Geschichte zwischen Fakten, ›Schwarzen Legenden‹ und Mythen – Teil I

von Johannes R. Kandel

In Gesprächen über Religion und Gewalt im Christentum dauert es nicht lange und es wird mit erhobenem Zeigefinger auf die ›Kreuzzüge‹ hingewiesen. Sie sollen als starkes Argument dienen, die Religion und insbesondere das monotheistische Christentum zu verurteilen. Hier zeige sich doch der wahre Charakter dieser Gewaltreligion: religiöse Hysterie, Machtstreben, Geldgier, Landhunger, Verrat, Eroberungen, brutale Gewalt gegen die Unterworfenen, Massaker, Zwangsbekehrungen, Ausbeutung und Sklaverei. Häufig wird, ausgehend von den Kreuzzügen, die ›blutige Spur des Christentums‹ bis in die Gegenwart gezogen. Anklagend wird darauf verwiesen, dass die Kreuzzüge noch bis weit in das 19. und 20. Jahrhundert positiv beurteilt wurden. Im ›Zeitalter imperialer französischer Orientpolitik, nationalstaatlicher Stauferverklärung und preußisch-deutschen ›Platz an der Sonne‹- Ehrgeizes‹ (Schmugge, Deus lo vult?, 2008, S. 93) seien sie überwiegend als Ausdruck des Kampfes für hohe, ›heilige‹ Ideale, fromme Leidenschaft und ritterliche Tapferkeit interpretiert worden, gleichwohl seien sie letztlich nur – von sehr weltlichen Motiven getrieben – eine »Lizenz zum Töten«, ein »Töten im Auftrag der Kirche« gewesen (Wippermann. Kreuzzüge im Mittelalter und der Moderne, 1997). Das sollte nicht nur für die Kreuzzüge in den Nahen Osten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert gelten, sondern auch für die mit päpstlichen Aufrufen und begleitendem Segen gegen die Muslime in Spanien (Reconquista), die ›Ketzer‹ (Albigenser in Südfrankreich) und Heiden in Osteuropa (Slawen, Wenden) gerichteten bewaffneten Unternehmungen.

Kreuzzugsrezeption, Forschung und Kreuzzugsrhetorik

Mit Hochachtung aber sprechen die Verächter und Kritiker der Kreuzzüge von den französischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts, allen voran Denis Diderot (1713-1784) und Voltaire (1694-1778). Diderots herablassend ironische Verdammung der Kreuzzüge in seiner Encyclopédie (1751- 1752) ist die wohl ›klassische‹ Kritik der Aufklärung an den Kreuzzügen: Das eifrige Streben und die Suche nach einem »Stück Felsen, das kein Tropfen Blut wert gewesen sei«, sei die Konsequenz eines emotionalen und intellektuellen »Schwindels« gewesen, dem sich die Teilnehmer der Kreuzzüge durch Dummheit, falschen Eifer, politische Eigeninteressen, Intoleranz, Ignoranz, Gewalt und durch den Einfluss der Kirche ergeben hätten. (Tyerman, The Debate on the Crusades, 2011, S. 78). Voltaire argumentierte, wenn auch moderater, ganz im Fahrwasser Diderots. Ähnlich, aber noch schärfer als Diderot, ging der schottische Philosoph und Historiker David Hume (1711-1776) mit den Kreuzzügen ins Gericht. Seine sehr popläre History of England (1761) spiegelte seinen Hass auf Religion und Kirche. Die Kreuzzüge seien »the most durable monument of folly« gewesen »that has yet appeared in any age or nation«. Das Mittelalter kennzeichnete er generell als »ignorant, violent, priest-ridden«. Während er den Kreuzfahrern »effeminate superstition«, »heroic courage« und »fiercest barbarity« unterstellte, betonte er die Überlegenheit der Muslime in »science, moderation and humanity«. All das verkörperte für ihn nicht nur Sultan Saladin, sondern der Islam insgesamt. (Ebd., S. 81) Sein Landsmann, Geistlicher und Historiker, zeitweise Vorsteher der Universität Edinburgh und Moderator der Generalversammlung der Church of Scotland, William Robertson (1721-1793), sah das ganz anders. Er verzichtete auf parteiliche Polemik und herabsetzende Epitheta und bettete die Kreuzzüge in seine Geschichte gesellschaftlichen Fortschritts ein. Stark beeinflusst von Adam Smith Wealth of Nations (1776), sah er in den Kreuzzügen »the first event that roused Europe from lethargy … that tended to introduce any change in government an d manners«. Sie seien ein Beispiel dafür, dass aus verwerflichen Gründen auch nicht intendierte, letztlich der Gesellschaft zuträgliche, Entwicklungen erwachsen könnten. Diese sah er im ökonomischen und kulturellen Austausch mit dem Nahen Osten und der Zunahme des Handels zwischen Orient und Okzident (Robertson, History of the Reign of Charles V. (1770-1771), Vol. I, 1857, S. 13ff.)

Der in aufgeklärten Kreisen sehr wertgeschätzte und zu Weltruhm gelangte englische Historiker Edward Gibbon (1738-1794) hatte sich in seinem Monumentalwerk The Decline and Fall of the Roman Empire, (1776-1788) auch mit den Kreuzzügen beschäftigt. Er war im Blick auf die Kreuzzüge kein origineller Denker und Interpret, sondern stützte sich in seinen narrativen Teilen auf die Textkompilationen des 17. Jahrhunderts und vor allem die zwanzig Bände umfassende Histoire écclesiastique des französischen Historikers Claude Fleury (1640-1723). In seinen Urteilen schwankte er zwischen Hume und Robertson, vertrat aber letztlich auch die Position, dass die Kreuzzüge illegitime Eroberungen, getragen von Aberglauben und Fanatismus gewesen seien:

»The Christians affirmed that their inalienable title to the promised land had been sealed by the blood of their divine Saviour: it was their right and duty to rescue their inheritance from the unjust possessors, who profaned his sepulchre, and oppressed the pilgrimage of his disciples.«

Die Argumente der Christen seien »clouded by the perpetual abuse of Scripture and rhetoric«. Es ging ihm in seinem Werk ersichtlich um Grundfragen der Zivilisation und den Weg zu Freiheit und Menschenrechten. Und da waren die Kreuzzüge nun gerade kein gutes Beispiel. Im Gegenteil, sie zeigten die fatale Rolle organisierter Religion, die zu Zwang und Aufstachelung zur Gewalt geführt habe: »The use and abuse of religion are feeble to stem, they are strong and irresistible to impel the stream of national manners.« (Gibbon, The Crusades, 1869, 15f.) Die Dynamik von Religion ist Gibbon schon bewusst, schließlich lobt er auch den Islam. Aber das alles war letztlich vergeblich, wie es schon sein Landsmann, der Historiker Thomas Fuller, im 17. Jahrhundert gesehen hatte. Die Kreuzfahrer kehrten leer an materiellen Gütern und geistlichem Fortschritt zurück (Fuller, Historie of the Holy Warre, 1639).

