Ulrich Siebgeber - ©LG
Ulrich Siebgeber
Vergessen hilft. Aber nicht wirklich.
 

 

Siebgebers Kolumne entstand in den späten Jahren der Merkel-Herrschaft, die geprägt wurden durch ein Klima des politischen Konformismus und der Zuspitzung gesellschaftlicher Differenzen nach dem Motto Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und muss aus der öffentlichen Debatte entfernt, zumindest unsanft an den Rand gedrängt werden. Gleichzeitig wurden politische Entscheidungen getroffen, deren Brisanz für jeden Einsichtigen offenlag und deren verheerende Auswirkungen das Land gegenwärtig nach und nach zu spüren beginnt.
Siebgebers Aufzeichnungen enden am 8. Mai 2020. Zusammengefasst und nach Themen geordnet lassen sie sich nachlesen in dem Buch Macht ohne Souverän. Die Demontage des Bürgers im Gesinnungsstaat, das 2019 erschien und nebenher das Pseudonym, besser, die literarische Maske des Autors aufdeckte. Im Land der Masken wirkt dergleichen Mummenschanz ohnehin wie aus der Zeit gefallen. Was nicht gegen ihn sprechen sollte.
Ulrich Schödlbauer

Das Ende naht, es wachsen seine Schrecken.
Da will man stark sein, um nicht anzuecken.

Deutschland, März 2018: Respekt dem Steigbügelhalter für zynischen Machtpragmatismus. Sehr überzeugend. Sehr deutsch. Die Demokratie blutet und der Wille zur Macht leckt sich den Daumen.

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Fazit einer Lektüre: Sie wissen alles und es ändert nichts. Wer sind ›sie‹? Ich weiß es nicht. Ich kenne sie nicht. Vielleicht darf ich sie nicht kennen. Irgendeine Art von Lebensmechanismus bewahrt mich davor, jene Macht im Stillstand anschaulich zu begreifen, die ich verantwortlich machen könnte. Niemand ist verantwortlich. Ist dieser Satz wahr oder ist er unverantwortlich? Ich, der ich ihn nur zitiere, lehne die Verantwortung für ihn ab. Andere nehmen ihn auf sich: »Schaut her, so ist es. Fürchtet euch nicht.« Sie erzählen beredt von Stellschrauben, die gedreht werden müssten, und benützen das Wort ›wir‹ in einer Weise, die mich verstört, so als säßen sie auf dem Schoß der Mächtigen und führten leise, heimlich, verstohlen ihr Patschhändchen, um Großes zu bewirken. Dabei sitzen sie nur im Flugzeug zum nächsten Kongress und führen vor, wie es ist, auf dem Angesagten zu surfen.

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Was will das Land? Will es überhaupt etwas? Die Kunst besteht darin, dem Volk seinen Willen so lange im Mund herumzudrehen, bis es beschmiert vor dem Spiegel steht: Das bin ich nicht! Das will ich nicht! Bin ich ein Volk? Ich weiß nicht. Eher nicht.

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Wahl-Logik, einfach und unvermittelbar: Das Land will eine CDU ohne Merkel und misstraut der SPD. Die SPD opfert den Rest des Parteiinteresses den Sesselklebern, die gerade dran sind. Und die werden den letzten Überzeugungsrest opfern, der in der Partei noch lebendig ist. Am Ende werden sie alle Opfer einer Kanzlerin sein, die politisch am Ende ist. Fügt man die allgegenwärtige Frage An welchem Ende? hinzu, dann versteht man, wie ausgeleiert alle Endspielszenarien sind. Jemand kann am Ende sein und nichts davon wissen: fauler Zauber, doch von der Sorte, die jedem Anfang innewohnt. Am Ende ist, wer nie begann, der Geleimte – das gilt für Individuen, aber auch für ganze Generationen. Keiner will auf der Strecke bleiben. »Welche Strecke? Wovon reden Sie? Sehen Sie doch, uns fehlt nichts.«

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Gehörte ich zu dem einen Prozent – dem berühmten einen Prozent der Menschheit – und pochte mein Herz für den Fortschritt (so etwas soll vorkommen, es kommt vor, da in diesen Regionen die Angst nistet, von den Fortschritten der anderen überholt und abgehängt zu werden), so fühlte ich zweifellos links: nicht in jenem altbackenen Sinn, in dem Gewerkschaften den Ton angeben und Menschen die Tricks der Mächtigen fürchten. Wie dann? Nun, so einfach ist das nicht… Ich würde all diejenigen fördern, die sich benachteiligt fühlen – teils aus überbordendem Ehrgeiz, der weiß, wie und wo (und womit –) man sich im richtigen Augenblick aufstützt, teils aus Mangel an Ehrgeiz, der darauf besteht, dass man ihm eine Chance gibt und danach eine zweite und dritte: »Ach ja, die Chance, ein blöder Trick, um mich an meinem Elend schuld sein zu lassen. Durchschaut!« Diese beiden Typen, ins Reagenzglas ›Gesellschaft‹ geworfen und ordentlich verrührt, werden zuverlässig dafür sorgen, dass mir niemand zu nahe kommt – mir und meinem ›linken‹ Gewissen.

