von Gunter Weißgerber

Susanne Baumstark schrieb am 30. Januar auf der Achse des Guten: »An deutschen Grenzen würden zwischen 500 und 1000 illegale Einreisen pro Tag gezählt, führt die Berliner Zeitung aus. ›Viele Grenzübergänge werden eben nicht kontrolliert‹«.

Wer kann denn nun nicht rechnen? Wer stellt sich hier dümmer an, als die Polizei erlauben würde? Falls sie denn über die Dummheit Buch führen dürfte? Was besprechen die (T)Raumschiffer der GroKo-Paktierer in Berlin überhaupt?

Es sollen jährlich um die 200 000 Menschen nach Deutschland kommen können? Das sollen auch viel weniger als 2015/16 sein. Wie ist das zu verstehen? Sind die Millionen vorher schon wieder gegangen oder kommen die ›wenigen‹ 200 000 in der Größe einer Stadt wie Kassel jährlich obendrauf? Das verkraftet diese Bundesrepublik nicht! Über einen Zeitraum von Jahrzehnten wäre das vielleicht kein Thema. Das fand schon immer statt und wird auch immer stattfinden. Als Sturzgeburt führt es unser Gemeinwesen an, wenn nicht über seine Kapazitätsgrenzen. Wie wenig wird diese Demokratie eigentlich von den Oberdemokraten in Berlin ernstgenommen?

Ralf Stegner schwärmt im Namen der SPD vom Wiedereinstieg in den Familiennachzug, der gegen den Willen der Union erreicht wurde. Stegner verkündet damit mindestens drei Wahrheiten:

Einmal, dass die Union aus dem Bundestagswahlergebnis tatsächlich etwas gelernt haben könnte und zum anderen, dass der SPD die eigene Bevölkerung und große Teile der eigenen Mitgliedschaft glatt am Hintern vorbei zu gehen scheinen. ›Bätschi‹ – hinein ins vormals eigene Spektrum sozusagen. Das wiederum beleuchtet die dritte inkludierte Wahrheit: Die SPD-Führung weiß sehr genau, dass sie Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser meiden muss, weil sie weiß, dass die Bevölkerung wiederum weiß, dass sie der SPD ordentlich schnuppe ist.

Es gibt sogar noch eine vierte Wahrheit: Die Union könnte sich eigentlich viel stärker durchsetzen, weil sie weiß, ihr steht das Wasser nur bis zum Hals und der SPD läuft es schon lange in den Mund hinein. Nur um mit Frau Merkel die Sachverständige für Völkerwanderungsfragen als Kanzlerin zu halten, lässt sie sich von der SPD erpressen und zieht das ganz bewusst nicht durch. Es ist einer griechischen Tragödie gleich. Bei Wikipedia liest sich das so:

Die griechische Tragödie behandelt die schicksalhafte Verstrickung des Protagonisten, der in eine so ausweglose Lage geraten ist, dass er durch jedwedes Handeln nur schuldig werden kann. Die herannahende, sich immer deutlicher abzeichnende Katastrophe lässt sich trotz großer Anstrengungen der handelnden Personen nicht mehr abwenden. Der tragische Charakter wird auch mit dem Attribut »schuldlos schuldig« beschrieben. Die behandelten Themen reichen von philosophischen bis zu religiösen und existentiellen Fragestellungen wie:
Die Seinsfrage
Das Individuum und die Welt
Menschen und Götter
Schuld und Sühne
Charakter und Schicksal.
Das Schicksal oder die Götter bringen den Akteur in eine unauflösliche Situation, den für die griechische Tragödie typischen Konflikt, welcher den inneren und äußeren Zusammenbruch einer Person zur Folge hat. Es gibt keinen Weg, nicht schuldig zu werden, ohne seine Werte aufzugeben (was einem tragischen Akteur nicht möglich ist). Ein gutes Beispiel ist König Ödipus von Sophokles. (https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Tragödie)

