Die Blomberg-Fritsch-Krise 1938 und ihre Deutungen

von Fritz Schmidt

 Im sogenannten Dritten Reich gerieten auch vielfach ehemalige Jugendbewegte ins Visier der Geheimen Staatspolizei, abgekürzt und als Schreckensname mit Gestapo bezeichnet. Hauptsächlich aber fuhr die Gestapo ihre Fänge gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und der Homosexualität Verdächtigte aus, bis in die höchsten Kreise hinein, wobei Intrigenspiele nicht fehlten.

Vermutlich am 19. Oktober 1942 wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen ein gewisser Otto Schmidt, ein Kleinganove und ›Strichjunge‹, durch den Strang hingerichtet, das heißt ermordet (LA Bln., B Rep. 057-01, Nr. 13; Müller 1969: 637 f.). Mit dem Allerweltsnamen ist eine der größten Affären des sogenannten Dritten Reichs verbunden, die Blomberg-Fritsch-Krise vom Februar 1938, deren Umrisse sich allerdings erst nach dem Ende des Regimes zeigten. Seinerzeit, 1938, wurde der Bevölkerung nur mitgeteilt, dass in Regierung und Militär ein größeres Revirement stattgefunden habe, um die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kräfte in der Hand des ›Führers‹ Adolf Hitler zu konzentrieren.

In der Tat, Reichskriegsminister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg und der Oberkommandierende des Heeres, Generaloberst Werner von Fritsch, waren im Rahmen der Umstrukturierung, die zahlreiche Generale und Diplomaten betraf, zurückgetreten, wie es hieß, aus gesundheitlichen Gründen. Blombergs Position übernahm Hitler als Oberbefehlshaber der Wehrmacht selbst; daneben musste noch Reichsaußenminister Konstantin von Neurath den Zylin­der nehmen, versüßt durch die Ernennung zum Präsidenten eines Gehei­men Kabinettrats – der niemals zusammentreten sollte. Luftwaffen­chef und Bevollmächtigter für den Vierjahresplan Hermann Göring, der sich wohl Hoffnungen auf den Kriegs­minister gemacht hatte, wurde ›lediglich‹ zum General­feldmarschall ernannt. Als neuer Außenminister erschien Hitlers Günstling Joachim von Ribbentrop, kein Berufsdiplomat. – Während die NS-Zeitung Völkischer Beobachter den Vorgang als Verein­heit­lichung und Kraftzuwachs, als Gesetz der Zweckmäßigkeit rühmte, konnte der aus­ländischen Presse entnommen werden, dass nun eine Verschmelzung von Wehrmacht, Staat und Partei vorgenommen worden sei, ja, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) den Primat in Deutschland gewonnen habe.

Seit das Geschehen von 1938 mit seinen Hintergründen nach dem Ende der NS-Herrschaft publik wurde, streiten sich die Geister, ob diese Neu­formierung mit einer Tagung am 5. November 1937 in der Reichskanzlei in Berlin zusammenhing, an der neben Hitler dessen Wehrmachts­adjutant Oberst Hoßbach, die vorgenannten von Blomberg, von Neurath und die Ober­befehls­haber der Teil­streit­kräfte anwesend waren. Auf der Be­sprechung hatte der ›Führer‹ erklärt, die deutsche Frage – worunter er u. a. objektiv unnötigen Lebensraum verstand − könne nur durch alsbaldigen Einsatz von militärischer Gewalt gelöst werden, die niemals ohne Risiko sei. Im Raum standen die Ein­gliederung Österreichs ins Deutsche Reich sowie die Zerschlagung der Tschecho­slowakei durch Annexion des Sudetenlands. Dabei ging der ›Führer‹ davon aus, dass seitens Groß­britanniens und Frankreichs bei einer solchen Annexion keine militärischen Konsequenzen zu erwarten seien. Dagegen erhoben von Blomberg und von Fritsch Einwände, da ihnen in Erinnerung des Ersten Weltkriegs eine militärische Auseinandersetzung mit diesen Ländern zu risikoreich, Deutschlands Rüstung dem militärischen Potential dieser Mächte noch nicht gewachsen schien. Von Neurath merkte an, der gleichzeitige Konflikt Italiens im Mittelmeerraum mit England/Frank­reich, auf den Hitler hingewiesen hatte, wirke sich nicht dahingehend aus, dass diese beiden Mächte sich Deutsch­land gegenüber nachgiebig zeigen könnten. Der Marine­befehlshaber, Admiral Erich Raeder, hielt sich zurück; Luftwaffenchef Hermann Göring trat als Antipode der Bedenken­träger auf, machte aber geltend, dass sich Deutschland unter diesen Umständen aus Spanien, wo der Bürgerkrieg tobte, zurückziehen müsste. Dem stimmte Hitler zu. Die drängenden finanziellen Probleme des Deutschen Reiches sprach er nur indirekt an, indem er darauf hinwies, dass die Rüstungsintensität so nicht immer weiter­gehen könne. – Von der Tagung, von der natürlich offiziell nichts an die Öffentlichkeit gelangte, hat der damalige Wehrmachtsadjutant Hoßbach Aufzeichnungen angefertigt, die als Hoßbach-Protokoll in die Geschichte eingingen und lange umstritten waren. Richtigerweise eher als Nieder­schrift zu bezeichnen, hat Hoßbach nachträglich vermerkt, es sei eine Unterlassungssünde seinerseits gewesen, darin die Stellungnahmen Blom­bergs und Fritschs nicht in ihrer tatsächlichen Schärfe aufgezeichnet zu haben (Hoßbach 1949: 210).

