Hans von Storch: Zur Sache Klima. Aufnahme: ©J.Xu Aufnahme: ©J.Xu

Die Absicht dieser Kolumne geht dahin, ruhiger, als es in der Publizistik gemeinhin geschieht, die Hintergründe von Aufregerthemen in Sachen Klimawandel und Klimaschutz zu erläutern, manchmal auch einfach Grundlagen zu erklären. – Hans von Storch, geb. 1949, ist Professor am Meteorologischen Institut der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN), Zweitmitglied an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (WiSo) der Universität Hamburg sowie Direktor emeritus des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz Forschungszentrum Geesthacht. Er ist Spezialist für Fragen der Klimamodellierung und hat in verschiedenen Arbeitsgruppen des IPCC mitgearbeitet. Zusammen mit Werner Krauß schrieb er das Buch Die Klimafalle: die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung (2013).

 

Gastbeitrag von Stephan Schleissing

»Die Apokalypse lähmt«, stellte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ende 2019 in einem Interview mit dem Tagesspiegel fest. Das war direkt gegen das Verständnis von ›Zukunft‹ bei Fridays for Future gerichtet:

»Wir kommen nicht weiter, wenn wir jede Woche apokalyptische Bedrohungen beschreiben, die kaum zu bewältigen scheinen. […] Und – absichtlich oder nicht – dadurch werden die Möglichkeiten der Demokratie immer kleiner geredet.«

Macht uns der apokalyptische Ton, der die Klimadebatte prägt, am Ende politisch hilflos? Kapitulieren wir gar vor einer Zukunft, von der wir doch hoffen, dass wir sie gestalten können?

Den Eindruck kann man gegenwärtig gewinnen, wenn man die hitzigen Diskussionen um die Zukunft des Klimas verfolgt. Hier reimt sich Apokalyptik ausschließlich auf Katastrophe. Und weil sich selbst in den Wissenschaften die Stimmen mehren, die einen Anstieg der globalen Erderwärmung für unvermeidbar halten, mutiert die Klimadebatte zu einem Krisendiskurs, der geradewegs auf den Untergang des Planeten zusteuert. Aber – und das ist paradox: Dieses vermeintliche ›Wissen‹ um die Zukunft der Erde ›lähmt‹ tatsächlich. Denn eine Zukunft, die keine Zuversicht mehr kennt, motiviert auch nicht mehr zum Handeln. Wo keine Alternativen mehr denkbar sind, fehlt der Möglichkeitsraum, den Bürger brauchen, um davon überzeugt zu sein, dass gute Politik etwas verändern kann. Das Paradox hat der französische Philosoph Jean-Piere Dupuy in seinem Essay »Pour un catastrophisme éclaire« prägnant beschrieben:

»Angenommen, wir sind sicher oder fast sicher, dass die Katastrophe vor uns liegt […]. Das Problem ist, dass wir das nicht glauben. Wir glauben nicht, was wir wissen. Was unsere Vorsichtigkeit herausfordert, ist nicht der Mangel an Wissen darüber, wie die Katastrophe in der Zukunft wirksam werden wird, sondern die Tatsache, dass diese Wirksamkeit nicht glaubwürdig ist. […] Alles weist darauf hin, dass wir unsere gegenwärtige Entwicklung nicht endlos werden ausdehnen können, weder räumlich noch zeitlich. Aber all das in Frage zu stellen, was wir mit dem Fortschritt in Verbindung zu bringen gelernt haben, hätte so phänomenale Folgen, dass wir das nicht glauben, von dem wir doch wissen, dass es der Fall ist. Es gibt hier keine Unsicherheit, oder jedenfalls nur sehr wenig. Unsicherheit ist bestenfalls ein Alibi. Aber sie ist kein Hindernis, ganz sicher nicht.« (2)

Dupuys Plädoyer für einen ›aufgeklärten Katastrophismus‹ fordert, dass wir das, was wir wissen, auch glauben müssen, um daraus Konsequenzen ziehen zu können. Für ihn ist das eine Frage der Metaphysik. Aber man kann sich dem Problem auch anders nähern: Was müssen wir denn glauben, wenn wir die mögliche Katastrophe denken wollen, ohne sie gleich wieder verdrängen zu müssen? Das ist sowohl eine theologische als auch eine historische Frage an das Verständnis von ›Zukunft‹. Denn auch die Zukunft hat ja eine Geschichte. Und unser modernes Verständnis einer Zukunft, die wir als ›offen‹ vorstellen, hat in der Tat entscheidende Impulse aus der Tradition jüdisch-christlicher Apokalyptik erfahren. Nur reimte sich damals Apokalyptik eben nicht ausschließlich auf Katastrophe. Vielmehr zeigt die Geschichte apokalyptischen Denkens eine enge Verwobenheit mit demjenigen modernen Zukunftsbegriff, der uns heute dazu bringt, dass wir nicht nur der Demokratie, sondern auch den Wissenschaften zutrauen, dass wir tatsächlich eine Zukunft vor uns haben. Wie müsste so eine ›aufgeklärte Apokalyptik‹ also aussehen?