Eine Reihe sehr kompetenter Historiker im 19. Jahrhundert trat den Argumenten der Aufklärer, die stark von zeitbedingter politischer Polemik geprägt waren, entschieden entgegen. Differenziert, aber in der Gesamtbewertung mit deutlicher Wertschätzung von Erfolgen und positiven Wirkungen der Kreuzzüge, gepaart allerdings mit Nationalismus und ostentativer Islamfeindschaft, beeinflussten die französischen Historiker François-René, Vicomte de Chateaubriand (1768-1848) und Joseph–François Michaud (1767-1839) lange Zeit die Wahrnehmungen und Beurteilungen der Kreuzzüge im 19. Jahrhundert. Michauds Werk erreichte zwischen 1808 und 1819 19 Auflagen und wurde ins Russische, Italienische und Deutsche übersetzt. Die politische Romantik in Deutschland im Anfang des 19. Jahrhundert mag zur idealisierenden Aufwertung des Mittelalters und damit auch indirekt zu einer eher wertschätzenden Betrachtung der Kreuzzüge beigetragen haben, gleichwohl hatte sie auf die Beiträge deutscher Historiker zur Kreuzzugforschung nur geringen Einfluss. Viel stärker hat die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft und die Methodologie des Historismus gewirkt, allen voran Leopold von Ranke (1795-1886), Johann Gustav Droysen (1808-1884), Theodor Mommsen (1817-1903) und Heinrich von Sybel (1817-1895). Der Beitrag deutscher Historiker zu Quellenkompilation und Quellenkritik war bedeutend und international anerkannt. Die Arbeiten von Friedrich Wilken (1777-1840), Bernhard Kugler (1837-1898), Pfarrer Heinrich Hagenmeyer (1834-1915), Reinhold Röhricht (1842-1905) und Heinrich von Sybel (1817-1895) prägten die Kreuzzugsforschung in Deutschland für Jahrzehnte. Die Autoren hielten sich mit ostentativen Bewertungen zurück, dennoch offenbarten ihre Schriften, trotz der überragenden engen Orientierung an den Primärquellen, gleichwohl auch ihre Einbindung in das Milieu und die politischen Orientierungen des werdenden deutschen Nationalstaates und den Stolz auf die Errungenschaften des Kaiserreichs. Vor diesem Hintergrund galten die Kreuzzüge insgesamt als zivilisatorischer Fortschritt. Das ist bei Sybel sehr klar zu erkennen, liest man seine grandiose quellenkritische Arbeit über den Ersten Kreuzzug 1841 und schaut danach auf seine Bewertungen der Kreuzzüge in den legendären Münchener Vorlesungen 1856ff. Sybel war ein national denkender Liberaler, der in den großen Männern der Geschichte (wie z.B. Friedrich I. Barbarossa) die geborenen Herrscher seines Ideals eines straff geführten starken Staates verkörpert sah. Nationale Töne fanden sich auch in dem seinerzeit vielgelesenen Werk von Bernhard Kugler (1837-1898) »Geschichte der Kreuzzüge« (1880) und der monumentalen Kulturgeschichte der Kreuzzüge (1884/1886) des Schweizer Schriftstellers und Archivar Otto Henne am Rhyn (1828-1914) (Kugler, Geschichte der Kreuzzüge, 1880; Henne am Rhyn, Die Kreuzzüge und die Kultur ihrer Zeit, 1884 und 1886). Im Ergebnis der Forschungen und Darstellungen des 19. Jahrhunderts wurden die Kreuzzüge, trotz aller Einzelkritik an religiösem Fanatismus (›heiliger Krieg‹) und grausamer Kriegführung, von Heinrich von Sybel als eine »der größten Umwälzungen« bezeichnet »welche die menschliche Geschichte erfahren hat, auf jene Reihe großer Weltkriege, welche wir unter dem Namen der Kreuzzüge zusammenzufassen pflegen.« (von Sybel, Aus der Geschichte der Kreuzzüge, 1897, S.3).

Der deutsche Beitrag zur Kreuzzugforschung erstrahlte in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in neuem Glanz durch die bahnbrechende und verdienstvolle Arbeit des Historikers Carl Erdmann (1898-1945). 1935 veröffentlichte er sein wegweisendes Werk »Die Entstehung des Kreuzzugsgedanken«, welches ihm bleibende Bedeutung in der internationalen Forschung sicherte. Das Werk wurde erst 1977 ins Englische übersetzt und entfaltete von da an seine internationale Wirkung. Erdmann war Gegner des Nationalsozialismus, obgleich kein ›Dissident‹ oder gar Widerstandskämpfer. Er erhielt 1936 keine Professur, verlor seine ›venia legendi‹ und musste sich in den nächsten Jahren ganz auf seine editorische Arbeit für die große Sammlung der »Monumenta Germaniae Historica« (MGH) konzentrieren. 1943 wurde er trotz angeschlagener Gesundheit zum Wehrdienst einberufen und starb 1945 beim Rückzug der deutschen Wehrmacht durch Jugoslawien, wahrscheinlich an Typhus. Erdmann war Ideenhistoriker und Experte für mittelalterliche Briefliteratur und sah die Kreuzzüge nur als einen spezifischen Fall religiöser Motivation und Legitimation für kriegerische Gewalt. Es ging ihm »um das Problem ‚Kirche und Krieg‘ und somit um eine historische Grundlegung der abendländischen Kriegs- und Kriegerethik schlechthin« (Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, 1935, S. VIII).

Er betonte die Dynamik der Religion und widmete sich eingehend den geistesgeschichtlichen Wurzeln und der Vorgeschichte des päpstlichen Kreuzzugsaufrufes von 1095. Den Kern der päpstlichen Kreuzzugaufforderung von 1095 sah er in der »Idee des christlichen Rittertums und des heiligen Krieges«. Der Papst, so Erdmann, habe erfolgreich den »orientalischen Feldzug gleichzeitig als eine Wallfahrt« stilisiert und damit den »populären, aber sachlich unfruchtbaren Wallfahrtsgedanken für den Heidenkampf fruchtbar« gemacht (Ebd., S. VII, und S. 306ff.). Damit war ein Forschungsproblem deutlich geworden. Was war ein Kreuzzug? ›Heiliger Krieg‹ und/oder ›Pilgerfahrt‹? Das sollte die Forschung Jahrzehnte beschäftigen. Erdmann hatte einen Kompromiss versucht und zwischen dem grundlegenden ›Kampfziel‹ der »Befreiung der Kirche oder der Christenheit« (Heiliger Krieg) und dem konkreten »Marschziel Jerusalem« (Pilgerfahrt) unterschieden (Ebd., S. 374) Trotz mancher Einzelkritik an der Ausführung seiner Grundthese bleibt Erdmanns Verdienst für die Kreuzzugforschung unberührt.

Nach 1945 setzte eine neue Phase in der Kreuzzugforschung ein, die durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mit beeinflusst wurde. Die Stimmen mehrten sich, auch und gerade im politischen Diskurs, welche die Kreuzzüge als imperialistische und kolonialistische Unternehmungen kennzeichneten. Anklagend wurde auf die Religion als kriegstreibende Potenz im Allgemeinen und die Kreuzzugrhetorik in den Weltkriegen im Besonderen verwiesen. Namentlich in Deutschland wog der Hinweis auf den Nationalsozialismus besonders schwer, was auch in der Forschung nicht ohne Echo blieb. Am 11. Dezember 1941 hatte Adolf Hitler im Reichstag zur politischen Lage in Europa gesprochen und vor allem den Krieg gegen die Sowjetunion begründet. Er sah das deutsche Volk als »vom Schöpfer« berufen an, für Europa »eine geschichtliche Revision einmaligen Ausmaßes« zu vollziehen und konstruierte das Bild einer »europäischen Front«, die sich gegen die »bolschewistischen Horden« zusammengeschlossen habe. Sein Lob galt den Freiwilligen aus Nord und West, die »dem Kampf der verbündeten Mächte der Achse im wahrsten Sinne des Wortes den Charakter eines europäischen Kreuzzuges« gegeben hätten (Reichstagsprotokolle, 7. Sitzung, 11. Dezember 1941, S. 95f.).