Obgleich sie – politisch bemerkenswert kurzsichtig und geblendet von den Auspizien der Wiederaufrüstung, wohl auch autoritäts­gläubig – mit dem National­sozialismus mehr als sympathi­sierten, mussten Blomberg und Fritsch im Februar 1938 ihren Abschied einreichen. Die Ausbootung der beiden hohen militärischen Würdenträger erfolgte unter Instrumen­tali­sierung von Affären, bei denen noch heute nicht zweifelsfrei geklärt ist, inwieweit sie die Gestapo, womöglich auf höheren Befehl oder Anregung – zu nennen wären ›Reichsführer-SS‹ Heinrich Himmler und dessen Satrap, Gestapo-Chef Reinhard Heydrich – inszeniert oder aufgebauscht hatte? Umstritten ist auch, ob die Affären um Blomberg und Fritsch Anfang des Jahres 1938 rein zufällig ans Licht und zur Kenntnis Hitlers kamen, oder ob interessierte Kreise, vor allem die vorgenannten Himmler und Heydrich oder Luft­waffen­befehls­haber Göring, dabei nachgeholfen haben?

Horst Mühleisen glaubt nicht, dass die Entlassungen etwas mit der Tagung vom November 1937 zu tun gehabt haben könnten, da die Generäle rein fachliche Einwände vorgebracht hätten (Mühleisen 1997: 473). Doch ist diese Sicht blauäugig, beschäftigt man sich nur etwas mit der Persönlichkeit Hitlers. Verblüffend ist es in diesem Zusammenhang schon, dass der ehemalige SPD- und Reichs­tags­fraktions­vorsitzende und nunmehrige Emigrant Otto Wels auf einer inter­nationalen Gewerk­schaftstagung am 16./17. Januar 1938 in Brüssel davon sprechen konnte, es bestehe zur Zeit keine Kriegs­gefahr, da er aus guter Quelle darüber unterrichtet sei, die deutsche Heeres­leitung widersetze sich einem Kriegs­plan gegen England − was nur auf die Kenntnis der Be­sprechung vom 5. November zurückzuführen sein kann. Ein V-Mann aus der Jugendbewegung hinterbrachte dem Sachgebiet II A 4 der Gestapo, jedoch erst mit Eingang vom 11. Februar 1938, die Äußerungen des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Wels (im Agentenbericht teils fälschlich Wells) vom 16./17. Januar 1938 (BArch Bln., ZC 14105, Akte 4; Schmidt 2015: 161-166), doch legte die Gestapo keinen Wert auf diese Information.

