von Wolfgang Schütze

Sehr geehrter Herr Fenske,

Sie werden sich vielleicht nicht erinnern: In einem Leserbrief, abgedruckt in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) am 6. Oktober 1989 unter der Überschrift »Werktätige des Bezirkes fordern: Staatsfeindlichkeit nicht länger dulden« verlangte ein Kampfgruppen-Kommandeur, dessen Name mit ›Günter Lutz‹ angegeben wurde, im Namen der Hundertschaft ›Hans Geiffert‹, notfalls auch mit Waffengewalt gegen Demonstranten vorzugehen.

Zum Glück kam es nicht dazu, unter anderem deshalb, weil der friedliche Widerstand des Volkes inzwischen so mächtig geworden war, dass die noch Herrschenden kein Blutbad a la Tieanmen-Platz persönlich verantworten wollten. Dennoch gilt der Abdruck dieses Leserbriefs als Beleg für den willfährigen Gebrauch von Massenmedien in der DDR als »kollektiver Organisator, Propagandist und Agitator«, als einer der moralischen und journalistischen Tiefpunkte der LVZ.

Schnitt, Zeitenwende, Sprung zum 15. August 2020: In einem Kommentar des Redaktionsnetzwerks Deutschland kommentiert Matthias Koch, ihr Amtsvorgänger als Chefredakteur und immerhin noch Chefautor, zu den Themen Coronavirus und Maskenpflicht. Dabei verlangt er u.a. es müsse »auch geklärt werden, was geschehen soll, wenn Verschwörungstheoretiker erneut ihr unbezweifelbares Demonstrationsrecht missbrauchen zu infektionsrechtlich unzulässigen Superspreader-Events«.

Mal abgesehen davon, dass erst etwa in zwei Wochen nach der Demo in Berlin mit einiger Sicherheit gesagt werden kann, ob und wie viele Teilnehmer sich dort mit dem Corona-Virus infiziert haben – mehr als 17 000 können es laut der von den meisten Medien verlautbarten Teilnehmerzahl ja nicht sein, oder; und auch abgesehen davon, dass Herr Koch völlig übersieht, wie in puncto Demonstrationen, Veranstaltungen und Maskenpflicht in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird, versteigt er sich zu der Aussage, es könne »notfalls auch mal der Einsatz von Wasserwerfern geboten und sogar polizeirechtlich angemessen sein«.

Selbstverständlich könnten Sie, sehr geehrter Herr Fenske, sagen, das ist ja nur die Meinung von Herrn Koch. So wie es damals nur die Meinung von Herrn ›Lutz‹ gewesen sein könnte, die noch dazu nicht in einem freien, sondern in einem diktatorischen System veröffentlicht wurde. Und mit gewiss viel geringerer Reichweite, als es heute das RND mit seinen vielen Kooperationspartnern erreicht. Dennoch: Leute, die gegenüber Andersdenkenden, anders Handelnden ›neue Saiten aufziehen‹ wollen, sind suspekt. Ich würde sie eher in Kampfgruppen als in Journalistenkreisen vermuten.

Sehr geehrter Herr Fenske, selbstverständlich dürfen Sie dieses Schreiben im RND veröffentlichen. Ich bin im übrigen Journalist im Ruhestand, war seit 1989 Chefredakteur der Sächsischen Neuesten Nachrichten bzw. Dresdner Neuesten Nachrichten sowie Sächsische Zeitung, danach Chef vom Dienst, stellv. Chefredakteur und Leiter des Newsdesk bei der Ostthüringer Zeitung.

Freundliche Grüße

Wolfgang Schütze

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