Dieses Buch war dringend notwendig. Es gibt seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zahllose wissenschaftliche Studien, Meinungsumfragen, Berichte, Kommentare und politische Brandreden zur Gefahr des ›Rechtsextremismus‹ und verwandten ›Strömungen‹. Gegenwärtig hat man als kritischer Beobachter den Eindruck, als stünde eine Machtübernahme ›der Rechten‹ unmittelbar bevor, so intensiv wird im politischen Diskurs die Gefahr ›von rechts‹ und der deshalb vorrangige Kampf gegen ›rechts‹ beschworen. Die AfD wird als vermeintliche Speerspitze des ›Rechtsextremismus‹ von Regierung, Opposition und den sie tragenden Parteien ausgegrenzt, flankiert von zahlreichen NGOs, Gewerkschaften und Kirchen.

So gibt es im politischen Diskurs zu ›rechts‹ und ›links‹ einen dominierend »asymmetrischen« Blick auf den »Extremismus«, wie die Autoren, beide Politikwissenschaftler, nüchtern konstatieren. Klaus Schroeder ist Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Leiter des ›Forschungsverbundes SED-Staat‹ und Monika Deutz-Schroeder ist in demselben Forschungsverbund tätig. Sie geben zahlreiche Beispiele für eine anhaltende Relativierung und Verharmlosung des Linksextremismus (S. 17ff.)

Wissenschaftliche Analysen, politische Berichte und Kommentare zu Geschichte, Ideologien und Bewegungen des Linksextremismus sind rar, sieht man einmal von der unüberschaubaren Literatur zum ›real existierenden Sozialismus‹ der DDR, der (streckenweise unerträglich apologetischen) Literatur über die ›68er‹ und den 1997 bzw. 2002 erschienenen »Schwarzbüchern des Kommunismus« ab. Auch die 2017 erschienene Studie vom ehemaligen KBW Mitglied Gerd Koenen (»Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus«) sei noch genannt. Es ist verdienstvoll, dass sich die Autoren, seit vielen Jahren einschlägig mit diesem Thema befasst, nun die Früchte ihrer Arbeit in einem gut lesbaren Buch einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Es ist ihnen uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie im ersten Satz ihres Buches formulieren: »Ein Buch über linke Gewalt zu schreiben, ist angesichts der zu erwartenden Kritik nicht einfach« (S.7). Das ist noch milde formuliert. Wer über Gewalt von links schreibt, der sieht sich nicht nur Vorurteilen und Relativierungen ausgesetzt, sondern inzwischen auch Einschüchterungen und Bedrohungen (siehe z.B. den ›Fall‹ Professor Jörg Baberowski an der Humboldt-Universität Berlin). Unausrottbar zieht sich durch die Geschichte der ›Linken‹ die Behauptung, linke Gewalt sei »gut«, denn sie diene »hehren Zielen« und erstrebe »eine bessere Welt«. Sie sei »Reaktion auf reale Missstände« und daher nur »Gegengewalt« gegen »autoritäre gesellschaftliche Strukturen«. Auch richte sie sich meistens nur gegen »Sachen« und nicht »Personen«. Rechte Gewalt dagegen sei »böse«, von »Hass getrieben« und richte sich »gegen Personen und Schwächere«. Summa summarum: Linke Gewalt sei moralisch gerechtfertigt, rechte Gewalt nicht (S.7). Diesen Relativierungen und Verharmlosungen anhaltender linker Gewalt treten die Autoren mit ihrer politikwissenschaftlich-historischen Studie entgegen.

Was ist linke Gewalt

Die Frage, wie linke Gewalt entsteht, d.h. warum Personen und Gruppen sich entschließen, die freiheitliche Demokratie zu bekämpfen und das demokratisch legitimierte und friedenstiftende staatliche Gewaltmonopol bewusst zu zerstören, ist nicht einfach zu beantworten. Es kommen hier verschiedene Faktoren zusammen.

