Was ich über Analogie schrieb, bedeutet nicht, dass es dumm sei, in Analogien zu denken oder dass am Ende die Analogie selbst dumm sei – zweifellos gibt es genügend dumme Analogien und richtig ist, dass, wer ihnen aufsitzt, am Ende der Dumme ist. Vielleicht sollte man strikter, als das in der Regel geschieht, zwischen strategischen und taktischen Analogien unterscheiden. Die meisten Analogien, die dem Leser aufgetischt werden, sind taktischer Natur: schnell hingeschrieben, meist zu denunziatorischen Zwecken, und ebenso schnell vergessen: Das ist ja wie ––…
Ja wie denn? Wie wirklich? Manche Analogien werden so oft wiederholt, dass sie längst unters Zwerchfell gerutscht sind und für notorische Verdauungsprobleme verantwortlich zeichnen. Das partei- und weisungsgebundene Denunziantenwesen hat sich ihrer bemächtigt und die Meute der Kläffer, die nur auf einen Wink von oben wartet um loszustürzen, weiß Bescheid. Die taktische Analogie ist das Parademittel der Geistlosigkeit, des Ungeistes, der Gedanken-Insuffizienz und des sterilen Desinteresses an allem und jedem außer der heiliggesprochenen Überzeugung, deren Schergen niemand entkommen darf.
Die strategische Analogie hingegen ist, wie die Logiker sagen, ein heuristisches Instrument: Sie dient der Erkundung des Noch-nicht-Gewussten, des Unbetretenen jeden erdenklichen Sinnes in einem frühen Stadium – mangels anderer Hilfsmittel, ließe sich konstatieren, doch dieser Mangel erweist sich rasch als Kehrseite der Fülle. Vieles, worüber man täglich redet, erscheint bestens bekannt und verrätselt sich dennoch dem nachdenklichen Blick, weil Aussagen, vor allem wenn sie mit Leichtigkeit getätigt werden, regelmäßig auch den Blick verstellen: weniger auf das Gegebene (schließlich nimmt man es als gegeben) als auf das Genommene, vor allem auf das schleichend Genommene, das Davongestohlene, dessen Abwesenheit lange unbemerkt bleibt, es sei denn, einer reagiert auf atmosphärische Veränderungen und fragt dort nach Gründen, wo ihn Theorie und Überzeugung im Stich lassen.
So sieht es aus mit der Analogie. Als mir vor Jahren Alexander Sinowjews Gähnende Höhen – eine Soziologie des sowjetischen Alltags in Romanform – zu einem Déjà-vu verhalfen, dachte ich mir, es müsse möglich sein, diesen Schatz an Einsichten für die Gesellschaft der Freiheit zu heben, in deren Winkeln und Nischen die Unfreiheit fort- und beim geringsten Anlass auflebt. Dabei geben die Winkel und Nischen die geringere Nuss zu knacken. Das Problem der Gesellschaft, die sich selbst die freie nennt und zweifellos so genannt werden kann, ist die Unfreiheit, die sich immer und überall an die Fersen der Freiheit heftet und ihre Fortbewegung… behindert? Ist das das Wort? Schwer zu sagen, solange niemand weiß, welche Gangart die ungehinderte Freiheit einschlagen würde, es sei denn, man nimmt den Aufruhr in den Pariser Vororten oder den Terror der Andersdenkenden dafür. Doch diese Leute sind nicht im Namen der Freiheit unterwegs. Andererseits ist, wer im Namen der Freiheit unterwegs ist – wie die Drohnen des Großen Verbündeten –, nicht immer auch ein Bringer der Freiheit, es sei denn für Leute, vor denen andere sich zu Recht fürchten. Die Furcht verändert die Leute, sie verändert die Verhältnisse, sie hat sie immer schon verändert, die Zahl der Furchtlosen in jeder Gesellschaft ist gering.
Die Furcht der Freien ist strukturell, sie hält nicht die Psyche umklammert, sie geht nicht notwendig mit Beklemmung einher, eher mit sinnlosen Freiheitsgefühlen, mit Posen und Possen, zu denen sich sein Recht nimmt, wer nichts zu verlieren hat und nichts zu verlieren gedenkt, vor allem keine Zeit: frei fühlt sich, wer unter dem absoluten Diktat der Zeit denkt, urteilt und handelt. Verliere dich nicht in andere Zeiten…! Aber warum denn nicht? Was wäre so schlimm daran? Niemand fällt aus der Zeit, nur die Nichts-als-Heutigen, denn sie haben keine. Sie sind Häutige, in jenem heikelsten Sinn des Wortes: Man hat ihnen die Haut abgezogen und sie tragen sie jeden Morgen aufs neue zu Markte. Ein Papst, der das Interview schätzt und zu allem und jedem öffentlich Stellung bezieht, ist nicht frei, schon gar nicht im apostolischen Sinn – er ist ein Getriebener, der zu Getriebenen spricht. Ein Politiker, dessen alleinige Argumentationsform darin besteht, ›Gestrige‹ auszusortieren und ihre Redeweisen verächtlich zu machen, mutiert über kurz oder lang zum Schreckgespenst, er hat ›kapiert‹, aber nichts begriffen. Journalisten, die Wortlisten erstellen und naiverweise annehmen, sie würden damit dem Wörterbuch des Unmenschen neue Seiten hinzufügen und der Zukunft eine Gasse bahnen, während sie bloß ihren Mitmenschen übers Maul fahren, Wissenschaftler und öffentliche Gelehrte, die zu wissen glauben und bereits akzeptiert haben, was von ihnen verlangt wird, während ihre Brötchengeber sich darauf verlassen, dass sie schon wissen – und zu verantworten wissen –, was sie tun, Aktivisten, die keinen Gedanken darauf verschwenden, ihrem Aktivismus auf den Grund zu gehen und seine Materialisationen, abzüglich des Gewollten, ebenso schonungslos zu analysieren wie die des gegnerischen Systems –
Man muss die Gesellschaften studieren, deren Unfreiheit für einen selbst und seine Umgebung anstößig ist, um die Gesellschaft, in der man lebt, zu begreifen. Man zerstört diese Quelle der Erkenntnis durch falsche Analogien, vor allem mit Schmähcharakter, man erhält sie sich durch produktives, bewegliches Analogisieren, das den befremdlichen Gedanken nicht scheut. Gerade darauf, aufs Befremden, kommt es an. »Ich lasse mich gern befremden« – wer so reden kann und wirklich so denkt, der denkt, immerhin. Er könnte es auch lassen, es fiele nicht weiter auf.