Schwarzsemiotik eingebettet in Sozialkommunikation
von Milutin Michael Nickl
Ein mit hundert Abbildungen treffsicher illustriertes Sachbuch zur europäisch-mediterranen Kommunikations- und Symbolikgeschichte der Farbe Schwarz (Farbcode: #000000); auf glattem, weißem Premiumpapier mit optimaler Farbbrillanz gedruckt, säurefrei und alterungsbeständig, wie im Impressum notiert. Eine schöne Edition und eine faszinierende Fleißarbeit. Ihr Autor, 1947 in Paris geborener Mediävist, war Lehrstuhlinhaber für abendländische Symbolikgeschichte (chaire d'histoire de la symbolique occidentale) an der Pariser Sorbonne. Dabei verwandtschaftsweitläufig gesehen mit günstiger Karriere-Ausgangsbasis beglückt: ›le petit-cousin de Claude Lévi-Strauss, le fils d'Henri Pastoureau, proche des surréalistes et le neveu d'Henri Dubief (historien)‹ , wie auf fr.wikipedia nachzulesen ist. Fraglos ist Michel Pastoureau ein Big Shot auf seinem fächerverbindend kommunikationshistorischen Gebiet und durch zahlreiche, international renommierte Publikationen ausgewiesen. Nicht nur quantitativ dürften die auflagenstarken angloamerikanischen Parallel-Editionen schätzungsweise als die jeweils einflußreicheren anzusehen sein. Vom Autor eigenständig und souverän kompiliert, liefert das hier in Rede stehende Werk eine substanziell resümierende Summe zu historischen und prähistorischen Entwicklungsstadien und Tendenzen der Farbe Schwarz, eingebettet in Aspekte und Einstellungshaltungen zur Sozialgeschichte und Sozialkommunikation.
Jedwede ›Geschichte der Farben‹ ist für Michel Pastoureau zwingend ›Sozialgeschichte‹ . Seine Zuordnungsperspektive ist gesamtgesellschaftlich orientiert. Prototypische Formulierung: ›die von einer Gesellschaft hervorgebrachten Text- und Bilddokumente‹ (p.10). Durchaus mit einer Portion an selbstkritischem Methodenbewußtsein formuliert. ›Kein Forscher, kein Team hat bisher einen entsprechenden Fragenkatalog entwickelt, der für die gesamte Forschergemeinschaft von Nutzen wäre‹. Hieran anknüpfend wäre ein komprimiert und kursorisch gefaßter Abriß oder eine knapp kommentierte Auflistung der in der farbgeschichtlichen und farbsymbolischen Forschung usuellen konventionellen Methoden hilfreich gewesen. Seine Auffassungen und Befunde stellt der Autor in fünf übergreifenden Kapiteln seines Schwarz-Buches synthetisierend und überwiegend modo resolutionis dar. Bekannte biblische Anspielungen werden beigezogen: ›Finsternis bedeckte die Erde. Von der Urzeit bis zum Jahr 1000‹ (nach Beginn unserer Zeitrechnung; post Christum natum). Ob dieser Langzeithorizont ein plausibel segmentiertes Zeitfenster darstellt, darüber ließe sich longe lateque streiten. Es folgt ein Kapitel ›Auf der Farbpalette des Teufels. Vom 10. bis 13.Jahrhundert‹ . Dann kommt dran: die ›Modefarbe Schwarz. 14. bis 16. Jahrhundert‹. Anschließend ›Eine neue Welt in Schwarz und Weiß. 16. bis 18. Jahrhundert‹ Und final: ›Schwarz in allen Schattierungen. 18. bis 21. Jahrhundert‹. Alle Kapitel durchgängig mit zweckentsprechenden Bild-Text-Arrangements bestückt. Untrüglich eine ausgereifte bibliophile Leistung im Duktus eines in sich unruhigen, kritische Fragen aufwerfenden Sachbuchs, kurzweilig illustriert und konsumatorisch ausbalanciert. Keine langweilig nervtötende Monografie. Eine engagierte, seriöse Einführung in die europazentrierte Geschichte und Symbolik der Farbe Schwarz. Kein Nachschlagewerk, vielmehr eine profilierte Propädeutik mit interfachlich fundierten Impressionen, Illustrationen und Streifzügen. All dies soll keineswegs hintangestellt werden, wenn wir hier ein paar Auffälligkeiten herausgreifen und kritisch aspektieren. Und gerade angesichts seiner gesellschaftswissenschaftlichen Fokussierung bleibt fairerweise zu fragen: Welche neuen, sozialwissenschaftlich gestützten Erkenntnisse liefert der Autor zur Farbgeschichte von Schwarz?