Aus der Sicht der Autoren spielt nicht allein eine radikale oder extremistische Ideologie eine Rolle, sondern auch die »Erosion demokratischer und ziviler Tugenden, begleitet von einem Anwachsen (unpolitischer) anti- und nichtziviler Einstellungen in bestimmten Bevölkerungsgruppen« (S. 24). Es muss in der Gesellschaft bei bestimmten Personen und Gruppen eine potentielle Gewaltbereitschaft vorhanden sein, die unter bestimmten Umständen und anlassbezogen zur Anwendung von Gewalt führt. Nach einer repräsentativen Untersuchung von Infratest dimap lehnen 33 Prozent der Linksextremen und 40 Prozent der Linksradikalen das staatliche Gewaltmonopol ab, 14 Prozent der Linksextremen und 8 Prozent der Linksradikalen befürworten den Einsatz von Gewalt. Obwohl die Autoren die Unterscheidung zwischen »Linksextremismus« und »Linksradikalismus« für »unverzichtbar« halten, wird diese Unterscheidung nicht gerade plausibel erklärt. Sie müssen auch zugeben, dass die Grenzen hier schwer zu ziehen sind, weil radikale Linke sich nicht prinzipiell von Gewalt distanzieren (S. 28).

Bei extremen politischen Strömungen liegt »fast immer« eine gewaltaffine Disposition vor, Gewalt zur Veränderung der Gesellschaft wird nicht ausgeschlossen. Es muss nicht »automatisch« zu Gewalthandeln kommen (S. 25), denn das Verhältnis zur Gewalt ist bloß taktisch. Linksextremistische Ideologien sind anti-aufklärerisch, anti-pluralistisch und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet und stilisieren sich selbst als antikapitalistisch, antiimperialistisch und antifaschistisch. Die Autoren verschonen den Leser zwar vor einer ausufernden Erörterung komplexer Diskurse zur Gewaltforschung, das ist vernünftig und erhöht die Lesbarkeit, gleichwohl hätte der kurze Abschnitt über »politische Gewalt« etwas sorgfältiger ausfallen können. Sie verstehen linke Gewalt als »explizit politisch motivierte« Gewalt (S. 30) und geben Kriterien zu ihrer Charakterisierung: a) Einschüchterung von Personen und Gruppen, die linksextremen Ansprüchen und Vorhaben entgegenstehen; b) Bewusster Einsatz und Bemühungen um politische Legitimation (im Gegensatz zum Rechtsextremismus); c) Nicht immer zielgerichtet, entscheidend sei die Wirkung; d) Infragestellung des gesamten Gewaltsystem und Behauptung der Legitimität von Gegengewalt und Widerstand); e) Öffentlichkeit. Das ist alles richtig, passt aber nicht zu der – offenbar zustimmend – zitierten Gewaltdefinition der Gewaltkommission der Bundesregierung von 1987, die ja nur auf die zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen abhebt. Auch wäre eine stärkere Berücksichtigung der vergleichenden Extremismusforschung (v.a. von Uwe Backes und Eckhard Jesse) angezeigt gewesen. Wahrscheinlich hätten sie dann auch darauf verzichtet, die begrifflich und inhaltlich nachgerade unsinnige Kategorie, eines »Extremismus der Mitte« zu erwähnen (S. 27).*

Geschichte linker Gewalt: Von der Französischen Revolution bis zur Antifa

Die Französische Revolution »steht für den Umschlag von revolutionärer Gewalt zur Beseitigung eines feudalen Regimes in linke staatliche Gewalt zur Sicherung der Macht einer kleinen Gruppe« (S. 42). Hier wird m.E. schon ein idealtypisches Grundmuster linker Gewalt sichtbar: Es beginnt mit der Politisierung eines wie auch immer definierten revolutionären Subjektes: Der ›Dritte Stand‹, die Arbeiterklasse, die Bauern, die Intelligenz (Bildungsbürger, Studenten), die ›kolonialisierten‹ Völker der ›Dritten Welt‹, ›Flüchtlinge‹, ›Migranten‹, ›Klimastreikende‹ etc. Die Identifikation eines revolutionären Subjekts wird dann häufig verbunden mit utopischen Erlösungsszenarien (z.B. die egalitäre, ›klassenlose Gesellschaft‹, Herrschaftsfreiheit, allseitige Bildung und Bedürfnisbefriedigung im Kommunismus, der ›neue Mensch‹, die versöhnte Natur etc.) Darauf folgt die Radikalisierung spezifischer Gruppen des revolutionären Subjektes: Jakobiner (1789), ›Demokraten‹ (1848), bolschewistische ›Partei der Arbeiterklasse‹, (Lenin 1917/18), KPD 1918 (Luxemburg, Liebknecht), studentische ›Avantgarde‹ (1968ff.), K-Gruppen (1969ff.), ›Subversive Aktion‹, ›Tupamaros‹, ›Rote Armee Fraktion‹ und ›Revolutionäre Zellen‹ (1970ff.), Anarchisten, ›Autonome‹ (1980ff.). Am Ende dieser Radikalisierungsprozesse steht schließlich der Einstieg in die linke Gewalt mit z.T. totalitären Staats- und Gesellschaftskonzepten: Der ›Terreur‹ (1794), die revolutionären Aktionen 1848/49 (Hecker, Struve), der rote Terror der Bolschewisten 1918-1921, die Stalinherrschaft (1929-1953), die DDR (1949-1989), der Sowjetblock (1949-1989), der Kommunismus in Asien (China, Vietnam, Kambodscha etc.), die Morde der ›Roten Armee Fraktion‹ (RAF, drei ›Generationen‹, 1970-1998), ›Revolutionäre Zellen‹ (1970-1991), ›Schwarzer Block‹, Antifa (bis heute).

