von Hans Willi Weinzen
In der langsam beginnenden Debatte über rot-rot-grüne Gemeinsamkeiten, die insbesondere von Abgeordneten und Funktionären angestoßen wird, die in Bundestag und/oder Bundesvorständen für eine der drei auf Bundesebene oppositionellen Parteien tätig sind, spielt Wirtschaftspolitik noch keine hinreichende Rolle, obwohl gerade eine soziale Alternative zum schwarz-gelben Neoliberalismus notwendig, machbar und vermittelbar ist. Insbesondere die Frage, ob öffentliches Eigentum an bestimmten Unternehmen nicht notwendig ist, um die Daseinsvorsorge zu sichern, sollte stärker diskutiert werden.
Es geht dabei nicht nur um ein containment, sondern in einzelnen Bereich auch um einen roll-back der Privatisierung öffentlicher Unternehmen in Gemeinden, Ländern und Bund, wie sie in der Bundesrepublik seit einem Vierteljahrhundert verstärkt zu beobachten war.
Die rot-rote Politik im Land Berlin kann hier die Debatte zunehmend bereichern, zumal sie in einem Haushaltsnotlageland mitten in der Wirtschaftskrise stattfindet und es eben nicht darum geht, bei guter Konjunktur entstehende Zuwächse teilweise reformistisch umzuverteilen. Die besonderen Eigenschaften Berlins als einziges aus Ost und West zusammengewachsenes Land, als Stadt und Land zugleich sowie als Bundeshauptstadt neben der Bundesstadt ermöglichen zusätzlich, Erkenntnis zu gewinnen.
Mauerfall, Haushaltsloch, Verkaufserlöse
Als mit der Mauer auch die zentralverwalteten Wirtschaften in Europas Osten verschwanden, begannen die Jahre des marktgläubigen Geschwätzes. Leider blieb es nicht beim Geschwätz. Der Einfluss des Staates wurde geschwächt, nicht nur auf den Finanzmarkt, dessen Krise bei halbwegs funktionierender staatlicher Kontrolle so kaum möglich gewesen wäre. Zugleich wurde staatliches Eigentum verkauft, um aus den Erlösen zusätzlich zu den immer neuen Schulden noch mehr laufende Ausgaben aus einmaligen Einnahmen finanzieren zu können. In Berlin kam der rasche Wegfall der Bundeshilfe nach dem Dritten Überleitungsgesetz mit den neuen Lasten durch den Aufbau Ost und anderem zusammen. Die erste schwarz-rote Koalition flüchtete in Schulden und begann mit dem Verkauf von städtischem Eigentum, und zwar nicht nur von Tafelsilber. Die zweite mußte verstärkt verkaufen, um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben.
Karlsruhe, regionale Sanierung, nationaler Schuldenexzeß
Nachdem das berlinfeindliche Karlsruher Urteil die massiven Ausgabenkürzungen Berlins ignorierte und mit atemberaubender Rabulistik dessen extreme Haushaltsnotlage leugnete, war verständlich, daß der Konsolidierungskurs - wie das Entstehen der Notlage natürlich unbemerkt von der lokalen veröffentlichten Meinung - gelockert wurde. Seitdem wir in der von den Bankspekulanten ausgelösten Wirtschaftskrise erleben durften, wie der nationale Staat immer weitere Hunderte von Milliarden an Schulden macht, um private Spekulanten vor dem Markt zu retten und sogar noch ihre Boni zu finanzieren, stellt sich erst recht die Frage, warum ausgerechnet die sozial schwachen Berliner mit weniger staatlicher Leistung auskommen sollten. Wie begründet man regionalstaatliche Sanierungsversuche durch soziale Härten, wenn ihre Wirkung durch die nationalstaatliche Verantwortungslosigkeit zugunsten von Bonusbankern und anderen besserverdienenden Klientelen mehr als getilgt wird ?
