von Markus C. Kerber

Wer einen authentischen Eindruck davon erhalten möchte, welch einzigartigen Einsatz der öffentliche Rundfunk leistet, um das Mainstream-Denken auch den breitesten Schichten unseres Volkes nahezubringen, der ist angehalten, den Morgensendungen des Deutschlandfunks zu lauschen. Bereits die Auswahl der Gesprächspartner spricht für sich. Zu Wort kommen vornehmlich Vertreter der Parteien. So erhält das politische Establishment eine Gratis-Plattform, um – unabhängig von der Qualität seiner Aussagen und der Repräsentativität seiner Meinungen – der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes Impulse zu verleihen. Die O-Töne, die die Mandatsträger der Republik auf dieser Frequenz produzieren, werden zuverlässig bei allen folgenden Nachrichtensendungen wiederholt. Schließlich bezahlt der Hörer dafür, dass ihm die Parteipolitiker ihren Diskurs wie auf einer Schallplatte ganztägig nahebringen. Damit es auch sitzt!

Der forscheste Moderator des Zeitgeistes im Deutschlandfunk ist gewiss Tobias Armbruster. Wenn die Gesprächspartner nicht das antworten, was er mit seiner Frage aus ihnen herauszukitzeln versucht, dann fragt er so lange nach, bis sie sagen, was er hören will. So geschehen am 5.8.2020 bei der FDP-Obfrau im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Obschon es auch andere Themen gibt, meinte Frau Britta Dassler, besagte Obfrau, dem Publikum ihre Einsichten zur Zukunft des Fußballs in der Corona-Krise vermitteln zu müssen. Dem Deutschlandfunk scheint die formale Funktion von Frau Dassler Grund genug gewesen zu sein, ihr darin zu willfahren.

Dass sich Frau Dassler und mit ihr viele andere Volksvertreter als Teil des Deutschen Volkes fühlen, konnte man ihren Ausführungen, zu denen Tobias Armbruster zielführende Stichwörter lieferte, schnell entnehmen. Die Politik, so MdB Dassler, könne es sich trotz einer zweiten Corona-Welle nicht erlauben, den Fußball auf eine weitere Durststrecke zu schicken. Fußball (und die Veranstaltungsunternehmer hinter dieser Sportart) sei schließlich nicht irgendetwas. Vielmehr sei Fussball »das Lagerfeuer der Nation« (Originalton Britta Dassler).

Nach gesundheitspolitischen Erwägungen, sprich Auswirkungen von Fußball-Massenveranstaltungen – in der Vergangenheit dafür ausschlaggebend, Zuschauern den Stadionbesuch zu untersagen – meinte der Moderator Armbruster gar nicht fragen zu müssen. Das Volk sollte zu Wort kommen und mit ihm seine volksnahe Vertreterin, MdB Dassler.

Da tut es nicht Wunder, wenn der ebenso volksnahe Ministerpräsident von NRW dem FC Schalke 04 eine 35 Mio-Ausfallbürgschaft aus Landesmitteln gewährt. Es handelt sich um jenen Verein, der für sein Veranstaltungsgeschäft einen Unternehmer vom Format des Herrn Tönnies als Aufsichtsratsvorsitzenden ernannte und dreistellige Millionenbeträge zahlte, um internationale Vertreter der kickenden Zunft abzuwerben. Nun erhält er vom Steuerzahler für die Volksbelustigung ›auf Schalke‹ den spendablen Segen des Fiskus.

Kritisches Hinterfragen dieser Praxis darf man nicht erwarten. Im Gegenteil. Frau Saskia Esken, die Co-Vorsitzende der SPD, ist zu einer Mahnerin besonderer Art in der Corona-Krise geworden. Fußball ja – Schulbetrieb nein. Gegenwärtig seien für einen geordneten und geregelten Präsenzbetrieb an den Schulen einfach nicht die Voraussetzungen gegeben. Dass der Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen schwierig ist, wird niemand bestreiten. Dass er notwendig ist, dürfte auch – außer bei Frau Esken – nicht weiter umstritten sein. Er ist mehr als das, nämlich unverzichtbar. Wenn Kinder über Monate oder gar Jahre vom Präsenzunterricht befreit werden, stresst das nicht allein die Eltern und lähmt die familiäre Arbeitsteilung, sondern es raubt diesen Kindern auch Bildungschancen, die nie wieder kommen. Frau Esken scheint das bislang nicht verinnerlicht zu haben. Hat sie jemals Zeit gefunden, in Willy Brandts Regierungserklärung von 1969 zu schauen? Viel Beifall von seiner Fraktion erhielt der erste sozialdemokratische Kanzler damals für den Satz: »Die Schule der Nation ist die Schule.« Frau Esken hat wahrscheinlich den Schulbesuch zu häufig versäumt, um den Wert von Bildung – der einstmals in der deutschen Arbeiterbewegung hoch gehalten wurde – entsprechend zu erkennen.

