von Ulrich Schödlbauer

Keine Kunst ohne Wirkung. Was immer die Kunst ohne Wirkung wäre – vielleicht etwas sehr Respektables oder sogar Kostbares –, sie wäre jedenfalls nicht mehr Kunst, das heißt, sichtbar gemachtes Können, das auf den Betrachter ansteckend wirkt: so ein Könner möchte ich auch sein, ein Könnender, ein Könnenwollender, ein Vermögender, jedenfalls keiner, der angesichts einer solchen Leistung nicht in Betracht kommt. Angesichts des Wortes ›Leistung‹ zuckt schon der eine oder andere zusammen. Muss denn ein solcher Aufwand sein, um in Betracht zu kommen? Welche Weltsicht vermittelt die Kunst, wenn der Einzelne nur gilt, wenn er Aufwand treibt?

Ich betrachte die Bilder meines Freundes Walter Rüth, ich betrachte sie nicht zum ersten Mal, und es ist mir, erneut nicht zum ersten Mal, als stecke dahinter ein Plan. Welcher Plan? Sie wirken, als wären sie ansteckend, als müsste man jeden Gegenstand so aus seiner Umgebung herausreißen oder doch herausreißen können, um ihn in dieser Intensität, die man ihm nie zugetraut hätte, erstrahlen (oder, denn Rüth ist ein Meister der Verhaltenheit: erglimmen) zu lassen. Nichts anderes meint schließlich die Bezeichnung »grab_art«, geschrieben mit einem Unterstrich zwischen den beiden Teilwörtern, denn damit mag alles gemeint sein, nur nicht die Kunst der Grabbeigabe. Diskret deutet der Unterstrich auf die digitale Sphäre, der die Bannungskünste dieses Künstlers sich mehr und mehr zugeneigt haben, jedenfalls, wenn man aufs Technische sieht.

Auf den Betrachter wirken diese Bilder hochgradig ansteckend. Ihm ist, als müsse er sich vor etwas an, nein, in ihnen hüten. Allerdings fühlt er sich mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen. Wie beim mikroskopischen Blick auf eine Zellkultur im Labor, wie bei den Bildern, die das Weltraumteleskop von kosmischen Ereignissen vermittelt, nimmt er auch hier die technische Distanz als etwas Beruhigendes wahr: so real dies alles erscheint, so irreal erscheint es auch, und so irreal die davon ausgehende Bedrohung erscheint, so real erscheint die bannende, sprich: isolierende Kraft des Mediums.

Wie das? Ist hier nicht alles schön, fast idyllisch anzuschauen? Ist die Idylle, also das traumhaft Selbstbestimmte, nicht das Elixier dieser Bilder? Andererseits: wenn die Gegenstände selbst hier ihren Auftritt haben, genauer, das Gegenständliche der Gegenstände, das sich selbst Überlassene oder Überantwortete an ihnen, warum fällt es dann so schwer, sie zu identifizieren? Und wenn schon in einigen Serien das Identifizieren mühelos gelingt, warum säen gerade sie dann wieder diesen merkwürdigen Zweifel, aus welchem Stoff dies alles bestehen mag? In der Kunst ist, wie alle zu wissen glauben, das Gegenständliche gleichbedeutend mit dem Stofflichen, mit dem, was man anfassen, was man berühren zu können glaubt, wobei diese Illusion sich im Näherkommen oder im Moment der Berührung verflüchtigt. Die Gegenstände auf diesen Bildern hingegen sehen nirgends aus, als könne man sie berühren. Zwischen ihnen und uns breitet sich unwiderstehlich das Medium aus, durch das hindurch den Betrachter eine gegenständliche Anmutung streift. Sie erscheinen ihm als nicht wirklich, er weiß zwar irgendwo im Hinterkopf, dass es sie gibt, dass es im Focus der unvermeidlichen Kamera dieses Etwas gab, aber so, wie sie sich dem Menschen-Auge jetzt darbieten, bieten sie keinen Widerstand, geben sie sich ganz und gar aufbereitet, ohne indes durch den Prozess der Aufbereitung gänzlich zum Verschwinden gebracht worden zu sein.

Wenn hier Ansteckung herrscht, dann ist der Gegenstand ihr erstes Opfer.

Walter Rüth: 13 x 13

An der Serie »13 x 13« ist das Verfahren mustergültig zu beobachten. Hier blieb vom Objekt kaum mehr als die materielle Anmutung zurück, das Metallische, Federnde, Biegsame, das man ebenso für etwas Pflanzliches oder auch rein Graphisches halten könnte, falls man es nicht vorzieht, in all diesen Figuren eine bloße Allegorie der Bewegung zu finden, das Tänzerische, wie es den Menschen aus den Naturdingen entgegentritt, die sich nicht unter das Joch einer ihnen von außen auferlegten Funktion beugen.

