von Rüdiger Henkel
Am 13. Juli 2019 ab 23 Uhr 10 unterrichtete der Deutschlandfunk Kultur seine wenigen Hörer, die um diese Zeit noch nicht schliefen, darüber, dass die Familie Hohenzollern seit 2014 Geheimverhandlungen führt, um Werte zurück zu erhalten, die bis 1948 von der sowjetischen Militärregierung in ihrem deutschen Besatzungsgebiet enteignet und später an die Regierung der DDR übergeben worden sind.
Folglich rauscht es seit dem Sommer vorigen Jahres gewaltig im Blätterwald und auch Funk und Fernsehen haben sich des Themas angenommen. Schon jetzt kann man feststellen, dass die Familie Hohenzollern wegen ihrer Forderungen eine denkbar schlechte Presse hat. Doch wer verhandelt hier und worum geht es eigentlich?
Verantwortlich für die Rückgabeforderungen ist der derzeitige Chef des Hauses Hohenzollern, der 1976 (!) geborene Georg Friedrich Prinz von Preußen. Seine Verhandlungspartner sind die Bundesregierung, vertreten durch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten sowie das Deutsche Historische Museum.
Verhandlungsgegenstand ist die Rückgabe der Vermögenswerte der Familie, die sich bis 1990 im Staatsbesitz der DDR befanden, oder wenn das in bestimmten Fällen nicht möglich ist, eine entsprechende finanzielle Entschädigung aus Steuermitteln. Dabei handelt es sich um Kunstschätze in den Museen der Stiftungen, um Immobilien, Wohnrechte in Schlössern sowie um Grundbesitz. Die genauen Beschreibungen sowie der materielle Wert der Gegenstände sind nicht bekannt, aber dass es sich um viele Millionen Euro handeln muss, ist unbestritten.
Das Haus Hohenzollern stellte seit 1417 die Kurfürsten von Brandenburg, seit 1701 die preußischen Könige und seit 1871 nacheinander drei deutsche Kaiser. Die bekanntesten und bedeutendsten von ihnen waren: Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, der als erster Hohenzoller Glaubensflüchtlingen Asyl gewährte; der volkstümliche König Friedrich der Große, der bedeutendste europäische Monarch seines Zeitalters; der kunstsinnige König Friedrich Wilhelm IV.; sowie Wilhelm I., der mit Hilfe Bismarcks und Moltkes die deutschen Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich gewonnen hat und 1871 Deutscher Kaiser wurde.
Sein Enkel, Kaiser Wilhelm II., führte Deutschland 1914 in den Ersten Weltkrieg. Am Ausbruch und der langen Dauer dieses Krieges trägt er nicht die alleinige Schuld, ein Kriegsverbrecher war er auch nicht. Ihn als politisch und militärisch unschuldig zu bezeichnen, wäre allerdings verwegen. 1918 dankte er ab, nachdem Deutschland den Krieg verloren hatte und floh nach Holland, wo er 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, starb. Am 9. November 1918 wurde in Deutschland die Republik ausgerufen und die monarchistische Staatsform in allen deutschen Bundesstaaten abgeschafft.
Bis 1918 hat es in den deutschen Monarchien keine strikte Trennung zwischen dem Staatsvermögen und dem Privatvermögen der jeweiligen Herrscherfamilien gegeben. Auch bei den Hohenzollern war das nicht anders. Friedrich der Große verstand sich als absolutistischer Herrscher, gleichzeitig aber auch als ›erster Diener seines Staates.‹ Alle Vorgänger und Nachfolger aus dem Hause Hohenzollern sahen sich mit mehr oder weniger Recht ebenfalls so und schon deshalb hatte eine strenge Trennung zwischen Staats- und Privatvermögen gar keinen Sinn, weil man Geld und andere materielle Werte brauchte, um regieren zu können.
Andererseits waren die Deutschen nie konsequente Revolutionäre, sondern gehorchten ihren jeweiligen Herrschern bis zum bitteren Ende. Folglich wurde in der verspäteten bürgerlichen Revolution 1848 und in der unvollendeten Revolution von 1918 keinem deutschen Fürsten ein Haar gekrümmt. Doch seit Jahrhunderten lebten die Deutschen auch in rechtsstaatlichen Verhältnissen. Das ist zwar mit Gerechtigkeit nicht zu verwechseln, beinhaltet jedoch, dass jeder sein Eigentum behalten und darüber verfügen durfte, falls er nicht gegen geltende Strafgesetze verstoßen hatte. Alle Bestrebungen weit links stehender politischer Kräfte nach 1918 zur entschädigungslosen Enteignung der ehemals regierenden Fürstenhäuser fielen deshalb bei der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit auf keinen fruchtbaren Boden.
Zu einem Volksentscheid über die Fürstenenteignung kam es erst gar nicht, weil schon das gesetzmäßig vorgeschaltete Volksbegehren keine ausreichende Unterstützung bei den Wahlberechtigten fand. Folglich kam es zu Verhandlungen zwischen den republikanischen Reichs- und Landesregierungen mit den Vertretern der ehemals regierenden Fürstenhäuser über einen Vermögensausgleich, die 1926 für die früheren Monarchen sehr erfolgreich abgeschlossen wurden.
