… neulich vor dem – immer noch verschlossenen – Einstein
war ich verblüfft über die Wahrnehmung des regierungsamtlichen ›Ostbeauftragten‹ (nein, nicht der für die Region ›Ober-Ost‹ seelig– um Kaunas herum – zuständige), der zufolge ›wir Ostler‹ aus langjähriger Kohabitation mit der Diktatur – manche von uns bringen es dabei auf biblische siebzig Jahre – die Rechtsradikalen ins Parlament wählen würden …
Die analytische Unbedarftheit dieser Vermutung überraschte viele. Wer ist denn 1989/1990 aus jener Diktatur herausgetreten, wer hat denn – von Albanien bis Estland – diese Diktatur bis in ihre materiellen, geistigen und kulturellen Gründe hinein zerstört? Überall doch die vielen ›diktatursozialisierten‹ Betroffenen selber! Damals war man sich in (Ost)Deutschland mit den übrigen osteuropäischen ›Diktatursozialisierten‹ einig, was das Ende der kommunistischen Diktaturen herbeigeführt hat: ein alle verbindender antikommunistischer Grundkonsens. Nie wieder sollte uns ein ›antifaschistischer Schutzwall‹ (ob aus Ziegeln oder Rechtsvorschriften) vom Rest der Welt isolieren, nie wieder wollten wir unter Zensurbedingungen lernen müssen, fortan sollte bedingungslose Meinungs-, Lehr- und Gedankenfreiheit unseren Umgang mit anderen und uns selber bestimmen. Uns konnte niemand mehr als zu einem politischen Amt bestimmt imponieren, der das ›wegen Auschwitz‹ anstrebte; wir hatten mit vielen politischen Leuten zu tun, die das ›von Ausschwitz‹ nicht bloß gehört hatten, sondern selber jahrelang dort leiden mussten. Und die dann – aus Gründen ihrer Menschenliebe – ihre neuen Staaten in Käfige der Hörigkeit verwandelten. Die unsere lebendige Neugier und unseren kulturellen Eigensinn mit dem – beliebigen – Vorwurf da gehst du dem Kapitalismus(=Faschismus) auf den Leim disziplinieren wollten. Das eben war – im Staatsmodus – gelebte ›Antifa‹-in-Aktion.
Aber: Wir ›Diktatursozialisierten‹ nehmen – aus langer Erfahrung – politische und kulturelle Klimaveränderungen sofort wahr. Wir bemerken das ›noch-nicht-Ausgesprochene‹ hinter dem vehement forcierten Sprach- und Sprechwandel. Wir haben noch einen Sinn für ›Doppelstandards‹ bei demokratischen Praktiken (die einen dürfen koalieren, die anderen niemals mit niemanden). Wir sind erschrocken vom marktkritischen Politik- und Wertewandel im parlamentarischen Alltag, vom Zuschnitt der Geschichte auf Positionen der Gegenwart mit den Losungen der Vergangenheit. Die (deutsche) Parteien-Demokratie, zumal der letzten fünfzehn Jahre, scheint keine stabile Form mehr, um unterschiedliche Kompetenzen Widersprüche und Probleme zu handhaben, sondern versteht sich – koalitionsverlebt – selber als bloß die ›linke Seite‹ des Parlaments. – Ja, und so wählen viele eben ›rechte‹ Parteien, nicht weil sie rechtsradikal wären (oder sind), sondern weil alle anderen den europäischen antikommunistischen Grundkonsens (seit 1989/90) aufgegeben haben. Wer nicht vom Antikommunismus reden will, der soll vom Mauerfall in Europa schweigen.