Ähnlich äußerte er sich im Herbst 1942, als er im Blick auf die verbündeten und sympathisierenden Mächte verkündete: »Dies ist heute bereits ein Kreuzzug Europas«. Kreuzzugrhetorik kam auch im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 sowohl bei den Faschisten als auch ihren republikanischen Gegnern zum Einsatz. General Franco sprach seinerzeit von einer ›cruzada‹ der wahren Spanier gegen die gottlosen Republikaner. Ein prominentes Mitglied der Internationalen Brigaden verstand den Kampf gegen die Faschisten als Kampf gegen die ›Sarazenen unserer Generation‹, damit auf Francos afrikanisch-muslimische ›regulares‹ anspielend. Kritiker brachten weitere zahlreiche Beispiele für die Fortwirkung der Kreuzzugrhetorik in unserer unmittelbaren Gegenwart bei, sowohl von ›christlich-westlicher‹ als auch von ›muslimischer‹ Seite. So habe der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Nordwesteuropa, Dwight D. Eisenhower, den Kampf der Alliierten in Europa als »Crusade in Europe« bezeichnet. (Eisenhower, Crusade in Europe, 1948). Genau das geißelte der deutsche Wehrmachtsgeneral Kurt von Tippelskirch in seiner Darstellung des Zweiten Weltkrieges als einen gegen Deutschland gerichteten »Kreuzzugsfanatismus« (von Tippelskirch, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, 19593, S. 604ff.) Der amerikanische Präsident George Bush Jr. bemühte den Kreuzzugbegriff zur Bezeichnung der unablässigen Bemühungen der US-Regierung, die Urheber der furchtbaren Anschläge vom 11. September 2001 zu finden und zu bestrafen: »This crusade, this war on terrorism is going to take a while«, hatte er am 16. September 2001 in Beantwortung von Journalistenfragen angemerkt. Hier und da wurde in verschiedenen Medien auf den norwegischen Attentäter Anders Breivik verwiesen, der im Juli 2011 siebenundsiebzig Menschen in Oslo und auf der Insel Utoya ermordete. Da sich Breivik als Milizionär des ›Heiligen Krieges‹ stilisierte und stolz davon sprach, als Tempelritter im Kampf gegen den Islam zu stehen, war er ein geeignetes Beispiel, um auf die vermeintliche Fortgeltung von Kreuzzugsideologien in rechtsextremistischen Kreisen aufmerksam zu machen. Jedoch auch die Drohungen gegen den Westen aus islamistischen Kreisen waren von starker Kreuzzugsideologie durchsetzt. Die Rede von den ›Kreuzfahrern‹ war gleichwohl ambivalent. Einerseits galten für Osama bin Laden und seine Terrorhelfer die ›Kreuzfahrer und Juden‹ als die ultimativen Feinde, andererseits verstanden sie ihren ›Dschihad‹ als ›Heiligen Krieg‹ gegen dieselben und unterstrichen die verbindliche Pflicht für jeden gläubigen Muslim, den Dschihad zu führen (arab. fard ayn). Al-Qaida verurteilte im Kampf um die ›Erde Afghanistans‹ die ›amerikanischen Kreuzfahrer‹ und rief die Muslime zum Widerstand auf. Gleichzeitig sahen sich die Dschihadisten des ›Islamischen Staates‹ (IS) als die Erben des berühmen muslimischen Streiters gegen die Kreuzfahrer Imad ad-Din Zengi (1118-1174). Der selbsternannte Kalif des IS, Abu Bakr al-Baghdadi (1971-2019), predigte traditionsbewusst am 4. Juli 2014 in der Großen Moschee (an-Nuri) in Mossul, die 1172 von eben diesem Zengi errichtet worden war. Die dschihadistische Ideologie, Propaganda und Ikonographie wurde von den ›heroischen‹ Kämpfern gegen die alten und neuen Kreuzfahrer vereinnahmt und rechtfertigt bis heute den Terrorismus als ›Reaktion‹ darauf. Auch muslimische Staatsmänner konnten es nicht lassen, den Westen immer wieder mit den Kreuzfahrern in Verbindung zu bringen. 2017 nutzte der türkische Präsident Recep Erdogan das Kopftuch-Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu, den Europäern einen ›Kreuzzug‹ gegen den Islam vorzuhalten. Bei einer Audienz mit Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten bei Papst Franziskus bezeichnete er die EU als eine ›Kreuzritter-Allianz‹ und unterstellte der Gemeinschaft eine fortwährende ›Demütigung‹ der Muslime.

Wenn politische Gewalt und Krieg, gleichviel welcher Art und gegen wen auch immer, im Modus der Rechtfertigung mit den Kreuzzügen in Verbindung gebracht wurden, konnte man der weltweiten Empörung sicher sein. So erging es Präsident Bush 2001 und manchen anderen. Bushs Nachfolger, Präsident Barak Obama, verurteilte die Kreuzzüge und den Bezug darauf scharf als das schlechthin ›Böse im Namen Christi‹. Ferner behauptete er, die Gräueltaten des ›Islamischen Staates‹ (ISIS) seien nicht einzigartig, sondern die Kreuzfahrer hätten zu ihren Zeiten genauso gehandelt. 1999 war in der New York Times zu lesen, dass die Kreuzzüge mit ›Hitlers Gräueltaten und der ethnischen Säuberung im Kosovo‹ verglichen werden könnten. Der renommierte Deutsch-Syrische Politikwissenschaftler und Vielschreiber Bassam Tibi verstieg sich zu der Behauptung, der Angriff der Kreuzfahrer auf Jerusalem 1099 und das schreckliche Schicksal der Juden, die in ihrer Hauptsynagoge verbrannt wurden, sei ein »Vorgriff auf Auschwitz« gewesen (Tibi, Kreuzzug und Djihad, 1999, S. 19). Verstörend war, dass sich anti-westliche und anti-christliche Ressentiments selbst bei sportlichen Wettbewerben rasch wiederbeleben ließen. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar 2022 durften englische Fußballfans mit roten Georgskreuzen oder gar in Kreuzritter-Kostümen beim Spiel England – USA nicht ins Stadion! Natürlich lässt sich über derartiges Fan-Outfit streiten, aber eine beleidigte Staatsaktion daraus zu machen wie der Katarische Fußballverband – und das nach mehr als 700 Jahren nach dem Ende der Kreuzzüge – ist zwar einerseits lächerlich, andererseits zeigt es die Möglichkeit der fundamentalistischen Revitalisierung des Negativmythos. Der Hass von Muslimen auf das Kreuz ist aufgrund der langen anti-christlichen Tradition im Islam und der feindseligen Berichte der muslimischen Chronisten der Kreuzzüge nicht ganz unerklärlich. Bedenklich ist nur, dass er bis heute von prominenten islamischen Rechtsgelehrten geschürt wird und sich in zahlreichen ›Knigges‹ für Muslime wiederfindet. Ein in muslimischen Kreisen weitverbreitetes Werk zur Orientierungshilfe für Muslime in Deutschland z.B. dekretiert für den Alltag unter dem Stichwort ›Kreuz‹: »Der Wohnbereich eines Muslims sollte frei von allen ›nicht-muslimischen‹ Eindrücken sein. Dazu gehören zum Beispiel Menschenporträts, Tierbilder, Figuren, Skulpturen und Gegenstände, die Kreuze enthalten, wie Teppiche, Stoffe, Kleidungsstücke, Ornamente usw.« (Rassoul, Der deutsche Mufti, 1997, S. 485). Der politische Bezug auf die Kreuzzüge vom 11.-13. Jahrhundert scheint ein unausrottbarer Bestandteil nicht nur antichristlicher, sondern auch pauschal anti-westlicher Propaganda und Rhetorik zu sein. An dieser beteiligen sich bis heute vornehmlich islamische Staatsmänner, Islamwissenschaftler und ›Rechtsgelehrte‹ aus muslimischen Kreisen.

