von Ulrich Schödlbauer
»Wissen Sie –« »Nein!« So beginnt in den Tagen des Wahns jeder ehrliche Disput unter Couragierten: Die einen haben etwas zu sagen und die anderen wissen es zu verhindern. Haben sie nichts zu sagen? Wenn es nur das wäre! Die Gesprächsverweigerer finden, alles sei gesagt. Sie können sich bloß entweder nicht richtig daran erinnern oder wiederholen gebetsmühlenartig immer dieselben Brocken, die sie aus der Alltagssuppe, genannt Publizistik, gefischt haben, nicht bedenkend, was alles noch in ihren trüben Tiefen lagern könnte. Man könnte also meinen, so wird das nichts mit dem Disput. Da Disput aber sein muss, schon um der Formate willen, die von den Öffentlich-Rechtlichen ausgefüllt werden müssen, besetzt eine über dem Pandämonium schwebende Regie die Stühle der Andersdenkenden (Fachleute, die nicht zu Wort kommen sollen, weil ihre Ansichten ›irgendwie‹ anders klingen als die obligatorischen Gebetsmühlenbrocken derer, die ohnehin Bescheid wissen, weil ihnen irgendwann der Bescheid zugegangen ist und jetzt im Innenohr piept) mit Stellvertretern, die auch Bescheid wissen, aber darüber hinaus ein weites Herz besitzen, in dem auch ein paar Bedenken Platz haben, die heraus müssen, sobald die Situation es erfordert. »Ich finde, Corona verlangt uns allen Opfer ab.« »Wollen Sie andeuten, es ginge auch ohne?« »Nein, das denke ich nicht. Aber…« So schwadroniert es sich endlos, bis irgendein Terrorschütze oder eine US-Wahl kurzfristig einen Themenwechsel erzwingt. Dann geht es weiter.
von Ulrich Schödlbauer
Bemerkt werden muss, dass der Schlüsselbund zum Verständnis der Merkel-Ära seit langem im ewigen Zitatenvorrat der Dreigroschenoper der Herren Weill und Brecht begraben liegt. Und das ist gut so in einem Land, in dem mittlerweile gut und gerne 95% der Bevölkerung, unter tätiger Beihilfe des Bildungssystems, unbeleckt von jeder literarischen Bildung ihren Weg gehen. Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß. Dabei wäre es, auch außerhalb der Märchenwelt, so einfach in Erfahrung zu bringen. Gut, dass die Theater jetzt für eine Weile geschlossen bleiben.
Interview mit Prof. Dr. Peter Brandt von Lucas Scheel und Philipp Sprengel
Seit dem letzten Jahr gibt es eine öffentliche Diskussion um die Entschädigungsforderungen des Adelsgeschlechts der Hohenzollern, aus welchem der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II entstammte. Das heutige Familienoberhaupt Georg Friedrich von Preußen fordert vom Bund und dem Land Brandenburg Entschädigungen in Millionenhöhe für die Liegenschaften, welche durch die Sowjetunion nach 1945 enteignet wurden. Rechtlich entscheidend dafür, ob Entschädigungen gezahlt werden müssen, ist, ob die Hohenzollernfamilie dem NS-Regime ›erheblich Vorschub geleistet‹ hat. Zur Beurteilung dieser Frage hatte das Land Brandenburg vier Historiker mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Diese Gutachten wurden im November 2019 von dem Satiriker Jan Böhmermann im Internet veröffentlicht, wodurch die Debatte in die Öffentlichkeit getragen wurde. Der emeritierte Professor Dr. Peter Brandt hat eines dieser Gutachten verfasst und vertritt eine klare Position in dieser Debatte. Er leitete von 1989 bis 2014 den Lehrstuhl für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte der Fernuniversität Hagen. Seine Forschungs und Publikationsgebiete sind unter anderem die vergleichende europäische Verfassungsgeschichte, die Geschichte des Staates Preußen sowie die Nationsbildung und Nationalbewegungen. Ende März 2020 durfte die pug [politik und gesellschaft] mit dem SPD-Mitglied und ältesten Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt ein schriftliches Interview führen, in welchem er die Hintergründe der Debatte näher erläutert und seine Meinung zu den zentralen Fragen der Diskussion darlegt.
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