von Gunter Weißgerber

Am 13. April 2016 beschloss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages unter Leitung der verdienten Genossin Lötzsch, das Bauvorhaben ›Freiheits- und Einheitsdenkmal‹ zu beerdigen. Einfach so, ohne Parlament und Öffentlichkeit einzubeziehen. Wobei die Klage weniger an die Leninistin Lötzsch gehen muss, die tat nur in ehrlicher Mördergrube, was sie kann, sondern an den Haushaltsausschuss des Bundestages, der scheinbar willfährig der Linksaußenpartei zur Hand ging. Als ehemaligem MdB bleibt mir vor Scham ob der Ruchlosigkeit und Naivität meiner früheren Kollegen die Spucke weg. Oh, wie tief sind wir gesunken, heißt ein vorzüglich passendes Wortspiel.

Gesine Lötzsch? Ja richtig, das war die Bundesvorsitzende der Partei mit den häufig wechselnden Namen, die mit ihren Kommunismus-Thesen 2011 Entsetzen und Empörung ausgelöst hatte. In der Hinterbliebenen-Zeitschrift Junge Welt schrieb Gesine Lötzsch damals frisch wie heute sicher noch immer denkend, munter drauflos: »Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung«. Sic!

Es hagelte infolgedessen Proteste von Berlinbefürwortern wie Wolfgang Thierse und Günter Nooke für das ›Freiheits- und Einheitsdenkmal‹, das ›Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig‹ dabei schier vergessend. Schade, wo man doch überall dringend engagierte Mitstreiter braucht.

Berlin wäre ohne die Friedliche Revolution, die in Leipzig begann, heute nicht die Hauptstadt des in Freiheit und Demokratie geeinten Deutschlands. Statt diese Geschichte mit erzählen zu wollen, d.h. die ostdeutsche Bevölkerung stellvertretend von außerhalb Ost-Berlins 1989 im Zug zum Denkmal mitzunehmen, bleibt am Ende die unwahre Geschichte mit der DDR-Erhaltungsgroßkundgebung vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz übrig. So kann das nicht laufen! Berlin und Leipzig gebühren zwei Freiheits- und Einheitsdenkmäler, die eine gemeinsame Geschichte erzählen. Am besten zwei Denkmäler in korrespondierendem Zusammenhang. Was mit dem Luftbrückendenkmal Frankfurt-Berlin stimmt, kann mit Leipzig-Berlin und dem ›Freiheits- und Einheitsdenkmal‹ nicht falsch werden. Liebe Berlindenker, denkt mit den Leipzigern fortan gemeinsam. Die Säge klemmte bisher in beiden Städten bei dem Thema.

Wird Grütters die Zuständigkeit für das ›Freiheits- und Einheitsdenkmal‹ entzogen? Jedenfalls behauptete dies der Tagesspiegel am 28.03.2017. Angeblich sei Grütters keine Befürworterin des Denkmals. Genau das war aber zu keinem Zeitpunkt so zu verstehen gewesen. Frau Grütters erwärmte sich für Berlin und Leipzig, was im hauptstädtischen Berlin vielleicht gerade noch wohlgelitten gewesen wäre. Der Grüttersche Fauxpas scheint ein anderer zu sein. Frau Grütter erwog statt der Waage auf dem Kaiser-Wilhelm-Sockel das Brandenburger Tor zum ›Freiheits- und Einheitsdenkmal‹ in Berlin aufzuhübschen. Eigentlich nicht die schlechteste Idee im Kosmos der Denkmal-Ideen. Das ›Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig‹, welches der Bundestag 2008 mit beschloss, stellt Frau Grütters nicht in Abrede. Muss Frau Grütters für ihre Brandenburger-Tor-Idee büßen? Es bleibt interessant.

An dieser Stelle verweise ich aus Gründen immerwährender Aktualität auf meinen Vortrag vom 6. Oktober 2008 in Leipzig.

Wir sind das Volk! Sind wir ein Volk?
Warum wir in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal brauchen.

Seit 1989/90 wächst in Europa und in Deutschland friedlich zusammen, was zusammengehört. Der Name Leipzig ist mit dieser Entwicklung weltweit anerkannt auf einzigartige Weise verbunden.

