich sogar die Probleme, die er damals gelöst hatte, selbst eingebrockt habe, wie die Kuba-Krise. Und das ist erstaunlich. Denn schon damals hat die Welt seinen Bruder anders gesehen. Schon damals hat er mit seinem berühmten Satz: ›Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst!‹ Furore gemacht. Schon damals hatte er in Berlin mit seinem legendären Satz: ›Ich bin ein Berliner!‹ den Westberlinern nach der demütigenden Teilung neuen Mut gegeben. Aber er war eben auch Realist; ein Realismus, der in tiefen inneren Kämpfen und den Verwicklungen des Kalten Krieges geboren wurde. Heute wissen wir, wie wichtig es war, dass er in der Kuba-Krise, aber eben auch in der Berlin-Krise gestanden hat. Und dass niemand die Macht hatte die Russen an ihrer Willkürherrschaft in ihren Einflussgebieten zu hindern, bis die es nicht selbst besser machen würden. Und heute wissen wir, dass John F. Kennedy mit seinem Satz ›Ich glaube, dass dieses Land sich dem Ziel widmen sollte, noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen‹ den Amerikanern nicht nur ihren Stolz wieder zurückgegeben hat, sondern dass das auch der Wendepunkt im technologischen Wettbewerb der beiden Kalten Kriegsmächte Sowjetunion und USA war. Nebenbei hat John F. Kennedy damit den Prototypen einer politischen Vision geschaffen, von dem man lernen kann, wie in einer offenen Gesellschaft gewaltige politische Prozesse angestoßen werden können. Etwas mehr als zweieinhalb Jahre hat der Präsident dafür gehabt. Und da ist von seiner Bürgerrechtspolitik zu Gunsten der schwarzstämmigen Bevölkerung der USA noch gar nicht die Rede gewesen.

Wie tief muss also Bobby vom Attentat auch getroffen gewesen sein, als er dies alles nicht sehen wollte, obwohl er daran mitgewirkt hat?

Und dann kämpft Jackie. Sie kämpft im Film um ihre Familie, um ihre Würde, und die ihres toten Mannes, als sie haarklein eine riesengroße Trauerfeier und eine riesengroße Prozession durchsetzt, die sich an Abraham Lincolns Beerdigung orientiert, und damit an der Größe dieses Präsidenten. Jackie, so scheint es hat keinen Zweifel an der Größe ihres Mannes. Aber sie macht auch völlig klar, dass dieser Mann ihr Mann war, dass es bei dieser Beerdigung auch um den Familienvater, den Vater ihrer beiden kleinen Kinder geht. Und deshalb spielen die Tochter und der dreijährige Sohn in der Zeremonie eine von der ganzen Welt zur Kenntnis genommenen Rolle: die des Abschiednehmens ihres Vater, des Präsidenten.

Der Journalist, dem sie eine Woche nach dem Attentat ein großes Interview gibt, bringt diese Riesenzeremonie auf den Punkt, als er ihr sagt, dass er damit der ganzen Nation nach diesem Schicksalsschlag ihren Stolz und ihre Würde wieder zurückgegeben hat. Man glaubt das sofort bei diesen Bildern.

Doch dem Priester sagt Jackie etwas anderes, nämlich, dass es ihr dabei um sich selbst gegangen sei, um ihr eigenes Ego, um ihren Schmerz, um ihre Trauer. Denn sie hat alles verloren. Dieser Job der First Lady war der Höhepunkt ihres Lebens. Sie war so in der Lage die Eskapaden ihres Mannes, der nicht mal in der Nacht vor dem Attentat an ihrer Seite gewesen sei, auszuhalten. Sie hat dem Weißen Haus Glanz verliehen. Sie hat die Präsidentschaft geschmückt und veredelt. Sie ist darin aufgegangen. Es war ihre Welt, die mit dem Tod ihres Mannes untergegangen ist.

Dieser Priester, wahrscheinlich der letzte Auftritt von John Hurt, rundet den Film ab. Er soll ja sehr authentisch sein. Also wird es diesen Priester wohl gegeben haben. Aber wer er tatsächlich war? Im Film gibt es keinen Namen. Die Gespräche mit dem Priester bringen das Innerste der ehemaligen First Lady zum Vorschein. Und man spürt welche Bedeutung der christliche Glaube für Jackie, die hier in Not ist, hat, und was er wahrscheinlich auch für uns haben kann, wenn er in der Person eines glaubwürdigen, ernstzunehmenden, und geistig durchreflektierten Menschen daherkommt.

Und bei Jackie geht es eben nicht nur um ihr Ego. Sondern es geht um alles. Und alles gleichzeitig. Um sie als Frau und Witwe, um die Kinder, um das Weiße Haus, um die Administration und um große Politik.

Unseren Zeiten, wo der gegenwärtige Präsident der USA jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treibt, vermittelt ›Jackie‹ etwas von der Größe, die eine Präsidentschaft in den USA nicht nur einst hatte, sondern auch wieder haben kann.

 

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