Kreuzzug in den Alltagswelten

Erstaunlich ist, dass die Kreuzzugthematik bis heute nicht aus unseren Alltagswelten verschwunden ist. Im Internet ergibt der Begriff ›Kreuzfahrer‹ über eine Million Treffer, ›Kreuzritter‹, 1,4 Millionen, gleichauf mit ›Kreuzzügen‹. Die Verwendung des Begriffs ›Kreuzzüge‹ ist höchst ambivalent. Sie schwankt zwischen überwiegend pejorativer Kennzeichnung und zugleich als eine, von historischen Hypotheken befreite, unbefangene (und unbedachte) Bezeichnung des Einsatzes für eine gute Sache: »Heutzutage wird als ›Kreuzzug‹ vor allem das Engagement für eine – vorzugsweise als gerecht angesehene – Sache bezeichnet. Der Begriff ›Kreuzzug‹ wird in den Medien und der westlichen Popkultur mit beiläufiger Ungezwungenheit verwendet«. (Asbridge, Die Kreuzzüge, 2021, S. 709). Dafür gibt es zahllose Beispiele: Seit 1898 bolzt in Nordirland der protestantische ›Crusaders FC‹ in rot-schwarzen Jerseys mit Kreuzritter Logo. Auch in Orcutt, Kalifornien spielt ein ›Crusaders FC‹, wie die Nordiren in rot und schwarz. Die ›Crusader Community‹ in Rockford (USA), eine Sozial-NGO, engagiert sich für Gesundheit und sozial Benachteiligte. Im konservativ-evangelikalen Spektrum des Protestantismus nennt sich eine Internationale Evangelisations- und Missionsbewegung, die assoziiertes Mitglied der Weltweiten Evangelischen Allianz ist, ›Campus Crusade for Christ‹ (in Deutschland ›Campus für Christus‹). In Ghana und Nigeria heißen Bibelschulen ›Crusaders for Christ International Bible Schools‹. Am renommierten baptistischen ›Trinity College of the Bible and Theological Seminary‹ in Evansville, Indiana, USA, wird eine missionarische Arbeitsrichtung ›Trinity Crusades‹ genannt.

Im Unterhaltungsbereich, vor allem im Genre der historischen Romane, in Filmen, Serien, Dokumentationen etc., sind die Kreuzzüge immer noch ein Renner. Felix Hinz, Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der PH Freiburg i.Br., hat für den Zeitraum 1786 bis 2014 207 deutschsprachige Romane zu den Orientkreuzzügen detailliert aufgelistet. Davon beschäftigen sich die meisten (51) mit dem 3. Kreuzzug (1189-1191), an dem Kaiser Friedrich I. ›Barbarossa‹ beteiligt war. Zwischen 1823 und 2014 erschienen 274 englischsprachige Romane. Auch hier waren die meisten (82) dem 3. Kreuzzug gewidmet, wohl weil dieser vom englischen König Richard I. ›Löwenherz‹ maßgeblich angeführt wurde. Noch bis heute sind die klassischen Romane des Schotten Walter Scott (1771-1832) Ivanhoe (1819), The Talisman (1824), The Betrothed (1825) beliebt, in denen Kreuzritter einerseits idealisierend als kühne Helden andererseits als intolerante Fanatiker dargestellt wurden, Sultan Saladin als freundlicher ›Wilder‹ gezeichnet wurde. Es soll 290 Theaterstücke geben, die den Ivanhoe Stoff verarbeitet haben (Phillips, Heiliger Krieg, S. 514). ›Ivanhoe‹ wurde erstmalig 1911 verfilmt und dann erneut im Jahre 1952 mit Starbesetzung (Elizabeth und Robert Taylor). 1997 produzierten die BBC und die amerikanische A & E Network eine aufwändige sechsteilige Miniserie des Romanstoffes im Action Stil. 70 Romane sind französischsprachig, was ein wenig verwundert, weil die Franzosen stets die größten Kontingente an Kreuzrittern stellten. Hier beschäftigen sich die meisten (21) mit dem 1. Kreuzzug (1096-1099) (Hinz, Kreuzzüge des Mittelalters und der Neuzeit, 2015, S. 335ff.)

Auch die Filmindustrie hat sich reichlich mit den Kreuzzügen befasst, mehr oder weniger direkt. Von 1908 – noch in der Stummfilmzeit – bis 2008 sind vierzig Filme entstanden. Davon ragten drei heraus, die besonders populär wurden: King Richard and the Crusaders (1954) mit Rex Harrison in der Rolle des Saladin, Robin Hood – König der Diebe (1991) mit Kevin Kostner in der Rolle des Robin Hood und Morgan Freeman als der Sarazene Azeem sowie Königreich der Himmel (2005) mit Liam Neeson als Gottfried von Ibelin, Orlando Bloom als Balian von Ibelin, Ghassad Massoud als Saladin und Eva Green als Sibylla. Zahlreiche TV-Dokumentationen und Serien befassten sich mit den Kreuzzügen, gesendet im Deutschen Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, der BBC und privaten Sendern. Eine zusammenfassende evaluierende Studie dazu gibt es nicht. Meine eigene Stichprobe ergab: Bis auf wenige Ausnahmen, d.h. nur wenn sich die Fernsehschaffenden von kompetenten Historikern beraten ließen, boten die Öffentlich-Rechtlichen Sender sehr einseitige, in der Tendenz antichristliche Darstellungen. Schwarz-Weiß-Malerei bestimmte das Gesamtbild: Die Muslime wurden fast durchgehend als Opfer blutlechzender Kreuzritter, die sich Land und Leute unter den Nagel reißen wollten, präsentiert. Die Filmemacher bezeichneten die Päpste als durchweg korrupte, geldgeile und kriegstreibende Hetzer. In der erwähnten Mini-Action Serie ›Ivanhoe‹ von 1997 sind die ›Bösen‹ – dem historischen Romanstoff einigermaßen folgend – die Kirche und die Templer. Der Templer Brian Bois Guilbert verkörpert zwar den mutigen und starken Ritter, der aber hinterhältig die Jüdin Rebekka entführt, um sie für sich zu gewinnen und Ivanhoe als Verräter bei seinem König Richard I. ›Löwenherz‹ verleumdet.

Die Kreuzzüge fanden auch in der Musik ihren Niederschlag. Schon die Zeitgenossen besangen die Frömmigkeit, den Mut und die Tapferkeit der Kreuzritter, etwa Walther von der Vogelweide in seinem berühmten ›Palästinalied‹ um 1200 (»Nu alsrest lebe ich mir werde«) oder, eher sorgenvoll, Guillaume de Poitiers, Herzog von Aquitanien, der sich 1117 aufgemacht hatte, das Grab des Heiligen Jacobus zu besuchen und nebenher gegen die islamischen Mauren in Spanien zu kämpfen. Er klagte, dass sein Sohn noch minderjährig sei, die Verwandten habgierig und auch die Nachbarn nicht sonderlich vertrauenswürdig (»Pos de chantar m'es pres talenz«). Richard I. ›Löwenherz‹ besang traurig sein Schicksal als Gefangener des Kaisers Heinrich VI. auf der Burg Trifels und bat um Hilfe (»Je nus hons pris«). Hier und da wurden auch die dunklen Seiten der Kreuzzüge trauervoll vertont, so bei Guijot de Dijon oder Wolfram von Eschenbach (beides um 1200). Der Christophorus-Verlag hat 1995 eine CD herausgebracht, Crusaders in nomine domini, mit zwölf Stücken aus der Kreuzzugzeit, gespielt und gesungen vom ›Ensemble Estampie‹. Die Gruppe ›Loculatores‹ hat sich auf Mittelalter-Musik spezialisiert und präsentiert auf ihrer CD Der Erlauchte Fürst (2011) ein (instrumentales) ›Kreuzzugslied‹.