Die Apokalyptik als Sichtbarmachung von Krisen

›Apokalyptik‹ ist ein Kunstwort. Es entstammt nicht der antiken Terminologie, sondern taucht erstmals im 19. Jahrhundert bei dem evangelischen Theologen Gottfried Christian Friedrich Lücke in seiner Einleitung zum Kommentar der Johannesoffenbarung auf. Der erste Vers dieses letzten Buches des Neuen Testaments beginnt mit den Worten:

»Dies ist die Offenbarung – ἀποκάλυψις – Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, um seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie gedeutet und gesandt durch seinen Engel zu seinem Knecht Johannes.« (Off 1,1)

Dabei bedeutet ›Apokalypse‹ an keiner Stelle ein endgültiges und alles vernichtendes globales Unglück oder gar der drohende Untergang einer Zivilisation.

Richtig ist: Die Apokalyptik ist ein Krisenphänomen, denn sie stellte von Anfang an eine religiöse Reaktion auf gesellschaftliche und politische Umbrüche dar. Als wichtigste Quelle diente die religiöse Literatur des antiken Judentums, wie sie sich seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. entwickelte. Ihr Inhalt war eine nur den Eingeweihten zugängliche Offenbarung eines göttlichen Heilsplanes. In dieser apokalyptischen Literatur offenbaren sich Verzweiflung, Rachefantasien, Sehnsüchte und Ängste ihrer Autoren und Adressaten. Als ihre wichtigsten Themen begegnen die Frage nach dem Weltgericht, die Hoffnung auf zukünftige Erlösung, aber auch ganz konkret die Wiederherstellung nationaler Herrschaft.

Apokalyptik ist an der Deutung der Weltgeschichte interessiert, die als eine lineare Geschehensabfolge verstanden wird. Dabei erfährt ihr Verlauf eine deutliche Periodisierung. Sie hat einen Anfang und ein Ende. Dazwischen reihen sich die verschiedenen Äonen – ›Weltzeitalter‹ –, in denen ein zunehmender Ordnungsverlust stattfindet. Aber: Die Vorstellung von endzeitlichen Plagen und Drangsalen und vom katastrophalen Zusammenbruch dieser Welt ist kein finales Geschehen, sondern nur ein Durchgangsstadium. Der Neutestamentler Michael Tilly hat die Stufen dieses Prozesses mit dem Dreischritt ›Krise – Katharsis – Heil‹ beschrieben:

»Seine Pragmatik besteht in der Provokation einer persönlichen Glaubensentscheidung gegen den Augenschein der Realität und zugleich in der Überwindung der bisherigen Weltangst durch eine neue Deutung des Daseins, das die Erwartung des Weltendes nunmehr in eine umfassende Hoffnungsbotschaft integriert.‹ (3)

Während nun die jüdische Apokalyptik diese Heilszeit erst für das Jenseits ansagt, änderte sich dies mit dem Auftreten des Jesus von Nazareth. Zwar ist das Neue Testament in hohem Maße von der apokalyptischen Denkweise der Tradition bestimmt. Allerdings ist für das Auftreten Jesu charakteristisch, dass er den Beginn der Heilszeit eng an die Gegenwart seiner Person bindet. So heißt es im Markusevangelium: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.« (Mk 1,15) Dabei wurde Jesu Auferweckung von den Toten für die Jünger zum Erkenntnisgrund, dass dieser Heilsanbruch zu Lebzeiten Jesu nicht eine vorübergehende Erfahrung war, sondern dass Gottes Heilshandeln weitergeht. Gegenüber der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition war dies etwas Neues: Das endgültige Heil bricht nicht erst am Ende der Zeit an, sondern bereits mitten in der bestehenden Welt.