Warum besteht Michel Pastoureau auf dieser bisweilen beschwörend wiederholten, gesellschaftskommunikativ und sozialwissenschaftlich inspirierten Orientierung des realsystematisch riesigen wie uneinheitlichen, Objektbereichs einer Farbe? Dass in der Humangeschichte der Farbsemiotik und Verwendung der Farbe Schwarz eine umgreifende sozialgeschichtliche Dimensionierung qualitativ wie quantitativ existiert, trotz etappenweise prekärer bis insuffizienter Datenlage, ist ebenso trivial wie unstrittig. Kommunikation konstituiert Gemeinschaft. Kaum jemand dürfte die sozialgeschichtliche Dimensionen von Farben leugnen oder ihre Bedeutung herunter spielen. Doch wie steht es um die angemessen fächerverbindende Methodologie zur frühgeschichtlichen, antiken, mittelalterlichen, neuzeitlichen, neueren und neuesten Verarbeitung beliebig reproduzierbarer Daten und Dokumentsorten in Sachen Farbgeschichte und Farbsymbolik? Wie weit ist die dafür relevante Begriffs-, Diskurs-, Material-, Symbol-, Technik- und Wahrnehmungsgeschichte solch einer gesellschaftskommunikativ anspruchsvoll avisierten und in welchen gesellschaftskommunikativen Datenclustern manifestierten Farbenlehre inzwischen schon gediehen? Was läßt sich an den überlieferten Datenclustern ablesen und reproduzierbar überprüfen? Welche Aspekte eines soziopolitischen Konzepts in welcher Art von Gesellschaftsordnung verwirklichen sich zu verschiedenen Zeiten durch wie gestaltete, verbreitete und durchgesetzte Mitteilungen der Farbe Schwarz?
Gemäß welcher Kriteriologie und Methodenanwendung wird entschieden, ob die abgebildeten Items eher Einzelinteressen oder Sonderinteressen von Gruppen, oder auch bestimmte Gegenseitigkeitsrelationen repräsentieren, oder ob es sich jeweils um stückelweise Öffentlichkeitsarbeit handelt, die ggf. darauf abzielt, Aufmerksamkeitseffekte zu erzeugen, um ein angezieltes, gesellschaftskommunikatives Bewußtsein zu schaffen. Die persönlichen Impressionen des kompetenten Autors sollen damit nicht derangiert werden.
Farben interpretiert Michel Pastoureau dependent eingebettet ins generative Framing konzipierter Sozialkommunikation. Das führt er deskriptiv realitätsrekonstruierend und thesenhaft bilanzierend vor. Wobei nicht zu vernachlässigende, sachdienliche Hinweise in die Anmerkungen (Seiten 192-202) gepackt sind: Häufiges Hin-und-Herblättern erwünscht. Die kapitelbezogene Bibliografie zur allgemeinen und speziellen Farbgeschichte (pp.203-206) beschränkt sich auf den Summen-Charakter der vorliegenden Arbeit. In seinem engagierten Einleitungs-Plädoyer für eine Geschichte der Farben (pp.7-13) rät er, man solle sich davor hüten, nach irgendeiner ›tatsächlichen‹ Bedeutung der Farben in Bildern und Kunstwerken zu suchen. ›Bilddokumente, ganz gleich, ob antik, mittelalterlich oder modern, bilden die Wirklichkeit niemals fotografisch ab – dazu sind sie gar nicht gedacht, weder im Hinblick auf Formen, noch auf Farben‹ (p.10). Was inzwischen im Common Sense angelangt sein dürfte. Zwei Seiten weiter schreibt er: Historiker ›dürfen weder ihre eigenen physikalischen und chemischen Kenntnisse auf die Vergangenheit projizieren, noch die Einteilung der Spektralfarben und die darauf basierenden Theorien als unverrückbare ewige Wahrheiten auffassen… Jeder wissenschaftliche Nachweis ist an sich schon ein kulturabhängiges Konzept mit eigener Geschichte, Begründung und ideologischer wie gesellschaftlicher Fracht‹ (p.12). Quellenprobleme werden sondiert und ausgewählte erkenntnistheoretische, auch einige methodologische Aspekte der gesellschaftskommunikativen Gegenstandskonstitution sowie diskursive Zuordnungsfragen des Zeitkolorits benutzerfreundlich und flüssig dargestellt, um nicht zu sagen elegant traktiert. Überwiegend kombiniert der Autor plausibel und phänomenal-synthetisierend. Im Sauseschritt geht es durch sämtliche Epochen der Menschheit, mit Begrenzung auf Europa. Von der Darstellungstechnik her erscheint wenig sozialwissenschaftlich falsifizierbar. Denn trotz dezidiert gesellschaftswissenschaftlicher Postulatorik findet sich kein nennenswertes sozialwissenschaftlich angewandtes Methoden-Tableau in diesem Buch. Nicht mal eine Quote für sozialwissenschaftliche Methoden.
Die konträre, konstruktivistische Grundsatzfrage - wie bewirkt Farbe Form und Raum? – umgeht der Autor in seinem Buch zur Sozialsymbolikgeschichte der Farbe Schwarz. Exkurshaft und exemplarisch sei daher eine gewisse Gegenposition beim abstrakten Münchner Maler Rupprecht Geiger (1908-2009) beigezogen. Trotz einiger sachreferentieller Übereinstimmungen zwischen beiden. Bei Rupprecht Geiger geht es um ›das Wesen der Farbe, die Potenz der Farbe, das Absolute der Farbe, kurz: Farbe als gestaltende Materie, Farbe als thematischer Orgelpunkt‹ von Bildern. Auch um schier ›ins Unendliche schwingende Farbfelder‹, ›Raumvorstellungen verdinglicht aus Farbe‹. Nach Rupprecht Geiger muten Horizonte mystisch an. ›Monochrome Massen von Kalt und Warm, Hell und Dunkel tragen die Spannung über das Gerahmte hinaus‹. In einem Brief an Helmut Heißenbüttel schrieb er: ›Farbe hat keine bestimmbare Wesensform. Während des Malens werden jedoch bei Ausschaltung des Intellekts Kräfte frei, die zur Gestaltung einer verbindlichen Farbform führen…Farbform ist dargestellte Farbe… Farbe macht Licht, Raum, Bewegung und Zeit‹. Bei Rupprecht Geiger wird Farbe somit selber poietisch zum Motiv, kommunikatorzentriert und produktiv. Vgl. ›Raum ins Bild gespritzt‹, MMN in Kulturwarte/Nordostoberfränkische Monatsschrift für Kunst und Kultur, XIX.Jg. 1968, Heft 10, p.330.