Blicken wir auf den kurzen Zeitraum von Gorbatschows Machtübernahme in der Sowjetunion bis zum Fall des ›Eisernen Vorhang‹, so sind an weltweit besonders denkwürdigen Ereignissen genannt:

  • der Abschluss des INF-Vertrages zwischen den USA und der SU von 1987 (infolge des Nato-Doppelbeschlusses); der erste wirkliche Abrüstungsvertrag zum Abbau atomarer Mittelstreckenraketen
  • der beginnende Abbau der ungarischen Grenzanlagen zu Österreich am 2. Mai 1989 / ›der Stöpsel wurde gezogen‹
  • die Massenflucht von DDR-Bürgern in die deutschen Botschaften in Budapest, Prag, Warschau
  • die Leipziger Friedensgebete seit Mitte der 80er Jahre mit der revolutionären Initialzündung durch den Rausschmisses der Opposition aus der Nikolaikirche im August 1988 sowie das massenhafte Anschwellen der Montagsdemonstrationen ab 4. September 1989 in Leipzig – die Welt schaute ab Sommer 1989 jeden Montag (nicht nur am 9. Oktober) gebannt nach Leipzig;
  • der Mauerfall am 9. November 1989
  • die samtene Revolution in der CSSR und der Fall sämtlicher Ostblockdiktaturen
  • die Deutsche Einheit vom 3. Oktober 1990.

Bei genauerer Betrachtung dieser Geschichtsdaten kann sich niemand um Leipzig herum mogeln. Diese Stadt steht in der jüngeren weltpolitischen Vergangenheit ganz oben. Mit der ost- und mitteleuropäischen Freiheitsbewegung 1989/90 wird sie in einem Atemzug genannt. Leipzig war und ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie in ganz Deutschland und ist ein wichtiger Ort im europäischen Freiheitsgedenken! Erinnerungswürdig sind die Ereignisse von 1989/90 allemal. Sie sind erinnerungswürdig für Europa und für Deutschland! Doch wie erinnern? Genau darum geht es in der aktuellen Diskussion um ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal in Deutschland. Die Fragen sind nur die des richtigen Zeitpunktes und die des/der richtige/n Orte/s.

Eine erste Initiative zur Errichtung des Denkmales scheiterte 2000. Auch mir schien das eindeutig zu früh. Denkmale sollte sich die zeitgenössisch tatkräftige Generation nicht selbst setzen. So meine Überzeugung. Heute sind wir weiter. Beinahe 20 Jahre trennen uns mittlerweile von den Ereignissen, die viele unter uns mitgestalteten. Eine Generation ist hinzugekommen. Eine Generation, die dies alles nur vom Hörensagen kennt und die ihre eigene Sicht entwickelt hat.

Die Basis zur Bewertung der Volksbewegungen von 1989/90 ist damit breiter geworden. Was der allgemeinen Zustimmung zum Vorhaben zu Gute kommt. Nicht nur viele Zeitgenossen von damals wollen dieses Gedenken. Nein, später Geborene sind ebenso stolz auf diese Freiheitsbewegung. Der gesellschaftliche Diskurs ist also weitergegangen. Das deutsche Parlament wollte sich dem 2007 nicht mehr verschließen. Auch ich nicht. Doch an diesem Punkt angekommen, stellte sich für viele die Frage nach dem Standort. Nur Berlin als die Stadt der deutschen Teilung und des Mauerfalls oder greift dies nicht zu kurz? Natürlich greift das viel zu kurz!

An Argumenten für beide Standorte fallen mir sofort ein:

Berlin? Eindeutig ja!

  • Berlin steht mit seiner Teilungsgeschichte herausragend für die deutsche – und europäische Teilungsgeschichte
  • in OstBerlin nahm der Volksaufstand von 1953 seinen Ausgang (mit über 35000 Demonstranten allein in Görlitz)
  • in Berlin sagte Kennedy, dass er ein Berliner sei
  • in OstBerlin wurde der Freiheitsgedanke in einer lebendigen Untergrundszene immer aufrecht erhalten
  • in OstBerlin wurde 1988 die jährliche Luxemburg/Liebknecht-Zeremonie von den freiheitlich Andersdenkenden für die Freiheit Andersdenkender genutzt (ohne zu wissen, dass Luxemburg nur die Freiheit der Andersdenkenden innerhalb ihrer Bewegung forderte und strikt gegen geheime, direkte und freie Wahlen für die Bevölkerung war)
  • in Berlin sagte Willy Brandt, dass endlich zusammenwächst, was zusammen gehört
  • in Berlin fiel die Mauer
  • in Berlin tagte die erste freigewählte Volkskammer, die den Beitritt zur Bundesrepublik beschloss
  • in Berlin tagte der erste gemeinsame Deutsche Bundestag am 3. Oktober 1990
  • Berlin war und ist die Hauptstadt der Deutschen

