von Peter Brandt

Bei dem vom deutschen Bundestag beschlossenen Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals geht es – jedenfalls aus meiner Sicht – nicht darum, einfach den Ist-Zustand der Verhältnisse in Deutschland zu feiern. Eine positive Einstellung zur Selbstbefreiung der DDR im Herbst 1989 und zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands als solcher im Jahr darauf ist durchaus vereinbar mit einer kritischen Haltung zur staatsrechtlichen Form und zum gesellschaftspolitischen Inhalt der deutschen Einigung, wie sie sich faktisch vollzogen hat und insofern weiterhin diskussionswürdig bleibt.

 Ein so manifester Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses wie ein – günstigenfalls einvernehmlich errichtetes – Denkmal macht natürlich nur dann einen guten Sinn, wenn es auf einen allgemeineren Minimalkonsens aufbaut, der sich in verbindlichen Verfahrenregeln bei der Austragung politischer und sozialer Konflikte und – mehr noch – in einem gewissen Maß an Übereinstimmung über einheitsstiftende Werte niederschlägt. In Italien sprach man früher vom „Verfassungsbogen“, der die KPI ein- und die Neofaschisten ausschloss. In Deutschland ist viel vom „Verfassungspatriotismus“ die Rede, wobei oft übersehen wird, dass ein solcher – sagen wir besser – demokratischer Patriotismus ohne Anbindung an die nationale Geschichte und Kultur ein wirkungsloses Kunstprodukt bleiben muss. Die Weimarer Republik scheiterte u. a. auch daran, dass die Republikaner der verschiedenen Richtungen letztlich nicht imstande gewesen waren, die unreflektierten nationalen Empfindungen der breiten Volksschichten fest an die Demokratie zu binden, auch auf der symbolischen Ebene. Unter diesem Gesichtspunkt stellt die zusätzliche Widmung des geplanten Denkmals an die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der letzten zwei Jahrhunderte den bewussten Versuch dar, die Ereignisse von 1989/90 in eine weit zurück reichende Traditionslinie zu stellen – „Tradition“ hier durchaus so verstanden, wie die Geschichts- und Kulturwissenschaftler der DDR den begrifflichen Unterschied zum „Erbe“, der Gesamtheit des historisch Überlieferten, auffassten.

Auseinandersetzung mit dem nationalen Selbstverständnis

Überhaupt darf man daran erinnern, dass in der DDR, sei es in Gestalt der Ulbricht´schen gesamtdeutsch-„Nationalen Konzeption“, sei es als Honecker´sche Zwei-Nationen-Lehre, von Hans Modrow im allerletzten Moment fallen gelassen, die Auseinandersetzung mit dem nationalen Selbstverständnis der Deutschen einen wesentlichen Platz einnahm. Und in der damals sozial-liberal regierten Bundesrepublik (West) setzte um 1970 eine Neuinterpretation des Nationalen, nicht einfach eine Abkehr davon, ein, bei der man sich jetzt betont gerade auf die emanzipatorischen Elemente der deutschen Geschichte berief und nicht mehr in erster Linie auf die ins Bismarckreich zurückweisenden staatsrechtlichen Kontinuitätsstränge. In der eindeutig positiven Sicht auf die freiheitlichen und revolutionären Traditionen, etwa auf die Revolution von 1848/49, gab es Annäherungen zwischen den beiden Staaten lange vor 1990 nicht nur auf der Ebene der Fachwissenschaft, sondern auch bezüglich der öffentlichen Behandlung und sogar der Würdigung von politischer Seite.
Der Zusammenhang von „Freiheit“ und „Einheit“ ist kein zufälliger und kein künstlich hergestellter. Das ist ganz offensichtlich für das 19. Jahrhundert, und es trifft auch zu für die Jahrzehnte der Teilung Deutschlands nach 1945 sowie die Monate ihrer Aufhebung. Nicht leugnen lässt sich ein gewisses Spannungsverhältnis. Die revolutionär-demokratische Massenbewegung, die „friedliche Revolution“, in der DDR im Herbst 1989 und im Winter 1989/90 war zunächst getragen von einer Dynamik radikaler Demokratisierung, die nicht unbedingt den, namentlich dermaßen schnellen, Beitritt zur Bundesrepublik erwarten ließ. Bekanntlich war es dann das Hinzutreten neuer Schichten zur Demonstrationsbewegung, nicht zuletzt aus der Arbeiterschaft namentlich  im Süden der DDR, das der Forderung nach „Deutschland, einig Vaterland“ zunehmend Rückhalt verschaffte. Auf Seiten der oppositionellen Gruppierungen, die sich neu konstituierten, und wohl auch für die SED/PDS, müssen die zunächst dominierenden Vorbehalte gegen die simple Angliederung an den westdeutschen Staat von der Ablehnung der deutschen Einheit unter allen denkbaren Bedingungen unterschieden werden.