Wie soll über legitime Deutungen der Farbe Schwarz inklusive der die Erde bedeckenden Finsternis ›von der Urzeit bis zum Jahr 1000‹ mit letztlich sozialwissenschaftlichem Selbstverständnis und tragfähiger Methodologie entschieden werden, wenn die erforderlichen, beliebig reproduzierbaren Ausgangsdaten jener in Frage stehenden Äonen an Diskurs- und Mitteilungsgeschichte über weite Strecken fehlen? Von welchen gruppenspezifischen Foren und Tribünen gesamtgesellschaftlicher Mehrfachvermittlung existieren reproduzierbare und vertrauenerweckende Überlieferungen zur Verwendung der Farbe Schwarz? Es wär wohl keine Schande zuzugeben, dass man interessierende Fragen zu Farbphänomenen der europäischen Kommunikationsgeschichte mit exklusiv sozialwissenschaftlichem Fokus keineswegs kontinuierlich valide bearbeiten, geschweige denn beantworten kann. Mit der herbeiargumentierten und vehement postulierten gesellschaftskommunikativen Verankerung hat sich Michel Pastoureau eine enorme methodologische Hypothek eingehandelt, die weder en passant noch durch charmante, sozialphilosophische Apologetik einlösbar erscheint. Warum und wieso darf jedwede ›Geschichte der Farben‹ nicht ebenso auch mit Schwerpunkten in der evolutionären Intellekt-, Poiesis-, Wahrnehmungs- und Kognitionsgeschichte auffaßbar und zuordnungsfähig sein? Der Autor argumentiert apodiktisch kompromisslos: ›Für den Historiker wie für den Soziologen und Anthropologen definiert sich Farbe zunächst als ein gesellschaftliches Phänomen. Weder Künstler oder Wissenschaftler noch die biologischen Gegebenheiten oder die Natur selbst, sondern erst die Gesellschaft erzeugt eine Farbe, definiert sie und verleiht ihr Bedeutung, legt ihre Richtwerte, ihren Zusammenhang und den Umgang mit ihr fest. Die mit einer Farbe verbundenen Probleme sind zudem stets sozialer Natur, weil der Mensch nicht isoliert, sondern innerhalb einer Gesellschaft lebt. Dies zu leugnen, hieße einem vereinfachenden Neurobiologismus oder gar einer gefährlichen Wissenschaftsgläubigkeit Vorschub leisten, die jeden Versuch, die Geschichte der Farben nachzuvollziehen, im Keime erstickte‹ (p.13). Das klingt schon nach einem doktrinär soziologisierenden Ansatz. Und beinhaltet etliche uneingelöste sozialwissenschaftliche Methodenanwendungs- und Operationalisierungsprobleme für den ausgewählten Objektbereich der Farbe Schwarz von der Urzeit bis ins 21.Jahrhundert. Auch wenn der Autor sie auf ›Schwarz in Europa‹ (p.13) beschränkt wissen will: Wie soll vom Sprung des Menschen in die Geschichte bis zur Jetztzeit kommunikationsgeschichtlich und sozialwissenschaftlich akzeptabel und falsifizierbar gemessen werden? Wie sollen (ohne entsprechende Testtheorie?) logisch, repräsentativ und strukturgleich Daten erhoben, Hypothesen gebildet, getestet, bestätigt oder verworfen und empirische Befunde oder Fundstücke auf welche Weise wenn schon nicht quantitativ, dann soweit die Erhebungsmethoden es gestatten, qualitativ-sozialwissenschaftlich, ggf. inhaltsanalytisch, semiotisch und oder textstrukturell vertrauenerweckend evaluiert werden? Einerseits akteursorientiert bzw. kommunikatorzentriert und andererseits sozialkommunikativ, gruppenspezifisch oder gar gesamtgesellschaftlich modelliert werden? Wie sollen die schier unlösbaren Interdependenzen zwischen Farbphänomenen, objektivierbaren materialtechnischen Herstellungsbedingungen, gesellschaftskommunikativer Erfüllung der Sinnstiftungs-, Öffentlichkeits- und Vermittlungsfunktionen und den jeweils geltenden oder begründetermaßen unterstellbaren ökonomischen Grundlagen in die Bewertungsmaßstäbe eingehen? Wie segmentieren, parametrisieren, skalieren und kalibrieren, um zu farbgeschichtlich realitätsangemessenen oder wenigstens zu realitätsnahen Einschätzungen und gesellschaftswissenschaftlich hinreichend verlässlichen Farb-Interpretationen zu kommen?