Wirtschaftskrise, Godesberger Programm, öffentliche Unternehmen
Was lehrt uns das nationalstaatliche Handeln in der Bankenkrise nun darüber hinaus? Zuallererst: Markt braucht mehr Staat und damit ist nicht gemeint, noch mehr Geld vom Staat. Vor einem halben Jahrhundert haben das die deutschen Sozialdemokraten, damals unglobalisiert im rheinischen Kapitalismus mit sozialem Bonus, noch gewusst: Soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig. Das Godesberger Programm enthält zahlreiche solche Hinweise, die allerdings heute bei einer Meinungsumfrage kaum ein Wähler der letzten Bundestagswahl noch der Sozialdemokratie zuordnen würde. Liest man als heutiger Sozialdemokrat im damaligen Programm, dann wird man verblüfft.
Das damals und später oft als rechte Abweichung von der linken Tradition gedeutete Godesberger Programm erscheint einem mittlerweile als linksaußen am Rand der verbliebenen Sozialdemokratie verfasste Kampfschrift. Ein kleines Beispiel: „Wettbewerb durch öffentliche Unternehmen ist ein entscheidendes Mittel zur Verhütung privater Marktbeherrschung. Durch solche Unternehmen soll den Interessen der Allgemeinheit Geltung verschafft werden. Sie werden dort zur Notwendigkeit, wo aus natürlichen oder technischen Gründen unerläßliche Leistungen für die Allgemeinheit nur unter Ausschluss eines Wettbewerbs wirtschaftlich vernünftig erbracht werden können.“ Das ist nicht mehr die sozialdemokratische Illusion der Weimarer Republik, man könne u.a. mit öffentlichen Unternehmen die privaten schrittweise verdrängen, es ist aber auch kein privatisierungsgeiler neoliberaler Unsinn.
Die Berliner Debatte um den kommunalen Sektor
Und nun wenden wir das einmal auf das heutige Berlin an. Die S-Bahnkrise in Berlin hat gerade gezeigt, wie bonusgeile Manager auf dem Spurt ins Börsenkasino mit dem Leben hunderttausender Fahrgäste zocken, was erst durch ein staatliches Bahnamt beendet wird, bevor es Tote gibt. Erst das Urteil eines staatlichen Bundesgerichts beendet zumindest für einige tausend Kunden die Abzocke durch die privatisierte Gasag, die mit Ölpreiserhöhungen im Ölpreiskasino Preiserhöhungen begründen will, Ölpreisrückgänge im gleichen Zockerparadies aber nicht mit Preissenkungen folgt, übrigens nicht einmal für Öl, sondern willkürlich für Gas. Erst das Urteil des staatlichen Landesverfassungsgerichts versucht, den von explodierenden Wasserpreisen geschröpften Berlinern die Kenntnis des Vertrages zu ermöglichen, der angesichts des eigenen Konkurses vom Land seinerzeit über Berlins Wasserbetriebe geschlossen werden musste. All das hat immerhin eine zaghafte Diskussion über (Re-)Kommunalisierung privat(isiert)er Landesunternehmen begünstigt.
Versprochen war so etwas bereits in der Koalitionsvereinbarung des rot-roten Senats: „Die Koalition setzt sich für starke öffentliche Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge ein. Hierzu gehören Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Wasserversorgung und –entsorgung, der Abfallwirtschaft, der Wohnungswirtschaft und im Gesundheitswesen. Das Beteiligungsmanagement muss für diese Unternehmen weiter verbessert werden. Die parlamentarische Kontrolle muss weitere qualifiziert und vertieft werden. … Die Koalition lehnt Privatisierungen bei Betrieben der Daseinsvorsorge ab. Die generelle Aufgabe für Betriebe der Daseinsvorsorge ist die Preis- und Tarifstabilität bei Aufrechterhaltung hoher Qualitäts-standards. … Die Koalition setzt sich für die Rekommunalisierung der BWB ein.“ (Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD Landesverband Berlin und der Die Linkspartei.PDS (Die Linke) für die Legislaturperiode 2006 – 2011 S. 17)
Passiert ist bis Herbst 2009 nicht das geringste. Schon gar nicht war ein Konzept zu erkennen. Inzwischen haben beide Koalitionspartner Vorschläge vorgelegt. Klausurtagungen fassen Beschlüsse, Arbeitsgruppen diskutieren Wege.
Daseinsvorsorge – was soll das sein?