Opfer der linken ›Revolutionen‹

Die Französische Revolution, der wir die bis heute wirksame politische Differenzierung in ›rechts‹ und ›links‹ verdanken, forderte zahlreiche Opfer. Die Autoren geben eine chronologische Schilderung vom Beginn der Revolution (Sturm auf die Bastille, 14. Juli 1789) bis zum endgültigen Ende der Revolution durch den Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII (9. November 1799). Mit der Angabe von Opferzahlen sind sie sehr zurückhaltend. So habe die linke Gewalt des jakobinischen »terreur« allein im Sommer 1794 in Paris 1300 Menschen das Leben gekostet, ferner habe es beim Bürgerkrieg in der Vendée »mehrere hunderttausend Opfer« gegeben (S. 45), wofür aber ›rechts‹ (Royalisten) und ›links‹ (Jakobiner) gleichermaßen verantwortlich gewesen seien. Seriöse Zahlen linker Gewalt lassen sich kaum ermitteln. (Seit der legendären statistischen Untersuchung von Donald Greer aus dem Jahre 1935, geistert die Zahl von 16.594 während des ›terreur‹ von Oktober 1793 bis Juli 1794 Hingerichteten durch die Forschung: GREER, The Incidence of the Terror during the French Revolution, Cambridge, Harvard University Press, 1935, S. 26. Diese Zahl muss aber sicherlich noch deutlich nach oben korrigiert werden).

Schwer erklärlich ist die Aussparung der 1848er Revolution aus der Analyse linker Gewalt. Es liegt nicht daran, dass es hierfür keine Quellen gibt. Die Quellenlage für die ›bürgerliche Revolution‹ ist sehr gut. Die Revolution ist dank geschichtswissenschaftlich gestützter Erinnerungspolitik in Deutschland fast durchgängig positiv besetzt, ging es hier doch gegen die ›reaktionäre‹ Gewaltherrschaft der gekrönten Häupter ›von Gottes Gnaden‹ und die aristokratischen Funktionseliten. Wie und warum sich der ›gerechte Zorn des Volkes‹ in zahlreichen Gewaltaktionen entlud – als ›Gewalt gegen Sachen‹ und ›Gewalt gegen Personen‹ – und welche Opfer zu beklagen waren, wurde selten eigens thematisiert, eine Ausnahme bildet die historische Protestforschung (etwa Manfred Gailus). Hier könnten doch Detailstudien deutlich machen, dass in der Revolution trotz häufig martialischer Sprache (›Aristokraten muss man braten‹) die Gewalt von Republikanern, Demokraten und auch Sozialisten/Kommunisten hinter der ›Gewalt von rechts‹ (die Gegenrevolution) deutlich zurücktrat. Die scheußlichen Morde vom 18. September 1848, denen die ›Rechten‹, Fürst Lichnowsky und General von Auerswald, zum Opfer fielen, waren ja eher die Ausnahme von der Regel. Ob die Revolution deshalb in Gänze als ›humanitär‹ bezeichnet werden kann, wie der ›Klassiker‹ der Revolutionsgeschichtsschreibung, Veit Valentin, 1930 formulierte, ist eine Frage der politischen Perspektive.