Wels hatte bei der Ab­stim­mung zum sogenannten Ermächti­gungs­gesetz im Deutschen Reichstag am 24. März 1933 die eindrucks­volle ab­lehnende Rede – »Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht« – gehalten − offen ist, woher er in der Emigration seine Kenntnis über das innerste Innenleben des NS-Regimes bezogen hatte. Es deutet einiges darauf hin, dass er auf Umwegen vom ehemaligen Reichs­kanzler Heinrich Brüning unterrichtet worden war. Die Spitzen der ehemaligen Regierungs­parteien Zentrum und SPD hielten insgeheim stets Fühlung, auch in der Emigration. Der Zentrumspartei-Politiker und ehe­malige Reichs­kanzler Brüning hatte als Offizier des kaiserlichen Heeres noch Nachrichten­quellen in Reichswehr und in der Wehrmacht Hitlers, musste jedoch wie Wels emigrieren, obgleich er mit seiner Partei dem ›Ermächti­gungsgesetz‹ zugestimmt hatte.

Allerdings blieb die Heeresleitung, die Wels meinte, nach dem Zeitpunkt seines Vortrags nur noch wenige Tage im Amt, aber von Fritsch, dem klar war, dass ihn Hitler und Göring loswerden wollten und der sich den Kopf über die Gründe zermarterte, kam nicht auf den 5. November als höchstwahrscheinliche Ursache. Von Fritsch wurde denn auch nach erwiesener Unschuld nicht wieder in sein ursprüngliches Kommando eingesetzt. Ein anderer Einwender des 5. Novembers, der verwitwete Generalfeld­marschall Wer­ner von Blomberg, der nach dem Tod von Reichspräsident Hindenburg die damalige Reichswehr eigenmächtig auf Hitler hatte ver­eidigen lassen, heiratete am 12. Januar 1938 ein ›Mädchen aus dem Volke‹, von dem sich bald herausstellte, dass es sich vor Zeiten als Aktmodell zur Verfügung gestellt hatte und wohl auch im Rotlichtmilieu tätig gewesen war. Über Hermann Göring erfuhr Hitler – beide am 12. Januar Trauzeugen – von der Vergangenheit der Feldmarschallin. Die Ehe zu annullieren weigerte sich Blomberg, da er, wie er nach dem Krieg bekundete, sowieso als Kriegs­minister habe gehen müssen (Foertsch 1951: 87 f.).

Ob nun Göring bei der Gelegenheit Hitler eine Akte zugänglich gemacht hat oder sich dieser selbst eines Vorgangs erinnerte, bei dem der Ober­befehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner von Fritsch, der unver­heiratet war, ins Spiel kam, mag dahingestellt bleiben. Schon 1936 war Hitler mit einem Faszikel der Geheimen Staatspolizei konfrontiert worden, welches Anwürfe nach dem Paragraphen 175 des Strafgesetzbuchs und damit zusammenhängend mit Erpressung gegen den Generalobersten enthielt. Damals wollte Hitler von derartigen Anschuldigungen nichts wissen und gebot der Gestapo, die Akte zu vernichten. Nun, im Januar 1938 – nach Zeitzeugen bereits im Dezem­ber 1937 –, kam der Vorgang bei Hitler wieder auf den Tisch. Angeblich hatte der damalige Gestapo-Kommissar Josef Meisinger als Sachbearbeiter zwar die Original­dokumente vernichtet, die Durchschläge jedoch zurück­behalten. Eine Schlüsselrolle, nicht als Sub-, sondern offensichtlich als Objekt spielte dabei der eingangs erwähnte Otto Schmidt. Kaum glaublich, aber wahr: von Fritsch wurde am 26. Januar 1938 im Beisein Hitlers dem Schmidt gegen­über­gestellt; wie Janßen/Tobias zu wissen geben, auf Fritschs eigenen Wunsch (Janßen/Fritz 1994: 8 f.).

Dagegen geht aus den persönlichen Auf­zeichnungen von Fritschs nicht hervor, dass er selbst dieses Rencontre angeregt gehabt hätte (Mühleisen 1997: 492, Dok. 6). Allerdings verwendeten Janßen/Tobias die Aussagen der von ihnen befragten ehemaligen Gestapo-Beamten, an­gefangen bei Werner Best, beinahe kritiklos und trugen so zu einer Legenden­bildung bei, der hier nach Möglichkeit begegnet werden soll (zur Glaub­würdigkeit z.B. von W. Best s. Herbert 1996 sowie Tuchel 1991: 215 f.).