Nochmals zur sogenannten ›Mythologie der Finsternis‹ samt inkorporierter Suggestiv-Deutung der Farbe Schwarz einschließlich der ›die Erde bedeckenden Finsternis‹, sachreferentiell ein blinder Fleck biblischer Provenienz. Weder unsere prähistorischen, noch die allermeisten unserer historischen Vorfahren bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts konnten mythologisch angehauchte Erzählungen mit epochaler Leuchtkraft in Maximal-Magenta (Farbcode: #ff00ff) malen, weil ihnen die dafür nötigen synthetischen Farbmittel und Materialbearbeitungsmöglichkeiten fehlten. Obwohl es zumindest für kurzweilige Segmente abendländischer, z.B. griechischer Mythologien durchaus nahegelegen hätte, geeignete Szenarien in prächtiger Maximal-Magenta zu verewigen. Ergo liegt der kausale Grund für jene symbolträchtige, ins Mythologische ausgreifende Verwendung von Schwarz zeitentsprechend im Spektrum der natürlichen, verhältnismäßig leicht herzustellenden oder organisierbaren, historischen Schwarzpigmente und nicht in einer wie auch immer konstituierten gesellschaftserzeugten Kommunikation mit Meinungs- und Mitteilungspräferenz für Schwarz und optische Schwarzwirkung. Biblisch-feuilletonistische bzw. christlich-jüdisch-orientalisch komponierte Mythologien und Traditionsstränge treffen in mehrfacher Hinsicht nicht unbedingt kausal ins Schwarze.
Trotz seiner überzeugend gruppierten und sortierten, sozialkommunikativ intendierten Bild-Text-Arrangements hinsichtlich der Farbe Schwarz in fünf zeitumspannenden Buchkapiteln darf gefragt werden: Wieso würde bei anders gelagerten Problemzugängen die Nachvollziehbarkeit der Humangeschichte der Farben ›im Keim erstickt‹ (p.13)? Wieso wäre es auszuschließen, dass bei komplementären humanbiologischen oder anderen interdisziplinär-naturwissenschaftlichen Ansätzen zur Farbenlehre und Farbgeschichte keine doch eher willkommenen Erkenntniskonvergenzen zustande kommen könnten? Was für Erkenntnisfortschritte im Rahmen welcher Wissensformen sollen zur Farbgeschichte und Farbsymbolik generiert und realsystematisch geordnet werden? Vorwiegend Casual-theory-entsprechendes Framing im sozialkommunikativen Design? Bleiben die angezielten, bevorzugten gesellschaftswissenschaftlich adressierten Erklärungsansätze und Zuordnungstheorien nicht doch im exemplarisch Vorgeführten, Hypostasierten, oder manchmal in Folkloristik, in Folk Theories oder in gewissen Farb-Stereotypisierungen stecken? Begriffsgeschichtliche, fachsprachlich-terminologische, metakommunikative, quellenkritische, chemische oder technische Bearbeitungsfragen sind nun mal angemessen zu berücksichtigen, ebenso humanvisuelle Reizaufnahme, Sinnkonstitution, Neurophysiologie, Wahrnehmungsverarbeitung und ggf. erheblich divergierende Mentalitäten. Ideologische, semiotische und symbolische Aspekte, Evaluierungen und epistemologisch tragfähige, in den Lehrvermittlungstraditionen bevorzugte, relativ gefestigte, nicht selten leerformelartig verdinglichte Lehrmeinungen können interpretatorisch intervenierend als prioritäre Konkurrenten auftreten. Übereinstimmung zeichnet sich darin ab, daß es im Zusammenhang mit Farbgeschichte und Farbsymbolik nicht nur um Abbildungen, Bilder, Malerei, künstlerische Plastiken, Fotos, Filme, Skulpturen und sonstige Exponate geht. Zur Farblehre und Farbsymbolik zählen nicht allein alltagssoziale interpersonale Kommunikation innerhalb von Gesellschaftskommunikation, sondern auch diskursgeschichtliche Manifestationsbereiche interessierender intellektueller Lehrkommunikation. Im Hoch- und Spätmittelalter ist auf die extensive Kommentierung ethischer und sozialkommunikativer Fragen und Problemfelder in mehreren Traditionssträngen der byzantinisch-griechischen und mittellateinischen Kommentierungs- und Übersetzungsscholastik zu verweisen, die Topics zu kirchlichen und paganen Settings der Farbenlehre und Farbsymbolik einschließen. Nur ein Bruchteil der inhaltlich dazu in Frage kommenden Texte ist bislang ediert. Weitere Knochenarbeit von Farbhistorikern/innen erscheint unumgänglich. Bei einer gesellschaftswissenschaftlich orientierten Darstellungs- und Vorgehensweise ist jede Segmentierung, Selektion und Zuordnungstheorie begründungsbedürftig. Bei seiner Besprechung der farbsystematischen Fortschritte im 17.Jahrhundert, ›Neue Spekulationen, Neue Klassifikationen‹ (pp.136-139) und der darauffolgenden ›Neuordnung der Farben‹ durch Isaak Newton (p.140 f.), die zur Exklusivität von Schwarz führte, ist dies dem Autor wohl am überzeugendsten gelungen: ›Schwarz aber steht fortan außerhalb jedes Farbsystems, außerhalb der Welt der Farben‹ (p.144). Der Appendix zu Goethes Farbenlehre (p.145) ist freilich zu einseitig geraten, weil deren spezieller, kommunikationspsychologischer Charakter nicht dargestellt wird.
