von Ralf Willms

I

im Grunde viel versprochen

die Pyramiden, das sei nicht die 
eigentliche Geschichte, da sei eine
verschwiegene Geschichte
unterhalb der Geschichte.

Ja, das gibt es vielfach,
Wahrheiten, die verschollen sind,
die verschollen gemacht wurden,
die Herrschenden waren nie
an der Wahrheit
in dem Sinne
interessiert. Schon das
verspricht irgendwie viel.
Dann das große Dahinter.
Das unausleuchtbare Dahinter
in der Evolution,
im Universum,
diese Myriaden-Jahre-Geschichte,
langsames Wachstum
von Sternen
u. Sonnensystemen
bis hin zu diesem Fliegenschiss
Bewusstsein, der
wie groß eigentlich ist?

Sehr groß,
sehr klein,
wohin, woher.
»Alles klar« sagt der Bürger so,
jaja, alles unklar.
sind verschiedene Ebenen aber

diese Existenz jetzt
Karma, Schicksal, Lernaufgabe

jaja
oder neinnein
oder? –

 

II

das Nie-Wieder

sag mir wo die Blumen sind 
wo die Mädchen wo die Männer
sind, wo sind sie geblieben
dieser Song.

Diese Vergänglichkeit,
dieses Nie-Mehr-Wieder.

Das dem Leben zu eigen ist.

Die eigene Kindheitsgestalt,
der Junge, der du warst,
das Mädchen, das du warst,
die Empfindungen einst im
Wohnzimmer, das Heranwachsen,
das Heranreifen,
die Orientierungslosig

das, was du warst
in der Bewegung auf ihn zu
auf sie zu
die Hoffnung, die Aufregung

Das, bei dem du dachtest,
es ist so schön,
es wird
immer

in meinem Bewusstsein bleiben,
auch das ging?

Das Nie-Wieder.

 

III

nie wieder vergaß

Es ist Nacht, das heißt 
Weite
im Bewusstsein gerade
weil Abwesenheit von Menschen
schlafende Menschen impliziert.

Ich erinnere mich tief
das Wohnzimmer der Eltern
einst
Schallplatten in der Kindheit
mein Vater hatte eine Platte, die
mich besonders faszinierte,
der Tenor Joseph Schmidt
testamentlicher Aufgriff
Worte, als ich sie das erste Mal hörte,
die ich nie wieder vergaß:

Selig sind die, die Verfolgung leiden
um der Gerechtigkeit willen
denn ihrer ist das Himmelreich

Selig sind die, die
Verfolgung
leiden
um der
Gerechtigkeit willen
denn ihrer
ist das Himmelreich.

 

IV

Alles verdeckt, nichts wurde geahnt. 
Die große Überraschung, die das Leben
aus dem Hut zieht. Manches Mal
Zaubermeister des Todes und der Schädigung.

 

V

Das war bloß das schriftliche 
Zeugnis.
Der reale Verlauf
will wie alle realen Verläufe
vollständig exakt
nicht mehr gesehen werden.

VI

Versprechen

Was ist der Schlüssel? 
Der Kanal

zwischen jeder Politik
und jeder Bevölkerung.

Versprechen, die gemacht wurden.
einzuhalten.

Gibt’s noch was
zu sagen?

 

VII

Ein einziger Ruf von einem der Balkone 
herunter, sagte Sarah, und hatte

kollektive Entwertung wiederzuerfahren
hatte mich wahrzunehmen wie einen

halben Gehirnlappen, so zerrissen, wie
in ungeschützter Luft bereit- und
aufgehängt.

Noch die Bluse aus der Hose wirkte wie
eine zerschossene Feder.

 

VIII

Spürte, will gar nichts mehr von ihnen, 
sagte sie, keine Würde, nichts –

nicht mal, dass ich in Ruhe gelassen
werde, lebe einfach mein angefangenes

Leben weiter, so weit es
dann geht.

IX

Besonders nahes, intimes Verhältnis 
zum Stigma – um DAMIT

bestmöglich umzugehen.

X

Problematisch zu sagen, sagte Sophie, 
ob man bei bestimmten Anlässen
die Partnerschaft verlässt.

Es ist ein Prozess, an dem beide
in jedem Moment beteiligt sind.

Ist viel Liebe da, lässt sich viel angehen.
Ist keine Liebe da, lässt sich im Grunde
nichts angehen.

Dazu kommt: Findet man sich
im resignativen Sinne
schnell mit etwas ab
oder ist bei allem Lösungskompetenz
da,
Lösungsbereitschaft.
Zusammen lässt sich viel lösen.

Wird kommuniziert,
immer wieder ein gemeinsames
energetisches Feld betreten,
oder sich zurückgezogen
mit einsamen Entscheidungen.

Letztlich kommt es drauf an, ob jemand
liebt oder nicht.

Ob zwei Menschen sich erreichen
oder nicht.

XI

In der authentischen Nicht-
Entsprechung.

In der abgewichensten aller Positionen 
zu sein, sagte Sarah, u. dies möglichst zu
genießen.

XII

Was soll dir dann noch 
geschehn?

Begründe
ein intimes Verhältnis
zu deinem größten Schmerz

Freunde dich

und akzeptiere alles
bei bestem Bemühen,
was geschieht.

Was soll dir dann noch geschehn?

 

Globkult Magazin

GLOBKULT Magazin
herausgegeben von
RENATE SOLBACH und
ULRICH SCHÖDLBAUER


Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G

 

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