Wie könnte ein Konzept für mehr kommunale Daseinsvorsorge aussehen? Zunächst muß daran erinnert werden, daß der Begriff der Daseinsvorsorge ursprünglich ein Kampfbegriff gegen den Staat in der Wirtschaft war und zudem ein vager: „Alles, was von seiten der Verwaltung geschieht, um die Allgemeinheit oder nach objektiven Merkmalen bestimmte Personenkreise in den Genuß nützlicher Leistungen zu versetzen, ist Daseinsvorsorge.“ (Ernst Forsthoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band: Allgemei¬ner Teil, München und Berlin 2. Aufl. 1951, S. 280) Seine jeweilige Bedeutung ist politisch zu definieren. Marktradikale brauchen – bis zur nächsten Krise – angeblich kaum Daseinsvorsorge, die meisten Menschen brauchen deutlich mehr, und das auch schon vorher. Ob in Berlin zuallererst weitere Wohnungsunternehmen zurück in Landeseigentum sollen, wie vom Koalitionspartner Linke ventiliert, ist mehr als fragwürdig. S-Bahn, Wasserbetriebe oder auch Gasag erscheinen vordringlich.
Wer soll das bezahlen? Berliner S-Bahn und Wasserbetriebe als Beispiele
Eine fiskalische Betrachtung reicht nicht aus, ist aber gleichwohl notwendig. Daseinsvorsorge ist ein wichtiges Interesse im Sinne von § 65 der Landeshaushaltsordnung. Berlin darf daher Unternehmen der Daseinsvorsorge besitzen. Auch seine S-Bahn? Prüfen wir einfach einmal, ob man vielleicht nur halb soviel Fahrradständer etc. und mit den restlichen zig Millionen immerhin eine Minderheitsbeteiligung an der S-Bahn überhaupt kaufen darf. Die für 2009 der S-Bahn zugedachten 232 Millionen erhält Berlin als Regionalisierungsmittel vom Bund. Nach Artikel 106 a des Grundgesetzes kriegen alle Länder solches Geld vom Bund für den öffentlichen Personennahverkehr. Nach § 5 des Regionalisierungsgesetzes kommt es aus dem Aufkommen der Mineralölsteuer. Mit dieser gesetzlichen Konstruktion wollte die Bahnreform 1993 europäisches Recht umsetzen, das übrigens den marktgläubigen Zeitgeist nach Mauerfall schön illustriert.
Aber selbst die Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen nimmt in Artikel 2 Absatz Eisenbahnunternehmen, deren Tätigkeit ausschließlich auf den Stadtverkehr, Vorortverkehr oder Regionalverkehr beschränkt ist, von den recht marktgläubigen Regelungen aus. Nach § 7 des Regionalisierungsgesetzes ist ledig-lich insbesondere der Schienenpersonennahverkehr zu finanzieren. Muss also keine S-Bahnschiene sein, kann sogar ein Bus sein oder ein Fahrradständer an der Haltestelle. Den Bundestagsdrucksachen ist allerdings auch nirgends zu entnehmen, dass der Erwerb von Bteiligungen an Unternehmen des Personennahverkehrs im Gegensatz zu Fahrradständern unzulässig sei. Bei der S-Bahn sollten wir beginnen, die einbehaltenen Millionen nicht vertröpfeln, sondern strategisch klotzen.
Die privatisierten Anteile an den Berliner Wasserbetrieben sollte Berlin zurückerwerben. Für 2008 garantierte Berlin durch Verordnung den beiden privaten Miteigentümern satte 7,77 % Zins auf das betriebsnotwendige Kapital, für 2009 7,69 %. Dem Land Berlin selbst natürlich auch, womit sich erklärt, warum im Haushalt des linken Wirtschaftssenators für 2008 stolze 94,5 Millionen anteilige Gewinnabführung der Wasserbetriebe veranschlagt sind. 2007 waren nur 69 Millionen veranschlagt. Für 2009 sind schon 105,6 Millionen veranschlagt. Da verstehen doch Berlins Mieter und Hauseigentümer ihre Nebenkostenabrechnungen gleich besser. Wenn privaten Unternehmen die andere Hälfte des Ladens gehört, wissen wir auch gleich, wieviel Gewinn denen zugesteckt wird.