In der frühen Christenheit war man allerdings im festen Glauben, dass mit der Wiederkunft des auferstandenen Jesus Christus sehr bald zu rechnen ist. Sehr bald – das hieß z.B. für den jungen Apostel Paulus: noch während seiner eigenen Lebenszeit. Und diese Naherwartung war unter anderem dafür verantwortlich, dass in vielen biblischen Erzählungen der Ton ganz auf eine radikale Änderung des Lebens gelegt wurde. Eine ›Interimsethik‹ nennt man das in der neutestamentlichen Theologie, eine Ethik nur für eine kurze, krisenhafte Zwischenzeit. Wachsamkeit und die Bereitschaft zu schnellem Handeln standen an oberster Stelle dieser Lebensführung für die Zwischenzeit. Denn es galt die Mahnung des Paulus zu beachten: »Ihr wisst alle genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.«(1 Thess 5,2).

Aber die Parusie, die endzeitliche Wiederkunft des Herrn, fand nicht statt und die Erwartung einer Heilszeit, die die gegenwärtig erlebten Krisen transzendiert, rückte wieder ans Ende der Geschichte. Eigentlich erstaunlich, dass mit dem Ausbleiben der Parusie der Glaube an Jesus Christus nicht verschwand. Offensichtlich hatte sich das Bewusstsein für die Bedeutung von Zeit als Heilszeit verändert: Auch wenn – auf den ersten Blick – die Geschichte weiterging, so wie sie eben weitergeht, hielt dies die Anhänger nicht davon ab, an die Gegenwart des erhöhten Christus und die reale Kraft seines Geistes zu glauben.

Das Denken in apokalyptischen Kategorien ist für das gesamte Christentum von entscheidender Bedeutung geblieben. Der Mittelalterhistoriker Johannes Fried hat – wie ich finde sehr zurecht – die Apokalyptik als ›westliche Sinnformation‹ bezeichnet. Und das hängt damit zusammen, dass die Apokalypse nicht nur als Endzeit verstanden worden ist, sondern zugleich als Anfang einer neuen Zeit: »Siehe, ich mache alles neu!« heißt es am Ende der Johannesapokalypse. Das heraneilende Ende war immer zugleich auch Anfang einer neuen Zeit. Eben: der Neuzeit. Das hat Fried in seinem Buch Aufstieg aus dem Untergang insbesondere an der Entstehung der modernen Naturwissenschaften in der frühen Neuzeit herausgearbeitet. (4) Nicht nur die politische Ordnung, auch die Entstehung der modernen Naturwissenschaften ist eng verbunden mit der Präsenz apokalyptischen Denkens. Der Schlüssel dazu ist das mittelalterliche Verständnis der Natur als Schöpfung Gottes: Die Natur ist durch Gott geschaffen und wird in ihrem Lauf von ihm bewahrt. Durch sie handelt Gott am Menschen und gibt sich ihnen durch natürliche Zeichen zu verstehen. Was heißt das nun im Hinblick auf die Ankunft eines Weltendes? Bis in die frühe Neuzeit hinein wurden die Menschen regelmäßig von apokalyptischen Wellen erfasst, man möchte fast sagen: überschwemmt. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Katastrophen bloß natürlich, Kriege bloß politisch oder Krankheiten bloß medizinisch zu erklären seien. Wenn die Natur, aber auch ihre Geschichte, Gottes Schöpfung ist, dann mussten all diese Ereignisse als Zeichen aufzufassen sein, mit denen Gott sich im Weltlauf den Menschen mitteilt. Die Stimmung dieser Zeit fasst Fried folgendermaßen zusammen:

»Der Untergang, der stets zu kommen schien und nie tatsächlich kam, das von Gott verheißene Ende, artikulierte und inszenierte sich als fortwirkende eschatologische Erfahrungsbereitschaft, als Omnipräsenz apokalyptischer Deutungsmuster, als ein nie gestilltes letztzeitliches Deutungsbedürfnis.« (5)

Krisen verlangen nach Deutung, nach dem Erkennen der Zeichen, die Gott dem Menschen schickt. Das war – und ist – ein willkommener Nährboden für Propheten, die seit jeher als Experten zur geschichtlichen Einordnung des Weltenlaufs angesehen wurden. Aber die Prophezeiungen waren zumeist widersprüchlich und steigerten so eher das Gefühl lebensbedrohlicher Unsicherheit. In dieser Situation avancierte die Zeichenprüfung darum zur Königsdisziplin. Forschung tat not. Präzise Beobachtung der Sterne, methodisch betriebene Vermessung der Welt. Eine bloß theologische Deutung geriet in der frühen Neuzeit immer mehr unter Legitimationsdruck. Als Geschichtsdeutung war sie manchem zu spekulativ. Ganz anders die neuen Wissenschaften wie die Astronomie, aber auch die Kalenderberechnung, die physikalischen und mathematischen Wissenschaften.