Der gesellschaftskommunikative Forderungskatalog des Autors gipfelt in zwei forschungsstrategischen Postulaten, die vom Farbhistoriker zu leisten sind: ›Zum einen muss er sich bemühen, die mutmaßliche Einstellung früherer Generationen zur Farbe herauszuarbeiten, und zwar unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte, von der Wortwahl und Benennung über die Chemie der Pigmente und Farbstoffe, die Mal- und Färbetechniken, Kleidungsgewohnheiten und die ihnen zugrunde liegenden Regeln, den Stellenwert der Farbe im Alltagsleben und in der materiellen Kultur, behördliche Vorschriften, kirchliche Moralvorgaben und wissenschaftliche Spekulationen bis hin zu Kunstwerken‹ (p.13). Freilich ist fairerweise hinzuzufügen: Sofern all dies mit aussagekräftigen und vertrauenswürdig tradierten Dokumenten und verknüpft mit einer angemessenen Analytik und Dokumentsortenspezifik ermittelbar bleibt und in bearbeitbare Fragestellungen und Forschungsarbeiten mündet.
Zweite Kernforderung: ›Zum anderen muss sich der Historiker diachron auf einen bestimmten Kulturkreis beschränken und jede Veränderung, jedes Verschwinden und jede Innovation, welche die historisch auswertbaren Aspekte einer Farbe beeinflusst, untersuchen‹. Bei diesem zweigleisigen Vorgehen seien ›sämtliche Quellen zu berücksichtigen, denn die Farbe ist von jeher ein Terrain, das nur mithilfe aller Dokumente und nur interdisziplinär zu beackern ist‹. Beide Forderungen schränkt der Autor wie folgt ein: ›Allerdings erweist sich dieser Boden nicht an allen Ecken als gleich fruchtbar‹. Vom interdisziplinären Impetus her sicherlich überzeugend. Ob ein einzelner, forschender Farbhistoriker all das überhaupt simultan leisten kann? Und wieso umgeht der Autor einmal mehr die Frage nach komplementär ermittelbaren Erkenntniskonvergenzen, die sich bei nicht-gesellschaftswissenschaftlichen, z.B. human- und naturwissenschaftlichen Ansätzen im Rahmen seiner zweiten Kernforderung durch interdisziplinäre Forschungsstrategien stiften könnten? Gleichwohl: meta-analytische Perspektiven sind in diesem Buch vorhanden.
Einerseits geht es um sozialkommunikationsgeschichtlich definierbare Traditionsstränge der Farbe Schwarz. Ob in der imposant exemplarisch vorgeführten Ausschließlichkeit auch zutreffend, ist wohl kaum ermittelbar oder überprüfbar. Andererseits geht es um entscheidungsrelevant kommunikatorspezifische Prägungen und argumentationslogisch mehrwertig angelegte, mithin um angreifbare, so gut wie nicht falsifizierbare Segmentierungsfragen und Zuordnungstheorien zur Farbe Schwarz. Zum mythologischen Kontext wäre noch zu fragen: provoziert die Farbe Schwarz darüber hinaus nicht womöglich etwas geradezu Undefinierbares, das die scheinbar felsenfeste, selbstevidente Plausibilität doktrinär-wohlfeiler, z.B. linearer Raum-Zeit-Kosmologien in Frage stellen könnte?
Exkurshaft zum großen Stier von Lascaux, beigezogen im Kapitel I: ›Finsternis bedeckte die Erde. Von der Urzeit bis zum Jahr 1000‹. Als Entstehungsdatum gibt Michel Pastoureau an ›um 15000 vor Chr‹ und blendet den interdisziplinären Datierungsstreit um diese bedeutenden Felsenbilder aus: oberes Jungpaläolithikum?, oder gar jüngere Altsteinzeit vor ca. 19000 Jahren? 4000 Jahre rauf oder runter scheinen in diesem Fall nicht allzuviel auszumachen. Mit dem Blickwinkel eines Höhlentouristen beschreibt der Autor einige Auffälligkeiten. Dass Schwarz-Pigmente durch applizierte Verkohlungspartikel angebracht worden sind, berichten zahlreiche Beobachter. Elektronenmikroskopische Untersuchungen an dortigen Farbresten bestätigen überdies eine stattliche Farbpalette, basierend auf verwendeten Eisen- und Manganoxyden. Allein mit sozialwissenschaftlichen Standardmethoden hätte dies nicht kausal beweiskräftig ermittelt werden können. Zumindest eine substantiierte, gesellschaftswissenschaftlich fundierte Farb-Interpretation des berühmten schwarzen Stiers der Lascaux-Höhle hätte der Autor bei dieser Gelegenheit anbieten sollen. Was bedeutet die Farbe Schwarz im Bestiarium und speziell beim über fünf Meter großen Stier im Salle des taureaux von Lascaux konkret? Wem soll damit was signalisiert werden? Geht es um was Magisches oder Mythologisches?, oder um Rituelles?, Schamanisches? Oder um was anderes?
