von Max Ludwig
Es herrscht dieser Tage eine große Aufregung um das gleichzeitige Ende der deutschen Koalition und die erneute Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, nachdem ein trotz drastischen Niedergangs immer noch mächtiges Land vier Jahre lang von Politikern regiert wurde, die eindeutig im Sinne der Agenda 2030 der UNO ausgerichtet waren.
Während in Deutschland der Bundeskanzler und Teile der Medien der FDP die Schuld am Ende der Koalition zuweisen und bedauern, dass die sogenannte grüne Transformation auf der Basis von neuen Schulden nicht fortgesetzt werden kann, herrscht angesichts der Wahl Trumps Panik. Dies sei das Ende der Demokratie in Amerika, Trump, der ja bereits im Januar 2021 einen Umsturzversuch angezettelt habe, werde nun die Säulen der Demokratie einreißen und ähnliches lesen wir. Insgesamt ist die Aufregung groß. Nichts davon ist richtig.
Kontinuität seit 1963
Vielmehr befinden wir uns in einer sechzigjährigen Phase der Kontinuität, deren Beginn ich auf das Jahr 1963 datieren möchte. Damals wurde John F. Kennedy ermordet, und zwar nicht durch einen geisteskranken Einzeltäter. Dieses Ereignis kann man als politische Wende in der westlichen Nachkriegsordnung ansehen, so wie man 1968 als kulturellen Wendepunkt ansehen muss. Inwiefern? Wahrscheinlich war Kennedy in den USA der letzte Repräsentant eines reichen autonomen Bürgertums, das meinte, die Innenpolitik der Weltmacht USA republikanisch bestimmen zu können, ohne jedoch strategisch dominierendes (oligarchisches) Eigentum zu besitzen. ›Republikanisch‹ bedeutet hier Politik der res publica, also Politik im Sinne der von den Politikern wahrgenommenen politischen Willensbildung der Mehrheit des Staatsvolkes, die bei freien und geheimen Wahlen durch das Volk korrigiert werden kann. Beispielsweise wollte Kennedy zusammen mit seinem Bruder Robert die mafiöse Korruption der Gewerkschaften und anderer US-Institutionen bekämpfen. Außerdem wollte er das Fiatgeldsystem abschaffen, das die Grundlage des Reichtums der US-Oligarchen bildet. Mit seinen Politikvorstellungen ging Kennedy den oligarchischen Eliten seiner Zeit zu weit.
Diese Eliten sind jene, die über strategisch dominierendes Eigentum verfügen. Dies ist oligopolistisch organisiertes Eigentum an wesentlichen Aspekten der Wertschöpfung in allen Wirtschaftssektoren, außer denen, die nicht oder nur schwer zu zentralisieren und zu skalieren sind. Typischerweise von der Oligopolbildung ausgenommen sind lokale Dienstleister oder Nischenprodukte ohne Skalierungspotential, bis vor 20 Jahren waren es auch die klassischen freien Berufe wie Landwirt, Arzt, Apotheker oder Rechtsanwalt (was sich seitdem verändert). Solches strategisch-dominierendes Eigentum erlaubt, wie Thorstein Veblen schon in den 1910er und 20er Jahren zeigte, erhebliche politische Macht.
Nach dem Tod Kennedys hat kein US-amerikanischer Präsident mehr versucht, republikanische Politik zu machen. Allen ist klar, dass sie Grenzen haben, die sich nicht überschreiten dürfen. Vielmehr entkoppelte sich die politische Willensbildung immer mehr von der Willensbildung der Mehrheit des Volkes und verfolgte immer stringenter die Interessen der kleinen oligarchischen Minderheit. Die wichtigsten Stationen auf diesem Weg waren die Aufhebung der Goldbindung des Dollars 1971, die chronisch steigende Staatsverschuldung, die lang angelegte Schaffung einer riesigen Schicht loyaler staatlicher Angestellter, Beamter und Sozialleistungsempfänger (sie macht heute mehr als 50 Prozent der Bevölkerung aller westlichen Nationen aus), die Deregulierung des Bankensektors, das Drucken arbiträrer Geldsummen, die vollständige Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Deindustrialisierung, sowie die Schaffung und Alimentierung riesiger Sektoren, die darauf spezialisiert sind, Güter herzustellen, die vom Steuerzahler bezahlt werden – wie beispielsweise Rüstungsfirmen, Gesundheitsindustrie und Migrationsindustrie (insgesamt vereinnahmen sie in den OECD-Staaten mindestens 20 bis 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts).