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Ich würde –? Warum ›würde? Wo alles so einfach geht, da doch mein Geld in allen Wirtschaftsunternehmen dieser Erde steckt, ist dieses ›würde‹ schon so gut wie getan. Zigtausende schreibender Speichellecker würden mein Wort um den Erdball tragen. Sie würden sich darum balgen, es in meinem Sinn auszulegen, auch wenn dieser Sinn zwangsläufig dunkel bleibt und sich vornehmlich in Bilanzen ausdrückt, die nur wenige von ihnen lesen können. Auf diese komme ich später. Jene vielen aber, die meine Stimme erreicht, sie würden… Was würden sie denn? Komische Frage. Allgegenwärtig ist nur das Wort. Wenn sie anfangen Wörter zu gebrauchen, die in ihrer eigenen Lebensumgebung keinen Sinn ergeben, aber zeigen, dass sie mit mir kommunizieren, dass sie mich kommunizieren, was immer man darunter verstehen mag, dann haben sie das Wichtigste bereits verstanden.

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Das Wichtigste – sie würden weder lesen noch hören wollen, sobald sich irgendwo eine Stimme des Einspruchs erhöbe, jene bekannte Stimme, die flüstert: Glaube ihm nicht. Sei auf der Hut und fürchte dich. Wie geht das: nicht lesen und hören wollen? Ganz einfach, es gibt da einen Muskel, genannt Tabu. Welchen Zweck auch immer er bei unseren Vorfahren erfüllte, bei uns ist er frei programmierbar. Tabus sind machbar, Frau Nachbar. Es verletzt den Anstand, dieser Stimme zu folgen. Sie verstehen mich doch. Verstehen Sie mich nicht? Warum verstehen Sie mich nicht? Haben Sie da eine klitzekleine Blockade? Hoppla, jetzt höre ich Ihnen zu. Ich habe einen Verdacht, deshalb höre ich Ihnen jetzt einmal zu. Ach – Ihre Rede stockt? Interessant. Werden Sie nicht rot, wir haben uns schon verstanden. Sie sind infiziert.

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Sie ist infiziert, die Ärmste. Sie schämt sich. Sie will das los sein, um – fast – jeden Preis. Aber das macht doch nichts. Schmähen Sie Ihren Befall. Seien Sie ehrlich, gehen Sie aus sich heraus. Sie wissen Bescheid, zeigen Sie uns, was Sie von denen wissen, die auch so ticken wie sie! Zeigen Sie, was Sie wissen. Zeigen Sie Ihren Argwohn, Ihre Verachtung, Ihren Abscheu. Sagen Sie ruhig, wohin es führt, jener klitzekleinen Stimme zu folgen, die sagt: Erkenne, was ist. Denn wahrlich, ich sage dir … neinneinnein, wir wollen nicht biblisch werden. Nicht diese Sprache. Wir wollen frei heraus sein. Was Sie da denken, ist falsch. Sie denken es auch nicht wirklich, es kommt Ihnen nur in den Sinn. Streichen Sie’s. Nein, streichen Sie’s nicht. Es ist kostbar, denn nun wissen Sie Bescheid. Sie wissen um das kleine Geheimnis der anderen. Machen Sie davon Gebrauch! Sie wissen nicht wie? Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.

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Es gibt die Menschheit und es gibt ihre Feinde. Zu welchem Haufen gehören Sie? Das ist doch klar. Zeigen Sie’s! Zeigen Sie auf die anderen und sprechen Sie laut: »Das ist der Feind!« Sie zögern? Sie finden das blöd? Wüssten Sie nicht, dass wir wissen, was in Ihrem Inneren vorgeht? Sollen wir Sie hochgehen lassen? Nein? In Ihnen geht nichts vor? Dieses Nichts, nun, wir werden es untersuchen. Ein wenig Abscheu sollte schon drin sein, finden Sie nicht? Nein, wir wollen nicht Ihre Dienste. Wir wollen Sie! Sie gehören zu uns? Beweisen Sie’s! Wie? Ganz einfach: Handeln Sie gegen Ihre Interessen! Wir freuen uns drauf.

