von Rainer Paris

An Deutungen und Analogien des Fußballs herrscht wahrlich kein Mangel. Er sei Mikrokosmos und Tugendregister, Spiegel oder auch Zerrspiegel der Gesellschaft und anderes mehr. Wie immer bei solchen Aussagen und Vergleichen – sie treffen in einiger Hinsicht zu und blenden anderes aus.

Hier nun soll eine weitere Variante ausprobiert werden: Fußball als Abbild des Lebens. Marco Bode und Dietrich Schulze-Marmeling haben in einem ausgezeichneten Buch Tradition schießt keine Tore (Verlag Die Werkstatt, Bielefeld 2022) am Beispiel Werder Bremen die vielfältigen Veränderungen und Herausforderungen nachgezeichnet, die der moderne, kommerzialisierte Profifußball in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Analytische Anleihen (bei Daniel Kahneman), sportliche und organisatorische Binnenperspektive werden hier aufs Trefflichste miteinander verzahnt, ein Muss für jeden Sportsoziologen und Sportwissenschaftler.

Doch darum soll es hier nicht gehen, herausgegriffen sei nur ein einziger Aspekt. Die Autoren betonen an verschiedenen Stellen die – mitunter spielentscheidende – Bedeutung von Zufall und Glück und machen dies vor allem am Charakter des Fußballs als ›low scoring game‹ fest. In der Tat: Im Fußball werden normalerweise nur wenige Tore geschossen, und die Tore entscheiden das Spiel. Ob aber ein Ball tatsächlich ins Tor geht oder nicht, ist manchmal, etwa beim Abprallen vom Innenpfosten, nur eine Frage von Zentimetern; es gibt unhaltbar abgefälschte Schüsse und ›Sonntagsschüsse‹, bei denen alles zusammenpasst (oder sie bleiben aus), und mitunter verderben einzelne Patzer eines Abwehrspielers die eigentlich gute Leistung der ganzen Mannschaft und kippen ein Spiel. Kurzum: So sehr es sich grundsätzlich um einen regelbasierten Leistungskampf der Mannschaften handelt, so wenig kann gleichzeitig ausgeschlossen werden, dass am Ende ein Ergebnis steht, das von allen Beteiligten letztlich als ungerecht, im Falle des Siegers eben als ›glücklich‹ erlebt wird.

Das ist in anderen Ballsportarten, wo viele Tore fallen, anders. So spiegelt die große Anzahl von Körben, die im Basketball erzielt werden, die tatsächliche Leistungsdifferenz der Mannschaften sehr viel adäquater wieder als im Fußball. Deshalb wird man bei Kommentaren von Basketballspielen so gut wie nie lesen können, dass hier eine schlechtere Mannschaft letztlich gewonnen habe. Auch beim Fußball mag das die Ausnahme sein (und unsere Alltagsdeutungen gehen ja in diese Richtung), aber es ist immerhin möglich und nicht ganz unwahrscheinlich.

Und schon diese Möglichkeit eröffnet nun eine weitere analogisierende Perspektive auf die weltweite Faszination des Spiels: Fußball als Abbild des Lebens. Er führt uns nämlich bei aller Perfektionierung von Taktik und Können zugleich vor Augen, wie vergeblich alle Leistungen und Anstrengungen eben auch sein können, wenn am Ende das Quentchen Glück und der ›hilfreiche‹ Zufall fehlen, die das Ganze letztendlich in Richtung Sieg und Erfolg hätten umwenden können. Fußball als Versinnlichung auch von Verlust und Vergeblichkeit, der möglichen ›Ungerechtigkeit‹ des Erfolgs. Hätte, hätte, Fahrradkette – das gilt auch im Leben, in der Liebe ebenso wie im Beruf, und in der Rückschau sind wir natürlich immer klüger. Aber es hilft nichts: Oftmals entscheiden Zufälle, glückliche oder schlechte Konstellationen und Umstände, kleinere oder große Missgeschicke letztlich über das Schicksal.

Andererseits gilt sicherlich auch: Die Tragweite falscher oder unverantwortlicher Entscheidungen ist davon unberührt. Aber auch das weiß man immer erst im Nachhinein.