Im modernen Rock-Genre hat der Kreuzzug schon lange Einzug gehalten. Hier nur einige wenige Beispiele: In den siebziger Jahren nannte sich eine amerikanische Jazz-Funk Band ›The Crusaders‹, aus welchen Gründen auch immer, denn die Musik war alles andere als kriegerisch-martialisch. Stark vertreten war Kreuzzugsymbolik, sei es in Texten, sei es im Design von Plattencovern, vorzugsweise in den Heavy Metal/Black Metal/Death Metal Rock-Szenen. Die Verwendung war widersprüchlich. Bei einigen Bands finden wir zahlreiche pointiert antichristliche Texte, wie z.B. bei nordischen Bands wie bei den schwedischen Klassikern von ›Bathory‹ (1983), ›Dark Funeral‹ (1993), ›Bloodbath‹ (1998) und „Memento Mori“ (1992), andererseits waren die Kreuzzüge von großer Faszination und Antrieb für Beweise von männlicher Kraft und Kampf. Gegenwärtig mischt hier die Island-Szene gewaltig mit, etwa mit ›Misþyrming‹ (Folter, Misshandlung) oder ›Skálmöld‹ (Gesetzlosigkeit). In Deutschland hat sich seit 2013 die Gruppe ›Sündenklang‹ fest etabliert. Auf ihrer LP Tränenreich bietet sie ein düsteres Lied (›Kreuzzug‹).

Der Refrain lautet:

»Kreuzzug ins Nichts!
Wir sind auf Kreuzzug ins Nichts!
Im Namen des Herrn des Lichts!
Kreuzzug!
Wir sind auf Kreuzzug ins Nichts!
Im Namen des Herrn, der heilig ist!«

Aus dem weiteren Kontext geht hervor, dass ein Kreuzzug natürlich ›Schwachsinn‹ ist. Böse und kämpferisch kommt die deutsche Death Metal Band ›Heldmaschine‹, gegründet 2012, daher. Der Song ›Kreuzzug‹ ist eine Vernichtungsansage an die Gesellschaft und alle, die den selbsternannten ›Helden‹ zu nahekommen. Der Refrain lautet:

»Kreuzzug
Wir haben Dampf im Kessel
Kreuzzug
Und kriegen nie genug
Kreuzzug
Wir sitzen sehr bequem im
Kreuzzug
Ungebremst, mit Gotteswut.«

Die US-amerikanische Hardrock/Punk Band ›The Templars‹, gegründet 1991 in New York, nimmt die Kreuzzugsymbolik sehr ernst und bewusst für ihre Texte und Plattendesign auf. Ihre LP von 2017 Deus Lo Vult (!) strotzt von Kriegs- und Kampfphantasien der Kreuzzugzeit. Die Templer fungieren offensichtlich als das historische Vorbild einer rücksichtslosen, moralfreien Kampftruppe. In das Genre des sogenannten ›Symphonic Metal‹ gehört die 2001 gegründete österreichische Band ›Serenity‹. Sie nutzt Kreuzzugsymbolik sehr direkt und historisch bezogen in Text und Plattencover auf ihrer LP Lionheart von 2017. Im Titelsong ›Lionheart‹ heißt es, ganz im Sinne von Kreuzzugsvisionen:

»Open your eyes, you will see
Jerusalem unites us against Saladin
Like a lion we fight
Together we will die
For the glory of our god
Justice on our side
This cross will lead the light
Follow Richard Lionheart
Salvation is my hope
At the holy grave
Through incense and candles
I'm praying on my knees
God will forgive me for all that I've done
To triumph the devil's dark throne«

Im Song ›The Final Crusade‹ blickt ein sterbender Kreuzfahrer in einem letzten Gebet auf sein Leben zurück und bekennt, er würde wieder alles so tun wie geschehen. Und nun schließt er die Augen in Frieden, denn:

»Angels come down tonight
There's no longer a distance
Between heaven and my life
To the light they guide me
On my way to horizon
It's time to say goodbye
And justice was my aim
My legacy won't die«

Es gibt zahlreiche Sampler mit Musik zu den Kreuzzügen, mitunter als Teil mittelalterlicher Musik allgemein, z.B. die Kompilation March of the Templars, Knights Templars, Music of the times of the Crusades (2006) oder Music of the Crusades (1971), auf der sich die Fans von Richard I. ›Löwenherz‹ das von ihm in der Gefangenschaft gedichtete und vertonte Klagelied »Ja nus hons pris« (Kein Mann im Gefängnis kann seine wahre Geschichte erzählen, 1192) anhören können. Von den zahllosen Podcasts und Soundtracks von Videospielen über die Kreuzzüge ganz zu schweigen.

Schließlich sei die bekannte deutsche Band ›Die Toten Hosen‹ mit ihrem prominenten Sänger Campino erwähnt, der inzwischen ins Establishment aufgestiegen ist und sich ganz dem ›Kampf gegen rechts‹ gewidmet hat. 1990 produzierten sie eine Doppel-LP mit dem Titel Auf dem Kreuzzug ins Glück. Explizit wird zum Kreuzzug nichts gesagt, der Eingangssong des gleichnamigen Titels ist nur instrumental. Aber in den Texten kommt reichlich Gott vor, stets satirisch und sarkastisch als der gute Onkel von oben dargestellt, der alle Wünsche erfüllt. Gott soll angebetet werden (»Steht auf zum Gebet«) und Glück versprechen, das mit Geld & Gold gleichgesetzt wird. Aber auch christliche Orientierungen gibt es: Eine US-amerikanische Rockband aus Kalifornien nennt sich ›The Knights Of The New Crusade‹ und versteht das als Aufruf, sich Gott und Christus zuzuwenden. Diese Band steht in einer langen Tradition christlicher Rockmusik, die vor allem in den USA Konjunktur hat und so gut wie alle Genres umfasst. Die klassische christliche Hardrockband, deren Stil viele folgen, ist die 1988 gegründete US-amerikanische Band ›X-Sinner‹. Die Band klingt fast genau wie ›AC/DC‹ und hat bis heute zahlreiche Fans. Wenn in Texten christlicher Bands der Kreuzzug erwähnt wird, dann stets im Sinne der ›Knights Of The New Crusade‹, als Aufruf zur Bekehrung.

Die Kommerzialisierung von Kreuzzugsymbolik scheint sich auch zu lohnen: Der Internet-Marktplatz ›Etsy‹ (ähnlich wie Ebay) vertreibt eine Fülle von Kreuzzug-Caps, T-Shirts, Kreuze aller Art, insbesondere das ›Jerusalem-Kreuz‹, Flaggen, Aufnäher, Ringe, Tempelritter-Siegel, Tempelritter-Kaffeebecher etc. etc.