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Gehörte ich zu dem einen Prozent, ich erinnerte mich eines alten Satzes und teilte die Menschheit: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Ich teilte sie so, dass ihre Streitsucht auf unabsehbare Zeit Beschäftigung fände, also 50 : 50. Männer und Frauen, Frauen und Männer. Nachwachsender Rohstoff, erneuerbare Energien. Sprechen wir über Sex. Ich spreche gern über Sex, das macht sexy. Es tut gut, über diese schlimme Sache zu reden, die so viel Vergnügen bereiten kann. Reden wir über Abhängigkeit. Nein, reden wir nicht über Abhängigkeit, reden wir über Sex. Die beste Weise, nicht über Abhängigkeit zu reden, besteht darin, über Sex mit Abhängigen zu reden. Es ist schön, wenn ein paar Mächtige fallen, ein paar Halb-Mächtige, um ehrlich zu sein, mich jedenfalls werdet ihr niemals in dieser Kategorie finden. Am schönsten ist es, wenn Schein-Mächtige fallen, ein Regisseur hier, ein Professor dort, ein Politiker der dritten Reihe, den der plötzliche Abgang ins Rampenlicht schleudert. Da sieht man, wie die Gesellschaft sich reinigt, um weiterzuziehen.

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Gender-Speak: Ich bin fein raus und du steckst tief drin. Werch ein Illtum.

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Wie tief muss ein Ausschnitt sein, um das letzte #MeToo plausibel wirken zu lassen? Andererseits: Schauspielerkarrieren sind lang. Wer lang gelebt hat, hat zwar nicht alles, aber eines seiner Äquivalente erlebt. Den Rest schießt die Phantasie nach, sobald irgendeine Belohnung winkt. »Das sollte ich nicht erlebt haben? Frechheit! Mein Herr, was erkühnen Sie sich!«

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Erregt euch! Innen wie außen! Ich sage nur: Sprache! Sprache geht immer. Besetzt die Sprache! Man kann jede verhunzen. Auch die eigene. Gewiss, ja. Immer wieder. Immer aufs neue! Und immer aufs alte. Man kann ihr Blessuren zufügen, die für Menschen tödlich wären. Aber Sprache lebt anders. Ihre Tätigkeit gleich der jener famosen Mikroben, die, lässt man ihnen Zeit, jeder Ölpest den Garaus bereiten, als hätte sie nie eine Meeresfauna ruiniert.

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Freuen Sie sich über Veränderung, wenn Ihnen jemand das Auto demoliert? Nein? Und die Sprache, das einzige Instrument, mit dem Sie Ihre Gedanken trennscharf ausdrücken können, ist Ihnen gleichgültig? Sicher? Das muss ein Irrtum sein. Sie glauben es nicht? Ach von der Fraktion sind Sie.

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Die Idee, dass Sprache »immer nur so (ist), wie Sprecher*innen sie verstehen, verwenden, empfinden«, lässt sich auf alle Gegenstände dieser Welt ausdehnen: Bäume, Kühlschränke, Flugzeuge, auch die berühmte Zahnpasta. Da ein gewisser Bodensatz der Bevölkerung ohnehin alles Scheiße findet, kann sich das Resultat sehen lassen. Prickelnder wird es, wenn man von den Gegenständen zu den Sachverhalten übergeht. Richtern sollte empfohlen werden, in einem Fall nicht ein Urteil zu sprechen, sondern eins für jedes Empfinden, für jeden gehörten Zeugen, für jede Gelegenheit. Das wäre fein. Konflikte lassen sich damit im Nu lösen. Auch für den Lebenspartner wäre diese Sicht verführerisch: »Heute verwende ich dich so, also bist du so. Was du morgen sein wirst, weiß ich noch nicht. Es wird mir schon kommen.«

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Mutterland ist abgebrannt. »Wir treiben im All.« Fragt sich, was.

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Apropos: Die Väter gehen von der Stange und die Mütter landen im Neutralitätsverhau.

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Fahne ist männlich. Sachlichkeit auch. Feminismus ist weiblich. Man merkt’s am Artikel.

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Das ins Visier der Hymnenputzer geratene Vaterland ist, rein semantisch, schon lange nicht mehr das biblische ›Land der Väter‹, sondern das Land, dem meine Loyalität gilt und dem ich mich seelisch verbunden fühle. ›Brüderlich‹ meint nicht, ›was die Brüder treiben‹, sondern bedeutet ›solidarisch‹ – ein Fremdwort und offenbar auch ein fremder Gedanke in einem eher schwesterlich tickenden Familienministerium. (Welche Partei führt dort gerade die Geschäfte?) Aber darum geht es nicht.

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Worum geht es dann? Nun, gerade darum. Es geht um das, worum es nicht geht, weil es zu einfach wäre, es darum gehen zu lassen. Es kommt aber drauf an, es nicht gehen zu lassen, teils, weil es zu einfach, teils, weil es zu kompliziert wäre, weil danach etwas anderes auf der Agenda stünde. Nicht auf unserer, bewahre! Wer wollte nicht, wenn es soweit sein wird, seine Agenda zusammenklappen und wieder mit ihr nach Hause gehen? Ein solcher Mensch müsste erst geboren werden. Sehen Sie, da haben wir eine Agenda.