Es ist faszinierend zu lesen, wie z.B. Isaak Newton, der die Enthüllung des Antichristen im Papsttum vermutete, mit Methode und Akribie an seiner Gravitationslehre arbeitete, in der sich die kosmische Harmonie offenbarte. Und selbst Francis Bacon, der Natur nicht mehr als beseeltes Leben, sondern aus seiner Funktionalität für menschliche Zwecke verstand, ordnete seine ›Neue Wissenschaft‹ (Novum Organum) in ein heilsgeschichtliches Konzept ein: Naturerkenntnis als Naturbeherrschung zum Nutzen des Menschen, das war durchaus nicht nur ein pragmatisches Programm, sondern zugleich eine apokalyptische Verheißung. Ihre Botschaft aber war nicht einfach nur Untergang, sondern Neuanfang – und damit begann das Zeitalter der Utopien, in dem nun Technik und Naturwissenschaften als Heilszeichen für eine bessere Welt fungierten. Ja, das ist typisch westlich, inspiriert von der jüdisch-christlichen Apokalyptik, ohne die die vielen neuen Aufbrüche in der Neuzeit nicht zu verstehen sind. Warum ist das so? Wie konnte eine Endzeitvision, in der das Zerstörerische so breiten Raum einnahm, zur sinngebenden Metapher für den Neuanfang in der Moderne werden?

Die Entdeckung der ›offenen Zukunft‹ und die Angst vor der Katastrophe

Viel wäre noch zu sagen über das Verwobensein von apokalyptischem Denken und z.B. dem humanitären Ideal der Wissenschaftsneugier, das nicht zuletzt unserem heutigen Verständnis der Wissenschaftsfreiheit zugrunde liegt. Worauf es mit hier ankommt, ist hoffentlich deutlich geworden: Für die westliche Moderne ist das Denken in apokalyptischen Kategorien stilbildend gewesen. An den revolutionären Aufbrüchen in Politik, Wissenschaft aber auch Medizin und Technik kann man zugleich sehen, dass – zumindest im westlichen Denken – aus der Endzeit durchaus auch Neuzeit werden kann. Apokalyptik ist nicht auf Pessimismus zu reduzieren. Aus ihr können auch Utopien und aufklärerisches Fortschrittsdenken erwachsen. Und eine Folge dieser durchaus konstruktiven Spielart apokalyptischen Denkens ist eine veränderte Einstellung zum Verständnis von Zukunft.

Seit der Aufklärungszeit wird sie nicht mehr im theologischen Geschichtsbild vorgestellt als im Grunde geschlossene Zukunft, weil der göttliche Heilsplan zeitübergreifend ist. Zukunft wird nun als ›offen‹ gedacht und geglaubt, als eine Qualität von Zeit, in der das Handeln der Menschen einen Unterschied macht und eben nicht vorherbestimmt ist. Diese Veränderung dokumentiert sich auch in einem neuen »Begriff von Zukunft«, den der Neuzeithistoriker Lucian Hölscher herausgearbeitet hat. (6) Der lateinische Vorläuferbegriff futurum bezeichnete nämlich noch keinen zukünftigen Zeitraum, sondern nur ein zukünftiges Ereignis. Nämlich die ›Ankunft‹, den Advent Gottes am Ende der Zeit. Parallel dazu konnte seit der Aufklärung aber auch noch in einer anderen Weise von der ›Zukunft‹ gesprochen werden, die nicht mehr vom Ende hergedacht wurde, sondern in der das Zukünftige als Folge der Geschehnisse in Vergangenheit und Gegenwart verstanden wurde. Das war natürlich eine Reaktion auf die Erfahrung, dass nicht ein Gott die Geschichte lenkte, sondern die Taten der Menschen das hervorbringen, was man seit der Aufklärung mit dem geschichtsphilosophischen Topos ›Fortschritt‹ bezeichnete. (7) Weil die Zukunft ›offen‹ ist, bleibt es trotz aller gegenwärtiger Krisenerfahrung erwartbar, dass die Menschen mit Hilfe von Vernunft und Wissenschaft, Planung und Vorsorge ›Krisen in Chancen verwandeln‹, wie man heute gerne sagt. Seitdem ist die Zukunft nicht nur ein Ereignis, das auf uns ›zukommt‹, sondern zugleich Konsequenz vergangener Ereignisse. Dieses neue Denken war nur innerhalb eines Geschichtsbildes möglich, das als periodische Abfolge gedacht wurde, wie es die jüdisch-christliche Apokalyptik seit jeher getan hat. Das, was wir heute das moderne Verständnis von Geschichte und Zukunft nennen, ist aus diesem apokalyptischen Geschichtsbild heraus entstanden. Und bleibt auch mit ihm verbunden.