Kreuzzüge – Diskurse und Definitionen im Lichte der Kreuzzugsforschung nach 1950

Es ist nicht müßig, sich mit der Frage zu beschäftigen, was ein Kreuzzug überhaupt ist. Historiker haben über die Jahrhunderte hinweg darauf unterschiedliche Antworten gegeben. Der britische Historiker Giles Constable (1929-2021) unterschied drei Phasen in der Historiographie der Kreuzzüge im Westen: die erste, die längste, ging von 1095 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts; die zweite umfasste das 17. und 18. Jahrhundert; und die dritte begann im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. In seinem Gang durch die Phasen der Kreuzzughistoriographie mit ihren verschiedenen Erklärungsansätzen differenzierte er idealtypisch zwischen verschiedenen methodologischen Varianten: Traditionalismus, Pluralismus, Popularismus und Generalismus. (Constable, The Historiography of the Crusades, 2001, S. 2 und S. 12ff). Seine Kategorisierung ist bis heute hermeneutisch wertvoll und es lohnt sich, ihm zu folgen.

Klassische Vertreter des Traditionalismus sind zwei Historiker, deren Werke bis heute Meilensteine der Forschung geblieben sind. Zum Nestor und Superstar der Kreuzzughistorie avancierte der englische Historiker und Byzantinist Sir Steven Runciman (1903-2000). Der exzentrische, snobistische Lord publizierte zwischen 1951 und 1954 seine Trilogie A History of the Crusades (Runciman, A History of the Crusade, 3 Bde., 1951-1954). Dieses Monumentalwerk bietet ein unübertroffenes, episch breites und detailliertes Narrativ der Ereignisse und psychologisch einfühlsame Charakteristiken der handelnden Personen. Sein Werk wird von ereignisgeschichtlich faszinierten Zeitgenossen noch heute mit Vergnügen gelesen. Dagegen kritisierte ein englischer Kollege, dass Runcimans »Stil« so »manieriert« sei, »dass er vielen heutigen Studenten als beinahe unlesbar erscheint« (Riley-Smith, Die Kreuzzüge, 2020, S. 430). Das liegt wohl auch daran, dass konzentriertes Lesen literarisch gehaltvoller Texte ziemlich aus der Mode gekommen ist. Runcimans Werk ist ohne Zweifel die letzte, detaillierte und substantielle Chronik der Kreuzzüge. Er stammte aus einer liberalen, kosmopolitisch orientierten, sehr reichen Familie. Seine beiden Großväter hatten ihr Geld in der Schifffahrtsindustrie und mit Transportunternehmen gemacht, was ihn nach 1945 in den Stand setzte, das Leben eines sorglosen Privatgelehrten zu führen. Sein Vater, Walter Runciman, war zwischen 1908 und 1937 Minister in verschiedenen Kabinetten der Liberalen gewesen. Im Kabinett von Premierminister Neville Chamberlain hatte er 1938 dessen ›Appeasement-Politik‹ gegenüber Hitler unterstützt und seinen guten Ruf fast ruiniert. Runciman hatte sein wissenschaftliches Handwerkszeug und Renommee bei dem kauzigen Mittelalter Historiker John B. Bury (1861-1927) in Cambridge erworben und verstand sich – im Widerspruch zu seinem akademischen Lehrer – eher als Byzantinist und Schriftsteller. Das drückte sich in seinem Werk aus, sowohl inhaltlich als auch in seinem Stil, weshalb seine Kreuzzuggeschichte auch so populär wurde. Seine Sympathie für die Griechisch-Orthodoxe Kirche und den Byzantinischen Staat verhehlte er nicht. Die entscheidenden Ideale der Zivilisation sah er im byzantinischen Reich verkörpert. Der griechischen Kultiviertheit des Ostens stellte er zugespitzt die bäuerliche Ungeschliffenheit der Franken und Normannen entgegen. Sultan Saladin wurde mit freundlichen Epitheta bedacht: zwar raffiniert und rücksichtslos, aber großzügig, tolerant, barmherzig, höflich, belesen, kultiviert, intellektuell etc. Christopher Tyermann merkte dazu süffisant an, dass diese Charakteristik Saladin seiner Individualität entkleidet hätte, »reducing him to a catalogue of nineteenth-century upper-class virtues« (Tyerman, God’s War, 2007, S. 197).

Auffällig war Runcimans Kritik an den geistlichen Ritterorden. Insbesondere mit den Templern und dem ›Teutonic Order‹ ging er scharf ins Gericht. Dass er die Deutschen nicht mochte, war aus englischer Sicht in den fünfziger Jahren allerdings nicht ungewöhnlich. Seiner Erschütterung über den vierten Kreuzzug, der 1204 zur Zerstörung von Konstantinopel geführt hatte, gab er breiten Raum: »There was never a greater crime against humanity than the Fourth crusade«. Der Terminus ›Verbrechen gegen die Menschlichkeit‹ war als völkerrechtlicher Straftatbestand erstmalig 1945 im Londoner Statut des für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes geschaffenen Internationalen Militärgerichtshofs fixiert worden. Runciman benutzte ihn ausdrücklich und mit provokativ anti-deutscher Absicht. Mehrfach benutzte er das Wort ›Holocaust‹ für die von Kreuzfahrern verantworteten Massaker (Runciman, A History of the Crusades, Bd.3, S. 477). Der Vierte Kreuzzug markierte für ihn das Ende der Zivilisation von Byzanz. Die letzte Bastion gegen die Türken sei gefallen. Die wahren Märtyrer der Kreuzzüge seien nicht die tapferen Kreuzritter gewesen, die 1087 in der Schlacht von Hattin oder vor den Türmen von Akkon gefallen wären, »but the innocent Christians of the Balkans, as well as of Anatolia and Syria, who were handed over to persecution and slavery« (Ebda.)

