Ernst Eichengrün - Aufnahme: ©EE
Ernst Eichengrün
Notizen zur deutschen Politik

 

Ernst Eichengrün, geb. 1934, war 1967-69 Bundessekretär der Jusos, von 1972 bis 1991 Leiter der Abteilung Politische Bildung im Gesamtdeutschen Institut, von 1982 bis 1991 dessen Vizepräsident.

»Die Grünen sind die großen Sieger«. So sehen es die Grünen und die Medien, die prompt die übliche Hype kreierten. Mit einer Suggestiv-Kraft, die sicherlich Wirkung haben wird. Doch was ist daran? Haben die Grünen denn die absolute Mehrheit errungen? Sind sie zumindest stärkste Partei geworden? Nichts davon! 20% haben Grün gewählt, doch 80% haben Grün eben nicht gewählt! Und gut 50 % scheinen mit der angeblich nicht ausreichend radikalen Umweltpolitik ganz zufrieden zu sein – von den AfD-Wählern ganz zu schweigen.

Sicher: Diese Zahlen können für die anderen Parteien keine Beruhigungspille sein. Dafür mussten sie zu viele Federn lassen – und kaum etwas spricht dafür, dass sich das Blatt für sie bald wenden wird.

Die Klima-Frage hat in letzter Zeit für viele Wähler zunehmend an Brisanz gewonnen. Greta mit ihrem Versuch, ihre psychischen Probleme mittels einer Massenbewegung zu therapieren, Fridays for Future und zuletzt der Auftritt eines vielleicht gar nicht so unabhängigen Youtubers haben das Thema vor allem bei vielen jungen Leuten alles andere weit überlagern lassen. Union und SPD wurden einfach überrannt.

So geht die Debatte nun nur um die Frage, wie die anderen Parteien noch grüner werden können. Viele, zu viele, Journalisten spielen dieses Spiel mit. Verwundert einen nicht, wenn man weiß, wie die Mehrheit von ihnen tickt.

Doch was kann man jetzt tun? Die Einstellung vieler junger Leute zur Politik ist von Gesinnungs-Ethik und Alarmismus sondergleichen bestimmt: Wer sein Thema für das allein wichtige hält, der lehnt schrittweise Lösungen, die es ja durchaus gab, pauschal als unzureichend ab; endgültige Lösungen müssen sofort her; die Komplexität eines Problems wird beiseite gewischt. Dieses Bestehen auf monokausalen Ursachen und einfachen Lösungen kennen wir übrigens auch von anderen Bewegungen, die dann als rechtspopulistisch abgetan werden. (Hier fragt sich auch, was im Politik-Unterricht an Schulen falsch läuft. Versäumen es die Lehrer, die Schüler vor emotionaler Überwältigung zu warnen? Praktizieren sie diese sogar selbst?)

Wie aber sind die Parteien – und mit ihnen nolens volens wir alle – überhaupt in diese verzwickte Situation geraten? Das lag wohl vor allem daran, dass von Anfang an die Frage nach dem Sinn und den Grenzen einer Klimapolitik tabuisiert wurde. Frau Merkel gab ja jüngst die Weisung aus: Nicht über das »ob«, sondern nur über das »wie« dürfe diskutiert werden. So schlitterten wir schon in den Atom-Ausstieg und in die Flüchtlingspolitik.

So haben die anderen Parteien die Klimafrage mit hochgespielt, ohne Rücksicht auf Tatsachen und ohne zu bedenken, ob der Versuch, die Grünen in ihrem Kernthema zu überholen, sinnvoll ist.

Wenn jetzt die Parole ausgegeben wird, nur die Flucht nach vorne in der Klimafrage sei die Rettung, so ist das als Versuch, den Grünen ihr Monopol streitig zu machen, von vornherein sinnlos. Die Grünen werden sie gnadenlos vor sich her jagen – zum Ergötzen und mit Unterstützung der Medien.

Es fragt sich jedoch, ob es nicht schon viel zu spät ist, die wachsende Panik und Hysterie noch durch eine von Vernunft geleitete Klimapolitik zu bremsen.

Allerdings haben noch ganz andere Faktoren den Wahlausgang bestimmt: Vor allem die verheerende Wirkung der schier endlosen Koalitions-Bildung und das bayerische Sommertheater im letzten Jahr. Sie haben den Eindruck einer orientierungslosen und unfähigen Politik enorm verstärkt. Ob die Parteien das in den nächsten zwei Jahren überwinden können ?

Die Lage der SPD ist ein Problem für sich. Die 20% vor zwei Jahren hat sie jetzt noch unterboten und keiner weiß, wie sich ein weiteres Abrutschen vermeiden lässt. In Panik Personen auszutauschen wäre gewiss kontraproduktiv.

Aber keiner fragt, warum so viele ihrer Wähler diesmal zuhause blieben. Nahmen sie ihr ihre grüne, Arbeitsplatz-gefährdende Klimapolitik übel? Oder waren wie etwa von Herrn Kühnerts Thesen verstört? Sozusagen der Schlusspunkt auf dem schon vorher bemerkbaren Linksruck in der Partei. Doch das zu fragen ist in der SPD verpönt. Ebenso wie nach der Wahl 2017 die Frage tabu war, ob sich das Offenlassen einer Koalition mit der Linksaußenpartei auf den Wahlausgang ausgewirkt haben könnte.

Das Dilemma der SPD besteht nach wie vor darin, dass sich ihre Stammwähler in ihr nicht mehr wiedererkennen. Früher war es z.B. üblich, dass der Betriebsratsvorsitzende des wichtigsten örtlichen Betriebs in den Stadtrat kam. Und die aufstiegs-orientierten Wähler verzweifeln an der Abkehr der SPD vom technischen Fortschritt. Doch ein großer Teil der Mitgliedschaft der SPD rekrutiert sich heute aus dem für die Grünen typischen Milieu - die Funktionäre und Parteitags-Delegierten noch stärker. Nicht mehr die Arbeitswelt, sondern das Traumland der grünen Sinn-Vermittler prägen ihr Bild.