Überhaupt ›Familiennachzug‹: Kinder und Jugendliche werden vorausgeschickt, um wenig später ihre in der Größe unbestimmten Clans nachholen zu können. Das alles läuft unter dem Begriff ›Barmherzigkeit‹ und sorgt für die Ansiedlung ganzer Populationen mit sehr speziellem Staats- und Gesellschaftsverständnis. Necla Kelek formuliert es so: »Beim Familiennachzug geht es um die Herrschaftssicherung des Mannes. – Das ist die ›Ehe für alle‹ auf Islamisch.« (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article173001376/Necla-Kelek-Beim-Familiennachzug-geht-es-um-die-Herrschaftssicherung-des-Mannes.html)

Jetzt bin ich sogar bei einer fünften Wahrheit: Wir werden bewusst belogen von SPD und Union – belogen in Form von Verschweigen. Die GroKo-Verhandlungen zur verstetigten unkontrollierten Zuwanderung blenden nämlich außerdem die kommenden Dublin-IV-Regelungen komplett aus. Bisher jedenfalls ist mir noch kein Verweis auf diese Bedrohung für Deutschlands Stabilität aufgefallen. Im GroKo-Papier vermisse ich die Ankündigung bundesdeutschen Widerspruchs gegen Dublin-IV. Dublin-IV wird ansonsten das GroKo-Papier zu Schall und Rauch werden lassen. Jeder Zuwanderer kann dann in Deutschland anlanden. Zur Schadenfreude sämtlicher europäischer Partner.

Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: Wer eigene Identität und Alter nicht nachweisen muss, dem werden die Angaben zur angeblichen Verwandtschaft und deren Identität schwuppdiwupp abgenommen.

Als SPD-Mitglied werde ich in Kürze am Mitgliederentscheid, der zudem die repräsentative Demokratie nachhaltiger unterminiert als die AfD es tun kann, teilnehmen. Den Gefallen, nicht teilzunehmen, tue ich den Spielern ganz oben nicht. Ich werde gegen die große und doch sehr kleine Koalition stimmen. Ob meine Stimme ausreicht, damit Neuwahlen zu ermöglichen, dass weiß ich selbstverständlich nicht.

Natürlich weiß ich, dass meine Stimme den Stimmen der Juso-NoGroKo-Kampagne und damit den Erodierern der Freiheitlich-Demokratischen-Grundordnung in der SPD zugerechnet werden wird. Das ist meine Tragik an genau diesem Punkt: Mir geht es um die Bundesrepublik, den Jusos um eine ganz linke SPD, die nicht nur zu Linksaußen passt, sondern mit Linksaußen deckungsgleich wird. Was die SPD noch weiter dem Verschwinden näher bringen wird! Sei’s drum. Die SPD setzt ihre Prioritäten. Es sind nicht die Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland. Wären es die Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland, hätte diese Fragestellung im Bundestagswahlkampf 2017, der bis heute andauert, nicht verschämt hinter diesbezüglich sehr nachrangig anmutenden Themen versteckt werden dürfen.

Ich beschreibe das aktuelle sozialdemokratische Paradoxon:

Wer sich auf die Seite der Bundesrepublik Deutschland stellt, kann der neuen GroKo nur zustimmen, wenn sich statt der SPD die CSU in den existenziellen Fragen der Zuwanderung durchgesetzt hat. Hat sich dagegen die SPD dank wortbrüchiger CSU fahrlässig durchgesetzt, dann ist eine Zustimmung durch viele Sozialdemokraten eher nicht möglich. Ein Tollhaus.

Last but not least: Wer die Bundesrepublik vor weiteren gefährlichen Entscheidungen der Bundeskanzlerin schützen will, muss seinen angemessenen Teil zu Neuwahlen, dann aber ohne Frau Merkel, beitragen. Was ich mit meinem Nein zur GroKo leiste.

Mich wundert zudem das Stillhalten der ostdeutschen SPD-MdBs. Nicht nur, dass im Falle von Neuwahlen die Landeslisten kürzer und viele Mandate weg sein werden, die Kollegen wissen ganz genau, dass sie sich an ihren Wählern vergehen! Und es ist nichts zu hören oder zu sehen. Das verstehe ich nicht. Hätten wir in den 90ern so geschwiegen, der Aufbau-Ost wäre damals gescheitert. Nichts, aber auch gar nichts, bekam der Osten an Infrastruktur und Institutionen geschenkt. Um alles musste mit harten Bandagen und offen gestritten werden. Dieses Streiten für Ostdeutschland, zugleich im Sinne der gemeinsamen Bundesrepublik, das vermisse ich seit einiger Zeit schon schmerzlich.

