von Ulrich Horb

Ist es fortschrittlich, auf Altbewährtem zu beharren? Darf man auch mal Ärmere enteignen? Und warum stellen sich eigentlich die Autoren schützend vor die, die gut an ihnen verdienen? Neue Fragen, die sich im Streit um das Urheberrecht stellen.

„No Copyright“ - mit dieser Forderung melden sich jetzt, gerade als sich die Debatte um das Urheberrecht in Deutschland wieder zu versachlichen begann, zwei niederländische Autoren zu Wort: der Politikwissenschaftler Joost Smiers  und die Medienwissenschaftlerin Marieke van Schijndel. Ihre Maximalforderung nach völliger Abschaffung des Copyrights begründen sie damit, dass das Urheberrecht nur den großen Medienkonzernen nutze, die darüber bestimmen, was die Nutzer lesen, hören und sehen dürfen und was nicht. Alle geistigen Schöpfungen sollten stattdessen allen Menschen gleichermaßen zur Nutzung und zur Weiterverarbeitung zur Verfügung stehen. Blockbuster gibt es dann nicht mehr, weil sich die Investitionen in Stars und Werbung nicht mehr lohnen, wenn alles beliebig – privat oder kommerziell - kopiert werden kann. Damit hätten aber, so die beiden Wissenschaftler, die vielen bislang an den Rand gedrängten Künstlerinnen und Künstler bessere Bedingungen. Und für ein faires Verhalten von Verlagen untereinander würden die Käufer mit ihrem Kaufverhalten sorgen. Vorschläge, die blauäugig klingen und  inzwischen nicht einmal mehr von den Piraten kommen.

Im Streit um das Urheberrecht geht es um persönliche Interessen. Und entsprechend persönlich ist der Streit auch lange Zeit geführt worden. Die einen sorgten sich, dass sie für ihre Downloads künftig bezahlen müssen, die anderen bangten, dass sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können, weil ihre Arbeit unbezahlt bleibt. Unterschriftenlisten liefern einen groben Überblick über die beiden Lager. Unterschiedliche Auffassungen gab es bis zuletzt darüber, wer Gut und Böse ist.  Sind nicht die die Bösen, die anderen etwas vorenthalten wollen, ihre geistigen Werke zum Beispiel? Anonyme Hacker, die sich in einer Erklärung „als neutrale Bürger“ bezeichnen und immer auf der Seite der Guten sind, haben jedenfalls Adressdaten und Telefonnummern der aus ihrer Sicht bösen Autoren in einer langen Liste im Internet veröffentlicht. So konnten ihnen alle Guten mal ordentlich die Meinung sagen.

Die Autoren wiederum sehen in den Piraten das Böse, weil die ihnen ein Recht nehmen wollen – das des Urhebers. Ein Missverständnis, sagen die Piraten. „Künstler und Kulturschaffende sollen auch in Zukunft von ihren Produkten und Erzeugnissen leben können“, beruhigt der Parteivorsitzende. Und der Berliner Pirat Christopher Lauer schreibt – offenbar eine Strafarbeit – in einer Berliner Tageszeitung dreimal hintereinander: „Die Piratenpartei möchte nicht das Urheberrecht abschaffen.“

Ziemlich gleichzeitig erläutert die Partei in einer Presseerklärung unter Punkt 7: „Das private, direkte, nichtkommerzielle Filesharing und die Weitergabe von Werken soll entkriminalisiert werden. Filesharer sind die besseren Kunden und das Bedürfnis nach “try-before-buy” ist ein berechtigtes Bedürfnis.“ Also: Die Piratenpartei möchte nicht das Urheberrecht abschaffen.  Nur eben so verändern, dass es in vielen Fällen nicht mehr gilt. In dieser Logik können die Autoren dennoch von ihren Produkten leben. Denn jeder, der schon einmal ein Buch durchgelesen hat, das ihm gefallen hat, wird es ja wohl hinterher auch kaufen. Und falls da Zweifel bleiben: Natürlich kann der Autor auch gleich auf die vielen neuen Einnahmequellen setzen, die ihm die Piraten nahelegen: „Neue Geschäftsmodelle: Alle bisher funktionierenden Modelle sowie neue Möglichkeiten wie Micropayment, Crowdfunding und -investing aber auch die Option der Pauschalabgaben, die dem Urheber zugute kommen.“