Ferner ist der deutsche Mittelalter Historiker Hans Eberhard Mayer (geb. 1932) zu nennen, der wie viele Kreuzzughistoriker, von Carl Erdmann beeinflusst war. 1965 hatte er als junger Ordinarius ein Standardwerk veröffentlicht, das bis 2005 zehn Auflagen erlebte: Geschichte der Kreuzzüge. Mayer definierte kurz und bündig: »Der Kreuzfahrer unterschied sich vom Pilger durch seine Waffen, aber der Kreuzzug war im Grunde nichts anderes als eine bewaffnete Wallfahrt, die mit besonderen geistlichen Privilegien ausgestattet war und als besonders verdienstvoll galt« (Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, 1965, S. 21). Der »Zusammenhang zwischen Wallfahrt und Kreuzzug« liege offen zutage und Papst Urban II. habe beides mit den von ihm verkündeten Kreuzzugzielen der Wiedereroberung Jerusalems und der Befreiung des Heiligen Grabes miteinander »institutionell verknüpft«. Für ihn waren die ersten drei Kreuzzüge 1095-1099, 1147/48 und 1190-1192, primär ›wirkliche‹ Kreuzzüge, wohl auch deshalb, weil diese in gehorsamer Umsetzung der päpstlichen Aufrufe von hochgestellten Adligen (v.a. Fürsten) und gekrönten Häuptern ins Werk gesetzt wurden. Am Ende seines Buches, im Abschnitt »Nachspiel und Ausblick«, fasste er – konkreter – noch einmal zusammen: »Ein Kreuzzug im eigentlichen Sinn ist (..) ein Krieg, der vom Papst ausgeschrieben wird, in dem das Gelübde verlangt, der Ablaß und die weltlichen Privilegien bewilligt werden, und der (das scheint wesentlich) auf die Erlangung oder Erhaltung eines ganz bestimmten, geographisch fest umrissenen Zieles gerichtet ist: auf die christliche Herrschaft über das Grab des Herrn in Jerusalem« (Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, S. 263). Ob die Kreuzzüge ›Pilgerfahrten‹ und/oder ›heilige Kriege‹ genannt wurden, hing nicht zuletzt auch davon ab, welche Primärquellengattungen Historiker zur Beurteilung bevorzugt herangezogen und wie sie diese interpretiert hatten. Wer sich intensiv mit dem Pilgerwesen im Mittelalter befasst und entsprechende Quellen ausgewertet hatte (etwa die Annalen von Niederaltaich oder die Chronik Lamperts von Hersfeld (1028-1081), neigte zur Betonung des Pilgeraspekts, wer jedoch Kampf und Krieg als die entscheidenden Definitionsmerkmale der Kreuzzüge betonte, ließ die Kategorie des ›heiligen Krieges‹ im Gefolge der einflussreichen zeitgenössischen Chronisten Wilhelm von Tyrus (1130-1186), Fulcher von Chartres (1059-1127), Albert von Aachen (gest. 1164) oder Robert von Reims, der ›Mönch‹ (1055-1122) krass hervortreten (Jaspert, Kreuzzüge, 2003, S. 12ff. und S. 19ff.). Die Schwierigkeit der Beurteilung lag in der Sprache der Primärquellen, denn häufig wurden beide Aspekte für die kämpferischen Unternehmen zusammengezogen: ›peregrinatio‹, ›via‹, ›expeditio passagium generale‹, ›negotium Jhesu Christi‹, ›bellum sanctum‹, ›opus voluntas‹. Der Begriff ›Kreuzzug‹ wurde im Kanonischen Recht nie definiert. Er kam auch erst Mitte des 13. Jahrhundert auf, bürgerte sich dann aber schnell ein, von Franzosen und Engländern gleichermaßen als ›croiserie‹ bezeichnet. Die Kreuzritter wurden von ihren muslimischen Kontrahenten ›Franken‹ (›ifranj‹) genannt, während diese sich selbst häufig als ›milites dei‹ und ›Christus exercitus dei‹ verstanden. Eine geläufige Selbstbezeichnung der Kreuzritter war ›crucesignati‹, die mit dem Kreuz Gezeichneten. Sie verstanden sich als Krieger für die ›causa Christi‹ im Sinne von Matthäus 16,24: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir«. Das war die ›imitatio Christi‹ auf die sich die Kreuzfahrer beriefen.

Hauptvertreter des Pluralismus war der englische Kreuzzugshistoriker Jonathan Riley-Smith (1938-2016), der zahlreiche Werke zu den Kreuzzügen verfasst hat. Er definierte die Kreuzzüge knapp so: »Ein Kreuzzug war ein heiliger Krieg, der zur Wiedererlangung christlicher Besitzrechte oder zum Schutze der Kirche oder der Christen gegen diejenigen ausgetragen wurde, die als äußere oder innere Feinde der Christenheit angesehen wurden«. In einem weiten Sinne rechnete Riley-Smith zu den Kreuzzügen nicht nur die im Nahen Osten, sondern auch die »in Spanien, in Nordafrika, im Baltikum, in Osteuropa sowie auch innerhalb Westeuropas«. Als Feinde des Christentums galten Muslime, die heidnischen Slawen, Mongolen, orthodoxe Christen (Griechen und Russen), ›Ketzer‹ wie die Katharer, Bogomilen und Hussiten (Jonathan Riley-Smith, Kreuzzüge. Theologische Realenzyklopädie Online: https://www-1degruyter-1com-1007effq60c7d.erf.sbb.spk-berlin.de/database/TRE/entry/tre.20_001_1/html. Accessed 2023-04-12).

Diese Ausweitung des Kreuzzugbegriffes lässt sich v.a. durch die fulminanten Kreuzzugspredigten des populären Zisterzienser-Abtes Bernhard von Clairvaux (1090-1153) im Auftrag von Papst Eugen III. (1145-1153) belegen. Eugen III. sah alle ›Heidenkriege‹, gleichviel wo sie stattfanden und gegen welche ›Heiden‹ sie sich richteten, als ›Kreuzzüge‹ an. Bald waren es auch die politischen Gegner des Papsttums, gegen die zum Kreuzzug aufgerufen wurde, gleichgültig ob es sich um ›Heiden‹ oder Christen handelte. Der vierte Kreuzzug 1204 mit der Zerstörung Konstantinopels war eine dramatische und skandalöse Konsequenz dieses Denkens. Die pluralistische ›Schule‹ dominierte lange Zeit in der Forschung, wurde aber zunehmend von ›Popularismus‹ und ›Generalismus‹ ergänzt und differenziert.

›Popularisten‹ betonen inhaltliche und sozialpsychologische Aspekte der Kreuzzüge. Es geht ihnen darum, was die Menschen, die sich zu einem Kreuzzug entschlossen, wirklich dachten und fühlten und wie sie ihre Begeisterung für den Kreuzzug ausdrückten. Untersuchungen zielten auf die Ausdrucksformen kollektiver religiöser Begeisterung der Volksmassen, angefeuert durch populäre Kreuzzugprediger, wie z.B. von Peter von Amiens (›dem Einsiedler‹), der zum ersten Kreuzzug aufgerufen hatte und nach Jerusalem aufgebrochen war. Was trieb die Menschen an? Zahllose Kreuzzugspredigten und Aufrufe enthielten eschatologische Visionen und apokalyptische Bilder. Endzeit- und Weltuntergangsszenarien waren im Mittelalter in Theologie, Kirche und Volksfrömmigkeit weit verbreitet, inspiriert schon im 5. Jahrhundert durch Augustinus (354-430) epochemachendes Werk De Civitate Dei. In Chroniken, Literatur und bildender Kunst trat die Furcht vor dem Ende der Welt, aber auch die brennende Sehnsucht nach dem himmlischen Paradies krass zutage. Im Alltagsleben der Menschen war das ›himmlische Jerusalem‹, wie in der Offenbarung beschrieben (Offenbarung 21, 2 und 10ff.), als glänzende, goldene, edelsteingeschmückte Stadt mit ihren Perlentoren (21, 18ff.) sehr präsent. Jerusalem-Motivik war in Theologie, Epik und Lyrik überall anzutreffen und für die analphabetischen einfachen Menschen bot die Jerusalem-Visionskultur in Bildern und Gegenständen ein reichhaltiges Anschauungsmaterial. Die Stadt Jerusalem wurde zum utopischen Sehnsuchtsort, an dem man anbeten, bleiben und ggf. auch sterben wollte. Die zahlreichen Deutungen der Endzeit konnten auch in Aktionismus transformiert werden, sie wurden zur »zur politischen Argumentationshilfe«, zur »Mahnung dringlicher Weltrettung« (Fried, Dies Irae, 2016, S. 104).