Rüths Bilder strahlen, gleichgültig, was man sonst über sie aussagen kann, Eleganz aus – Eleganz und Perfektion. Das liegt nicht zuletzt am Kontrast zwischen den meist weiß gehaltenen, abstrakten Bildflächen, in welche die Objekte gesetzt sind, und den Objekten selbst, die dadurch etwas Klinisches, um nicht zu sagen Aseptisches bekommen. Solche Flächen darf man nicht mit traditionellen Hintergründen verwechseln. Die Bildfläche vermittelt Tiefe, aber sie selbst besitzt keine. In einem gewissen Sinn ist sie gar nicht vorhanden. Sie ist der sichtbar gewordene Zeige-Akt. Aber das ist nicht alles. Sie ist so etwas wie der Tanzboden der Dinge. Es fällt auf, wie leicht die Motive dieser Kunst ins Sphärische hinübergleiten. Damit geben sie dem Verstehen eine Richtung vor.

Wenn für die erschließende Intelligenz die Welt oder das »Weltall« etwas Dynamisch-Stoffliches ist, dann besteht die Reflexion darauf, dass es eine Folie gibt, auf der das Universum ›in Erscheinung tritt‹. Traditionell nennt man diese Folie das Nichts. Aber das ist auch nur ein Wort, geben wir ihr ein anderes. In der physikalischen Vorstellung einer irreduziblen Vielheit der Welten taucht die Idee einer nicht-existenten Einheit auf, die überall dort, wo Welten existieren, mit von der Partie ist, etwa so, wie die Mathematik bei jeder mathematischen Operation ebenfalls mit von der Partie ist. Mit der abstrakten Bildfläche oder dem im Bild sichtbar gewordenen Zeige-Akt mischt sich etwas in die Wahrnehmung ein, das der gewöhnlichen, objektgebundenen Beachtung entgeht, aber ebenso dem auf Kunst, auf Aisthesis, also sinnliche Auffassung gerichteten Blick. Es ist nichts, aber es meint nicht nichts. Flapsig ließe sich sagen, es meint überhaupt nichts, es scheidet nicht nach Mein und Dein, nach Gemeint und nicht Gemeint. Es ist nur in allem Gemeinten inbegriffen. So ließe sich das vielleicht ausdrücken. Es ist inbegriffen, aber es drängt nicht ins Bild.

Die Welt ist ansteckend: ja vielleicht. Uns, die wir uns in ihr bewegen, ist das nicht so bewusst, jedenfalls nicht in jedem Augenblick. Und das ist vielleicht gut so. Aber ihr Druck, ihr Sog, das Ziehen und Mitgezogenwerden ist immer spürbar, es ist immer gegenwärtig und es bedarf nur einer kleinen Wahrnehmungskorrektur, um im Gegenwärtigen das Widerwärtige zu – streifen, nicht zu erhalten, da es seine eigenen, immer auch gegenwärtigen Regionen besitzt. Gäbe es einen Plan des Künstlers – ich kehre zum Ausgangsverdacht zurück –, dann könnte er darin bestehen, sich dem Gegenwärtigen soweit zu nähern, dass es von sich aus ein wenig zurückweicht und damit versuchs- und näherungsweise Platz macht für die Möglichkeit anderer Gegenwarten, also für das, was in aller Gegenwart mitbegriffen sein sollte.

Dann wäre die fortschreitende Abstraktion, die allmähliche, aber nicht kontinuierliche Entfernung von den benennbaren Dingen, die sich an den Serien hier im Raum durchaus konstatieren ließe, nur konsequent. Die Kunst ist, wie die Gegenstände, dem Raum verhaftet. Sie ist selbst Gegenstand unter Gegenständen. Die Enträumlichung findet nur in der Vorstellung statt. Man muss also die Gefahr der Ansteckung sichtbar machen, nicht das ansteckende Objekt. Aber es gibt eine Grenze. Erst wer bereits infiziert ist, ermisst die wahre Dimension der Gefahr. Und er ist an nichts so brennend interessiert wie am Objekt.

Walter Rüth zeigt grab_art. Ausstellung Düsseldorf (Ballhaus im Nordpark, 20. bis 28. Mai 2012). Vier Projekte: Hylegramme, Helden der Arbeit, Simply Cuts, 13 x 13.

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    §1

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    §2

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