Im Kapitel über die ›Farbpalette des Teufels. Vom 10. bis 13. Jahrhundert‹ bezieht der Autor auch die Verwendung der Farbe Schwarz im 15.Jahrhundert ein, exemplifiziert an Johannes [Jan] Hus, degradiert und mit heller, wohl pergamentfarbener Papiermütze (gravierende Symbolik) auf dem Weg zum Scheiterhaufen am 6.Juli 1415. Während des Konstanzer Konzils ein publikumswirksamer Event. Hus wurde hauptsächlich wegen seiner egalitären Prädestinationslehre als Häretiker verurteilt. Seine Frauenfeindlichkeit blieb außen vor. Aber handelte es sich dabei, exekutiert von der weltlichen Gerichtsbarkeit, um eine sonach sensationelle Verwendung der in einigen symbolischen Details zugeordneten Farbe Schwarz? Abbildungen der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts zeigen Jan Hus teils mit matter, rostbrauner Robe, andere dunkelblau, wieder andere dunkelgrau. Die Spiezer Chronik (Spiezer Schilling) 1484/85 von Diebold Schilling dem Älteren illustriert den Feuertod des Jan Hus ohne Mitra, aber im auffallend prächtig royal-blauen Gewand. Wurde dieser Event nicht eher nachträglich zum mediendramaturgisch überragenden Großzeichen und reformatorisch-protestantischen Lehrbeispiel tendenzpublizistisch stilisiert und instrumentalisiert? Programmatisch intendierte Visualisierungen der Vita passionis dieses Jan Hus sind seit der 2.Hälfte des 15.Jahrhunderts belegt, ab 1460, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Konstanzer Scheiterhaufen, mit Peak zur Lutherzeit und im späteren 16.Jahrhundert. Wie Jan Hus wirklich ausgesehen haben mag, wissen wir nicht; von ihm existiert offenbar keinerlei zeitgenössisches Porträt. Spielte die Farbe Schwarz am 6.Juli 1415 eine unübersehbar zentrale oder eine eher beiläufige, problemlos einsatzfähige, illustrative Rolle für Jan Hus (corrupto corpore per ignem et materiam) und seine Rezipienten? Belegt das Schwarz dieser ex post aufgemalten Teufelchen auf der Papiermütze - dem unübersehbar despektierlichen, negativsymbolkräftigen Mitra-Ersatz - für spätere Didaktisierungszwecke, protestantische Rationalisierungen und folkloristische Visualisierungen nicht lediglich, daß dies darstellungstechnisch so am einfachsten, eindringlichsten und unkompliziertesten reproduzierbar war? Denn mit dem theologisch interessierenden Begriff des Bösen als Privation des Guten und den immateriellen Substantiae separatae in theologischen Angelologien und Dämonologien systematischer, mittelalterlicher Lehrtraktate und Summen haben aufgemalte, schwarze Folklore-Teufelchen faktisch nichts gemein. Ein paar Seiten weiter skizziert der Autor die Funktion von schwarzen, weißen, grauen und braunen Ordenstrachten unter der Rubrik ›Schwarz gegen Weiß‹ (pp.59-63), wobei er auf Reform- und Minoriten-Orden zu sprechen kommt, aber ausgerechnet das schwarzweiß-integrative, farbsymbolisch programmatische Ordenswappen der Dominikaner ausblendet. Wäre im Rahmen einer sich qualitativ und gesellschaftswissenschaftlich verstehenden Analytik nicht doch ein medienspezifisch-kritischer Beitrag zur Bild- und Visualisierungskritik des o.g. Scheiterhaufen-Events vom 6.Juli 1415 fällig gewesen? Der argumentierende Umgang des Autors mit einigen eingeblendeten Abbildungen erscheint manchmal sprechblasenartig verkürzt.
Instruktiv und komprimiert gelungen ist das Unterkapitel ›Von der Farbpalette zum Wortschatz‹ (pp.23-25 mit Anmerkungen 15-22 auf Seite 192). Trotzdem stellt dies allenfalls eine asketische Skizze zum europäischen Schwarz-Wortschatz dar. Allein der Index thomisticus liefert 777 Fundstellen zu ›niger‹, ›nigra‹, ›nigrum‹ etc. (schwarz, schwarzglänzend, dunkelfarbig; kann auch traurig, boshaft, böse, unheilvoll bis verdunkelnd bedeuten), oft auch kontrastiv verwendet (schwarz-weiß), und bietet bloß 7 Belege zu ›ater/atra/atrum‹ (schwarz, mattschwarz, schwarzgekleidet; kann auch traurig, grauenvoll, boshaft, neidisch bedeuten), und etwa gleichwenige Belege zu ›caeruleus‹ bzw. ›ceruleus/a/um‹ (blau, dunkelbläulich, dunkelfarbig, schwärzlich). Die Interpretation menschlicher Hautfarben (pp. 75-77 und bis 82, ›Bekehrung der Dunkelhäutigen‹) im Kapitel ›Modefarbe Schwarz. 