All diese Vorgänge zusammen haben zu einer Wirtschaftsform geführt, die Michael Hudson als FIRE-Economy (finance, insurance, real estate) bezeichnet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine kleine Schicht relevantes Eigentum hat, während neunzig Prozent der Bevölkerung über wenig oder kein Eigentum verfügen, sondern ihr gesamtes versteuertes Einkommen für Versicherung, Wohnung, Lebensmittel, Kleidung und Kleinkonsum ausgeben. Diese 90 Prozent sind oftmals verschuldet, und zwar durch Immobilien oder Autokauf, zunehmend aber auch durch die Kosten der Ausbildung. Bei den ›Erbärmlichen‹ (Clinton: ›deplorables‹, Victor Hugo hätte gesagt: misérables) kommen oft chronische Dispokredite, Spielschulden und Kreditkartenschulden oder gar Schulden beim Dealer hinzu. Oft steht am Ende der Lebensarbeitsleistung keine kreditfreie Immobilie zur Verfügung. Am krassesten sind die Zahlen in der Schweiz, wo die große Mehrheit der Immobilien schuldenbelastet vererbt werden. In allen westlichen FIRE-Ökonomien gibt es dominierendes Eigentum, bei dem weniger als 1 Promille der Bevölkerung die relevanten Anteile am strategischen Eigentum besitzt. Insgesamt sind es im Westen nur einige hundert Familien, die wirklich dominieren.
Im Wesentlichen leben wir im Westen seit 60 Jahren in solchen Gesellschaften, wobei sich die Dichotomisierung entlang der oben skizzierten Schritte beschleunigte. Doch erodierte die republikanische Partizipation sehr langsam, bis weit in die 1990er Jahre hinein war sie noch recht hoch, auch wenn die Eigentumskonzentration immer weiter zunahm. Jedoch nimmt die ökonomische und politische Partizipation der unteren 90 Prozent der Bevölkerung stetig ab, was inzwischen im ganzen Westen zur Entstehung eines markanten Populismus der ›Erbärmlichen‹ geführt hat, der unter Establishmentvertretern Abscheu hervorruft.
Die Angst dieser Schicht ist es nun, einer wie Trump könne es wagen, die Interessen dieser Massen ernsthaft zu vertreten und damit folgende elitäre Politikprojekte im Sinne der Agenda 2030 zu gefährden: Gesundheitsstaat (COVID ist vorbei, aber man plant für die nächste Pandemie), Klimastaat, Migrationsstaat, kriegsorientierte Außenpolitik, Deindustrialisierung, Gelddrucken, Infrastrukturreduktion, Absenkung der landwirtschaftlichen Produktion, Private-Public-Partnership-Politik, Politik der Verlagerung hoheitlicher Aufgaben an private, aber staatlich finanzierte NGOs, Geisteshygienepolitik, sowie Identitätspolitik in zahlreichen Formaten. Desweiteren besteht große Sorge, auch in Deutschland könnten populistische Politiker diese Politikprojekte gefährden, weshalb man kulturelle und politische Brandmauern errichtet hat, die dies verhindern sollen. Doch wir können aufatmen: Diese Sorgen sind unberechtigt.
Stabilität und Risse des westlichen Modells
Aufgrund des erst langsamen, sich nun aber beschleunigenden Verschwindens des Prinzips der republikanischen Partizipation können sich die Eliten sicher sein, dass die Agenda-2030-Politik im Wesentlichen weitergeführt werden kann. Um diese abzusichern, haben wir die ›Geisteshygienepolitik‹ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz und neuerdings auch das Gesetz über digitale Dienste, die deutsche Umsetzung des Digital Services Act), eine Brandmauer gegen Populisten und Aufklärung im Bildungssystem und durch NGOs.
Die Agenda-2030-Politik wird durch die Bundesregierung im Wesentlichen seit dem Antritt Merkels vor 20 Jahren umgesetzt, unter der nun gescheiterten Regierung ebenfalls und mit Sicherheit auch durch die kommende Regierung.
Wie ist die Lage der USA, welche Optionen hat Trump?
Trump ist, auch wenn man seine derbe Persönlichkeit und seinen Mangel an Kultur und Bildung verabscheut, ein Garant für Kontinuität der US-Politik.
In seiner ersten Amtszeit hat Trump in fast allen Politikbereichen für Kontinuität gesorgt, er hat die COVID-Politik vorangetrieben, die Migration nicht unterbunden und auch keine relevante Reindustrialisierung der USA bewirken können. Vor allem hat er weiter gewaltige Schulden angehäuft und dafür Geld drucken lassen als gäbe es kein morgen, während seiner Amtszeit stiegen die Schulden von 106 auf 118 Prozent des BIP, jetzt liegen sie bei 124 Prozent, in absoluten Zahlen bei 35 Billionen. Er hat also im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum noch schneller Schulden gemacht als die Regierung Biden. Die US-Regierung zahlt nun knapp 1 Billion USD Zinsen pro Jahr, das sind etwa 35 Prozent der Haushalts- und damit mehr als die Rüstungsausgaben. Die Neuverschuldung lag 2024 bei 2,3 Billionen USD, das ist eine Schuldensteigerung um 7 Prozent gegenüber 2023. Das Handelsbilanzdefizit betrug 2023 mehr als 1 Billion und wird diesen Wert in diesem Jahr ebenfalls überschreiten, was bedeutet, dass die USA sich nicht nur laufend staatlich weiter verschulden, sondern auch privat, da die Handelspartner das Defizit durch Finanzströme in das Land ausgleichen müssen, die nicht nur aus dem Kauf langfristig wertloser US-Staatsanleihen bestehen; vielmehr wird im Zuge des Geldzuflusses auch US-Eigentum an die Exportüberschussländer verkauft. Ganz klar gehen die USA einer Staatspleite entgegen.