Allerdings oft in einer tragischen Weise ›verbunden‹, denn was wir gegenwärtig in den Diskussionen um die Zukunft des Klimas erleben, ist eigentlich eine vormoderne Regression des Verständnisses von ›Zukunft‹. Diese Zukunft ist ja im Grunde nicht mehr ›offen‹, denn sie führt nur noch in die Katastrophe. Das kann natürlich passieren, wenn Apokalypse und Katastrophe unvermittelt ineins gesetzt werden. Erinnert sei an das Statement von Dupuy: »Angenommen, wir sind sicher oder fast sicher, dass die Katastrophe vor uns liegt […]. Das Problem ist, dass wir das nicht glauben. Wir glauben nicht, was wir wissen.«

Doch – so meine Frage: Sollten wir das: dem Wissen glauben? Die Formulierung ist zumindest für einen Theologen missverständlich. Denn die Aufgabe der Theologie besteht ja gerade in der Frage, wie beides zu unterscheiden ist, ohne dass man es voneinander trennen könnte. Am Beispiel des apokalyptischen Denkens kann man studieren, wie das, was wir heute Wissen und Wissenschaft nennen, aus einer Erwartungshaltung heraus entstanden ist, die man präzise als Glaubenserwartung – oder eben: Hoffnung auf eine offene und gestaltbare Zukunft – bezeichnen kann. In der Formierungsphase des modernen, wissenschaftlichen Denkens haben Wissen und Glaube sehr wohl zusammengehört. Trotz aller Krisen konnte man deshalb auch noch an die ›offene Zukunft‹ glauben. Nur zwei Konsequenzen daraus sollen abschließend kurz erwähnt werden: Einmal verband sich mit dem zunehmend technisch verstandenen Fortschritt die Erwartung einer ›Besserung des Lebens‹ und das trat ja auch an vielen Stellen genauso ein. Zum anderen bestand aber auch die Herausforderung, diese Erwartung an Technik und Naturwissenschaft nun nicht selbst als ›Fortschrittsglauben‹ zu entwerfen. Denn dann verkehrt sich die Zukunft in ein bloß technisches Projekt. Diese zweite Konsequenz macht uns noch heute zu schaffen: Die Verkehrung einer offenen Zukunft in einen Fortschrittsglauben.

Meine These lautet: Wenn es um die Zukunft geht, dann kann man die unterschiedlichen Einstellungen zur Welt, wie sie in den Orientierungsweisen von Wissen, Glauben und (technischem) Handeln zum Ausdruck kommen, nicht strikt voneinander trennen. ›Zukunftswissen‹ ist keine Angelegenheit nur für die Wissenschaften. Will man Menschen dazu bewegen, dieser Zukunft auch Vertrauen entgegenzubringen, dann bleibt man auf Geschichten angewiesen, die die Vorstellung eröffnen, dass zwar vieles – auch Katastrophales – geschehen kann, gleichwohl aber ein Möglichkeitsraum denkbar ist, in dem sich etwas ereignet, was zuvor nicht schon festgelegt wäre.