Durch die Geschichte der von Marx und Engels prognostizierten und stets herbeigesehnten ›proletarischen Revolution‹ zieht sich eine breite Blutspur politischer Gewalt: die Pariser Kommune 1871, von Marx als »der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft« gefeiert (MEW Bd. 17, S. 362), mit ca. 32.000 Toten, die marxistisch-leninistisch-stalinistische Gewaltherrschaft 1917-1953, die Fortsetzung der GULAGS bis in die jüngste Vergangenheit, schließlich der Terror Mao Tse-Tungs und Pol Pots, das alles ergibt zusammen eine Opferzahl um die 100 Millionen (wie im »Schwarzbuch des Kommunismus« errechnet). Allein der, verharmlosend ›Große Säuberung‹ genannten, Mordaktion innerhalb der KPdSU 1936-1938 fielen etwa 700.000 Menschen zum Opfer (S. 61). Kommunisten halfen – zusammen mit den Nationalsozialisten – mit, die Weimarer Republik zu vernichten:

»Laut einer Statistik über politische Gewalttaten in Berlin im Jahr 1931 gibt es deutlich mehr Opfer unter Nationalsozialisten und Reichsbanner-Angehörigen als unter Kommunisten. 4699 getötete oder verletzte Nationalsozialisten stehen 1228 Kommunisten gegenüber. Täter sind in 2589 Fällen Nationalsozialisten, Kommunisten in 4184 Fällen« (S. 72).

Auch die DDR war ein diktatorischer Gewaltstaat, obwohl ideologisch verbohrte Linksparteiler (wie jüngst wieder Gregor Gysi!) sogar abstreiten, dass die DDR ein ›Unrechtsstaat‹ gewesen sei. Die Geschichte des SED-Staates belegt die durchgängige Anwendung politischer Gewalt in verschiedenen Formen, von den Hinrichtungen politischer ›Staatsfeinde‹, immerhin bis 1981, den Mauermorden, bis zu den vom MfS psychisch und physisch Vernichteten. Allein das Grenzregime der DDR „forderte mindestens tausend Todesopfer“ (S. 90). Exakte Zahlen gibt es allerdings bis heute nicht.

Die ›68er‹ und ihre Erben

Ausführlich analysieren die Autoren die Gewaltdiskussionen und die Anwendung von Gewalt bei den ›68ern‹ und ihren Erben. Die sogenannte ›antiautoritäre Revolte‹ begann, vom aktivistischen Kern, dem ›Sozialistischen Deutschen Studentenbund‹ (SDS) angetrieben, mit der »Methode der offensiven Regelverletzung« (S. 102), die rasch in eine revolutionäre Gewaltstrategie mündete. Die theoretische Unterscheidung zwischen ›Gewalt gegen Sachen‹ und ›Gewalt gegen Personen‹ blieb immer theoretisch. Der unbestrittene und gefeierte ›Führer‹ der Studenten, Rudi Dutschke, hatte letztlich immer nur ein taktisches Verhältnis zur Gewalt. Mehrfach bekannte er sich zur legitimen »Gegengewalt« gegen das herrschende kapitalistische und imperialistische Herrschaftssystem, was auch den »bewaffneten Kampf« nicht ausschließe (S. 113). Nur den individuellen Terrorismus lehnte er ab, salutierte aber am 18. November 1974 am Grabe des Terroristen Holger Meins mit erhobener Faust: »Holger, der Kampf geht weiter!« (S.115). Später wollte er die Geste als Kritik an den Haftbedingungen gedeutet haben. Spätestens nach dem Attentat auf ihn am 11. April 1968 und der legendären ›Schlacht am Tegeler Weg‹ am 4. November 1968 war die Büchse der Pandora geöffnet und der Weg in die Gewalt beschritten: „

»In der Protestbewegung entsteht ein militanter Flügel, aus dem sich drei ›Generationen‹ der RAF, die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und später die Autonomen entwickeln« (S. 119).

Die Bilanz der Gewalt ist erschreckend. Die terroristische RAF-›Stadtguerilla‹ war verantwortlich allein

»für insgesamt mindestens 33 Morde an Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, deren Fahrern, an Polizisten, Zollbeamten und amerikanischen Soldaten, für Geiselnahmen, Banküberfälle und Sprengstoffattentate mit über 200 Verletzten. Viele leiden noch heute unter psychischen Folgen des Terrors« (S. 152).

