von Ulrich Schödlbauer

1.

Eine Medizinanwältin, von Berufs wegen vertraut mit der Literatur zum C*Virus, das, wie erinnerlich, binnen Wochen das Leben eines ob seiner ökonomischen Effizienz und seiner rechtsstaatlichen Institutionen einst hochgerühmten Landes lahmlegte, die Menschen aus ihren beruflichen Verrichtungen und der Öffentlichkeit vertrieb, das Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit pulverisierte und die Gesichter ganz normaler Mitbürger in Masken der Angst vor einem Unbekannten verwandelte, das sich für Otto Normalverbraucher überwiegend in schreienden Überschriften und steil nach oben schießenden Statistik-Kurven manifestiert, – besagte Medizinanwältin … beantragt beim Verfassungsgericht ihres Landes eine einstweilige Verfügung gegen all die hoheitlichen Verfügungen, mit deren Hilfe die gerade Regierenden das Land in besagten Zustand der Schockstarre versetzt haben, um es aus gegebenem Anlass von Grund auf zu sanieren.

2.

Sie lachen schon? Sie warten auf die Pointe…? Sie wissen bereits, wie’s weitergeht? Selbstverständlich wissen Sie’s schon, sonst würden Sie diese Zeilen nicht lesen. Vielleicht haben Sie schon vorher über die Mücke gelacht, die dem großherrlichen Verfassungsgericht des einst ob seiner … hochgerühmten Landes da in den Mund geflogen ist und wieder heraus will, das Kichern und Rülpsen in den einst ob ihrer … gerühmten Medien war ja unüberhörbar. Und Sie, die Sie es ob Ihres unerschütterlichen Freiheits- und Sendungsbewusstseins zu einem hohen Alter in ebensolchen Würden gebracht haben, Sie zucken verächtlich mit den Mundwinkeln, wenn einer die Bemerkung hinwirft, es schicke sich aber ganz und gar nicht, wenn in einem solchen Staat eine solche Person mal eben in die Psychiatrie verbracht wird. Inzwischen soll sie ja auch wieder draußen sein. Sie aber, Sie zucken nicht nur, Sie ziehen die Mundwinkel beträchtlich in die Länge, nach unten oder nach oben, ganz nach individueller Fasson – die Ihnen heilig ist –, weil Sie wissen oder gelesen oder erfahren haben, dass besagte Anwältin auf ihrer erst gesperrten, dann wieder einsehbaren Homepage einen irren Text deponiert hat…

3.

… Da hat man’s doch. Auf der gleichen Homepage ist auch der irre lange Eilantrag ans Verfassungsgericht zur Wahrung gewisser, für eine funktionierende Demokratie nicht unwesentlicher Verfassungsrechte zu lesen, der von diesem mangels Substanz und unter Hinweis auf den Instanzenweg souverän zurückgewiesen wurde. Wer liest denn sowas? Der eigentlich irre Text allerdings trägt den Titel C*-Auferstehungs-Verordnung vom soundsovielten und liest sich wie ein ins Internet verirrter Bühnentext, der auf dem Theater sicher viel Beifall erhalten hätte, nun aber, da die Theater geschlossen sind und eine öffentliche Lesung sich aus seuchenpolizeilichen Gründen verbietet, ein wenig verloren im Wind der medial in den Köpfen erzeugten und sich fortzeugenden Dummheit flattert – zum Beweis der eben doch eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit der eben noch sehr ehrenwerten Frau Anwältin, auf dass sich alle kritischen und äußerst demokratiefreudigen Bürger furchtlos von dieser Causa abwenden dürfen. Der allein durch seinen Titel als Parodie der in diesem Land mangels gläubiger Masse von keiner Kanzel des Landes verkündeten Osterbotschaft kenntliche Text hat sich das außerordentliche Verdienst erworben, über Nacht die völlige, allerdings vollständig selbstverfügte literarische Umnachtung der sogenannten Bildungsnation schonungslos zur – ja was denn? – Anzeige gebracht zu haben.

4.

Noch irrer allerdings erscheint dem lesenden Bürgertum die später publizierte Bitte der Autorin – falls Sie’s denn ist – an die einzige Verfassungsrichterin im Lande, die, als praktizierende Schriftstellerin, den Mut besaß, die ›Einschüchterung‹ des Bürgers zu monieren, sie möge den Fall übernehmen: vermutlich aus der irrigen Überlegung heraus, das eigene literarische Talent habe in diesem Fall nicht ausgereicht, um den Stein ins erwünschte Rollen zu bringen. Wir, die breite Bildungsschicht dieses fernen und bildungsmäßig weitgehend abgeräumten Landes wissen jetzt (dank der Intervention einer Medizinjuristin), dass Goethes Osterspaziergang, gegenwärtig publiziert, ein Fall für den Staatsschutz wäre und im Theater besser mit »Irre! Irre!«-Rufen bedacht werden sollte, sollte … nun, sollte ein Regisseur es noch einmal wagen (falls er die Gelegenheit dazu bekommt), dieses irre lange Stück – wie hieß es nicht gleich? – zur Aufführung zu bringen. Denn hier werden die Wonnen des Osterspaziergangs in unzweideutigen Worten im Modus der vollzogenen Tat beschrieben. Und damit nicht genug. Zweifellos fällt es unter den juristischen Tatbestand der Hetze, wenn ein vom Paulus zum Saulus gewandelter Medizinersohn dort peroriert:

»Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben…«

So weit wollte die Medizinanwältin denn doch nicht gehen. Es wäre ihr auch – zu Recht! – schlecht bekommen.