14. bis 16. Jahrhundert‹ hängt erheblich von gruppenspezifischen Diskussionsforen, der Dokumentsorte bzw. Traktatsorte und vom überregionalen Tibünencharakter des jeweiligen Mediums ab. Et propter hoc albedo et nigredo non faciunt homines differre secundum speciem. Diese zweifellos repräsentative, vielfach belegte Trendaussage im europäisch-lateinischen Hoch- und Spätmittelalter sowie der frühen Neuzeit wirkt angesichts der von Michel Pastoureau beigebrachten, bebilderten Darstellungsauswahl fast ein wenig fremd. Leider bleibt unexpliziert, nach welcher(n) Erhebungsmethode(n) und Kriterien seine ostentativen Abbildungen ausgewählt wurden. Die meisten Autoren des Mittelalters und der Neuzeit fallen beim Autor dieses Schwarz-Buches unter den Tisch. Illustrative Items aus Elaboraten der historischen Hilfswissenschaften (Bilddatenbanken und Bilderchroniken, Ikonografie, Emblemata, Heraldik, Sphragistik, Vexillologie), sind zur Genüge eingearbeitet. In diesem Kontext ein karger Hinweis zur Dokumentsortenspezifik im Hinblick auf das, was man ggf. als mittelalterliche gesellschaftliche Kommunikation umgreifen könnte. Sowohl Disputationsmitschriften und Traktatgenres wie voluminöse Realenzyklopädien und Wörterbücher sind zu konsultieren: Ausstellungskataloge, Konkordanzen, Konversationslexika, Quellensammlungen, Handbücher zur Sozial-, Kirchen- und Wirtschaftsgeschichte, nicht zuletzt Inhaltsverzeichnisse (Indices rerum et verborum). Abgesehen von farbgeschichtlichen Recherchen und Streifzügen durch erhaltene, verzweigte Manuskriptbestände in europäischen Bibliotheken. Erste Ansprechpartner speziell für gruppenübergreifende, überregionale Kommunikation stellen die riesigen mittellateinischen Wörterbücher und Realenzyklopädien in der Nachfolge von Isidors Etymologien (7.Jht.) dar. Gewiß repräsentieren sie auch die redaktionellen Selektionskriterien ihrer Produzenten. Diese Enzyklopädien und Wörterbücher wenden sich ausdrücklich auch an einfache Leser (Simplices). Mittelalterliche Realenzyklopädien und Wörterbücher leisten universale Vermittlung im Hinblick auf historisch-soziale Zeitkommunikation. Sie sind als Handbücher angelegt, zu publizistischen Zwecken kompiliert, hierarchisiert, hundertfach abgeschrieben, quer durch Europa verbreitet, theoriebeladen standardisiert, bieten so einen Schlüssel zum Verhältnis von Significans und ›res‹ (Sachverhalte/Verhaltenszeichen). Beispiele: Wb. des Papias (1050), Osbern von Gloucester (2.Hälfte des 12.Jhts.), Huguccio von Pisa (um 1200); das ›Catholicon‹[Allgemeine] des Johannes Balbus (1286, gedruckt 1460 in Mainz); das Wb. des Thomas von Chantipré/de Cantiprato (um 1240), Jakob von Maerland (vor 1300 ins Niederländische übertragen: Der Naturen Bloeme/›de natura rerum‹ und 1349/50 von Konrad von Megenberg ins Deutsche.
Ohne Beckmesserei sei festgehalten: Es ist sicherlich legitim, usuell und unstrittig, daß der Autor seine ausgewählten Items aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfahrung und Kompetenz exemplarisch präsentiert und erörtert, und dies nicht nur gelegentlich mal nach dem Motto ›This is just it‹. Man könnte es auch als Ex-post-Beschreibung nach erfolgreich appliziertem, dynamischem Forschungsprozeß auffassen, rekonstruiert aus subjektiver Perspektive und basierend auf einzelfalladäquater, qualitativer Sozialforschung. Abgesehen vom finalen Fragezeichen (p.186), ob Schwarz eine gefährliche und subversive Farbe sei (schwarze Flagge, schwarze Biker- und Rocker-Jacken). ›Die einzigen Bereiche, in denen das Schwarz offenbar eine gefährliche und subversive Farbe geblieben ist, sind Sprache und Aberglaube‹ (p.189).
Auf Seite 190 gelangt Michel Pastoureau schließlich zum moderaten Ergebnis, daß ›Schwarz also weder die beliebteste noch die unbeliebteste Farbe‹ sei, sondern ›im Mittelfeld‹ rangiere, ›was ein Novum in seiner Geschichte‹ sei. Gefolgt vom arpeggierten Ausklang: ›Sollte es tatsächlich eine durchschnittliche Farbe geworden sein? Eine neutrale Farbe, eine wie jede andere?‹ Womit sich u.a. auch manch sorgenvolle Alltagserwägung erledigt: Ob es denn was Dunkles bedeuten könnte, wenn man Tag für Tag eine schwarze Thermo-Filterkaffeemaschine mit schwarzem Schwenkfilter und schwarzem Antirutschgriff auf der Edelstahl-Kanne benutzt? Zumal, wenn außerdem noch ›BRAUN‹ als Herstellerfirma draufsteht? Folkloristisch-farbenfrohe Symbolik ist was Schönes, kann aber schwarze Problemkonstellationen nicht ganz ersetzen. Nicht alles Schwarze scheint soziopolitisch kausal erklärbar bedingt zu sein.