Kaum waren diese wichtigen Impulse für die Meinungsbildung auf der Plattform des Deutschlandfunks verklungen, meldete sich der Moderator – nur kurz unterbrochen durch die Morgenandacht samt einigen bibelfernen Banalitäten – mit einem Beitrag über Sexarbeiterinnen, wie Prostituierte im neuen Hochdeutsch genannt werden, zu Wort. Sie seien – so der Moderator – bei den vielen Corona-Liquiditäts- und Subventionshilfen völlig vergessen worden. Ein sozialer Missstand ohnegleichen: von den ca. 500 000 Prostituierten im Lande könnten nur die wenigsten die Miete für ihre Etablissements bezahlen.

Es sagt schon einiges über den Zustand der deutschen öffentlichen Rundfunkanstalten aus, wenn die Vertreter*Innen des horizontalen Gewerbes … ach was, Schwamm drüber, schließlich haben die meisten von ihnen die Zwangsgebühr für Rundfunk entrichtet und dementsprechend ein Recht darauf, Werbung in eigener Sache zu betreiben, wo immer sich ihnen ein öffentliches Forum bietet.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Plattform für Parteipolitiker und ›gesellschaftliche Gruppen‹ versinnbildlicht den Abstieg der Demokratie zum Demokratismus. Die Preisgabe öffentlicher Interessen gegenüber den kollektiven Freuden der Fußball-Fangemeinde ist eine Manifestation des Verfalls. Die Agonie der Demokratie wird von denen organisiert, die sich als ihre Vertreter gerieren.

Notizen für den schweigenden Leser

Kultur / Geschichte

  • Der Untergang von HMS Rainbow

    von Don Albino

    §1

    Ein Selbstbedienungsschalter ist ein Schalter, an dem man sich selbst bedient. Vorausgesetzt, man kennt das Losungswort.

    §2

    Galeonen waren jahrhundertelang das Rückgrat der europäischen Seestreitkräfte. Eine davon, die Rainbow (das HMS trat erst später hinzu), Baujahr 1586, brachte es auf 94 Jahre im Dienst ihrer britischen Majestät. Dann versenkte man sie, um sich ihrer Brauchbarkeit noch eine Weile als Wellenbrecher zu erfreuen.

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Es leuchtet ein, dass, wer ausgeschlossen bleibt vom großen Mediengeschäft (oder ausgeschlossen wurde), eher auf der kritischen Seite zu finden sein wird als auf der affirmativen – vorausgesetzt, die ›führenden‹ Medien stehen, wie es zu gehen pflegt, im Sold der Mächtigen oder pflegen die Allianz aus anderen Gründen. Seit den frühen Tagen des Journalismus gilt: Je konformer die Platzhirsche, desto giftiger die Habenichtse. Das betrifft das Verhältnis zur Regierung, zum

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Politik / Gesellschaft

  • von Justus C. Justus

    VWL war gestern. Wer künftig mitreden will, studiert VdL, um zu wissen, wie man’s nicht macht.

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    Hiermit gebe ich offiziell meinen Umzug in den Yagir bekannt. Ich habe schon einige Jahre dort gelebt, aber es war mir nicht bewusst. Ich habe begriffen.

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    »Aber der Yagir ist Fiktion!« Das sagen mir meine engsten Freunde und wischen sich nervös die Stirn, als wollte ich ihnen auskommen. Meine Antwort lautet: »Sicher. Wir alle sind Bürger zweier Welten. Manche wissen es, manche

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  • von Herbert Ammon

    Am Freitag, den 11. Juli 2025, wurde auf der Bühne im Bundestag ein politisches Lehrstück aufgeführt, welches von der Regie – den Parteispitzen der Regierungskoalition – im Spielplan so nicht vorgesehen war. Noch in der Woche zuvor hatte der Richterwahlausschuss des Bundestags dem zwischen CDU/CSU und SPD ausgehandelten Dreiervorschlag – zwei SPD-affine Juristinnen, der Arbeitsrechtler Günter Spinner als Kandidat der CDU – für drei vakant werdende Sitze am

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Souverän für Amerika

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    Als Ionas mit einem gewaltigen Rülpser aus dem Bauch des Wals entlassen wurde, da fand er sich nicht, wie oft behauptet, an einem abgelegenen Gestade wieder, sondern im Zentrum einer volkreichen Stadt. Der Wal, geplagt von seinem Gedärme, war die Flüsse hinaufgeschwommen, solange sie ihm passierbar dünkten. Hier aber, vor einer adlergeschmückten Brücke, hatte er den point of return erreicht und verabschiedete sich von der staunenden Menge mit einer gewaltigen Fontäne,

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Iablis. Jahrbuch für europäische Prozesse

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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Manifesto Liberale

 

Herbert Ammons Blog: Unz(w)eitgemäße Betrachtungen

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ULRICH SCHÖDLBAUER


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