5.

Der Bericht bliebe unvollständig ohne den obligaten Schwenk auf ein bei YouTube eingestelltes Video … dort lässt sich der öffentliche Auftritt der Anwältin nach ihrer Einvernahme durch die Polizei ihres Vaterstädtchens besichtigen, eine wunderliche Scharade, an der dem unbeteiligten Betrachter dreierlei auffällt: erstens die Souveränität, mit der die offenbar mit Witz gesegnete Dame, falls es sich denn so zutrug, das literarische Uralt-Genre der ›Verkehrten Welt‹ einzusetzen wusste, um sich den verfänglichen Fragen der Staatsmacht (Aufforderung zu einer Straftat nach § etc.) zu entziehen – sie sei im benachbarten Ausland auf Reisen gewesen und habe dort öffentliche Bildungseinrichtungen besucht, von denen jedermann weiß, dass sie gegenwärtig geschlossen sind – oder haben –, daher habe sie es leider versäumt, sich rechtzeitig mit den mittlerweile verhängten drastischen Änderungen des Versammlungsrechts (sic!) vertraut zu machen, und entschuldige sich dafür; zweitens die kalkulierte Unbekümmertheit, mit der sie den oben beschriebenen irren Text, in leicht überarbeiteter, den Aufruf zur Übertretung der Seuchenregeln unterschlagender Fassung in szenischer Lesung einem dankbar »mehr« fordernden Publikum darbietet – Laien-Straßentheater im Sinn ziviler Unbotmäßigkeit, jahrzehntelang quer durch die Länder des Westens praktiziert, das heute offenbar auf eine mentale Blockade der Schreibenden stößt; drittens die in erstaunlicher Zahl versammelte Sympathisantenschar, die offenbar keine Schwierigkeiten damit hat, das Maskenspiel zu durchschauen und ihrer Heldin den Rücken zu stärken. Zurück im Kreis der üblichen Kommentatoren fühlt der Betrachter sich unwillkürlich an den Fassbinder-Titel Angst essen Seele auf erinnert – man könnte geradewegs vom C*-Syndrom reden, verböte sich der Ausdruck nicht aus anders gelagerten Gründen.

6.

Indessen begab es sich in einer weiter östlich gelegenen Provinz jenes wundersamen Landes, dass ein Landrat, in punkto Ausgangssperre fürs Volk, wie zu lesen war, als ›scharfer Hund‹ bekannt, sich das Vergnügen der Teilnahme an einem illegalen österlichen Posaunenkonzert, abgehalten unter freiem Himmel vor einem von Gott und allen Gläubigen entblößten Gotteshause, nicht so einfach nehmen lassen wollte und dafür sowohl willentlich als auch in voller Absicht in Kauf nahm, von der Presse in der Menge der polizeilich zu Zerstreuenden erkannt und flugs verhöhnt zu werden. Ein mutiger Mann, sollte man meinen, vielleicht ästhetisch ein wenig übersensibel, auch wenn die Aktion nicht wenigen auf ihre Häuslichkeit zurückgeworfenen Untertanen irre anmuten mag. Dieser friedfertigen Einschätzung entgegen steht allerdings die wunderliche Rechtfertigung des Amtsträgers, er sei an besagtem Kirchenfest durchaus als Kontrolleur unterwegs gewesen und habe sich als solcher der Polizei nur deshalb nicht zu erkennen gegeben, weil letztere im Pandemiestab seines Kreises vertreten sei und daher wisse, dass der Landrat Verantwortung im Pandemiestab trägt. Mit dieser Begründung setzt ein einfacher Verwaltungsbeamter neue Maßstäbe in der Seuchenbekämpfung. Man bedenke: Ein ganz und gar in Pandemiestäben organisiertes Volk könnte sich binnen kurzem als sein eigener Kontrolleur praktisch über jede von ihm verfügte Seuchenverordnung erheben, um auf diese Weise für ihre verschärfte Einhaltung zu sorgen. Zweifellos lebt in solchen demokratischen Extraleistungen etwas vom Geist jener Dialektik fort, die noch vor dreißig Jahren in der Region als Volkssport betrieben wurde. Man sollte ihn pflegen und hätscheln; wer weiß, wozu er gut ist und wofür sie noch gebraucht werden könnte.

7.

Der Vollständigkeit halber sei nachgetragen, dass seither das oberste Verfassungsgericht jenes … Landes per Beschluss deutlich gemacht hat, pauschale Verbote von Demonstrationen seien nicht verfassungskonform. Worauf Philosophen und Landräte zu antworten pflegen: Alles Deutliche ist deutbar.