Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Siebgeber, sagte ich mir, so geht das nicht, und ich huschte hinaus, die erleuchtete Quadriga über mir und die Pfützen des November unter mir, aufglänzte der Große Stern, der Westen hatte mich wieder… Ein Traum ging mir durch den Kopf, ich hob die Augen empor zur Siegesgöttin, erwartete ihre Flügel zu sehen, die dicken wulstigen Bögen, und da … und da … kein Anblick, keine Erscheinung, eher the real thing: ich sah, zur Säule erstarrt, hoch in den niedrig ziehenden Wolken The Donald aus reinstem Gold, sprühend im Nieselregen, eine Fata Morgana, zweifellos, in meinen Breiten?

Das Ding, es wich nicht, während ich weiterschritt, es schien noch zu wachsen in dieser Nacht der Nächte, so dass mein Blick unruhig das Weite suchte… Da hingen sie, verstreut unter der Wolkendecke, anzusehen wie riesige Ballons, golden, dutzende Donalds…
Das ist der Albtraum der Kanzlerin, wie komme ich da heraus, ging es mir durch den Kopf. Was habe ich getan? Lasst mich gehen! Ich beschäftige mich nicht mit Politik, nie wieder, meine Stimme ist dir sicher in alle Ewigkeit, lass mich nur wieder heraus. Noch einmal heraus: das ist alles, was ich will, ich schwör’s gern.

Haben Sie jemals in Ihrem Leben Stimmen gehört? Ich meine jetzt Stimmen, nicht die ihrer Nachbarin oder die des Trödelverkäufers um die Ecke oder die Ihres Abgeordneten, dessen Namen Sie immer vergessen, – diese Stimme, ich werde Sie nie wieder vergessen, sie beugte sich nieder zu mir, während der Unbeugsame starr in den Himmel stach, und … und … was soll ich sagen? Sie sprach freundlich, sanft perlten die Worte aus dem gewaltigen Mundwerk, sie schien des Verkehrs nicht zu achten, der sich immer wieder zwischen uns schob, auch eine Demonstration zog vorüber, die Stimme, sie sprach –

Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles? Damit Sie mich für bescheuert halten oder gestört oder geisteskrank oder von Wahnideen besessen? Ich weiß es nicht. Die Trompete erklang, die Welt ging zu Scherben und ich, ich muss sie richten, indem ich Zeugnis ablege. So sieht es aus. Zeugnis wovon?

»Siebgeber, du weißt, wer ich bin?«
Ich blickte mich nicht um, wissend, wie gefährlich das in der Dunkelheit werden kann, stattdessen versuchte ich mich zu sammeln.
»Ja sicher.«
»Du kennst meinen Namen?«
»Den kennt doch jeder, ich meine, du bist The Donald. Oder etwa nicht?«
»Siebgeber«, schwoll die Stimme, »die Welt ist ein Kartenhaus, das stählerne Gehäuse, das ihr Moderne nennt, hat keinen Bestand, es zerfällt, sobald die Posaune des Jüngsten Gerichts erschallt. Ich bin Der Sanierer. Merk dir das. Kennst du die Höhe des Haushaltsdefizits der Vereinigten Staaten von Amerika?«
Eigentlich bin ich nicht schlecht in Zahlen, doch der Moment, die Stimme… Ich gestehe, dass ich nicht mehr als ein unklares Gestammel zuwege brachte.
»Staatsdefizit geschätzt dieses Jahr 714 Milliarden Dollar, Gesamtschuldenstand 19 864 Milliarden mit schnell steigender Tendenz. Merken Sie sich das. Kennen Sie unser aktuelles Außenhandelsdefizit?«
»–«
»813 725 Milliarden Dollar. Kommen Sie mit? Militärausgaben?«
»Astronomisch, ich weiß. Könnten Sie das nicht abbauen?«
»Astronomisch? Nein, mein Lieber, irdisch. 596 Milliarden im letzten Jahr. Kann sich doch sehen lassen oder? Große Frage: Wo bleibt das Geld?« »Gegenfrage: An wie vielen kriegerischen Konflikten ist Ihr Land im Augenblick, verdeckt oder offen, beteiligt?«
»Wollen Sie eine ehrliche Antwort? Ich weiß es nicht. Aber ich werde mich kundig machen. Versprochen. Kennen Sie unsere Arbeitslosenzahlen?«
»Na sicher. Arbeitslosenquote 2016 bei 4,85%. You are a liar.«
»Na prima. Dann kommen die hin und wieder Beschäftigten und die Langzeitarbeitslosen und Sie stehen bei, was meinen Sie? Sagt Ihnen das Wort Schattenarbeitslosigkeit etwas? Ja? Kluges Köpfchen, warum nicht gleich. Stand: 22,9%. So sieht es aus in the liars’ house.«
»Wieso haben Sie das nicht im Wahlkampf gesagt?«
»Wenn Sie mir höflichst zugehört hätten.«
»Habe ich, habe ich. Die Innenstädte, die Gangs und das Verbrechen, die verrottete Infrastruktur, die Gefängniszahlen, das große Geld, die Medien, alles richtig, alles linke Themen, von Ihnen gestohlen, woher nehmen Sie das Recht, so zu reden? Ich hasse Sie.«
»Wissen Sie, was mich das schert?«
»Und wie wollen Sie das alles ändern? Wollen Sie es überhaupt ändern? Sie haben doch keine Ahnung –«
»Ja?«
»Wovon Sie da überhaupt reden. Die Bürde des Amtes wird Sie zerquetschen wie einen Wurm. Sie werden untergehen mit Pauken  –«
»Seien Sie vorsichtig. Seien Sie in Zukunft sehr vorsichtig mit Ihren Äußerungen, vor allem, wenn Sie an diesen Punkt kommen. Es könnte wichtig werden.«

