Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

... neulich im Einstein

verschnauften ein paar versprengte Schwaben – sieben? – nach überstandenen Protesten gegen Stuttgart 21. Sie hatten glückliche Gesichter …wie weiland Christen mit einem »Deus vult« auf den Lippen, waren ihre rund vom ›Demos vult‹! Einer jener Pilger zu Kanzleramt und benachbarter Schweizer Botschaft machte auch gleich, vor hauptstädtischer Television, die eigene klar: wenn denn bald jenes Bahnhofsprojekt gekippt wäre, würden dann wohl auch die Tunnelbauer am Gotthard – buchstäblich – in die Röhre gucken und sie könnten das Ding gleich wieder zumauern…

Ist diese Selektionsrhetorik – Wir-sind-das-[Stuttgarter]Volk – womöglich ein Anzeiger künftiger Umgestaltung der demokratischen Herrschaftsform? All die Projekte, die die Volksseele zum Kochen bringen, sind nach den Regeln der parlamentarischen Demokratie in Gang gesetzt worden und werden dennoch von Grund auf abgelehnt. Ist dieser außerparlamentarische direkte Widerstand gegen (momentan zunächst nur) Hochtechnologieprojekte der Überschritt zur direkten Demokratie? Die erscheint zuerst und wirksam als hinhaltender passiver Widerstand und bau-hausfriedensbrüchiger Krawall. Das zieht eine Schlichtung nach sich! Die konnte über Wochen mitverfolgt werden. Klärten sich dabei die Fronten? Was wurde denn ›versachlicht‹, da der Schlichter doch zwei Monologe (mit zwei je eigenen Sachverständigen) moderiert? Was passiert mit dem (womöglich guten aber unpassenden) Argument, und was, wenn es sich ungelenk oder langatmig gibt? Wird es aber nicht bald, schon wegen der unaufhaltsamen Gleichheitsdynamik, auch eine Pluralität von Schlichtungen geben müssen? Wieso denn nur dieser (sich gerade bereiterklärende) Schlichter und nicht ein anderer? Auf welche Schlichtung müsste dann gehört werden?

Wird da nicht im Ganzen eine alte (Königsberger) Wahrheit sichtbar: Streit kann und soll nicht, so der alte Kant, durch friedliche Übereinkunft beigelegt werden, sondern bedarf des rechtskräftigen Spruchs eines Richters der Vernunft. Die aber ist nie selbsternannt oder direkt evident (demos vult), sondern regellegitimiert.

Steffen Dietzsch

 

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