Wie das geht? Das Teilprivatisierungsgesetz garantiert den wagemutigen Unternehmern derzeit in § 3 Absatz 4 mindestens die durchschnittliche Rendite zehnjähriger Bundesanleihen der letzten zwanzig Jahre. Ursprünglich waren es sogar noch zwei Prozentpunkte obendrauf, aber das erklärte Berlins Verfassungsgericht am 21. Oktober 1999 dann doch für nichtig. Es ist beispielsweise zu prüfen, ob die Gebietskörperschaft Berlin beim Rückkauf, finanziert zu heutigen Kommunalkreditzinsen, nicht sogar noch ein Plus machen würde. Dann würden ceteris paribus aus den einhundert Millionen doch zweihundert … Statt die Kapitalkosten der privaten zu entgelten, könnten wir unsere Kommunalkreditzinsen für den Anteilserwerb möglicherweise problemlos finanzieren, selbst wenn wir die weiteren Preisanstiege einbremsen.
Vermögensteuer für die Länder wieder durchsetzen
Der Dresdener Parteitag der SPD hat endlich gefordert, die Vermögensteuer wieder einzuführen, die in Artikel 106 Absatz 2 Punkt des Grundgesetzes steht, aber von Kohls schwarz-gelber Koalition weggetrickst wurde. Deren Aufkommen fließt bekanntlich den Ländern zu, in Berlin waren das zuletzt 171 Millionen im Jahr. Diese Einnahmen könnten die Länder vorrangig nutzen, um Investitionen in den öffentlichen Sektor zu finanzieren. So wird aus privatem Vermögen sukzessive öffentliches. Eine einmalige Vermögensabgabe, wie von manchen gefordert, hätte diesen Effekt nur einmal, nicht jedoch immer wieder.
Solange diese Einnahmen noch nicht zur Verfügung stehen, könnten wir mit Kommunalkrediten die Investitionen in den öffentlichen Sektor zwischenfinanzieren und zugleich deren Tilgung durch Vermögensteuer eine Zeit lang gesetzlich festschreiben. Wenn der Staat für private Spekulanten Schulden macht, sollte er es auch für eigene Unternehmen der Daseinsvorsorge machen. § 10 des Haushaltsgrundsätzegesetzes und alle Haushaltsordnungen geben das im übrigen eindeutig her.
Rot- rot (-grün?)
Kochgeschirr, das in einer Notlage von Gebietskörperschaften wie Berlin verkauft werden musste, gilt es zurückzuerwerben. Auch der ein oder andere ergänzende Topf ist neu anzuschaffen. Verschiedene Wege sind gangbar, um den Ausbau des öffentlichen Sektors zur Sicherung der Daseinsvorsorge zu finanzieren. Die Debatte darüber ist nicht nur in Berlin überfällig. Wähler wollen wissen, was wird, nicht nur, wer was wird.
Angesichts der schwarz-gelben Privatisierungsgefahr, die spätestens nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 wieder deutlicher sichtbar werden wird, ist eine parteienübergreifende wirtschaftspolitische Alternative notwendig.
Hier ist zunächst Rot-Rot gefordert. Gerade bei der Frage der Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen besteht eine gute Chance, eine weitere programmatische Schnittmenge zu ermitteln. Eine konzise Strategie, welche die in immer mehr Kommunen bereits begonnene, im Land Berlin nun beginnende Stärkung des öffentlichen Sektors auch auf den Bund erweitert, ist gerade im Interesse der sozial schwächeren Wählerinnen und Wähler und als Alternative zum schwarz-gelben Neoliberalismus zu entwickeln. Sie sollte eine Konsequenz aus der aktuellen wirtschaftlichen Krise sein.
Inwieweit auch von Grünen Beiträge erfolgen, wird interessant zu beobachten sein. Hier wird exemplarisch die Frage zu beantworten sein, wie groß eine rot-rot-grüne programmatische Schnittmenge in der Wirtschaftspolitik ist. Eigentlich kann es nicht die dominierende grüne Perspektive sein, in schwarz-grünen Koalitionen stillschweigend das historische Erbe der FDP anzutreten.
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Mehr zu öffentlichen Unternehmen in: Dr. Hans Willi Weinzen: Berlin in der Finanzkrise. Bilanz einer Sanierungsstrategie, Berlin 2007, S. 96-164, ISBN 978-3-8305-1445-9