Bei der Gegenüberstellung behauptete der Schmidt, den Ober­befehls­haber im November 1933 bei einem homosexuellen Akt mit einem Strich­jungen in der Nähe des Wannseebahnhofs in Berlin beobachtet und da­r­aufhin erpresst zu haben. Von Fritsch wies diese Beschuldigung mit Nach­druck zurück, wehrte sich jedoch nicht gegen Verhöre durch die Geheime Staatspolizei, die ihn vom damaligen SS-Oberführer und Mini­sterial­dirigenten im Gestapa, Dr. Werner Best, und Kriminalrat Franz Josef Huber befragen ließ und erneut dem Schmidt konfrontierte. Dieser, am 23. April 1933 dem Zug der Zeit folgend in die SA eingetreten, jedoch bald wieder ausgeschlossen (Ausschluss am 8. 12. 1933; BArch Bln., Karteikarte Otto Schmidt), beschrieb seine Beobachtungen, die er im November 1933 gemacht haben wollte, jedesmal so detailliert, dass an eine pure Er­findung nicht geglaubt werden konnte, obwohl der General­oberst wieder­um jede Verwicklung in den Vorgang abstritt.

Nachdem der Reichsjustizminister Gürtner und der General­stabschef Ludwig Beck eingeschaltet worden waren, einigte man sich darauf, dass von Fritsch vor ein Militärgericht gestellt werden sollte. Noch vor dem Abschied des Oberbefehlshabers, am 28. Januar, war Hitlers Wehrmachts­adjutant, Oberst Hoßbach, abrupt entlassen und von Major Schmundt abgelöst wor­den, wahr­scheinlich deshalb, weil Hoßbach den Generalobersten von Fritsch befehlswidrig von der Beschuldigung homosexueller Verfehlungen in Kenntnis gesetzt hatte.

Der Prozess vor dem Kriegsgericht gegen von Fritsch war auf den 10. März anberaumt, zwei Tage, bevor der deutsche Einmarsch nach Öster­reich erfolgte, woraus der ›Anschluss‹ des Alpenlandes ans Deutsche Reich resultierte. Infolgedessen wurde die Verhandlung um eine Woche vertagt, da die Richter, die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile, Göring, Raeder und neu als Befehlshaber des Heeres Walther von Brauchitsch, im Fall Öster­reich benötigt wurden. Nach Wieder­auf­nahme des Prozesses ergab sich die völlige Unschuld von Fritschs.

Was hatte zu diesem Freispruch geführt? Nicht zuletzt aufgrund des Engagements des von Fritsch beigezogenen Verteidigers, Rechtsanwalt Graf Rüdiger von der Goltz, hatte sich der oben­genannte Schmidt als Lügner herausgestellt; die homosexuellen Handlungen, die er tatsächlich beobachtet hatte, betrafen nicht den Generalobersten von Fritsch, sondern einen pensionierten Rittmeister namens Achim von Frisch. Die Frage ist nun noch heute, war das eine Verwechslung, oder wurde der Schmidt von der Gestapo präpariert? Diese Frage lässt sich nicht schlüssig beant­worten, obwohl Indizien dahingehend gedeutet werden können, dass von Fritsch gezielt verleumdet worden ist.

Dokumentiert ist der Vorgang im Urteil des Gerichts des Obersten Be­fehls­habers der Wehrmacht (das war, wie wir uns erinnern, neuerdings Adolf Hitler selbst), veröffentlicht in englischer Übersetzung bei Fabian von Schlabrendorff: The Secret War Against Hitler, New York, Toronto, London 1965. Für Horst Mühleisen ist die Tatsache, dass die Gestapo bereits am 15. Januar 1938 von der Existenz des Rittmeisters gewusst haben musste, ein ernstzunehmender Fingerzeig dafür, »daß die Fritsch-Affäre auch auf einer Intrige der SS und der Gestapo gegen den Oberbefehlshaber des Heeres beruht« (Mühleisen 1997: 492, Dok. 6, Anm. 126), wie auch Fritsch selbst vermutete. Mühleisen merkt noch an, dass Janßen/Tobias »diesen entscheidenden Hinweis« übergehen.

