von Ulrich Schödlbauer

Im September 2022 teilt der Journalist Reitschuster seinem Publikum mit, ihm habe nunmehr die vierte Bank in Serie Geschäfts- wie Privatkonto gekündigt. Der Clou an diesen Kündigungen scheint, neben der Schikane als solcher, darin zu bestehen, dass anschließend die Kundenüberweisungen ins Leere laufen. Es ist anstrengend, Journalist in Deutschland zu sein.

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Kollegensolidarität: Achgut-Mitherausgeber Maxeiner springt dem gepiesackten Kollegen mit einem Artikel zur Seite. Wer gedacht hätte, er sei einer von vielen, sähe sich an jenem Morgen – wie auch an den kommenden – getäuscht.

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Weiterscrollend auf Reitschusters Seiten erfährt man, dass die Polizei damals Familie und Verwandtschaft besucht hat, um sich über ihn zu unterhalten, ohne Offenlegung der Gründe. Das gemahnt flüchtig daran, dass etliche Kilometer entfernt der ›Querdenker‹ Ballweg seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt, während, folgt man den öffentlichen Einlassungen der Anwälte, die Staatsanwaltschaft sich noch immer auf der Suche nach Bestätigungen für ihren Verdacht befindet.

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Der Ex-Focus-Journalist Reitschuster ist weder Ideologe noch Einpeitscher, just journalist, wie man im Englischen sagen würde. Das macht seinen ›Fall‹ so prickelnd. Wieso Fall? Noch ist er nicht gefallen. Schikanen halten den Menschen wach und erinnern ihn daran, dass das Leben kein Honigschlecken ist. Sie machen aber auch müde, jedenfalls mit der Zeit. Und sie machen krank.

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Der Querdenker Ballweg besitzt viele Anhänger. Etliche Tausend haben eine Menschenkette um die Stammheimer JVA gebildet, um für seine Freilassung zu demonstrieren. Man erfährt davon abseits der Leitmedien, die offenbar mit anderen Aufgaben betraut sind.

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Reitschuster berichtet: Aus der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung verschwindet spurlos ein Artikel, in dem sieben Juristen unerschrocken den Seltsamkeiten bei der Zulassung von mRNA-›Impfstoffen‹ im Zuge der Corona-Bekämpfung nachgehen. Nach Leserprotesten soll er, inklusive ›Gegenmeinung‹, bald wieder ›da‹ sein, wie das im Jargon dieser Jahre heißt. So jedenfalls kündigt es die Chefredaktion an. Man nennt dergleichen ›de-‹ und ›republizieren‹. Es soll Zeiten gegeben haben, da lagen Jahrhunderte zwischen beiden Vorgängen.

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Was erfährt man bei Reitschuster, was man bei anderen nicht erfährt? Man erfährt mancherlei, vor allem aber, wie es zwischen Journalisten in Deutschland steht. Journalismus ist nun einmal Auge und Ohr der Gesellschaft. Wer Augen und Ohren fest verschließt, sollte tunlichst einen anderen Beruf ergreifen. Dasselbe gilt für jeden, dem dieser Beruf Angst macht.

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Journalist Broder ist ein mutiger Mann. Der rührigen Theologin Käßmann schreibt er nach der Unterschrift unter ein Manifest für den Frieden ins Tagebuch, wohin seiner Ansicht nach die Reise der Friedensbewegten geht: in eine Senkgrube aus verlogenem Pazifismus, intellektueller Unbedarftheit und emotionaler Abstumpfung. Man kann so etwas kommentieren, man kann es auch lassen. Währenddessen fischt man, wie berichtet wird, in der Ukraine die Leute von der Straße weg an die Front. Vielleicht ist auch das Propaganda.

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Der Berliner Politologe Münkler, einst Anwalt europäischer Soft Power, wirft den Initiatorinnen Schwarzer und Wagenknecht vor, mit ihrem Manifest für den Frieden die ›gesamte Idee‹ des Pazifismus zu desavouieren. Das kommt schon sehr nahe an Orwell heran: Frieden = Krieg. Damit nicht genug, nennt er das Manifest gewissenlos. Da ist es, das gewisse Etwas, über das auch die Außenministerin verfügt, wenn sie Verhandlungs- gleich Diktatfrieden setzt.

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Frisch gelesen: ein Januar-Interview im Schweizer Online-Magazin Zeitgeschehen im Fokus mit dem pensionierten General Kujat, der die offizielle Erzählung zum Kriegsbeginn mit Fakten konterkariert, über die man sonst wenig liest. Auch hier ist der Neuigkeitswert gering, bemerkenswert vor allem, dass einer wie er es sagt. Kujat war Generalinspekteur der Bundeswehr, Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, des Nato-Russland-Rates sowie der Nato-Ukraine-Kommission der Generalstabschefs. Er spricht von vertanen Verhandlungschancen und mahnt zu Verhandlungen. Kriege werden, wie seltsam aber auch, durch Verhandlungen beendet. Er nennt das, was Merkel und Hollande nachträglich über Minsk II zu berichten wussten, einen Vertragsbruch. Er spricht auch über die Aufgabe, die das Grundgesetz, immer wieder lehrreich, der Bundeswehr vorschreibt. Dass einer wie er der deutschen Öffentlichkeit die Leviten liest, sollte … müsste … könnte … würde … nichts…

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Der SACEUR (NATO-Oberbefehlshaber in Europa) bekundet öffentlich Unruhe: Für einen Krieg wie diesen ist das Bündnis nicht gerüstet. Es würde Jahre dauern, die Waffenproduktion anzufahren, die dem Verbrauch dieses Krieges entspricht (businessinsider.com). Was will er damit wohl sagen? Denen, die überzeugt davon sind, dass im Krieg die gute Sache siegt, wenig, vermutlich nichts.

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Aus einer Buchrezension (Rubikon): Der Kampf gegen Cancel Culture mag sich als Speerspitze eines wehrhaften Liberalismus verstehen. In Wahrheit ist er Teil des Backlash, der die liberale Demokratie überhaupt erst bedroht. Das schreibt ein Stanford-Professor, dem die steife Oberlippe vermutlich das demokratische Bewusstsein ersetzt. Wobei der Kampf gegen Cancel Culture weitgehend ein Kampf um Sichtbarkeit ist. Und man sieht die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht so heißt es in der Dreigroschenoper, einst das Entzücken bürgerlich-progressiver Kreise. Die proletarischen Kollegen haben sich kräftig daran gehalten.

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Aus Rainer Paris, Theorie der Bequemlichkeit: Man huldigt dem Herrn und erzieht sich zum Glauben an die flankierende Ideologie.

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Der Lakonismus ist eine klassische Form der Vorverurteilung. Das Gesagte spricht für sich selbst. In einem Land zu leben, in dem mittlerweile fast alles für sich selbst spricht, ist anstrengend. Gleichzeitig ist es entlastend. Die Realität wird zum Bumerang.

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