von Hans Willi Weinzen

Wer einkauft, der zahlt. Auch Steuern, Mehrwertsteuer, entweder 19 % oder ermäßigt 7 %. Das Aufkommen der Mehrwertsteuer teilen sich Bund, Länder und Gemeinden nach einem komplizierten Schlüssel. Der Bund erwartet im Jahr 2010 insgesamt knapp 100 Milliarden Euro (genau sind 97,434 Milliarden veranschlagt). Berlin - als Stadt und Land zugleich - erhält beispielsweise  rund 4 Milliarden  Euro (genau sind 3,856 veranschlagt). Konjunkturbedingt dürften beide mehr erhalten.

Immer mal wieder fällt der Blick auf die fehlenden Milliarden, die infolge des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes weder beim Bund, noch bei Ländern und Gemeinden in den Kassen ankommen. Der Bundesrechnungshof hat diese gerade überschlägig mit 24,2 Milliarden Euro beziffert. Die gelb-schwarze Bundesregierung hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung vorgenommen, auch den Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze anzugehen.

Ein typisches erstes und einziges Ergebnis liegt auch bereits vor: Für Hotels wurde der ermäßigte Umsatzsteuersatz blitzartig eingeführt, die Wahlkampfspenden von Hoteliers an die kleine gelbe Partei waren nicht vergebens. Der Volksmund spricht vom Mövenpickprivileg. Auf der anderen Seite fällt zum Jahresende 2011 der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die entgeltlichen Beratungen der Verbraucherzentralen weg. Recht so, hätten die besser auch an die kleinen Gelben gespendet. Ansonsten steht der große Wurf der Bundesregierung noch aus, die Sache geht in eine Kommission.

Wie absurd manche dieser Ermäßigungen sind, zeigt der Adventskranz. Blätter, Zweige, Gräser und Moos, das zu Zierzwecken verwendet werden, unterliegen dem ermäßigten Steuersatz, aber nur wenn sie frisch sind. Der Adventskranz aus Trockenpflanzen ist mit 19 % zu besteuern. Das Bundesfinanzministerium weist mit Schreiben vom 04. August 2004, nachzulesen im Bundessteuerblatt I, dort auf S. 638 unter Teilziffer 46, in diesem Zusammenhang dankenswerterweise ergänzend darauf hin, daß Trockenmoos durch Anfeuchten keineswegs wieder zu frischem Moos wird. Aber auch mit Trockenmoos verzierte Adventskränze können durchaus nur mit 7 % belegt sein, schließlich ist steuerlich entscheidend, ob frisches Material charakterbestimmend ist. Im Zweifelsfall einfach die Floristin des Vertrauens detailliert befragen.

Mövenpickähnlich muten auch die ermäßigten Steuersätze beispielsweise für Trüffeln, Gänseleber und Froschschenkel an. Tierfutter ist oft begünstigt, Kinderbrei nicht. Historisch interessant mag sein, dass die ermäßigten Sätze für vielerlei Agrarprodukte im Jahr 1968 als Kuhhandel entstanden, als die generelle Umsatzsteuerfreiheit der Agrarprodukte endete. Fast ein halbes Jahrhundert später ist das allein kein Argument mehr. Die erklärte Absicht, Güter des lebensnotwendigen Bedarfs zu verbilligen, ist immer neu zu überprüfen. Solange die Hausfrau im Keller aus Obst Marmelade selber kochte, mag die Steuerbegünstigung für Pektin Sinn gemacht haben, jetzt wird allein die Marmeladenindustrie beschenkt.

Trüffel, Wachteleier oder Schildkrötenfleisch sind heute und waren sicher auch seit dem Jahr 1968 nicht bei allen Deutschen lebensnotwendiger Bedarf. Möglicherweise sogar für niemanden. Da ein Angriff auf alle ermäßigten Sätze die begünstigten Klientelen eint, ist es sinnvoll, Schritt für Schritt vorzugehen. Begonnen werden sollte mit einer Bundesratsinitiative - die zum Beispiel der rot-rote Berliner Senat einbringen könnte -, mit welcher die Streichung des ermäßigten Satzes für Trüffel, Gänseleber und Froschschenkel verlangt und statt dessen deren Einführung für gesunde Kindernahrung gefordert wird. Die Trüffel muß endlich teurer werden. Die Rücknahme des Mövenpickprivilegs sollte natürlich auch darin stehen. Wer täglich Bedarf an Trüffel, Gänseleber und Froschschenkel hat, kann auch 19 % bezahlen. Wer täglich sein Kind anders satt kriegen muss, sollte mit dem ermäßigten Satz von 7 % unterstützt werden.

Auch hier kann die Sozialdemokratie wieder einfach und verständlich zeigen, für wen sie eintritt. Ist ganz ähnlich wie bei der Vermögensteuer. Die folgende steuerpolitische Diskussion mit den kleinen Gelben und den verdrucksten Schwarzen kann sogar Spaß machen.

Dr. Hans Willi Weinzen ist Autor von Fachbüchern zur Finanzpolitik. Zuletzt erschien: Berlin in der Finanzkrise. Bilanz einer Sanierungsstrategie, Berlin 2007, S. 96-164, ISBN 978-3-8305-1445-9