Zwar hat der Spiegel-Redakteur und Autor Heinz Höhne (Höhne 1984) sozusagen eine Ehrenrettung Himmlers versucht, indem er nahelegt, die Gestapo-Beamten Meisinger und Fehling hätten schlampig gearbeitet und ihren Chef in die Bredouille gebracht. Höhne wie Janßen/Tobias, die ähnlich argumen­tieren, stützen sich dabei ausgerechnet auf Dr. Werner Best, einen der höchsten Gestapo-Würdenträger überhaupt, dessen Winkelzüge und Geschichtsklitterungen nach 1945 sattsam bekannt sind (s.o. Herbert 1996) und der sich möglicherweise auch in dieser Causa nachträglich auf die Seite der Guten stellen wollte. Diese Guten können jedoch nicht Himmler oder Göring gewesen sein! Insbesondere Ex-Reichskanzler Brüning hatte im Vorfeld wiederholt darauf hingewiesen, er besitze Nachrichten aus Deutschland, wonach Himmler auf die Entmachtung der Heeresleitung hinarbeite (Brüning, hrsg. v. Nix 1974: 155, 168).

Wie zielstrebig und skrupellos Göring wie Himmler als oberster Chef der Gestapo bereits in der Anfangsphase des Dritten Reichs agieren konnten, hatten sie am 30. Juni 1934 bewiesen. Lag es da nicht nahe – spekulierten hohe Militärs, aber auch die meisten Autoren post festum –, über die Sitten­skandale, insbesondere den von Fritsch betreffenden, die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen und weitreichendere Ziele anzupeilen? Nach dem 30. Juni 1934 hatte Himmler einigermaßen freie Hand für seine SS erhalten, was er zum Aufbau der SS-Verfügungs­truppen nutzte. Das führte umgehend zu Konflikten und Reibereien mit der Reichs­wehr/Wehrmacht (Müller 1969: Kap. IV). Nach dem Sturz Blombergs und Fritschs betrieb Himmler beschleunigt den Aufbau der SS-Verfügungs­truppe (Müller 1969: 153, Anm. 53; 297, 345), später Waffen-SS, und trat so in direkte Konkurrenz zur Wehrmacht, ehe er nach dem Hitler-Attentat 1944 Befehlshaber des Ersatzheeres wurde – was ihn hoffnungslos überforderte.

Die auf der unteren Gestapo-Ebene Verantwortlichen im Falle Fritsch waren der Kriminalrat Josef Meisinger und der Kriminalinspektor Friedrich (Fritz) Fehling. Beide, Meisinger wie Fehling, waren in ihrer Amtszeit auch mit der Verfolgung von Jugend­bewegten befasst, letzterer z.B. in einem Verfahren gegen Arnold Littmann (u.a. bei Schmidt 2004: 62 f.), Meisinger bei der Aufklärung des Falles Lämmermann, was eher einer Vertuschung gleichkam (Schmidt 2003). Von Fehling wissen unsere Autoren Kielmans­egg, Foertsch, Deutsch, Janßen/Tobias, aber auch Heinz Höhne (1978a, b) hauptsächlich vom Hörensagen, das heißt über Stellung­nahmen Dritter, und meist Falsches. Dass Fehling, Jahrgang 1896, in seiner Dienststelle verblieben und bis Ende des Krieges nicht mehr befördert worden sei, wie Janßen/Tobias schreiben (1994: 241), ist nur insoweit richtig, als dass er ständig mit der Bekämpfung von Homosexualität befasst war. Fehling wurde noch 1938 zum Kriminal­inspektor ernannt (Mitteilung v. Andreas Pretzel v. 12.7. 2005) und amtierte im Juli 1939 eine Stufe höher als Vertreter des Leiters von Sachgebiet II S 1, Bekämpfung der Homo­sexualität, des Sonder­dezernats II S des Gestapa. Er taucht nach Gründung des Reichs­sicher­heits­haupt­amts (RSHA) innerhalb der eigentlichen Gestapo, des Amtes IV des RSHA, bisher Referat II des Gestapa, auf, und zwar in IV C 4, unter anderem Sonder­aufgaben, was auch hieß Bekämpfung der Homosexualität.