Leipzig? Eindeutig ja!

  • Leipzig steht mit seiner Oppositionstradition für die der ›ostdeutschen Provinz‹ (in den 80ern sagte der ›angesagte‹ Ostberliner, dass er in die DDR (!!!) zu Freunden fahre)
  • Leipzig war 1953 eines der Zentren des Volksaufstandes
  • in Leipzig wurde 1965 die Beat-Demo auseinandergespült
  • in Leipzig wurde 1968 durch die SED mit der Sprengung der Universitätskirche der Beweis des Sieges der Scheinreligion Marxismus-Leninismus über die Religionen in Gänze angetreten – was wiederum eine weltweit beachtete Leipziger Opposition erzeugte
  • in Leipzig formierte sich mit den Friedensgebeten in der Nikolaikirche Anfang der 80er Jahre eine ständige Institution der Hoffnung und eine Kultur des geschützten freien Denkens
  • mit dem Rausschmiss der Opposition aus der Nikolaikirche im August 1988 eroberte sich diese Opposition den Nikolaikirchhof und infolge dessen sämtliche innerstädtischen Straßen und Plätze vor den Augen der Messe-Weltöffentlichkeit
  • in Leipzig begann sich im Umfeld und aus Anlass der Friedensgebete ein Demonstrationswille zu formieren
  • die Leipziger Frühjahrsmesse 1989 wurde durch die westliche Berichterstattung über eine Demonstration von 2 – 3000 Menschen in der Grimmaischen Strasse weltweit bekannt
  • in Leipzig begannen die DDR-weiten Großdemonstrationen 1989/90 (März 1989: 2- 3000;
    4.9. 89: 1200;
    11.9.89: einige tausend;
    18.9: tausende, auch aus den Nachbarbezirken;
    25.9. 89: mehr als 5000;
    2.10.89: mehr als 25 000;
    7.10.89: mehrere Tausend;
    9.10. 89: 70 000;
    16.10.89: 120 000;
    Ende Oktober 89: bis 300 - 500 000;
    wichtig nach dem Mauerfall: 200 000 und mehr – kein Abbruch des Volkswillens (– der so gewünscht war)
  • in Leipzig riefen die Menschen im Spätsommer 1989, dass sie hierbleiben und die Dinge hier verändern wollen
  • in Leipzig riefen die Menschen wenig später ›Wir sind das Volk‹
  • in Leipzig fegten sie mit ›Wir sind ein Volk‹ den DDR-Erhaltungswunsch der SED-Reformer weg
  • besonders in Leipzig ließen sich die Demonstranten nicht vom Dialog-Ruf der der SED von der Strasse weg holen
  • in Leipzig wurde bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen montags unablässig demonstriert; damit wurde der Weg zu freien Wahlen und zu deutscher Einheit ›durch die Strasse abgesichert‹.

Warum ist Berlin als alleiniger Standort unangemessen?

Der Gegensatz lautet auf den Punkt gebracht: Für die Charakterisierung der 89/90er Demonstrationen von Berlin und Leipzig/ostdeutsche Provinz kann festgestellt werden, in Ostberlin ging es 1989/90 vornehmlich um die Demokratisierung und Reformierung der DDR, in Leipzig und in der Provinz ging es zunehmend um Demokratisierung und deutsche Einheit.

Vom Runden Tisch in Ostberlin kamen bremsende Signale, auf die weiteren Kundgebungen vor den Demonstrationen ab Jahreswechsel 89/90 zu verzichten. Da dies fatale Folgen für die neuerliche Lufthoheit der SED-Propaganda hatte, wurden die Kundgebungen wieder aufgenommen und die Leute kamen weiterhin in Massen bis zu den Volkskammerwahlen. Gerade in Leipzig gäbe es zu diesem Disput eine Menge zu erzählen. Plötzlich mussten wir nicht nur der SED, sondern auch dem Runden Tisch ›Dampf machen‹!