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Wieviel Staatsschulden sind machbar, ohne dass die Bevölkerung aufbegehrt? Und wenn sie auf die Straße geht: Wie dreht man die Sache, dass der Schuldendienst trotzdem weiterläuft? Das gibt schon tiefe Einblicke in die menschliche Psyche. Zu tiefe vielleicht, wäre ich Ökonom, ich liefe schreiend davon.

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Vorschlag: Man entsorge das ›Mutterland‹ in den Orkus der unanständigen Wörter! Vielleicht ist ja auch das Wort ›Mutter‹ in ein paar Jahren tabu. Wenn’s den Sparern hilft!

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Kann weg! Das erinnert an den KW-Vermerk im Stellenplan der Behörden. Man verändert die Einstellungsvoraussetzungen für Wörter, schwupp! sind sie draußen und drücken sich die Nasen an den Fensterscheiben platt.

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*Muttersprache*. Muss auch weg.

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Der in nassen Windeln träumt. »Bitte weck mich nicht auf! Ich bin Schriftsteller.«

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Die Freiheit, sich maßregeln zu lassen, muss wohl grenzenlos sein, damit ein deutscher Schriftsteller der A-Klasse sich wohlzufühlen beginnt. Zum Beispiel fühlt man sich unbehaglich, lässt der Verlag es an Einweisung fehlen. Trifft der Tadel den anderen, trifft es jeden, trifft es einen selbst auch: nicht als Tadel, sondern als Schlag ins Gesicht: Das hättest du sagen können! Du hast es nicht, dem Reigen der verpassten Gelegenheiten sei Dank, deiner inerten Langsamkeit, deiner Vorsicht … doch es bleibt ein Versagen. Bist du ein Versager? Aber nein! Also hast du es gesagt, irgendwo tief in deinem Unterbewusstsein, und jetzt ist es heraus.

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Hat er ›Meinungskorridor‹ gesagt? Der Herr hat wohl den roten Teppich gemeint? Davon kann man abkommen, aber gewiss.

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Solidarität mit denen, die keinen gelten lassen, es sei denn, sie sind von ihm abhängig: Das nennt man einen Zuschussbetrieb.

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Die ›gute‹ Literatur ist, wie man weiß, ein Zuschussbetrieb. Die Journalisten schießen die Gesinnung zu und die Verlage spendieren das Taschengeld. Es geht mit ihr wie mit der guten Butter: Stellt man sie kalt, wird sie steif, lässt man sie auf dem Tisch, wird sie ranzig. Am einfachsten drückt man sie unter Wasser: das hält sie geschmeidig. So ähnlich muss der Suhrkamp-Verlag gedacht haben, als er sich seinen Erfolgsautor öffentlich vorknöpfte.

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Mit der guten Literatur ist das so eine Sache. Ihre Haltbarkeit ist begrenzt, man sieht es am Aufdruck. Irgendwann speist sie die Armen im Geiste, alle wissen es und schielen misstrauisch auf das Haltbarkeitsdatum.

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Jedes halbwegs prominente Wort wird irgendwann sinnfrei gestellt. Das ist der Augenblick seiner größten Verbreitung: kein Hohlkopf, von dem es nicht augenblicklich Besitz ergreift. Nur so ist zu erklären, dass er es bei jeder Gelegenheit loswerden will. Manche Wörter werden eigens für diese Art Prominenz erfunden: ›Verschwörungstheorie‹, ›Fake News‹, ›rechtspopulistisch‹, ›linksgrünversifft‹, ›Gutmensch‹, ›Wutbürger‹.

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Ein Hohlkopf versteht, was er verstehen will; je stärker der Wille, desto lebhafter das Verständnis.

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Im einen Land ist Willfährigkeit die Steigerung von Willensstärke, im anderen die Freiheit, sich Gehör zu verschaffen. Zusammengelegt sind sie unschlagbar.

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Gesinnungsdiktaturen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Welches roh, welches gekocht ist, erfährt man zuverlässig, sobald sie zerbrechen. Dass die abgekochtesten auch die rohesten sein können, bezeugt die Bandbreite der erlaubten Äußerungen. An ihnen ist alles Verbot, gerade darin besteht ihr Alleinstellungsmerkmal: Man kann es sagen. »Dann sagen Sie’s! So schwer kann das doch nicht sein.«

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Denken heißt widersprechen. Pech für alle: widersprechen heißt nicht denken. Es heißt nicht einmal … widersprechen.

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Kusch! sagt der Spazierstock zur Feldmaus, die längst ausgerottet wurde: Erscheine, um zu verschwinden.



Aufnahme:
Marabu, von Charlesjsharp [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

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