Der Freiheits- gegen den Einheitsaspekt ausgespielt?

Selbst bei „ungestörter“ Entfaltung der demokratischen Umwälzung in der DDR und deren zwischenzeitlicher Weiterexistenz als nichtkapitalistischer deutscher Teilstaat hätte die „Wende“ Auswirkungen auf die gesamtdeutsche Szenerie gehabt. Das Nationale, das in politischer Hinsicht ja nie als solches, sondern in je besonderer sozialer und ideeller Konnotation existiert, musste in der speziellen deutschen Situation der Jahrzehnte vor 1989 – polizeilich-militärisch aufrecht erhaltene Absperrung und Mangel individueller sowie kollektiver Freiheitsrechte auf Seiten der DDR, Teilung Deutschlands als Scharnier der Block- und Systemteilung Europas, Prägung beider Fragmente dadurch und deren, wenn auch ungleichmäßig starke, Bezogenheit aufeinander – durch die Erschütterung der inneren Ordnung einer der beiden Staaten, namentlich des weniger stabilen, unter strukturellem Legitimationsdefizit leidenden östlichen, fast zwangsläufig in irgendeiner Weise reaktiviert werden.
Wenn das so ist, führte es in die Irre, im Hinblick auf die Vorgänge von 1989/90 in Deutschland den Freiheits- gegen den Einheitsaspekt auszuspielen, unabhängig von (mehr oder weniger berechtigter) Kritik an Tempo, Form oder Inhalt der Wieder- bzw. Neuvereinigung. Es geht heute allein um die Gestaltung des vor bald zwei Jahrzehnten aus den beiden deutschen Staaten entstandenen Gemeinwesens, dessen parlamentarische Ordnung, symbolisiert in den traditionsreichen schwarz-rot-goldenen Nationalfarben, zum ersten Mal in der Geschichte von nahezu dem gesamten politischen Spektrum akzeptiert wird, und um dessen kollektives Selbstverständnis. Das schließt die symbolischen und repräsentativen Äußerungen der staatsbürgerlichen Gemeinschaft, des Volkes der Demokratie, die der Gefühlsbindungen nicht entbehren kann, ein.
Der politisch-pädagogische Zugang der diversen Parteifomationen zu 1989/90 unterscheidet sich nicht unerheblich; jeweils andere Aspekte des Geschehens und seiner Voraussetzungen werden betont. Das gilt schon für die derzeitigen Regierungsparteien, umso mehr für diejenigen, die dem Bundestagsbeschluss in Sachen Freiheits- und Einheitsdenkmal nicht zustimmen wollten. Immerhin ist aufgrund der Parlamentsdebatte vom 9. November 2007 wie auch der Vorgängerdebatte vom 13. April 2000 festzuhalten, dass keine der im Bundestag vertretenen Fraktionen die Berechtigung des Anliegens bezweifelte, ein Zeichen der ehrenden Erinnerung an den demokratischen Protest und die folgende Umwälzung in der DDR zu setzen. Die Denkmalsskeptiker verwahrten sich sogar ausdrücklich gegen die Unterstellung, dass ihnen „Freiheit und Einheit egal“ seien (so Lukrezia Jochimsen). Bedeutet das nicht, dass es so etwas wie eine substantielle Schnittmenge bezüglich des Gedenkens an die betreffenden Ereignisse gibt? Beansprucht nicht auch die Linkspartei einen eigenen Anteil an der friedlichen Revolution und eine jedenfalls nicht nur negative Einstellung zur deutschen Einheit?
Für was das Denkmal im Bewusstsein der Menschen am Ende stehen wird, hängt nicht nur von den (möglicherweise ja auch nicht ganz einheitlichen) politischen Absichten der Betreiber und von der Qualität der künstlerischen Gestaltung ab, sondern auch davon, welche Vorstellungen sich in der öffentlichen Diskussion damit verbinden. Jene, die sich, aus verschiedenen Richtungen kommend und unterschiedliche Erfahrungen und Zugänge verkörpernd, an der Debatte beteiligen, beeinflussen die geistig-politische Prägung des Projekts mit – umso effektiver, je weniger sich ihre Positionierungen in reiner Negation erschöpfen.


PS: „Berlin“ braucht das Denkmal natürlich nicht, ebenso wenig wie – im buchstäblichen Sinn – irgendjemand irgendein Denkmal „braucht“. Doch wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, ein Freiheits- und Einheitsdenkmal als Nationaldenkmal befürwortet, dann ergibt sich daraus fast zwingend, das dieses in der deutschen Hauptstadt stehen muss, der Hauptstadt eines Bundesstaates, nicht eines Staatenbundes.

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Gekürzt in: Neues Deutschland v. 13.05.2009