Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

In Österreich haben sie das Problem, dass die Nazis sagen, wir sind keine, während die Nicht-Nazis sagen, wir haben damit ein Problem. Das hängt damit zusammen, dass in diesem Land jeder auf einen anderen zeigt, wenn er sich selbst meint. Man könnte demnach herausbekommen, was den österreichischen Nazi ausmacht, indem man jeweils die Richtung, in die einer zeigt, umkehrte. Damit hätte man den Paradefall einer vollkommen selbstbezüglichen Nation, die sich abwechselnd ›Nazi‹ und ›Anti-Nazi‹ schilt. Dass dabei nichts herauskommen kann außer ein wenig Abwechslung, liegt auf der Hand. Die Wiener Art – manche sagen: Abart – der Abwechslung heißt bekanntlich Schmäh. Wer keinen Schmäh führt, der ist auch niemand. Et vice versa.

Sie – die Wiener – locken damit die internationale Presse ins Land, die sich genüsslich einen Braunen bestellt, nur um zu sehen, wie er gemacht wird. Das ist bekanntlich nicht einfach. Zum Glück gibt es die FPÖ mit diesen glückhaft lächelnden Frontfiguren, die alles zum Besten geben, womit man Frontseiten füllt. Man könnte die FPÖ ein Presseprodukt nennen, hätte das nicht bereits Karl Kraus getan, sofern es sie damals gegeben hätte. Stattdessen musste er sich mit elenden Vorläufern herumschlagen und zu H. fiel ihm nichts mehr ein. Nolens volens! Ein Österreicher.

Österreich hat keine Szene, es ist eine. Der große Thomas Bernhard zum Beispiel (die Österreicher nennen ihn groß, weil sie seit den alten Tagen groß zu denken gewohnt sind) brauchte nur hinzuschauen, das Jucken in den Fingern kam dann ganz von alleine. So etwas nennen sie dort Literatur. Auch der Herr Hofer und seine Verbeller sind Literatur. Doch nicht der große Bernhard hat sie geschaffen, wie viele Österreicher irrtümlich annehmen, sondern der liebe lange Tag, an dem nichts Gescheites geschehen will – so g’schieht halt irgendwas. Der liebe lange Tag hat dort schon vieles hervorgebracht, was andernorts von tiefer Nacht bedeckt würde, daher dürfte man sagen: Österreich bringt es an den Tag.

Seit einem Jahr bringt es an den Tag, wie es um EU-Europa steht. Das freut die deutschen Korrespondenten, weil sie es ausnahmsweise verstehen. Dabei ist gerade das, wie alles Österreichische, ein Missverständnis. Dass Österreich seine Grenzen schließt, wenn Deutschland die seinen öffnet: ein Missverständnis, das darauf beruht, dass es seine Attraktivität überschätzt und den großen Nachbarn bei sich zu Hause notorisch kleinredet. Gern würde der große Nachbar alles, was ihm nicht passt, zum Skilaufen und Beiselhoppern ins Nachbarland schicken, doch das passt denen auch wieder nicht.

Aber die Presse… Österreich und die Presse... In Österreich wird die Presse noch Presse heißen, wenn die letzte Druckerei geschlossen und in ein Pappfiguren-Museum umgewandelt wurde. Karl Kraus zum Beispiel, er hätte den Dresdner Lügen!-Chor mit einem Federstrich niedergemacht: Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht. An wen er heute wohl dächte? Sicher nicht an die Presse, diese soundsovielte Ableitung vom Geplapper, welche irrtümlich sich ins Medium der Schrift verirrte und dort zum Kobold mutierte. Kraus war es, der die Welt lehrte, den Kobold ernst zu nehmen. Zum Unglück der Welt besaß der die dickeren Backen und was will man sagen, er bläst noch immer. Krieg, Tod und Verderben oder Afghanistan, Irak und Syrien – von daher kommen sie halt, die Leut’ – im Spiegel der Weltpresse, die nicht umsonst so heißt. Die letzten Tage der Menschheit sind auch die unsrigen. Es liest sie nur keiner.