Standen am 4. November in Ostberlin (von der SED genehmigt) 500000 Menschen vor allem für eine reformierte und zu erhaltende DDR, so artikulierten die Demonstranten in Leipzig zum gleichen Zeitpunkt (unerlaubt) schon wesentlich weitergehende Forderungen hinsichtlich deutscher Einheit.

Kam aus Ostberlin der Aufruf ›Für unser Land‹ (der die Erhaltung der DDR meinte und u. a. den Verfassungsentwurf des Rundes Tisches zur Folge hatte), so artikulierten sich Leipziger Bürger wie Johannes Wenzel mit dem Leipziger Aufruf zur Besinnung auf die Situation und die Inbetrachtnahme föderativen Zusammengehens zwischen der Bundesrepublik und der DDR mit dem möglichen Ergebnis der deutschen Einheit. Dank der SED-Massenpresse blieb der Aufruf ›Für unser Land‹ im Gedächtnis vieler Menschen und der nur durch das Sächsische Tageblatt veröffentlichte ›Leipziger Aufruf‹ ist weitgehend unbekannt.

Die friedliche Revolution in der DDR war eine Erhebung nationalen Ranges. Deshalb bedarf sie der Würdigung durch die Nation bzw. durch ihr gesamtdeutsches Parlament und die Bundesregierung! In Deutschland leben noch viele Zeitzeugen, haben noch viele Menschen eine differerenziertere Erinnerung! Hätten die ehrbaren Betreiber des Denkmalsprojektes vierzig Jahre gewartet – Berlin würde alleiniger Ort des Gedenkens und der Erinnerung an Freiheit und Einheit sein. Anders herum, die Kritiker der Berliner Alleinvertretung deutscher Geschichte dürfen den Betreibern des Denkmalprojektes dankbar sein. Noch können wir die Weichen für eine ausgewogenere Erinnerungskultur stellen.

Plakativ ausgedrückt: Ohne Leipzig und die Montagsdemonstrationen kein Mauerfall, keine Einheit in Freiheit für alle Deutschen! Die Leipziger Montagsdemonstrationen gaben der gesamten DDR-Bevölkerung Mut und Ansporn für ihre eigenen Demonstrationen. Viele fuhren montags nach Leipzig zum Demonstrieren, um an anderen Tagen zu Hause nochmals ein Gleiches zu tun. Deshalb Berlin und Leipzig als Standorte für ein korrespondierendes Freiheits- und Einheitsdenkmal!

Ein Gedanke zum Abschluss:

Wir haben uns angewöhnt, von der friedlichen Revolution zu sprechen. Warum eigentlich? Wären die Demonstranten von Leipzig, Plauen, Dresden, Berlin usw. niederkartätscht worden, würde heute mit Sicherheit von einem niedergeschlagenen Volksaufstand gesprochen werden – so wie im Fall von 1953 (DDR) oder 1956 (Ungarn) oder 1989 (Peking).

Wird der Misserfolg von Freiheitsbewegungen demnach vergesellschaftet (dem anonymen Volk zugestanden) und der Erfolg privatisiert, d. h. dem Willen einzelner Menschen glorifizierend zugeordnet? Revolutionen haben ihre erfolgreichen, einer Idee-anhängenden Führer, Volksaufstände sind führer- und ideenlos? Nach längerem Überlegen spreche ich inzwischen lieber vom 89er Volksaufstand, der in Leipzig maßgeblich beginnend in Berlin glücklich endete. Die alles verbindenden Ideen waren Freiheit, Demokratie und freie Wahlen. Die sich mehrheitlich herausbildendende Idee war die Einheit in Freiheit. Weil wir ein Volk sind!

Selbstverständlich wurden diese Ideen von einzelnen Menschen, jedoch nicht von Revolutionsführern getragen

(Der Änderungsantrag ›Denkmalpaar Berlin und Leipzig‹ wurde am 9.11.2007 mit knapper Mehrheit abgelehnt.)

 

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