von Gunter Weißgerber
Der Spiegel schrieb in den 80ern sinngemäß, die DDR-Deutschen seien ein Volk, das täglich um 20 Uhr kollektiv auswandere. Gemeint waren der Beginn der Tagesschau und der Informationshunger der Ostdeutschen.
So war es tatsächlich. Die DDR-Medien zwangen uns rund um die Uhr sozialistische Erziehung und Umerziehung auf, ohne uns die geringste Chance auf Pluralität der Informationen und daraus folgender individueller Meinungsbildung zu lassen. Die Folgen waren so gravierend wie absehbar: Nicht einmal die Wettervorhersage wurde geglaubt, von den Nachrichten ganz zu schweigen. Es war gruselig. Und das Ende der ›Diktatur der Arbeiter und Bauern‹ war auch in medialer Hinsicht ein glückliches, ein besonders glückliches.
Den Spiegel las ich damals übrigens in der ›lustigsten Baracke‹ des östlichen Lagers. So nannte man in der DDR halb im Spaß, halb in bitterem Ernst – und stets hinter vorgehaltener Hand – die Volksrepublik Ungarn. Freunde aus der Bundesrepublik hatten dieses Heft mitgebracht. Am Balaton konnten die diesbezüglich ausgehungerten DDR-Bürger aber nicht nur von Freunden mitgebrachte Westzeitungen verschlingen. Am Strand wurden manchmal die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, ein österreichisches Blatt und immer die Budapester Rundschau in deutscher Sprache verkauft. Die westdeutschen Zeitungen waren für uns damals einfach nur ein Genuss! Pluralismus, Informationen ohne Zeigefinger, eine Sprache weitab vom hölzernen Deutsch der DDR-Apparatschiks...
Und heute? Wie hat sich gerade die Süddeutsche Zeitung seitdem entwickelt! Den Spiegel möchte ich im Grunde hier nicht einmal mehr nennen. Zu Ostblockzeiten hätte die heutige SZ von mir mit Sicherheit das Prädikat ›SED-ähnliches Parteiblatt‹ erhalten. Die Budapester Rundschau war eine Zeitung der ungarischen SED, der USAP. Das konnte anders nicht sein. Doch selbst diese Zeitung wurde nicht im offenem Zeigefingermodus geschrieben. Die Herkunft der Beiträge war immer klar zu erkennen und doch hatte das Denken irgendwie eine Chance in dem Blatt – jedenfalls für des kundigen Lesens gewohnte DDR-Insassen. Ganz zu schweigen davon, dass in dieser Zeitung ab Mitte der 80er Jahre tatsächlich frische Luft wehte. Die Reformer aus eigener Kraft, Poszgay, Nemeth und andere, kamen deutlich zu Wort und ebneten den Weg zu den weit aufgestoßenen Fenstern des Jahres 1989. Wie sehr unterschieden sie sich von Gysi, Modrow und Co., die als Trittbrettfahrer die politische Bühne bespielen und ihre DDR erhalten wollten. Hätten die Gysis (und Lafontaines) damals Erfolg gehabt, es wären heute Putins‘ Truppen in der weiterhin bestehenden SED-PDS-MfS-DDR, die gut auf die Ostdeutschen aufpassen würden.
Wer die Budapester Rundschau in den 80ern las, wusste nicht nur über die Innenpolitik Ungarns Bescheid. Nein, er konnte ahnen, welche Prozesse tatsächlich abliefen und dass der ›wind of change‹ immer kräftiger wehte. Ich selbst bekam nach Jahren des Wartens um 1984 herum ein Abonnement der Budapester Rundschau. Ein eigentlich absurder Vorgang: Ein vorheriger Abonnent musste erst in den Westen geflüchtet, verhaftet worden oder gestorben sein. Anders kam man nicht an ein Abo heran in der verblichenen DDR. Beim Mosaik von Hannes Hegen war es genauso. Die Zahl der Interessenten für diese Zeitung war ungleich höher als die hierzu angelegte Warteliste. Man sieht: Nicht nur für Trabbis und Wartburgs galt das Prinzip der Sozialistischen Warteschlange.
