von Friedrich Förster

Es gibt für alle Fehlentwicklungen und drohenden Katastrophen auf der Welt, durch die zunehmende Verbreitung der sozialen Netzwerke inzwischen nahezu in jedem Winkel, zeitnahe Alarmmeldungen und Maßnahmen, sich dieser anzunehmen. Wir wissen, wissenschaftlich gestützt, von Prozessen auf dem ganzen Globus und können diese mit empirisch und statistisch abgesicherten Daten darstellen, darüber diskutieren, uns eine Meinung bilden und schließlich an einer Lösung arbeiten.

Andererseits gibt es Fehlentwicklungen auch in unserem Land, die bekannt sind und trotz besseren Wissens nicht angegangen werden. Eine dieser Fehlentwicklungen ist eine sich verschärfende, dramatische demografische Schieflage, die man Katastrophe nennen kann. Dieser Misstand ist über Jahrzehnte erforscht, in Studien erfasst, statistisch ausgewertet und interpretiert, amtlich bestätigt sowie mit zahllosen Quellen belegt. Leider scheinen sich jedoch weder Bundespolitik noch Wirtschaft darum zu sorgen, und Teile der Wissenschaft präsentieren die Problemlösung noch vor der eigentlichen Analyse.

Die Auswirkungen fehlender Aufmerksamkeit und Maßnahmen vor allem im Bereich der Familienpolitik sehen wir bereits jetzt in Form eines sich immer weiter in den Vordergrund schiebenden Fachkräftemangels sowie Haushaltsungleichgewichten in den Kommunen und bei den Renten- und Pflegeaufwendungen des Bundes. Dieser Zustand ist ein Resultat fehlender oder aus meiner Sicht falscher politischer Weichenstellungen sowie gesellschaftlicher Normen, auf die ich nachfolgend eingehen möchte.

Die erste Fehlentwicklung sind zu stark sinkende jährliche Geburten

Nachfolgend die Entwicklung der Geburtenrate in Deutschland:

Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/10/PD18_420_122.html

Diese auf den ersten Blick unscheinbare Grafik beschreibt, dass jede Generation sich seit den 1970er-Jahren nur zu ca. 75% selbst ersetzt. Zur Verdeutlichung der Thematik nachfolgend beispielhaft eine Prognose des Freistaates Sachsen in absoluten Zahlen, welche die reellen Auswirkungen sehr klar darstellt:

Es wird nach Interpretation des Statistischen Landesamtes Sachsen mit hoher Wahrscheinlichkeit die gelbe Kurve. Wie man sehen kann, flachen die Graphen nicht ab, sondern fallen immer weiter ins Bodenlose. Gäbe es eine Abflachung und damit eine langsame Schrumpfung über einen längeren Zeitraum, also eine Annäherung an ein stabiles Niveau, hätten wir einen Zustand, auf den man sich als Gesellschaft einstellen kann. Dem ist aber leider nicht so.

Ein anderes Beispiel ist Frankfurt am Main. Die Stadt und die Sozialpartner sind sehr aktiv, Frankfurt wächst und hat eine ausgeglichene demographische Entwicklung. Das bedeutet erfreulicherweise auch einen hohen Anteil an unter-6-jährigen Kindern, davon waren 2015 bereits 68% mit sogenanntem Migrationshintergrund, bedeutet mindestens ein Elternteil ist zugewandert. In vielen Großstädten von Stuttgart bis Hamburg sind die Zahlen ähnlich. Das mag jeweils viele Gründe haben und ist keinesfalls negativ zu bewerten, aber es dokumentiert dieselbe Entwicklung. Rechnet man die Einwanderung weg, kommt die eigentliche Ursache zum Vorschein: Diese Städte wären aus eigener Kraft nicht in der Lage, zumindest die Hälfte des, für eine einigermaßen ausgeglichene demografische Entwicklung, benötigten Nachwuchses aus sich selbst heraus zu generieren. Das Problem an sich wird jedoch leider nicht angegangen, sondern sozusagen überdeckt.

