Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

– oder: wieder kein Wein in keinem Schlauch … und doch besoffen

… neulich im Einstein

erinnerte ich mich an einen Satz von Jules Cambon (1845-1935), der zwischen 1907 und 1914 französischer Botschafter in Berlin war, über uns Deutsche: Es gäbe »keine Verrücktheit, von der man das deutsche Volk nicht durch eine Pressekampagne von vier Monaten überzeugen könnte.« – Das mediengespreizte Postfaktische (als sei es evident, was überhaupt Faktisches ist …) zum neuen Identitäts›begriff‹ für unsere Zeit herausgegrölt, scheint mir ein solches Symptom für jenen alten Befund.

Es gibt nun dagegen ein klassisch(faktisches) Antidot, das uns ein aktueller Medienkritiker wie Friedrich Nietzsche immer wieder zu bedenken gab: demzufolge es einer sich selbst gewissen Kultur doch immer um eines zu gehen habe, nämlich in jene »Gründe einzudringen ..., um die wahre Erkenntnis vom Schein und vom Irrtum zu sondern.« Eine zumutbare Aufgabe, wenn man bedenkt, dass einem dabei das Erkenntnis- (und Irrtums)potential der neueren europäischen Philosophie- und Ideengeschichte zu Gebote stünde.

Was tut man an Stelle dessen? – Man empört sich moralisch: beispielsweise, wenn man bemerkt, das die ›andere Seite‹ das Spiel mit Täuschungen (vulgo: Lüge) oder Normabweichungen viel besser zu händeln weiß als man selber. Am Trump-Beispiel: anstatt zu akzeptieren It’s America, Stupid! – hat man völlig vergessen, wie Tricky Dick (1953-1959 als Vice und 1969-1974 als Präsident) ins Weiße Haus kam? –, trotzt man mit dem (und dämonisiert das), was eben Politik immer schon war, und was die verbreitete Politikverdrossenheit empfindet: grundlose Versprechen, plötzliches Umstoßen der Agenda, Entscheidungs-Apoplexie, dumme Lügen, physiognomische Unzumutbarkeit der Kandidaten.

Aber will man denn etwas anderes? Gut, mit den eigenen Lügen reüssieren, aber ist das etwas anderes? Dass ›die anderen‹ immer wieder neu (dunkle) Interessen und Absichten haben, ›wir‹ aber immer menschheitserlösende (beste) Werte – das ist doch der klassische Fall von Postfaktizität. Was also ist das Postfaktische? Es ist der Common sense, die alltägliche Betriebsform seines Umgangs mit Seinesgleichen, die alte gegenseitige Besserwisserei im Status der stillgelegten Urteilskraft. – Kurzum: business as usual.

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