Die ›Revolutionären Zellen‹ begingen zahlreiche Anschläge, ihr Gründer und Inspirator, Wilfried Böse, beteiligte sich – gemeinsam mit palästinensischen Terroristen – am Überfall auf die OPEC Konferenz 1975 und an der Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe 1976. Dort betätigte er sich als antisemitischer Selektionskommissar und trennte die jüdischen Geiseln von den anderen. Bei der Befreiungsaktion durch die israelische Armee wurden er und die anderen sechs Terroristen erschossen.

Vom ›Häuserkampf‹ zur Antifa-Randale

Die Autoren verfolgen die Spur der Gewalt weiter: In den achtziger Jahren kam es zu zahlreichen Hausbesetzungen mit den Schwerpunkten in Frankfurt und Berlin. Die Besetzer sind Linksradikale und Linksextremisten, die sich z.T. als ›undogmatische Linke‹ bezeichnen. Im Frankfurter ›Häuserkampf‹ lieferte sich die legendäre ›Putzgruppe‹ (›Revolutionärer Kampf‹), heftige Scharmützel mit der Polizei, an denen u.a. unser späterer grüner Außenminister, Joschka Fischer, aktiv beteiligt war. Die »Putzgruppe« sei der »Vorläufer des ›Schwarzen Blocks‹« gewesen, der bis heute »vermummt, kampfmäßig gekleidet und entschieden gewaltbereit« gegen das »Schweinesystem« ankämpft. (S. 169). In Berlin formierten sich die ›Autonomen‹ im Zuge der Hausbesetzerkrawalle Anfang der achtziger Jahre. Der tragische Unfalltod eines Demonstranten 1981, ›K.J.R‹ (= Klaus Jürgen Rattey), heizte die Konfrontationen auf und es kam zu tagelangen Straßenschlachten zwischen ›Demonstranten‹ und Polizei (S. 172). Die Gewaltspirale drehte sich weiter, neue Protestthemen wurden entdeckt: Atomkraft, Startbahn West, Europäische Zentralbank, und immer wieder die ›Häuserfrage‹ (›Rote Flora‹ in Hamburg). Schließlich waren es die Gipfel der G7, G8 und G 20, die ein Massenaufgebot gut organisierter Linksextremer mit brachialer Gewalt zu stören versuchte. Hier kam es zu gewalttätigen Attacken auf die Polizei, Plünderungen, Brandstiftungen (›Abfackeln‹ von Autos) und Sachbeschädigungen in einem bislang nicht dagewesenen Ausmaß. Die Aktivisten dieser Gewaltorgien waren Anarchisten, Autonome, Hooligans, Chaoten, die ›Interventionistische Linke‹ und andere linksextreme Kleingruppen. Der 1. Mai war (und ist) in Berlin inzwischen zu ritualisiertem gewalttätigen Krawall verkommen. Mit politischen Protesten, die noch einen Rest von Vernunft zeigen, hat das nichts mehr zu tun. Hier toben sich alle aus, die Spaß an Gewalt haben. Erstaunlich ist der Gleichmut der betroffenen Bürger, die das jährlich sich wiederholende Schauspiel mehr oder weniger gelassen hinnehmen. Es ist alarmierend, wenn die Autoren feststellen: »Ausmaß und Intensität linker Gewalt haben in den letzten Jahren stark zugenommen« (S. 205). Besonders erschreckend ist die gezielte Gewalt gegen einzelne Personen, vorzugsweise jene, die von den Linksextremen als ›rechts‹ charakterisiert werden. Die Definitionsmacht, was ›rechts‹ sei, beanspruchen sie selber (»Selbstermächtigung«, S. 209):

»Im Fokus steht dabei seit mehreren Jahren die AfD. Auch Identitäre, Reichsbürger, Burschenschaftler u.a . werden gleichsam zum ›Abschuss‹ freigegeben. Für die linken Gewalttäter sind es antirassistische und antifaschistische Aktionen« (S. 208).

Zahlreiche Beispiele werden gegeben, auch für Angriffe gegen Personen, die von den Linksextremisten als Helfer der ›Rechten‹ oder auch nur – diffus – als Bürokraten des ›Schweinesystems‹ bezeichnet werden, ganz zu schweigen von den wachsenden Attacken gegen die Polizei, die ›Bullenschweine‹, die als Ordnungsmacht das verhasste System schützen:

»Bei den Gewaltdelikten gegen Polizisten liegen linke Akteure ... weit vor den rechten Schlägern. Von 2014 bis 2017 registrieren die Sicherheitsbehörden insgesamt 816 rechte und 4802 linke Gewaltdelikte« (S. 250).