Aber welche kommunikationspsychologisch maskierten Neutralisationseffekte könnten Schwarz ›als neutrale Farbe‹ oder als ›eine Farbe wie jede andere‹ generieren? Welches Forschungsdesign könnte sich für die Überprüfung von derlei Hypothesen eignen? Automatisierte Content Analyse? Dynamische Mehr-Ebenen-Forschung? Oder einfache Panel-Studien? Wie sollen interaktive Feedback-Komponenten integriert werden? Oder ob kommunikatorexterne Makro- und Mesodaten ausreichen? Wie sollte die farbrelationale Bild- und Visualisierungskritik ausgestattet sein, um für bearbeitbare Forschungsfragen portionierbar zu bleiben? Wieviele nicht-professionelle Rezipienten-Äußerungen, Rubriken, Digitalisierungs-Potentiale und -Formate nicht-klassischer Medien-Foren sollten einbezogen werden? Instagramm- und Pinterest-Augenblicke, jede Menge Videos, Online-Kommentierungen und Watchblogs? Jedenfalls müßten relativ große Daten-Sets mit entsprechenden Farb-Items topikalisiert, interdisziplinär arrangiert und statistisch analysiert werden, um in unserer Zeit gesellschaftswissenschaftlich fundiert und verläßlich zu derlei farbrelationalen Realitätskonstruktionen (gefährliche Farbe / neutrale Farbe) zu gelangen. Und wären demzufolge dann Schwarz und Weiß endgültig ›durch das Raster gefallen‹ (vgl. p.152), besagt: im Nachgang zu Newtons und Le Blons Entdeckungen zur Neuklassifizierung der Farben in den 1720er Jahren? Um also ›weitreichende Konsequenzen für alle Bereiche des gesellschaftlichen, künstlerischen und intellektuellen Lebens‹ aus der veränderten Genealogie und phasenweise aktualisierten Hierarchie der Farbe Schwarz einschätzen und herleiten zu können, müßten farbspezifische Phänomene der öffentlichen und sprachlich-öffentlichen Kommunikation in regelmäßigen Zeittakten nicht nur synchron gemessen, sondern angemessen diachron durchgeführt werden. Was wären bei Rolling-CrossSection-Befragungen adäquate Zeitabstände für kontinuierliche Studien zur Verwendung der Farbe Schwarz? Die in überregionalen Verkehrssprachen manifestierte und transliterierte Diskursgeschichte über Farben und Farbsymbolik in Europa erscheint jedenfalls prinzipiell mit empirisch-sozialwissenschaftlichen Erhebungs- und Analysemethoden bearbeitbar, z.B. inhaltsanalytisch, komparatistisch, rhetorisch-interaktiv und textstrukturell. Das schon bemängelte Fehlen eines sozialwissenschaftlich angewandten Methoden-Tableaus in diesem Buch – angesichts des forschungsrelevanten Forderungskatalogs seines Autors - gilt es noch bezogen auf eine Ausnahme im Schlußkapitel auf Seite 190 zu präzisieren: parallel zu einigen Interpretationen und Meinungsangeboten zur ›Bilderflut‹ im 20./21. Jahrhundert (ab Seite 174 bis 191) sind zwei sozialwissenschaftliche Studien zur Farbwirkung und Farbpsychologie in Anmerkung 63 auf Seite 202 erwähnt. Neu arrangierte, empirische Umsetzungsvorschläge oder akzentuierte Forschungsinnovationen in einem neuen, interdisziplinären Design habe ich in diesem Buch von Michel Pastoureau nicht entdecken können. Ein nennenswerter, methodischer Innovationscharakter kann dem Buch wohl kaum beigemessen werden. Spätestens bezüglich der vergleichsweise wenigen vorgeführten Illustrationen zu farbgeschichtlichen und farbsymbolischen Entwicklungstrends im 20. und 21. Jahrhundert hätte der Autor angeben sollten, wie er mit großen Datenmengen rationalerweise im Rahmen welcher Forschungsdesigns und welcher normativen Grundlagen von Qualitätsstandards verfährt, oder welche mehrwertige Fuzzy Logic seinem Argumentieren, Auswählen und Trendbewerten zugrunde liegt. Es geht nicht darum, für jedes selektierte Item irgendeine Fallstudie zu benennen. Schließlich sollte er auch sagen, welche Folien von Medientheorie und bildtheoretischer Transmission, welche Communities und Medienformate ihn hauptsächlich insinuieren, bestimmte Bedeutungs-, Gestaltungs- und Veränderungsvariabilitäten der Farbe Schwarz im Kontext sogenannter ›gesellschaftlicher Erzeugung‹ zu eruieren, kritisch einzuschätzen und prioritär zu gewichten. Mit all dem soll ein schmackhafter, unübersehbarer Lerneffekt dieses Buches von Michel Pastoureau nicht bagatellisiert werden: Die Entwicklungsschübe und Entwicklungstrends der Farbe Schwarz, so unterhaltsam wie der Autor sie in vielen Fällen durchsichtig und schlüssig erläutert, stellen geradezu ein Paradebeispiel historischer und zeitgeschichtlicher Multimodalisierung dar. Auch wenn das im vorliegenden Buch eher zwischen den Zeilen vage erkennbar erscheint. Allerdings erheben sich Zweifel, ob die vom Autor beanspruchte, europazentrierte Kulturkreis-Begrenzung (wohl doch eher eine Bescheidenheitsgeste?) im 21.Jahrhundert noch längere Zeit ernsthaft darstellungstechnisch durchzuhalten sein dürfte.
Michel Pastoureau: SCHWARZ - Geschichte einer Farbe. Aus dem Französischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Imprint des Philipp von Zabern Verlags) 2016, 207 Seiten; französische Originalausgabe: ›Noir. Histoire d'une couleur‹, Beaux-Livres (Le Seuil), Paris 2008, 216 Seiten; angloamerikanische Edition: Black: The History of a Color (Princeton University Press) 2008, 216 Seiten.