Erfahrungen und Denkweisen der beiden Lager passen nicht zusammen. Die einen wollen wissen, wo sie das Geld fürs Essen herbekommen ohne jedesmal ein Crowdfunding dafür veranstalten. Und die anderen haben kein Verständnis dafür, dass Autoren etwas als ihr Eigentum bezeichnen, was durch viele Anregungen der Umwelt entstanden ist und  doch allen gehören sollte, zumindest aber beliebig privat kopiert und wissenschaftlich benutzt werden sollte.

Vermehrung durch Diebstahl

Diebstahl war früher einfach zu definieren. Zum Beispiel anhand eines Buches: Es befindet sich im Besitz eines Lesers, der es käuflich erworben hat und damit dem Buchhändler, dem Buchvertrieb, dem Verleger, dem Staat durch die Mehrwertsteuer und nicht zuletzt auch dem Autor etwas Gutes getan hat.  Nach einem Diebstahl befindet sich das Buch an einem anderen Ort , der bisherige Besitzer hat keinen Zugriff mehr auf sein Eigentum. Das lässt Buchhändler, Verleger oder Autor unbeeindruckt, bei denen ja inzwischen das Geld vom Kauf angekommen ist, nur den Staat und seine Strafverfolger nicht. Im digitalen Zeitalter verdoppelt sich das elektronische Buch jedoch beim Diebstahl.  Und während der Besitzer des Ursprungsprodukts davon meist unbeeindruckt bleibt, empören sich nun Buchhändler, Verleger und Autor, was wiederum den Staat nicht unbeeindruckt lässt.

Musiker und Filmemacher haben das alles schon vor den Autoren erlebt. Auch ihnen wird im Internet vorgeworfen, sich vor den Karren einer Verwertungsindustrie spannen zu lassen. Man legt ihnen nahe, das Geschäftsmodell zu ändern, zum Beispiel mehr Liveauftritte zu machen. Viele Bands würden davon gut leben, heißt es in Internetforen. Den Filmemachern wird das merkwürdigerweise nicht empfohlen. Schließlich könnten sie ja auch die Schauspieler live auftreten lassen und das Ganze dann Theater nennen. Und überhaupt sollten diese ganzen Urheber vielleicht etwas fleißiger sein, dann würden sie auch nicht über ihr geringes Einkommen jammern, glauben manche Internet-Nutzer. Er lebe ja auch nicht davon, dass er 5 PCs im Jahr repariere, schreibt ein Gegner des Urheberrechts in einem Internetforum.

Natürlich nutzen auch die meisten Autoren das Internet kostenlos zur Recherche. Nur müssen sie deshalb ihre Arbeit nicht ebenfalls ohne Entlohnung zur Verfügung stellen. Der Verweis auf ein irgendwann einzuführendes bedingungsloses Grundeinkommen, von dem sie leben könnten, löst das heutige Problem nicht, ist allenfalls ein Ausdruck von Geringschätzung der künstlerischen Arbeit.  Und Ratschläge, wo sie ihre Werke anbieten sollen, um damit Geld zu verdienen, helfen auch nicht, weil sich wohl auch künftig nur ein geringer Teil der Autoren selbst um die Vermarktung kümmern möchte. Es wird und muss weiter Vermarkter geben. Auch gegen eine Kulturflatrate sprechen viele praktische Überlegungen: Wer zieht sie ein, wer verteilt sie, was ist damit alles abgegolten?
Eine Kulturflatrate, so kritisiert es die SPD-Bundestagsfraktion, sei mit „einer Legalisierung der massenhaften unerlaubten nichtkommerziellen Nutzung digitaler Werke verbunden und entzieht dem Urheber damit die Befugnis, über die Nutzung seines Werkes selbst zu entscheiden“.