Heute, im Hochsommer 2017, achtundzwanzig Jahre nach der ›Friedlichen Revolution‹ von 1989/90 stelle ich beinahe täglich fest, dass mir die unaufhörliche und penetrante Belehrung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten (die Privaten interessieren mich weit weniger) und in sehr vielen Printmedien nicht nur gehörig auf den Geist geht. Immer und überall lugt der moralische Zeigefinger aufdringlich hervor. Fast wie früher sind die Regionalseiten oftmals noch die verträglichsten Angebote. Es widert mich derart an, dass ich nicht einmal mehr Lust auf den Wetterbericht habe.
Inzwischen lese ich immer häufiger Schweizer oder Österreichische Zeitungen und informiere mich in seriösen Internetmagazinen, mag auf andere Publikationsorgane abseits der üblichen im Lande nicht mehr verzichten. Wenn ich ein wirklich plurales und im guten Sinne hintergründiges Bild von unserer Welt haben will, geht es gar nicht mehr anders. Das Belehrende, Erziehende, Umerziehende (verbunden mit medialer Aufbereitung für ein Publikum, das als Klippschüler angesehen wird) findet dort nicht statt. So war es vormals auch in der Bundesrepublik und ihren Medien. Wie lange ist das her? Wann ging es unaufhaltsam in die heute so beklemmende Richtung? Und, vor allem: Warum?
Ich spreche ausdrücklich nicht von ›Lügenpresse‹! Dieser Vorwurf ist Blödsinn und eine gezielte Destabilisierung durch Vertreter des rechten und linken Rands. Damit will ich nichts zu tun haben. Doch das ängstlich betriebene Aussortieren von Informationen mit vorab schwer zu kalkulierender Wirkung bringt mich gewaltig in Wallung! Die Klebers und Reschkes dieser Republik mit ihrer aufgesetzten Moraldominanz erinnern mich einfach nur an Herrn Feldmann und Frau Unterlauf von der Aktuellen Kamera. Natürlich mit einem gewaltigen Unterschied: Feldmann/Unterlauf mussten verkünden, was ihnen die SED-Friedensfreunde vorschrieben. Kleber/Reschke geben das aufdringliche Zeug von sich aus von sich.
Ich benötige keine belehrende Information. Meine Schlüsse ziehe ich selbst und im Zweifel gegen die aufdringlich empfohlene alternativlose Denkrichtung. Das wiederum ist ein systemunabhängiges Verhalten. Im Dritten Reich und in der DDR waren die Medien an die Kandare der Staatsparteipropaganda geschweißt. Mit der Bundesrepublik ist das nicht vergleichbar. Es gibt keinen Propagandaminister und keinen Agitprop-Sekretär, der die Medien anleitet. Die leiten sich höchstens in wundersamer Weise irgendwie selbst an. Abstoßend aber ist das auch.
Liebend gern sah ich bisher populärwissenschaftliche Sendungen wie Terra X u.ä. Selbst das wird mir inzwischen vergällt. Ich habe festgestellt, dass es besser ist, in den letzten drei Minuten einen andern Kanal zu suchen, um den obligatorischen Zeigefingersätzen über die globale Erwärmung und deren apokalyptische Folgen in den kommenden Wochen aus dem Wege zu gehen. Für solche Sätze muss es Fördermittel geben, anders ist diese Inflation des Untergangs nicht zu erklären.
Liebe Fernseh- und Zeitungsleute, ihr verliert täglich bislang noch Wohlgesonnene, wenn ihr nicht endlich aufhört, uns dergestalt auf den Keks zu gehen! Informiert uns redlich und so objektiv, wie es Menschen eben auch möglich ist. Und zeigt uns in euren als solchen gekennzeichneten Kommentaren, was eure persönliche Meinung ist. Dann kann jeder entscheiden, ob er diese eure Meinung wissen will, ob er sie teilt und ob er sie braucht. Denn: Ihr habt nur den Zeitvorsprung, nicht die bessere Urteilskraft. Auch wenn ihr euch das mitunter einbilden mögt.