Fehling muss, als kleiner Inspektor, dem ›Reichsführer-SS‹ Heinrich Himmler wohlbekannt gewesen sein, der ihn – jedoch erst im Juni 1943 – mit mildem Tadel bedachte: Aus dem Ankläger gegen Homo­sexualität sei er, »offen­kundig sehr alt und pastoral geworden«, zu deren Rechtsanwalt mutiert ... (Himmler an Kaltenbrunner am 23. 6. 1943, zit. n. Jellonnek 1990: 129). Fehling wurde trotzdem am 24. Juli 1943 mit anderen alt­gedienten Gestapo-Inspektoren wie Leonhard Halmanseger und Willi Scheffler zum Kriminal­kommissar befördert (LA Bln., B Rep. 057-01, Nr. 18, Bl. 125). Janßen/Tobias aber bezogen von Dr. Best die falsche Mitteilung, Fehling sei von der Beförderung zum Kriminal­kommissar ausgeschlossen wor­den (Janßen/Tobias 1994: 241, 312, Anm. 30). Höhne will wissen, dass Fehling vor ein Disziplinargericht gestellt und an eine unauffällige Stelle versetzt worden sei (Höhne 1978a: 232). Tatsächlich aber wurde Fehling zum Stellvertreter eines Sach­gebiets­leiters ernannt. Das Disziplinarverfahren gegen Fehling geistert immerhin noch durch die Akten, wie Janßen/Tobias anführen (1994: 312, Anm. 30; lt. Aussage Gradtke, in LA Bln., B Rep. 057-01), jedoch habe, laut Janßen/Tobias, der ehemalige Gestapa-Pressereferent Dr. Rang 1977 von keinem solchen Verfahren gewusst (ebd. Janßen/Tobias).

Fehlings Sachgebietsleiter zum Zeitpunkt des Geschehens war der damalige SS-Ober­sturmbannführer und Kriminalrat Josef Meisinger, Referent von Referat II H, Angelegenheiten von Partei­mitgliedern, sowie von Referat II S, Homosexuelle, Abtreibungen, des Geheimen Staats­polizeiamts (Gestapa), außerdem Leiter der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homo­sexualität und Abtreibung. Für Harold C. Deutsch war es ratsam, Meisinger nach der Fritsch-Krise dem Blickfeld des Heeres zu entziehen, indem er zunächst nach Wien und danach ins besetzte Polen entsandt und später nach Japan abgeschoben worden sei (Deutsch 1974: 318). Auch habe Meisinger aufgrund seines Agierens in der Fritsch-Angelegenheit die Leitung der Reichszentrale zur Bekämp­fung der Homosexualität und Abtreibung verloren. Dies ist Spekulation ohne Wahr­heits­gehalt: Nach der Neugliederung des Polizei­wesens und der Schaffung des Reichs­sicher­heits­haupt­amts (RSHA) im September 1939 wurde die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homo­sexualität und Ab­treibung ab Oktober ins Amt V, Verbrechens­bekämpfung, unter SS-Ober­führer und Reichs­kriminal­direktor Arthur Nebe delegiert. Auch die übrigen Reichszentralen, wie zum Beispiel zur Bekämp­fung von Kapital­verbrechen usw., waren nun im Amt V angesiedelt, offenbar aus Rationali­sierungs­gründen zu Kriegsbeginn.