Sicher können sich Urheber von den Nutzern unverstanden fühlen. Und sicher ist es auch zu viel von ihnen verlangt, wenn sie die Vermarktung ihrer Produkte künftig selbst übernehmen sollen, nur weil das der angehende piratische Webdesigner auch macht – zumindest, bis er in einer Agentur angestellt wird, die Arbeitsteilung praktiziert, so wie es das im Verlagswesen gibt.
Aber Verletztheit und Wutreden helfen nicht. Das Internet ist Realität. „Die technischen Gegebenheiten des Internets stehen für uns wie Naturgesetze“, ergibt sich Pirat Christopher Lauer in diese Realität. Aber ist es nicht so, dass Technik allenfalls geschickt ein paar Naturgesetze nutzt? Autoren wie Tanja Dückers, die literarisch mit Realitäten auch einmal spielen, halten Lauer jedenfalls entgegen, dass doch der Mensch die Technik beherrschen sollte.

Nutzen von Kultur

Aber das Internet ist eben nicht nur Technik, es ist auch ein Stück neuer Kultur. Dabei ist es durchaus anregend, dass es im Internet auch eine „Umsonst-Kultur“ gibt – solange sie auf Freiwilligkeit und nicht auf Enteignung beruht. Nur: All die, die ihre Arbeitsergebnisse der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, können sich das leisten, sind in der Regel fest angestellt oder haben ausreichend andere Einkünfte. Es gibt Fotografen, die ihre Arbeiten Wikimedia als Illustration zur freien Verfügung stellen, Musiker, die Ihre Produktionen aus Freude oder als Eigenwerbung ins Netz stellen. Mit den Clips auf Youtube können sich Nutzer inzwischen Jahrzehnte ununterbrochen unterhalten lassen. Lange vergriffene Klassiker können bei Verkäufern von E-Book-Lesegeräten wie Amazon kostenlos wiederentdeckt werden. Sicher - es gibt gravierende Qualitätsunterschiede im Internet, so wie es eben auch gedruckte Heftchenromane im Laden um die Ecke gibt. Aber es gibt zugleich neue Kreationen, die ohne die Möglichkeiten einer kostenlosen Mitnutzung nicht denkbar wären, es gibt neue Chancen für Künstlerinnen und Künstler.

Es ist eine auch Zeit beanspruchende Kultur im Internet entstanden. Hinter dem aktuellen Urheberrechtsstreit werden daher Verteilungskämpfe sichtbar: Der Besuch einer Oper, das Lesen eines Buches, das Hören einer CD kostet Geld wie Zeit. Klassischer Kulturgenuss und Internetkultur werben um Nutzer, um Förderer, Sponsoren, Finanziers. In den zwei Lagern im Urheberrechtsstreit, die polarisieren und sich per Unterschriftenlisten zu erkennen geben, streiten sich auch Protagonisten dieses unterschiedlichen Nutzungsverhaltens.

In dieser Kultur gibt es Versuche, Geld zu verdienen, mit werbefinanzierten Musikstreams, mit Video-Abonnements. Und inzwischen haben auch einige große Zeitungsverlage begonnen, das, was sie unter „Qualitätsinhalten“ verstehen, hinter einer Bezahlschranke zu verstecken, die häufig noch leicht per Google-Suche zu umgehen ist.

Stimmen diese Bezahlangebote, haben sie einen Mehrwert für den Nutzer, sind sie einfacher in der Bedienung, ist es leichter, das gewünschte Angebot zu finden, dann werden sie auch genutzt, haben Erfolg und werfen irgendwann Geld ab, vielleicht sogar für Urheber. Derzeit aber wälzen die Verlage ihr Risiko und die Kosten ihrer Investition noch gerne auf die Autoren ab, indem sie deren Werke möglichst kostenfrei einer neuen Verwertung zuführen.

Die Balance zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern ist nicht nur durch das Internet verschoben. Urheber unterzeichnen bei Zeitungsverlagen seit längerer Zeit Verträge, in denen sie „ein umfassendes Nutzungsrecht“ ihrer Werke einräumen, „räumlich und zeitlich unbeschränkt“, einschließlich der Zweitverwertung, der Übertragung eines einfachen Nutzungsrechts an Dritte, der Archivierung, selbst der Nutzung für Hörfunk oder Fernsehen. Unterschreibt der Urheber nicht, erhält ein anderer den Auftrag. Fernsehautoren haben in der Regel keine Möglichkeit, ein Wiederholungshonorar durchzusetzen, profitieren können sie bei den regelmäßigen erneuten Ausstrahlungen allenfalls von minimalen Überweisungen der Verwertungsgesellschaften.