Wissen, Glauben und Handeln sind im Blick auf die Zukunft nicht strikt voneinander zu trennen, aber man muss diese unterschiedlichen Orientierungen auch sehr genau unterscheiden. Die moderne Theologie der Geschichte hat diese Herausforderung längst angenommen. Es geht um eine Unterscheidung, wie sie z.B. der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer zwischen den ›letzten‹ und den ›vorletzten‹ Dingen vorgenommen hat. (8) Auf den ersten Blick scheint es hier um eine temporale Differenz zu gehen, tatsächlich beschreibt die Rede vom ›Letzten‹ und ›Vorletzten‹ zwei unterschiedliche Wirklichkeiten des geschichtlichen Lebens, die sich aus der Perspektive des Glaubens erschließen. Das ›Letzte‹ ist – theologisch gesprochen – diejenige Dimension, in der für die Gemeinde die Gegenwart Jesu Christi wirklich wird. Dieses ›Letzte‹ ist eine existenzielle Wirklichkeit: Hier erlebt der Einzelne nicht mehr ein verlorenes, sondern ein gerechtfertigtes Leben. Das ›Vorletzte‹ beschreibt eine andere Wirklichkeit: Hier wird gelebt, gehandelt, natürlich auch geglaubt, aber in der Perspektive des endlichen, unvollkommenen Lebens. Und hier ist auch der Ort, wo der Mensch sich als einer erfährt, der sowohl zur Schuld als auch zur Verantwortung fähig ist. Man kann es auch so sagen: Bonhoeffers Unterscheidung zwischen dem ›Letzten‹ und dem ›Vorletzten‹ ist der Versuch, zwischen der Verantwortung, die Menschen haben, und der Hoffnung auf die Bewahrung in der Krise anderseits zu unterscheiden.

Eine solche Theologie findet ihre Konkretion in einer Ethik, die ihre eigenen Grenzen kennt und gerade deshalb in der Lage ist, mit Argumenten für das Pro und Contra bestimmter technischer Optionen der Zukunftsgestaltung zu streiten. Anders gesagt: Wir können den Planeten nicht ›retten‹. Eine solche Aufgabenbeschreibung befördert zwangsläufig eine Ethik des Ausnahmezustands, in dem es – nach Carl Schmitt – nur noch um Freund oder Feind geht. Hier entscheiden ausschließlich Werte über das ›richtig‹ oder ›falsch‹. Eine solche Ethik unterschlägt aber, dass es bei der Klimapolitik immer auch um bestimmte Interessen geht. Wie sollte es in der Politik auch anders sein. Wo Klimapolitik jedoch zur Werte- oder Glaubensfrage stilisiert wird, da wird unterstellt, dass es wahre und falsche Interessen gibt. Eigentlich gibt es aber nur gut oder schlecht begründete Interessen. Darüber muss man – wie gesagt – mit Argumenten streiten. Ich kann nicht sehen, wie das Anliegen, ›den Planeten retten zu müssen‹ dabei behilflich sein könnte. Dazu nochmal ein Gedanke von Dietrich Bonhoeffer, der schreibt: »Das Vorletzte muss um des Letzten willen gewahrt werden.« Theologisch gesprochen heißt das: Wer glaubt, in der Wirklichkeit Christi zu leben, der achtet gerade die klugen, aber oft unvollständigen Antworten auf die großen Fragen, der begibt sich auf einen Weg, auch wenn er nicht weiß, ob das Ziel erreicht werden kann. Aus meiner Sicht gehört dazu auch die Fähigkeit zum Kompromiss in klimapolitischen Fragen. Dieser ist dann keine Kapitulation vor den Herausforderung des Klimaschutzes, wenn er von der Bejahung einer Wirklichkeit getragen ist, die sowohl die Möglichkeiten des Scheiterns als auch des Bessermachens in sich trägt.

Nachweise
(1) Vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/lob-und-tadel-fuer-fridays-for-future-steinmeier-warnt-vor-schlechtreden-der-demokratie/25202722.html
(2) Jean-Pierre Dupuy, Pour un catastrophisme éclaire. Quand l‘impossible est certain, Paris: Seul 2002, 141f und 144f, zitiert bei Eva Horn, Zukunft als Katastrophe, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2014, 385f.
(3) Michael Tilly: Kurze Geschichte der Apokalyptik, in: APuZ 51-52/2012, 18. Vgl. auch ders, Apokalyptik (utb Profile, Band 3651), Tübingen: Narr Francke attempo 2012.
(4) Johannes Fried: Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München: C.H. Beck 2001; vgl. auch ders., Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs, München: C.H. Beck 2016.
(5) Ders., Aufstieg aus dem Untergang, 18.
(6) Lucian Hölscher: Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt a.M.: Fischer 1999; vgl. den kurzen Artikel „Zukunft“ von Lucian Hölscher in: Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart: Reclam 2002, 342-345.
(7) Stephan Schleissing: Das Maß des Fortschritts. Zum Verhältnis von Ethik und Geschichtsphilosophie in theologischer Perspektive, (Edition Ethik Bd. 1), Göttingen: Edition Ruprecht 2008.
(8) Vgl. Dietrich Bonhoeffer: Ethik, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2. Aufl. 1998, 137ff.

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