Um es deutlich zu sagen: Was von interessierter Seite beschönigend – gleich einer natürlichen Entwicklung, auf die man keinen Einfluss hätte – als ›Demografischer Wandel‹ bezeichnet wird, ist real eine in der Geschichte beispiellose Kinderlosigkeit und das Ergebnis politischer Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. In absoluten Zahlen tut sich ein Negativsaldo von aktuell 160.000 Geburten pro Jahr auf, diese Zahl steigt immer weiter. Das ist, als ob man jährlich eine Stadt wie Heidelberg, mit allen Alten, Jungen, Beschäftigten, Arbeitern, Krankenschwestern, Ärztinnen und Ärzten, Unternehmern und Angestellten der öffentlichen Verwaltung ersatzlos von der Landkarte streicht. Das Jahr darauf würde man dann die nächstgrößere Stadt streichen (Leverkusen), und immer so weiter.

Das Problem ist nicht, dass die Lebenserwartung steigt und damit die Gesellschaft im Schnitt älter wird, sondern dass es jedes Jahr in Folge immer weniger Familien und damit Nachwuchs gibt. Das heißt, dass nicht-geborene Kinder natürlich wiederum auch keine eigenen Familien gründen und Kinder zeugen können. Im Ergebnis wirkt sich diese Entwicklung wie ein negativer Zinseszins aus –eine negative Kindeskinder-Rendite.

 

Die zweite Fehlentwicklung ist der politische Umgang mit Familien

Familien leisten das, wovon Gesellschaft, Politik, Staat und Wirtschaft leben. Eltern sind angehalten, arbeiten zu gehen, schicken Kinder in Kitas und Schulen, erziehen und versorgen sie jahrzehntelang. All das spart öffentliche Leistungen, generiert gleichzeitig Arbeitsplätze, Konsumausgaben, Steuereinnahmen und bringt neue produktive Steuerzahler sowie – nicht zu vergessen – Wählerinnen und Wähler hervor.

Die Ausgaben, welche Eltern pro Kind allein bis zu dessen 18. Lebensjahr haben, belaufen sich auf mindestens 100.000 €. Staatliche Leistungen wie das Kindergeld, welches ja eigentlich diese Mehrkosten kompensieren sollen, werden ihrem eigenen Anspruch nicht annähernd gerecht. Konkret bedeutet das für einen normalverdienendes, verheiratetes Paar, dass sie bereits ab dem zweiten Kind monatlich deutlich ins Minus und damit in prekäre Verhältnisse abzurutschen drohen. Kinderkriegen stellt speziell für Frauen derzeit finanziell nichts anderes dar als ein erhebliches Armutsrisiko. Der Familienbund der Katholiken und der Deutsche Familienverband erstellen regelmäßig den ›Horizontalen Vergleich‹ auf Basis öffentlich verfügbarer und gesicherter Daten um diese Zusammenhänge aufzuzeigen.

Damit wird sichtbar, dass Familien sehr schnell über den Rand des Existenzminimums geraten:

Quelle: https://www.deutscher-familienverband.de/wp-content/uploads/2020/05/200506_HV_2020_Gesamtdatei.pdf

Glücklicherweise bedeutet Kinder zu haben, deutlich mehr als das schnöde Geld! Trotzdem muss eine Familie von irgendetwas leben und dafür reicht es bei mehr als zwei Kindern und durchschnittlichem Haushaltseinkommen eben leider oft nicht mehr.

Die Gründe liegen nach Ansicht des Deutschen Familienverbands in einer Benachteiligung vor allem in den Sozialabgaben und der Lohnbesteuerung abhängig beschäftigter Eltern. Dazu kommen nur sehr eingeschränkte oder keine Abschreibungsmöglichkeiten bei den Kosten für Kinderbetreuung und Kleidung. Familien sind, in Bezug auf Sozialversicherungen und Lohnbesteuerung, gegenüber kinderlosen Paaren benachteiligt. Auch eine Eheschließung bringt leider keine ausreichende Verbesserung mit sich. Die Bundespolitik wurde vom BVerfG bereits vor Jahren verpflichtet diesen Zustand zu beheben, blieb jedoch bisher tatenlos.

Viele Mütter mit Kindern unter sechs Jahren entscheiden sich dafür, zumindest eine Zeit lang entweder gar nicht oder nur in Teilzeit zu arbeiten (wenn sie denn eine Stelle kriegen), so lange der Nachwuchs noch klein ist. Frauen trifft so leider oft ein massiver Lohnausfall und auch ein Karriereknick. Das wiederum bringt geringere Einnahmen und eine meist schlechtere Steuerklasse mit sich, was zu verminderten Rentenansprüchen führt. Der Staat macht also in jedem Fall Vorteile für sich geltend, unterstützt die Familien, die für seinen Fortbestand sorgen, aber derzeit kaum.