Auch Gebäude wurden attackiert: Banken, Job-Center und Immobilienbüros, deren Manager mit der Modernisierung alten Baubestandes befasst sind, was im Linksjargon lediglich als brutale ›Gentrifizierung‹, d.h. Verdrängung der alten Mieter zugunsten einer jüngeren zahlungskräftigen Klientel, bezeichnet wird. Folgt man den Verfassungsschutzberichten seit 1969 als Messinstrument für linke Gewalt, dann ergibt sich, dass die linken Gewalttaten im Jahr 1981 einen zahlenmäßigen Höhepunkt erreichten: 2241 Gewalttaten und 129 Terroraktionen (Mordanschläge, Sprengstoffanschläge und Brandstiftungen). Aber das ist nur die Spitze des Eisberges. Die linke Gewalt ist in starkem Maße »Konfrontationsgewalt«, d.h. man versucht öffentliche Manifestationen von rechts mit Gewalt zu verhindern und/oder greift vermeintlich ›rechte‹ Personen direkt an, nach der von der KPD in den zwanziger Jahren ausgegebenen Parole: »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!« (S. 250).

Fazit

Der eilige Leser ist bestens bedient mit der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse im »Fazit und Ausblick« der Autoren (S. 255-268). Sie unterstreichen die Kontinuität linker Gewalt von der Französischen Revolution bis heute. Mögen sich Träger, Themen und Aktionsfelder auch geändert haben, geblieben sind die Fundamentalkritik am ›System‹, sei es feudalistisch-aristokratisch oder kapitalistisch-imperialistisch, sowie die gewaltige Vision einer besseren, von Unterdrückung und Ausbeutung befreiten Gesellschaft. Das hat noch immer – gerade junge idealistische – Menschen fasziniert und die Attraktivität von linken Ideologien und Bewegungen erhalten. Doch die Warnung des Philosophen Karl Popper gilt immer noch uneingeschränkt: »Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, erzeugt stets die Hölle« (S. 267). Schroeder & Deutz-Schroeder wollen nicht dramatisieren. Weder der Rechts- noch der Linksextremismus stellt ihrer Meinung nach gegenwärtig

»eine reale Bedrohung für die soziale und politische Stabilität der Republik« dar (S. 267). Gefordert sei eine »streitbare und notfalls kämpferische Demokratie«, die »den Feinden der offenen Gesellschaft keinen Spielraum lassen« darf, »ihre freiheits- und demokratiefeindlichen Überzeugungen umzusetzen« (S. 267).

Das ist heute genauso bestürzend richtig wie es seinerzeit in der Weimarer Republik richtig war und auch gleich nach 1945. Nur gibt es hier inzwischen ein sehr ernsthaftes Problem: während es für den Kampf ›gegen rechts‹ offensichtlich einen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Grundkonsens gibt, fehlt dieser im Blick auf das linke Lager, denn

»in grünen und verfassungskonformen linken Milieus gibt es Verständnis und mitunter sogar Sympathie für linksextreme Vorstellungen und Verhaltensweisen, auch wenn einzelne Gewaltübergriffe abgelehnt werden« (S. 268).

Und das stimmt keineswegs optimistisch. Wenn Antifa-Rollkommandos in Berlin durch massive Einschüchterungen und Gewalttaten darüber bestimmen, ob eine demokratisch gewählte Partei wie die AfD ihren Parteitag abhalten darf und der rot-grüne Senat amüsiert und augenzwinkernd zusieht, dann ist Alarmstufe Rot für die Demokratie gegeben.

*Für an der Gewaltforschung interessierte Leser sei empfohlen:
BIRGIT ENZMANN (Hg.), Handbuch Politische Gewalt. Formen-Ursachen-Legitimation-Begrenzung. Wiesbaden, 2013.
SYLVIA SCHRAUT, Terrorismus und politische Gewalt. Göttingen, 2018.
UWE BACKES/ECKHARD JESSE, Vergleichende Extremismusforschung. Baden-Baden, 2005.