...neulich im Einstein
las ich von einer Sprachregelung, derzufolge man sich (parteipolitisch) geeinigt hätte, künftig von der DDR selig als von der zweiten Diktatur zu sprechen. Sofort zählte ich nach: stimmt! Auf den ersten Blick jedenfalls.
– Dass sie nun als Zweite eingestuft ist, passt augenfällig zu ihrem Schicksal. Sie war nirgends irgendwie Erste, immer bloß zweiter Sieger (zweite hinter den Sowjets, zweite Wahl für Millionen ihrer Bürger, alles in ihr war zweitrangig).
Aber warum zweite? Sollte man nicht besser – auf die performative Funktion von Sprache vertrauend – von der letzten Diktatur in Deutschland sprechen? Das Letzte kann man ja moralisch oder temporal verstehen. Das Dritte Reich war sicher vom sittlichen Standpunkt unbestreitbar das Letzte. Es als erste Diktatur vor die zweite zu platzieren, ist historisch trivial. Aber die Zweite wird unwillkürlich vom Strahlenkranz des Siegers erhellt. Könnte sie vielleicht auch mal Erste werden? Wenn sie gegen das episodische ›dreckige Dutzend‹ ihre stolzen vierzig Jahre aufbietet … Sie also temporal als Letzte zu bannen, wäre geschichtspädagogisch vorteilhaft, oder?
Die Polen haben es besser: sie zählen nur ihre demokratischen Republiken – nach der ersten (der Adelsrepublik, bis 1772) und zweiten (1918-1939) leben sie selbstbewusst in der dritten (seit 1989). – Wir Deutsche kämen, so gezählt, nur auf die zweite. Nun ist diese Numerierung also besetzt, schade.
Aber – einmal beim Zählen – was ist mit den anderen nichtdemokratischen, nichtparlamentarischen Herrschaftsformen in unserer Geschichte seit den Ottonen? Erhalten sie keine Ordnungszahl? – Ein Liechtensteiner Blaues Blut hat uns neulich, mit großem historischem Atem und kleinem arithmetischem Verstand als ein Viertes Reich identifizieren wollen.
Das Pathogene dieser Zählerei ist allerdings schon ein deutsches Syndrom: in Nietzsches jüngst zugänglich gemachten Arbeitsheften seiner letzten Jahre liest man: »...wir leben im Zeitalter der Vergleichung, wir können nachrechnen, wie nie nachgerechnet worden ist: wir sind das Selbstbewusstsein der Historie überhaupt.« – Was zu befürchten ist.
Steffen Dietzsch