Offensichtlich will die Regierung die Rüstungsausgaben nicht senken, täte man dies, müsste die noch relevante Position als weltweiter militärischer Hegemon aufgegeben werden. Auch die Senkung der gewaltigen Sozialausgaben des US-Bundesstaats von 3,8 Billionen ist schwer möglich. Es bleiben der Regierung neben Verteidigung, Sozialausgaben und Schuldendienst nur knapp 1 Billion an sonstigen Ausgaben, die allerdings zum großen Teil auch versteckte Sozialausgaben sind. Die Infrastruktur verfällt, das Bildungsniveau sinkt, der Gesundheitszustand der Bevölkerung ist der schlechteste seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, die Qualität der US-Armee sinkt materiell und personell, das Ansehen der USA in der Welt trübt sich ein und wird nach der unweigerlichen totalen Niederlage in der Ukraine weiter fallen. Was für Handlungsspielräume hat Trump in dieser Situation?
In der Außenpolitik will er zwar den Krieg in der Ukraine beenden, doch ist Russland nun derart überlegen, dass Putin sehr harte Bedingungen an einen Friedensvertrag knüpfen wird, die von den USA wahrscheinlich nicht zu erfüllen sind, da sie alle Forderungen enthalten werden, derentwegen Russland seinen Angriffskrieg begonnen hat. Falls die USA nicht darauf eingehen, wird Russland weiter Krieg bis zum bitteren Ende führen. Das Verhältnis zu Russland wird weiterhin eine Feindschaft sein, allerdings eine weniger bedrohliche als im kalten Krieg. Immerhin kaufen die USA das angereicherte Uran für ihre AKWs weiterhin größtenteils aus Russland.
Im Nahen Osten hat Trump ebenfalls keine Aussichten, die Situation zu verändern. Die notwendige Unterstützung Israels wird weitergehen, da ohne sie die Existenz Israels als Staat gefährdet ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Trump – wie Biden – versuchen, eine Eskalation hin zum Krieg gegen den Iran zu verhindern, da die USA diesen Krieg nicht gewinnen können und dafür auch keine Mittel haben. Das Verhältnis zu China wird sich auch nicht stark verändern, da die USA dringend auf chinesische Exporte angewiesen sind und von dort 2023 Güter im Wert von 430 Milliarden USD importierten (Handelsbilanzdefizit mit China 280 Mrd. USD, knapp 30 Prozent des Gesamtdefizits). Daher ist ein echter Handelskrieg mit China für Trump keine Option, genauso wenig wie eine militärische Konfrontation. Denn dafür brauchte man wirtschaftliche Autarkie und Handelsbilanzüberschüsse, wie Russland uns in den letzten Jahren gezeigt hat. Auch die langfristige Politik der USA gegenüber Europa wird fortgesetzt werden mit dem Ziel, weiterhin im Tausch gegen wertlose Staatsanleihen das Handelsbilanzdefizit gegenüber der EU aufrecht zu erhalten und an der Deindustrialisierung Europas zu verdienen (was allerdings nur partiell gelingt, die Asiaten verdienen daran mehr).
Einige Änderungen sind innenpolitisch zu erwarten, wie eine Reduktion der Identitätspolitik, etwa beim Thema Kastration Minderjähriger gegen den Willen der Eltern, oder bei der absurden Kohlendioxidreduktionspolitik. Doch sogar letzteres ist ein rein symbolisches Politikfeld, da ja der Weltausstoß an Kohlendioxid weiter kräftig steigt, und zwar auch ohne die USA, wo er durch die anhaltende Deindustrialisierung ohnehin seit Jahren sinkt. Budgetär hat Trump kaum Möglichkeiten, innenpolitisch viel zu verändern. Die vielleicht wichtigsten Indikatoren werden die Gesundheitspolitik und die Regulierung der Pharmaindustrie sein, bei der er zusammen mit Robert F. Kennedy Veränderungen angekündigt hat, die die Arzneimittelsicherheit (Stichwort Nukleinsäureimpfstoffe) wieder herstellen soll. Ob ihm das gelingen wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt hat das Agenda-2030-Establishment nichts zu befürchten, weder hier noch in den USA. Dass Merz ein konstruktives Misstrauensvotum ausschließt, da es für die Kanzlerwahl keine demokratische Mehrheit gebe, sagt alles. Es heißt im Westen ganz klar ›Weiter so!‹ mit der oligarchischen Willensbildung und ihren Folgen. Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht.
Literatur:
Michael Hudson, Killing the Host: How Financial Parasites and Debt Destroy the Global Economy, Islet, First Edition 20. August 2015, 440 Seiten