Meisinger war in der Tat vom 12. März bis 1. Juli 1938 nicht in Berlin, sondern dienstlich in Wien – mit Unterbrechung zum zweiten Teil des Fritsch-Prozesses am 17./18. März –, aber bestimmt nicht zur Bestrafung oder um ihn der Wehrmacht zu entziehen, sondern er hatte dort zusammen mit Kollegen wie Franz Josef Huber oder Heinrich Müller, dem eigentlichen Chef des Geheimen Staatspolizeiamts, folgerichtig Gestapo-Müller genannt, mit der Installierung der Geheimen Staatspolizei zu tun (Weisz 1995: 445), die nach dem ›Anschluss‹ Österreichs ans Deutsche Reich ab dem 10. März umgehend mit Nachdruck in Gang gesetzt wurde. Der am 1. Sep­tember 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen entfesselte Zweite Weltkrieg sah Josef Meisinger als stellvertretenden Einsatz­gruppen­kommandeur in Polen. Auch diesmal wird Meisinger nicht Straf­versetzter gewesen sein, wie Janßen/Tobias wissen wollen (1994: 312, Anm. 31), sondern im Verständnis von ›Reichs­führer-SS‹ Himmler im ehrenvollen Einsatz gestanden haben. Solche Mordaktionen mitgemacht und dabei sauber geblieben zu sein, war für Himmler höchste SS-Tugend!

Die Planungen für die Einsatz­gruppen in Polen (zu Einsatzgruppen s. Herbert 1996: 237 ff., 593, Anm. 312) hatte Dr. Werner Best ausgearbeitet, bei der ›Gesamtvorbereitung‹ war Josef Meisinger beteiligt ebenso, wie oben dargelegt, bei den Einsatz­gruppen selbst. Nach diesem Einsatz war Meisinger – zeitgleich mit Franz Josef Huber am 1. Januar 1940 zum SS-Standarten­führer befördert – Kommandeur der Sicher­heits­polizei (KdS) in Warschau. Im Oktober 1940 wurde er zum Polizeiattaché in Tokio ernannt. Wie Burkhard Jellonnek schreibt, seien die in Warschau verübten exzessiven Greueltaten »angeblich Anlaß für eine im April 1941 verfügte Versetzung« nach Japan gewesen (Jellonnek 1990: 125, Anm. 196). Nach meinen Unterlagen bestätigt sich dies nicht; vielmehr bedeutete die Versetzung einen besonderen Vertrauens­beweis.

Japan war nicht das Areal Meisingers. Es unterliefen ihm mehrere Fehl­einschätzungen, die zu einer Rüge durch Reichsaußenminister Ribben­trop führten. Meisingers SS-Karteikarte verzeichnet aber weder eine Strafe noch einen Tadel, wohl aber ist »Julleuchter« eingetragen (BArch Bln., SSO Josef Meisinger), ein persönliches Geschenk Himmlers für verdiente SS-Leute, ein kunsthandwerklich hergestellter Porzellan­kerzen­leuchter, der an das germanisch-heidnische Julfest der Winter­sonnen­wende erinnern sollte, an dessen Stelle das Christentum Weihnachten setzte. Wahrscheinlich von den Amerikanern 1945 in Japan verhaftet und an Polen ausgeliefert, hatte sich Meisinger dort wegen seiner Verbrechen als ›Kommandeur der Sicherheitspolizei‹ zu verantworten und wurde 1947 hingerichtet (Seeger 1996: 36; BArch Bln., SSO Josef Meisinger).

Wenig bekannt wird sein, dass der kleinste im Intrigenbunde, der aller­dings mit nicht geringen Kompetenzen ausgestattete, zum Kommissar beförderte Gestapo-Beamte Fehling, nach Kriegsschluss und Aufteilung der Stadt Berlin in alliierte Besatzungs-Sektoren alsbald den Briten in Char­lotten­burg als Kriminal­kommissar zur Verfügung stand – und wie er geendet hat? Fehling wurde im Sommer 1945 offen­sichtlich in den Ostsektor der Stadt gelockt und dort ermordet. Die Vorgeschichte ist im wesent­lichen ungeklärt, wobei festzustehen scheint, dass in einer Julinacht 1945, um ca. 23 Uhr, der stellvertretende Leiter der Polizei­inspektion Friedrichshain, Franz Beiersdorf, auf einer ›Dienstfahrt‹ Fehling erschossen und aus dem Auto geworfen hat.