Zur Juso Kampagne im Rahmen des Mitgliederentscheids schrieb mir mein Freund Ernst Eichengrün (Sekretär der Jungsozialisten 1969) die abschließenden Bemerkungen. Hätte die SPD noch einen intakten Spiegel, könnte sie Ernst Eichengrüns Gedanken hinter diesen stecken.

Nachdem sich 1969 bei den Jungsozialisten die Marxisten durchgesetzt hatten, gingen sie daran, die SPD umzukrempeln. Sie verfolgten dabei erklärtermaßen eine »Doppelstrategie«: Zum einen, in der SPD selbst ihre Ziele umzusetzen, zum anderen, durch Mobilisierung ihrer radikalen Gesinnungsgenossen von außen einen Veränderungs-Druck auf die SPD auszuüben.

Der erste Teil dieser Doppelstrategie ist ihnen gemäß der APO-Parole des »Marsches durch die Institutionen« weitgehend gelungen, auch wenn einige der Marschierer später halbwegs vernünftig wurden. Den Druck von außen haben sie – mit der Ausnahme der Nachrüstungsfrage – weitgehend nicht organisieren können. Die beabsichtigte breite, revolutionäre Mobilisierung blieb aus. War auch gut so; denn wer versucht, auf dem Tiger zu reiten, wird von ihm gefressen werden. Die neue Juso-Kampagne gegen eine GroKo vereint jetzt beide Elemente: GroKo-Gegner sollen in die Partei geholt werden, um dort bei der Urabstimmung den Koalitionsvertrag zu torpedieren. Also die SPD zu kapern. Sehr zum Pläsier einer SPIEGEL- Kommentatorin, die noch ganz Corbyn-besoffen ist.

Die Zielgruppe der Kurzzeit-Genossen bleibt diffus. Doch wer auch dabei sein soll, wurde auf dem Parteitag deutlich: Die Linksradikalen. Bei den verteilten Rollen der Debattenredner fiel es einer jungen Delegierten zu, die im Sondierungspapier enthaltene Bekämpfung des Linksextremismus zu kritisieren, ja, sich sogar undifferenziert mit den Demonstranten gegen G 20 in Hamburg zu solidarisieren. …jenseits der rechtlichen Frage bleibt der Sachverhalt bestehen, dass es sich jetzt um einen nie dagewesenen Versuch der Übernahme mit Hilfe von außen handelt. Das vertieft die Spaltung in der SPD.

Die ganze Sache erinnert mich an eine etwas ähnliche Sache aus Juso-Zeiten:

Im Zuge der Reformdebatte in der SPD Ende der 50er Jahre hatten die Bonner Jusos, bei denen ich aktiv war, eine Reform-Resolution verabschiedet, in der u.a. die Ersetzung von Erich Ollenhauer als Kanzlerkandidat [durch Willy Brandt; G.W.] gefordert wurde. Das verärgerte die Baracke sehr, Alfred Nau hatte seitdem was gegen mich. Also wurde auf der nächsten Gruppen-Sitzung versucht, die Resolution zu kippen. Dazu rückten ein paar halbwegs junge Genossen aus der Baracke und ihrem Umfeld an, die wir zuvor nie bei uns gesehen hatten. Auch später kamen sie nie wieder. Formal waren sie natürlich legitimiert, denn jedes junge Mitglied war formal auch Juso. Doch auch sie schafften es nicht. Zu diesen »Mitgliedern auf Zeit« gehörten auch zwei Rechtsreferendare, die eine Stage im Justitiariat des Parteivorstandes absolvierten: xxx, später u.a. Polizeipräsident in Kassel, dann hessischer Kulturminister. Offensichtlich bedurfte es eines Polizeipräsidenten, um die Friedeburgsche Schulpolitik zu revidieren! Der andere war yyy, der später Geschäftsführer des WAZ-Konzerns wurde und zuletzt als einer bekannt wurde, der Helmut Kohl mit einer beträchtlichen Summe aus dem Spendenskandal half.

(Zu ›Bätschi‹ siehe: http://www.faz.net/aktuell/politik/fraktur/fraktur-zur-groko-baetschi-baetschi-15342969.html)