von Herbert Ammon

In den Medien ist die Sache klar: Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht das gleiche. Gestern noch erntete Trump für seine ›nationalistische‹, am amerikanischen Interesse ausgerichtete Politik (›America first!‹) nichts als Verachtung. Jetzt kündigt der als Multilateralist gelobte Joe Biden – de facto unilateral, ohne lange Konsultationen mit den Nato-Verbündeten – den Abzug aller amerikanischen Truppen aus Afghanistan an. Der FAZ-Redakteur Christian Meier spricht von einem »Schlag ins Gesicht für Bidens Verbündete« (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/us-afghanistan-abzugsplaene-biden-und-der-endlose-krieg-17292812.html)

Präsident Biden, der als Vizepräsident unter Barack Obama bereits dessen erratische Außenpolitik mittrug, setzt im Blick auf die Weltlage im 21. Jahrhundert auf Prioritäten, die dann doch wieder an Trump erinnern. Zum einen geht es neben dem Unmut über Nordstream 2 um die Eindämmung der russischen Militärmacht unter Putin, zum anderen – und vorrangig – um die ökonomisch-geopolitische und militärstrategische Auseinandersetzung mit der aufsteigenden asiatischen Weltmacht China. Für beide weltpolitische Zielsetzungen ist – diesbezüglich anders als unter Trump – der Bezug auf die Menschenrechte zweckdienlich.

Während Trumps vor einem Jahr mit den Taliban ausgehandeltes Abkommen den Truppenabzug aus Afghanistan bis zum 1. Mai 2021 vorsah, soll dieser unter Biden erst bis zum historisch symbolischen 11. September (nine-eleven) erfolgen. Doch die Taliban haben durch einen Sprecher bereits angekündigt, dass sie auf dem unter Trump vereinbarten Termin bestehen und Bidens Terminplan mit Angriffen auf die noch im Lande befindlichen Nato-Streitkräfte, darunter auch noch die 1100 deutschen Soldaten im Norden, durchkreuzen werden.

Trump redete in Phrasen, die isolationistisch klangen, ohne indes konsequent den Rückzug der USA aus allen Weltregionen ins Werk zu setzen. Biden will nun – in immerhin anspruchsvollerer Rhetorik als sein Vorgänger – den ›längsten Krieg Amerikas‹ beenden, der 2000 Amerikanern das Leben kostete und Unsummen von Dollars verschlang. Seine nachgereichte Erklärung, im Falle einer neuerlichen Kooperation der Taliban mit Al-Qaida werde man wieder zuschlagen, wird die paschtunischen Glaubenskrieger am Hindukusch kaum erschrecken. Al-Quaida genießt bei ihnen nach wie vor Gastrecht.

Die Folgen des um ein paar Monate verzögerten Rückzugs der Amerikaner – mit ihnen auch der deutschen, italienischen und türkischen Kontingente – sind abzusehen: Die Truppen und Polizisten der ›demokratischen‹ Regierung unter Präsident Aschraf Ghani werden den 60 000 Mann starken Taliban unterliegen, diese werden erneut in Kabul die Macht übernehmen. Allenfalls im Norden und Nordwesten Nordprovinzen werden sie bei Tadschiken, Usbeken und Hasara auf Widerstand stoßen. Ob danach in Kabul und in all den anderen Teilen des geschundenen Landes das Regime der paschtunischen Fundamentalisten weniger grauenvoll aussehen könnte als vor zwanzig Jahren, ist eine spekulative, von Wunschdenken inspirierte Frage.

Keineswegs spekulativ, sondern leicht zu beantworten ist die Frage, was der Rückzug der USA vom Hindukusch für Europa, insbesondere für Deutschland, bedeutet. Ein gewaltiger Flüchtlingsstrom wird sich bereits in den nächsten Wochen in Gang setzen, den Erdogan nutzen wird, um sich als Nato-Verbündeter und politischer Geschäftspartner in Berlin zu empfehlen. Dass auch unter Biden Politik und Moral nicht identisch sind, wird man hierzulande im Entsetzen über das Flüchtlingselend übersehen.

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