von Rainer Paris
Wer heute noch gegen das Gendern opponiert, steht, wie es scheint, auf verlorenem Posten. Ein halbes Jahrhundert feministischer Dauerpropaganda hat die Hörgewohnheiten offenbar derart verändert, dass selbst eklatante Verstöße gegen Grammatik und Sprachgefühl kaum mehr registriert werden. Das Prinzip Penetranz setzt sich durch. Ob in den heute–Nachrichten oder in der 3Sat-Kulturzeit – die Indoktrination der Zuschauer qua Partizip (›Mitarbeitende‹) und Glottisschlag ist längst selbstverständlich und wird rigoros durchgezogen.
Alles Argumentieren, alle sprachwissenschaftliche Aufklärung über den Unterschied von Genus und Sexus, die syntaktischen Funktionen des generischen Maskulinums, alle Beispiele für die haarsträubenden Unsinnigkeiten des durchgehaltenen Genderns – das alles wird einfach weggewischt zugunsten der gebetsmühlenhaft wiederholten Behauptung, die sprachliche ›Sichtbarmachung‹ von Frauen, Homosexuellen und Transgender-Personen sei ein Gebot der Geschlechtergerechtigkeit und der Überwindung von Diskriminierung. Sprachpolitik sei Gesellschaftspolitik – grammatische Richtigkeit, Zweckmäßigkeit oder auch Schönheit hätten da eben zurückzustehen.
Was auf diese Weise wirklich sichtbar wird, sind eine abgründige Dummheit und Ignoranz. Der Vorwurf der Diskriminierung funktioniert als Totschlagargument, das jede weitere Diskussion überflüssig macht. Rederecht hat nur, wer sich vorab im Kotau übt (›Ich bin ja auch gegen Diskriminierung, aber …‹), und auch diese Beteuerung schürt den Verdacht, dass in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall sei. Ebenso wie zu DDR-Zeiten jede Kritik am Politbüro den ›Weltfrieden‹ gefährdete, ist jede Kritik, jeder Widerstand gegen die Gender-Agitation automatisch Frauenfeindschaft.
Im Übrigen: Gendern ist radikaler und folgenreicher als die frühere Sprachpolitik der SED. Diese beschränkte sich neben der üblichen ideologischen Rhetorik lediglich auf den ausnahmsweisen Austausch des Lexikons, heute hingegen geht es der Grammatik an den Kragen.
Die Grammatik ist nicht einfach eine gesellschaftliche Konvention. Sie ist das konstitutive Regelsystem einer Sprache, das man sich nicht nach Bedarf zurechtbiegen kann. Das ist ungefähr so, als ob sich beim Fußball eine Mannschaft plötzlich dafür entschiede, das eigene Tor um einen Meter zu verkleinern oder von jetzt ab mit zwölf Feldspielern zu spielen.
Wichtig ist auch, dass man sich klar macht, dass das Gendern keineswegs erst mit dem Sternchen oder dem willkürlichen Glottisschlag beginnt. (Der Knacklaut ist grammatikalisch nötig, wenn in der Lautgestalt eines Wortes zwei Vokale aufeinandertreffen.) Nein, schon die ständige, bei jeder Gelegenheit angebrachte Doppelung (›Ukrainerinnen und Ukrainer‹) ist – abgesehen von direkten Anreden – ein klarer Hinweis darauf, dass derjenige, der so spricht, offenbar das ›Argument‹ akzeptiert, die Verwendung der männlichen Form oder Gruppenbezeichnung würde Frauen, Homo- oder Transsexuelle ausschließen/unsichtbar machen/lediglich mitmeinen oder gar diskriminieren. Außerdem: Für wie blöd hält man mich eigentlich, wenn man mir unterstellt, ich wüsste nicht, dass es in der Ukraine Frauen gibt! In Wirklichkeit ist das alles einfach nur dummes Zeug: ›Zuhörer‹ sind alle, die zuhören, egal was oder wer sie sonst noch sein mögen.
Dies gilt ebenso für das Ausweichen auf das Partizip. Es gibt ›Studierende‹, die gar nicht studieren, im Deutschlandfunk war einmal der Satz zu hören, bei den französischen Regionalwahlen sei ›nur jede und jeder dritte Wählende wählen gegangen‹. Trotzdem: Kein sachlicher Unsinn, kein noch so lächerliches Gender-Beispiel wird diese Leute je von ihrem Vorhaben abbringen.
Wer gendert, ist sprachlich doof. Er ist dies entweder aus Überzeugung oder aus Bequemlichkeit oder Gleichgültigkeit oder letztlich, weil er einfach feige ist. (Hinzu kommen freilich sanktionsbewehrte Vorschriften von oben und der Konformitätsdruck des eigenen Milieus.)
In ihrem Erzählband Vom Aufstehen berichtet Helga Schubert, dass es in ihrer Jugend in der DDR für sie die Zeiteinheit Ulb gegeben habe: 1 Ulb war die Zeitspanne zwischen dem Auftauchen der Stimme Walter Ulbrichts in Radio oder Fernsehen und dem sofortigen Abschalten des Geräts. Heute widerfährt mir vornehmlich im ZDF, mittlerweile aber auch auf anderen Kanälen Ähnliches: Sobald ich eine Hardcore-Genderformulierung höre, zappe ich, um mich der Indoktrination zu entziehen, sofort weg. Auf diese Weise verpasse ich möglicherweise manches Wichtige, aber das nehme ich in Kauf.