Prinz Louis Ferdinand, der Enkel des letzten deutschen Kaisers und langjährige Chef des Hauses Hohenzollern, lobte in einem Fernsehinterview Anfang der neunziger Jahre ausdrücklich die Sozialdemokraten Otto Braun (1926 preußischer Ministerpräsident) und Carl Severing (1926 preußischer Innenminister) für ihre Großzügigkeit, denn alleine zahlreiche Waggons mit außergewöhnlichen Kunstschätzen und wertvollen Möbeln gingen aus deutschen Schlössern ins holländische Haus Doorn, den Exilwohnsitz Wilhelm II., von riesigen Ländereien, Immobilien und anderen Vermögenswerten gar nicht zu reden, die den Hohenzollern als Privateigentum in ganz Deutschland verblieben.
Ihr Eigentum in den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße verloren die Hohenzollern nach 1945 genauso wie alle anderen Heimatvertriebenen. Vom verbliebenen Privatvermögen in der alten Bundesrepublik sowie in Berlin-West lebten sie trotzdem wesentlich komfortabler als die übrigen Flüchtlinge, die oft nur das nackte Leben retten konnten. Doch jetzt geht es für die Hohenzollern, wie schon gesagt, um die Eigentumstitel auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, die ihnen 1926 im Rahmen des Vermögensausgleichs zugestanden worden waren und über die sie bis zum Kriegsende 1945 verfügen durften. Rückgabe- und Entschädigungsforderungen machen aber immer noch auch viele andere Leute geltend, denen einmal Bauernhöfe, Handwerksbetriebe und Einfamilienhäuser gehört haben. Ob die Ansprüche dieser Personen nicht vor denen der Hohenzollern berücksichtigt werden müssen, wird man zumindest einmal fragen dürfen.
Historisch, politisch und juristisch gibt es inzwischen eine Menge Argumente, die den derzeitigen Chef des Hauses Hohenzollern davon überzeugen müssten, auf die noch offenen Ansprüche zu verzichten.
- Die aus 500 Herrschaftsjahren der Familie stammenden Vermögenswerte hat die beherrschte Bevölkerung nach und nach aus ihren Steuern und Abgaben bezahlt. Aufgrund beruflicher Tätigkeit konnte keine bürgerliche deutsche Familie derartige Schätze erwerben.
- Die Abdankung Kaiser Wilhelm II. war seine Konsequenz aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Er und sein Sohn, Kronprinz Wilhelm, haben die Republik nie anerkannt, obwohl deren Repräsentanten und die überwiegende Bevölkerungsmehrheit sich außerordentlich großzügig verhalten haben.
- Nach den heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen ist die Rückgabe oder Entschädigung von Vermögenswerten, die von den DDR-Behörden konfisziert worden sind, daran gebunden, dass die enteigneten natürlichen oder juristischen Personen weder dem nationalsozialistischen noch dem kommunistischen Herrschaftssystem erheblichen Vorschub geleistet haben. Und darüber wird noch zu reden sein.
Kronprinz Wilhelm verfasste 1932 einen Aufruf zur Wahl Hitlers und der Nationalsozialisten. Am 21. März 1933, dem Tag von Potsdam, an dem sich die deutschen Konservativen mit den Nazis verbündeten, ließ er sich zusammen mit Hitler und Hindenburg in Uniform in der Garnisonskirche fotografieren. Lobsprüche zugunsten der SA sind aktenkundig.
Prinz August Wilhelm, der Bruder des Kronprinzen, war seit 1930 Mitglied der NSDAP, Träger des Goldenen Parteiabzeichens und Obergruppenführer (General) der SA.
Wilhelm II. empfing zweimal Hermann Göring in Haus Doorn. Dabei dürfte es kaum darum gegangen sein, gemeinsam Kaffee zu trinken, sondern die Möglichkeiten auszuloten, die Herrschaft der Hohenzollern in Deutschland mit Hilfe der Nationalsozialisten wieder aufzurichten.
Behauptungen über die Beteiligung von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern an der konservativen Widerstandsbewegung gegen Hitler gehören in den Bereich der Fabel. Erhebliche Vorschubleistungen für das nationalsozialistische Herrschaftssystem sind dagegen nicht zu bestreiten.
Weniger bekannt ist, dass der Kaiserenkel Prinz Louis Ferdinand, als Chef des Hauses Hohenzollern, zwischen 1981 und 1988 auf Burg Hechingen in Baden-Württemberg Gespräche mit Regierungsvertretern der DDR führte, in denen es um die Rücküberführung der Särge der preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen nach Potsdam ging sowie um Wohnrechte der Familie im Potsdamer Schloss Cecilienhof.
1987 lud Kurt Löffler, Staatssekretär im Kulturministerium der DDR, ›Seine Kaiserliche Hoheit‹ zu einem Besuch in Potsdam ein, die Louis Ferdinand annahm. Am 3. Mai 1988 unterrichtete DDR-Kulturminister Hans Bentzien seinen Staatschef Erich Honecker schriftlich:
Zur erheblichen Vorschubleistung für das DDR-Regime kam es nicht mehr, weil der kommunistische deutsche Staat bekanntlich im November 1989 kollabierte. Ein Verdienst der Hohenzollern war das allerdings nicht.
Alles, was in diesem Artikel steht, weiß der heutige Chef des Hauses Hohenzollern auch. Es veranlasst ihn offensichtlich nicht, 102 Jahre nach dem Ende der Monarchie, aus Anstand gegenüber der Bevölkerung in der heutigen Bundesrepublik Deutschland auf seine Ansprüche aus den Vermögenswerten im ehemaligen DDR-Gebiet zu verzichten.
Weil das so ist, haben die Repräsentanten unserer Republik nun die Pflicht, alle Forderungen der Hohenzollern ausnahmslos abzulehnen und sich gegebenenfalls vor den Gerichten verklagen zu lassen, notfalls bis zur letzten Instanz. Wie das ausgeht, sollten wir alle in Ruhe abwarten.