Ein anderer, bisher weitgehend ignorierter Bereich sind Eltern in Studium und Ausbildung: Wenn junge Paare in Studium oder Ausbildung ein Kind erwarten, stehen sie sehr schnell vor dem finanziellen Aus. In der Elternzeit fallen Bafög, Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsvergütung weg. Danach haben Studierende oder Schüler (und nur diese, nicht die Azubis) ggf. noch Anspruch auf einen zusätzlichen, eher niedrigen Kinder-Bafög-Zuschlag.

Was bleibt, ist ein Sockelbetrag Bundeselterngeld von 300,- € für 12 Monate während der Elternzeit. Wie man davon eine Erstausstattung, Möbel, eine (größere) Wohnung, ein evtl. benötigtes Auto und die vielen anderen Mehrausgaben, die mit einem Kind einhergehen, bestreiten soll, bleibt unklar. Zinslose Darlehen für eine Familiengründung oder eine Willkommensprämie für Neugeborene gibt es leider ebenfalls nicht.

Im Ergebnis sitzen viele junge Eltern dann in Beratungsstellen und versuchen, sich aus kommunalem Wohngeld, Leistungen des Sozialamtes, der Familienkasse sowie verschiedenen Stiftungen Almosen zu ›erbetteln‹, um mit einem Neugeborenen irgendwie über die Runden zu kommen. Das ist demütigend und vermittelt die Botschaft, dass man mit dem Kind einen Fehler gemacht hat und nun selbst zusehen soll, wie man damit umgeht.

Kündigt sich gleich im Anschluss ein zweites Kind an, fällt auch das Elterngeld weg, da in der Zwischenzeit kein Gehalt, Bafög oder Ausbildungsvergütung bezogen wurden. ›Hartz 4‹ gibt es für diese Gruppen nicht, da sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen.

Die dritte Fehlentwicklung ist der gesellschaftliche Umgang mit Kindern

Warum sollte man also in seinen Zwanzigern Kinder kriegen, sich binden und sesshaft werden, wenn der gesamte Freundeskreis mit sportiven und teuren Hobbys, Hochglanzbildern von Fernreisen auf Insta und Karrieremachen beschäftigt ist? Warum die immensen finanziellen und beruflichen Nachteile, besonders für Mütter, in Kauf nehmen? War es lange Zeit normal mit Anfang 20 das erste Kind zu bekommen, ist es heute fast außergewöhnlich noch vor dem 30. Geburtstag Eltern zu werden oder zu heiraten.

Auch gibt es lokale Besonderheiten: In manchen Gegenden Deutschlands wird man mit mehr als zwei Kindern als ›asozial‹ angesehen. Wahrscheinlich ist das noch eine Denkweise, mit der sich Städter gegen die kinderreichen Landbewohner abgrenzen wollten – hilfreich ist sie jedenfalls nicht. Kinderlärm ist in städtischen Mietshäusern nicht gewünscht, obwohl das ein ganz normaler Teil des Lebens sein sollte. Ähnliche Situationen und Rechtfertigungsdruck erleben Eltern in vielen Bereichen, bei der Wohnungssuche, beim Arbeitgeber genauso wie beim Einkaufen.

Nimmt man die genannten Aspekte zusammen, wird aus meiner Sicht verständlich, warum vielen die Lust am Kinderkriegen vergeht oder das erst in Betracht gezogen wird, wenn ausreichend finanzielle Polster vorhanden sind und der Job bzw. das Karrierelevel gesichert scheinen. Damit verschiebt sich der Zeitpunkt der Familiengründung oft um viele Jahre nach hinten, oder er wird ganz verpasst. Für ein drittes oder viertes Kind ist es dann meist schon zu spät.

Auch die horrende Zahl von ca. 100.000 Abtreibungen pro Jahr in Deutschland kann ein Hinweis auf schlechte Rahmenbedingungen sein. Was auch immer die Gründe im Einzelfall sein mögen, eine Entscheidung gegen ein Kind ist immer schlimm und sollten durch ein familienfreundliches Klima in unserer Gesellschaft so weit wie möglich überflüssig gemacht werden.