Wer glaubt, die Österreicher hätten Herrn Hofer nicht gewählt, weil sie doch Van der Bellen gewählt hätten, der könnte ein Opfer der binären Logik geworden sein, die im Alltag, unter anderem im österreichischen, nur eingeschränkt gilt. Die gefühlte Wahl (auch das soll es geben!) könnte sehr wohl einem komplexeren Streben entspringen, zu dem das Wort ›Wahlurne‹ vielleicht den getragenen Hintergrund liefert. Wer hätte dann den einmal zuviel bejubelten Anschluss verpasst, den Daumesdick heute energisch einfordert? Mich jedenfalls hat ein Brief aus fernen Landen nachdenklich werden lassen, in dem unter anderem Folgendes zu lesen stand: Mich freut, dass wenigstens die 750 extra akkreditierten Journalisten mit nichts im Gepäck wieder nach Hause fahren müssen. Der Hofer ist es doch nicht geworden. »Nichts« heißt hier: keine Handhabe zur Abfassung von Schmäh-Artikeln über das Naziland par excellence. Die sind ja üblicherweise nicht wählerisch, wenn es ums Schreiben l’art pour l’art geht; da fliegt oder stürzt schon aus jedem Kleiderschrank ein Nazi, wenn man in den Häusern nur ein bisschen nachsieht... Der Van der Bellen, der schon recht langweilig wirkt in seinem Alter, musste mit Trachtenanzügen vor sein Publikum reisen, damit auch alle Landpomeranzen ihn wählen und somit eine politische Schieflage verhindern konnten. Die Grünen, die gestern überschwänglich jubiliert haben, werden nun versuchen müssen, die von ihnen geforderte Grenzöffnung dem Munde nach aufrecht zu erhalten, aber im Geheimen die Grenzschließung abzusegnen, um nicht als Wohlstandsverderbermaschine ... dazustehen. Das wird ohnehin kommen, wenn einmal der allgemeine Blick nicht nur auf die schadhaften Finanzen des Staates fällt, sondern auch in die Geldtaschen der Leute... Da haben aber die Grünen schon ihr »Baumbegräbnis« gehabt, oder sie heißen eben anders. Die Sozialisten, aber auch das Pendant der CDU, die ÖVP, werden wahrscheinlich bald aufgerieben... Wissen Sie, wenn Sie Berlin über haben sollten, schauen Sie ein paar Tage ... in diese falsche Steiermark, denn die richtige geht erst nach ein oder zwei unschweizerisch niederen Passstraßen los – wo Joohooiti... jooitii...holieh..iitii ...johooo....! gejodelt wird. Üben Sie das Mitsingen, wenn es Ihnen nicht zuwider sein sollte. Es (das Jodeln) ist ja das intellektuell zuträgliche Zwischenstück der Menschen zu den Vögeln hin, also eine Art geistiges missing link. Dann kommt noch das Bier dazu, der Schnaps etc. Da hat man dann schon das richtige philosophische Lebensgefühl dieser falschen Alpen. Ich weiß wirklich nicht, ob Nietzsche in Sils Maria nicht auch Schnaps getrunken hat. Denkbar wäre es ja. Wie sollte er denn auf seinen ausgedehnten Spaziergängen im Schneegestöber ohne gute Körperheizung (japanische Benzinwärmer, kennen Sie die?) überleben? Oder ist das erlogen oder falsch recherchiert?

»Der liebe Gott hat die Alpen erschaffen, Österreich hat die Neue Freie Presse erfunden.« (Falsches Karl Kraus-Zitat, wahrscheinlich von Beer-Hofmann)

Tipp für Angeher: Bevor Sie zuschlagen – schlagen Sie nach.

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