Was soll ich sagen? Die Trompete, Sie verstehen, die Trompete … ich meine, da war niemand, der sie blies, verstehen Sie?

In dieser Nacht setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb bis in die Morgenstunden an folgender Mail.

»Dear Donald,
ich habe den Schlüssel zur Lösung Ihrer Probleme gefunden. Ich versichere Ihnen, dass keine fremden Rechte darauf liegen und wir die Honorarfrage völlig unter uns klären können. Um es kurz zu machen: Senken Sie nicht die Steuern, schaffen Sie sie ab! Wir leben im digitalen Zeitalter. Werbeeinnahmen sind die einzig befriedigende Weise zu Geld zu kommen. Stellen Sie den Staatshaushalt auf Werbeeinnahmen um. Lassen Sie, um ein Beispiel herauszugreifen, das Militär sich selbst finanzieren. Sie werden staunen, wie findig man dort sein kann. Willkommener Nebeneffekt: Hollywood ist ausgelastet und die Vorherrschaft des amerikanischen Films in der Welt für die kommenden hundert Jahre gesichert. Die Engel von Los Angeles werden Ihnen die Füße küssen. Aber das ist nur ein Nebenschauplatz. Die Banken, von der Last der Staatsfinanzierung befreit, werden sich wieder ihrem Kerngeschäft zuwenden und Unternehmen finanzieren, die Unternehmen werden Arbeitskräfte einstellen und die Arbeitskräfte werden sich glücklich schätzen, Sie in vier Jahren ein weiteres Mal... Bloß die Medien, die Ihnen im Wahlkampf dermaßen zugesetzt haben, dass Sie letztendlich gewinnen mussten, werden als die Gerupften dastehen, da sie von den Werbeetats leben, die jetzt den Staat … kulturell bereichern. Auch da habe ich einen Vorschlag: Picken Sie sich die systemrelevanten Anstalten heraus, unterstellen Sie sie staatlicher Aufsicht – das garantiert ihre Unabhängigkeit und ihr Niveau – und geben Sie ihnen das Recht, Gebühren einzuziehen, ganz recht, von jedermann und jeder Frau, ungeachtet der Konfession, selbst Illegale… Warum denn nicht? Kontrollieren Sie die Gebührenordnung, da weiß man gleich, was sich schätzt. Die Journalisten werden sich geborgen fühlen und Lobgesänge auf Sie anstimmen, aber das braucht Sie nicht zu kümmern. Es ist ja nur der Anfang. Mein System, ich weiß es, bietet viele weitere Vorteile, die ich jetzt nicht erörtern will, es sei denn, ein kleiner Kontrakt würde uns den Weg zueinander ebnen, es enthält für jedes gesellschaftliche Problem die passende Antwort, von den Staatsschulden bis zur Geschlechterfrage, aber ich möchte mich nicht verplappern, das hat Zeit, das hat alles Zeit. Kommen Sie zu sich, kommen Sie zu mir. Vielmehr: Lassen Sie mich rufen, wenn Ihnen danach ist.
Untertänigst
Siebgeber«


Quellen
http://www.usdebtclock.org/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
http://www.haushaltssteuerung.de/schuldenuhr-staatsverschuldung-usa.html
http://www.shadowstats.com/alternate_data/unemployment-charts

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