Wir haben es daher meiner Ansicht nach mit der leisesten aller Katastrophen zu tun

In Summe scheint die Steuer-, Abgaben-, und Familienpolitik des Bundes die Bürger vom Kinderkriegen eher abzuhalten. Immer mehr Kreißsäle bleiben leer, die Geburtsstationen haben jedes Jahr weniger zu tun. Jedes Jahr schreien weniger Babys nach Zuwendung. Dörfer werden verlassen, Schulen schließen dort, Häuser verfallen. Die oft werblich adressierten Singles, also alleinstehende Großstädter, werden mehr und mehr zu einsamen Alten ohne Partner und Nachwuchs. Auch Familien mit zwei oder mehr Kindern gibt es jedes Jahr weniger. Noch etwas drastischer formuliert: Wer keine Kinder oder keine Enkel hat, dessen Familiengeschichte endet in einer Zeit, die so sicher und wohlbehütet ist wie noch nie zuvor. Jedoch schlägt kein Forschungsinstitut Alarm und niemand haut in den Parlamenten aufs Pult. Ich finde es unheimlich, dass es so unheimlich still darum ist.

Zum Abschluss noch ein paar positive Ansätze:

Die demografischen Daten sehen in vielen unserer europäischen Nachbarländer besser aus. Dänemark, Norwegen und Schweden haben die Problematik der schwindenden Geburten nach dem ›Pillenknick‹ teils bereits vor Jahrzehnten erkannt und augenscheinlich effektive Maßnahmen abgeleitet. Diese Länder haben inzwischen Geburtenraten um die 1,8 Kinder pro Frau, was kombiniert mit qualifizierter Einwanderung einen stabilen Zustand bedeutet. Daran haben – teils für die Gesellschaft sehr kostspielige – Betreuungsangebote, steuerliche Besserstellungen für Familien und großflächige Unterstützung der politischen Maßnahmen durch die Unternehmen ihren Anteil.

In Frankreich gibt es, neben einer Geburtsprämie pro Kind (ca. 1.000 €) und ähnlich ausgebauten Betreuungsangeboten deutliche Vergünstigungen in der Einkommensteuer: »… Anders als in Deutschland gibt es beispielsweise für ein Einzelkind kein Kindergeld. Erst nach der Geburt eines zweiten Kindes haben die Eltern einen Anspruch, ab dem dritten Kind gibt es dann noch einen Zuschlag. Auch das Steuersystem belohnt besonders das dritte Kind, ab dem Vierten zahlen französische Familien praktisch kaum noch Steuern.«

Bisher scheinen sich die Parteien hierzulande jedoch nicht dafür zu interessieren, dass Ihnen bereits jetzt Steuerzahler, Mitglieder sowie Wählerinnen und Wähler ausgehen. Sie konzentrieren sich auf ihre derzeit größte, aber schwindende Wählergruppe, die Rentner. Daneben werden die Themen Familiengründung und Familienförderung den radikalen Rändern überlassen, die sie vereinnahmen und für ihre Zwecke missbrauchen.

Unser Ziel als Deutscher Familienverband ist es, auf die derzeitige Situation der Familien aufmerksam zu machen und der Politik Unterstützung bei der gemeinsamen Entwicklung von Lösungen für die aufgezeigten Handlungsfelder anzubieten.

Nachfolgend eine Auswahl verschiedener Ideen und möglicher Maßnahmen:

  • Willkommensprämie für Neugeborene

  • Senkung der Mehrwertsteuer für kinderbezogene Produkte auf 7%

  • Zinslose Darlehen für die Familiengründungsphase, z.B. mit Heirat oder Geburt

  • Vollständige Umsetzung des Urteils des BVergG zu den Sozialabgaben für Familien

  • Beschließung des staatspolitischen Ziels einer ausgeglichenen demografischen Entwicklung

  • Deutliche Senkung der Einkommensteuer mit Anzahl der Kinder

  • Kindergeld vor der Geburt und einheitliches Kindergeld für alle geborenen Kinder

  • Elternunabhängiges Bafög für werdende Eltern über die gesamte Ausbildungsdauer

  • Weiterentwicklung des Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting

  • Unterstützung des Bundes für familienfreundliche Maßnahmen der Kommunen

 

Der Autor ist Mitglied im Vorstand des DFV Sachsen e.V.