Mit einem von den Verlagen geforderten Leistungsschutzrecht, das die schwarz-gelbe Bundesregierung ergänzend zum Urheberrecht einführen möchte, könnten selbst kleinste Zitate kostenpflichtig werden. Der Urheberrechtsexperte Till Kreutzer von iRights.info warnt in einer Analyse vor den Konsequenzen: „Nur eine Folge scheint eindeutig: Wenn das Leistungsschutzrecht in dieser Form verabschiedet wird, wird es zu neuen Abmahn- und Klagewellen und eine über viele Jahre andauernde Rechtsunsicherheit in ungekanntem Ausmaß führen." Auch wenn es Verlagen damit gelingen sollte, die Anzeigeneinnahmen von Google News anzuzapfen, ist fraglich, ob sie die Urheber an der neuen Quelle beteiligen.

Eine Modernisierung des Urheberrechts liegt also durchaus im Interesse der Urheber – dabei muss es wohl eher um eine Stärkung ihrer Position nicht zuvorderst gegenüber den Nutzern gehen, sondern gegenüber den Verlagen. Vom gegenwärtigen Schulterschluss zwischen Autorinnen und Autoren und den Verlagen profitieren die eigentlichen Urheber jedenfalls am wenigsten.

Transparenz im  Urheberrecht

Komplizierte Schutzverfahren mit digitaler Rechtevergabe, wie es sie in den Anfängen der MP3-Ära gab, verärgern die Kunden und sind kaum noch praktikabel, wenn Nutzer ihre Daten auf verschiedenen Lesegeräten, Handy, Tablet oder Netbook dabei haben wollen. Wachsende Akzeptanz finden Streamingangebote, bei denen Nutzer Musik und Videos meist per Flatrate  vorübergehend zum Ansehen oder Anhören auf den eigenen Rechner holen.

Eine aufwendige Infrastruktur zur Kontrolle und Unterscheidung von legalen und illegalen Downloads im Internet würde eine Einschränkung von Bürgerrechten bedeuten. Sie einzuführen, nur weil nicht nur das Kopieren sondern auch die Überwachung im Internet technisch einfacher als im wirklichen Leben erfolgen kann, wird auf berechtigten Widerstand stoßen. „Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums müssen verhältnismäßig sein“, stellt die SPD-Bundestagsfraktion in ihrem Thesenpapier zum Urheberrecht fest. Auch Teile der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehen inzwischen auf Distanz zu Überwachungsmaßnahmen und einer Sperrung von Internetanschlüssen, wollen allerdings für zivilrechtliche Auseinandersetzungen eine Art Vorratsdatenspeicherung verankern.
Protagonisten im Urheberrechtsstreit wie die GEMA, die großen Verlage oder Musikkonzerne werden von den Nutzern derzeit als intransparente Geldvermehrungsvereine empfunden. Ein neues gerechtes Urheberrecht braucht dagegen eine durch öffentliche Diskussion geschaffene Akzeptanz, damit sich Einschränkungen und Überwachungen zu seiner Durchsetzung im Internet von selbst erübrigen. Geldflüsse und Nutznießer der Verwertungsgesellschaften müssen erkennbar sein, die Vergütung gerecht, Gebührenfestlegungen müssen notfalls unabhängig überprüft werden können.

Die Forderungen der Piraten, die zunächst einseitig Nutzerinteressen artikulierten, haben die Urheberrechtsdebatte in eine Sackgasse geführt, aus der sie nur schwer wieder herausfindet. Sie haben eine ähnliche Gegnerschaft zwischen Urhebern und Nutzern verursacht wie die staatlichen Maßnahmen zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, die etwa in Frankreich eingeführt wurden. Vielleicht schaffen Nutzer und Urheber noch den notwendigen Schulterschluss für eine gerechte Bezahlung.

 

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