Im Dezember 1945 wurden Beiersdorf und drei weitere in den Fall verwickelte KPD-Genossen von russischen Behörden verhaftet und erst nach zweieinhalb Jahren, nachdem einer der vier verstorben war, frei­gelassen. Zwei der Frei­gelassenen flüchteten in den Westen. Dort offenbarte sich einer Jahre später dem Magazin Stern, das die Story im Rahmen einer großangelegten Serien-Reportage unter dem Titel »Das ganze Deutschland soll es sein. Ulbricht und die roten Kapitel der deut­schen Geschichte« vermarktete (Stern 6/1962). In dem Artikel gab der Geflüchtete als Anstifter des Verbrechens Arthur Pieck, den Sohn des KPD/SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, preis, worauf die Staatsanwaltschaft tätig wurde, zumal noch ein weiterer Fall, der des im Konzentrationslager Sachsen­hausen ermordeten Otto Schmidt, ruchbar geworden war (LA Bln., B Rep. 057-01, Nr. 20/Bd. III).

Was indes mit der Leiche Fehlings geschah, bleibt ungeklärt, ebenso ist nicht einsichtig, weshalb Arthur Pieck, Jg. 1899, – der sich während des Dritten Reichs in der Emigration befand und diesen kaum gekannt haben wird – ein Interesse am Tod des ehemaligen Gestapo-Beamten gehabt haben könnte. Plausibler erscheint, dass einer der an der Ermordung des ehemaligen Gestapo-Beamten Beteiligten eine persönliche Rechnung zu begleichen hatte und entweder Pieck vorschob oder sich dessen Unterstützung versicherte.

Quellen:

- Landesarchiv Berlin (LA Bln.): B Rep. 057-01, Nr. 13; Nr. 18, Bl. 125; Nr. 20/Bd. III.
- Bundesarchiv Berlin (BArch Bln.): ZC 14105, Akte 4. Kurzer Bericht über den Kongress der Sozialistischen Arbeiter-Internationale (SAJ) am 16. u. 17. Januar 1938; Karteikarte Otto Schmidt; SSO Josef Meisinger.
- Heinrich Brüning, Briefe und Gespräche 1934−1945. Hrsg. v. Claire Nix, Stuttgart 1974.
- Friedrich Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, Wolfenbüttel 1949.

Literatur:

- Harold C. Deutsch, Das Komplott oder Die Entmachtung der Generale, Zürich 1974.
- Hermann Foertsch, Schuld und Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 als Wendepunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, Stuttgart 1951.
- Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Welt­anschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 1996.
- Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1978a.
- Ders., Canaris. Patriot im Zwielicht, München 1978b.
- Ders., Entehrend für die ganze Armee. Der Fall Fritsch-Blomberg 1938, in: Der Spiegel 7/Febr. 1984.
- Karl-Heinz Janßen/Fritz Tobias, Der Sturz der Generäle. Hitler und die Blom­berg-Fritsch-Krise 1938, München 1994.
- Burkhard Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz, Paderborn 1990.
- Horst Mühleisen, Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938. Neun Dokumente aus dem Nachlaß des Generalobersten, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56, Potsdam 1997.
- Klaus-Jürgen Müller, Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933-1940, Stuttgart 1969.
- Fritz Schmidt, Mord droht den Männern auf der andern Seite. Fallstudien zur Bedrohung und Ermordung jugendbewegter Menschen im Dritten Reich: Karl Lämmermann und Günther Wolff im Zusammenhang mit dem 30. Juni 1934, Helmut Hirsch und Gerhard Lascheit, Edermünde 2003.
- Ders., Mein alter bündischer Gegner Eberhard Köbel. Dr. Arnold Littmann zwischen Jugendbewegung, Gestapo und Emigration in Schweden, Edermünde 2004.
- Ders., Von dunklen Seiten, Agenten und Jugendbewegten, in: ... und die Karawane zieht weiter ihres Weges. Freundesgabe für Jürgen Reulecke zum 75. Geburtstag, o. O. 2015.
- Andreas Seeger, »Gestapo-Müller«. Die Karriere eines Schreibtischtäters, Berlin 1996.
- Johannes Tuchel, Kon­zen­trations­lager. Organisations­geschichte und Funktion der »Inspektion der Konzen­trations­lager« 1934-1938, Boppard 1991.
- Franz Weisz, Personell vor allem ein ›ständestaatlicher‹ Polizeikörper. Die Gestapo in Österreich, in: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Die Gestapo. Mythos und Realität, Darmstadt 1995.

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