Fromme Bußleistungen, mildtätige Werke, Kirchenreformen und Kirchenstiftungen waren gefragt und immer auch Wallfahrten nach Jerusalem. So löste die Vision eines englischen Mönches, der die Zeit von der Geburt Jesu bis zur Ankunft des Antichristen mit 999 Jahren imaginierte, 1033 eine Flut von Pilgern nach Jerusalem aus. Die von religiösem Enthusiasmus und entschlossenem Aktionismus geprägten Volksbewegungen für den Kreuzzug wurden allerdings stark gedämpft durch die Katastrophe des sogenannten ›Kinderkreuzzuges‹ von 1212 und dem Fanatismus der ›Pastouraux‹ (Pastorellen, Hirten), einer Massenbewegung französischer bäuerlicher Unterschichten zwischen 1250 und 1321. 1250/51 waren sie zur ›Befreiung des Heiligen Landes‹ zusammengeströmt und hatten sich auf den Weg von Amiens nach Paris aufgemacht, etwa 60 000 bis 100 000 Personen stark. Die undisziplinierten Massen waren nicht zu kontrollieren und mussten – nach Gewalttaten, Plünderungen und Judenpogromen – von städtischen Milizen und Rittertruppen zerschlagen werden. Popularisten beschäftigten sich auch intensiv mit den Feindbildern der Kreuzfahrer, gleichviel ob sie sich auf Juden, ›Heiden‹ (Muslime) oder ›Ketzer‹ (Katharer, Waldenser) richteten (Völkl, Muslime-Märtyrer-Militia Christi, 2011).

Eine neuere Entwicklung ist der Generalismus. Vertreter dieser Richtung verzichten darauf, den Kreuzzug als ein einzelnes Ereignis zu sehen. Ernst Dieter Hehl, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mainz, beschrieb den Kreuzzug als »Chiffre für jede ideologisch beeinflusste Auseinandersetzung (...) für jeden aus innerstem Herzen geführten Kampf – gleichgültig ob kriegerische Mittel eingesetzt sind«. Kreuzzüge waren, schon für die Zeitgenossen, ein »Reflex des inneren Zustandes der abendländischen Christenheit«. Man glaubte, den Willen Gottes zu erfüllen, indem man eine neue »Heilsgemeinschaft« bildete, zu der einzelne »Bekehrte« ein Bekenntnis ablegten und die Bereitschaft bekundeten, für Gott mit Waffen zu streiten. Ein konkretes Ergebnis war »die Etablierung einer neuen, sakral legitimierten Funktionselite: das westliche Rittertum.« (Hehl, Was ist eigentlich ein Kreuzzug?, S. 108, S. 300, S. 334 und S. 336).

Die Kreuzzüge wurden so ganz allgemein in die Gewalt- und Kriegskultur des Mittelalters eingeordnet. Mit diesem weiten kulturgeschichtlichen Ansatz wurden zwar die Schwierigkeiten konkreter Unterscheidungen der verschiedenen Kreuzzüge umgangen, aber man versäumte, die Besonderheiten der einzelnen Kreuzzüge zu beschreiben (Housley, Contesting the Crusades, 2006, S. 13). Anstelle der deskriptiven und bewertenden Identifizierung konkreter historischer Erscheinungen, trat eine auf Konflikte, Gewalt und Krieg orientierte Kulturgeschichte des Mittelalters.

Man kann diese Definitionen hin und her diskutieren. Sie enthalten alle richtige Elemente cum grano salis. Die Kreuzzugforschung von den fünfziger, sechziger Jahren unseres Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart ist damit nur knapp heuristisch umrissen. Seit Runciman ist sie erheblich komplexer geworden, sowohl methodologisch (z.B. Quellenerschließung und Textkritik) als auch inhaltlich. Immer noch wirken narrativ-deskriptive Traditionen positiv fort, ergänzt um religionswissenschaftliche (Christentum - Islam), theologische (lateinische Kirche und griechische Orthodoxie), wirtschaftshistorische, kunsthistorische (›Kreuzfahrerarchitektur‹), literaturhistorische, ideengeschichtliche, soziologische (z.B. Institutionen), psychologische (z.B. Kreuzfahreridentitäten und Feindbilder), alltagsgeschichtliche (Zusammenleben in den Kreuzfahrerstaaten) und militärhistorische Studien (Festungen, Burgenbau, Kriegstechniken, Bewaffnung). Viele Einzelaspekte wurden intensiv beforscht, z.B. die geistlich-militärischen Orden, Kriegführung zu Land und zur See (Seerepubliken!), Rekrutierung, Taktiken, Logistik, Bewaffnung und Belagerungstechniken. Ein ganz eigenes Kapitel bildeten Untersuchungen zu den Kreuzzügen im späten Mittelalter. Ein im Verhältnis von lateinischem Westen und griechischem Osten immer wichtiger werdendes Thema war die Rolle von Byzanz in der Kreuzzugära. Das Bild von Byzanz war jahrhundertelang durch die überaus negativen Urteile der lateinischen Chronisten geprägt. Als typisches Beispiel sei hier der französische Geschichtsschreiber Odo von Deuil (1110-1162) zitiert, der uns die beste Chronik des zweiten Kreuzzuges (1147/1148) überliefert hat. Seine Abneigung gegen Byzanz/Konstantinopel fasste er sehr knapp in einem Satz zusammen: »In seinem Reichtum ist Konstantinopel arrogant, heimtückisch in der (politischen) Praxis und korrupt im Glauben« (Odo von Deuil, De Profectione Ludovici VII in orientem. The journey of Louis VII to the east, 1948, S. 58f.). Die Kreuzzugforschung hat dieses Bild deutlich korrigiert. Schon Runciman hatte sich mit deutlicher Sympathie für den byzantinischen Staat angesprochen, aber er war nicht der Pionier in dieser Hinsicht. Die Kunst- und Literaturwissenschaftler Charles Diehl (1859-1944) und Louis Bréhier (1868-1951) hatten Vorarbeiten geleistet und 1940 veröffentlichte der russische Byzantinist Georg Ostrogorsky (1902-1976) seine Geschichte des Byzantinischen Staates. Es war seinerzeit ein Standardwerk, das Jahrzehnte diesen Status behielt. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Forschungen zu Byzanz deutlich erweitert und vertieft. Die überwiegend anzutreffenden abwertenden Urteile über das mit Reichtum prunkende, verweichlichte, dekadente, politisch opportunistisch agierende Byzanz, das den Kreuzfahrern mehrfach Hilfeleistungen verwehrt hatte, bzw. ihnen ›verräterisch‹ in den Rücken gefallen war, konnten nicht generell aufrechterhalten werden. Das galt vice versa auch für Schriften, die sich stark an den zeitgenössischen byzantinischen Chronisten Anna Komnena und Niketas Choniates orientierten, die das Verhältnis von Byzanz und den ›barbarischen‹ Kreuzfahrern – wortbrüchig, gierig, eroberungssüchtig – als überwiegend konfrontativ beschrieben hatten.

Eine Reihe englischer und deutscher Historiker hat sich an neue Gesamtdarstellungen gewagt, die forschungshistorisch durchaus ergiebig sind und auch von einem nicht fachkundigen Publikum mit Gewinn gelesen werden können (z.B. Payne, Riley-Smith, Tyerman, Asbridge, Phillips, Jaspert).

Fassen wir die Erträge der Forschung im Blick auf die Kategorisierung von Constable zusammen, so scheint mir eine Kombination aus ›Traditionalismus‹ und ›Pluralismus‹ besonders sachgerecht zu sein, wobei die ›Generalisten‹ wichtige Erkenntnisse zur mittelalterlichen Gewalt- und Kriegskultur beisteuern können. Als Konsens der Forschung sind m.E. einige formale Definitionskriterien festzuhalten:

Ein Kreuzzug
• musste mit einem auffordernden Aufruf zur Teilnahme eingeleitet werden, von der höchsten geistlichen Autorität des Abendlandes, dem Papst;
• verpflichtete alle Teilnahmebereiten für eine bewaffnete Unternehmung freiwillig »das Kreuz zu nehmen«, d.h. sich das Kreuzzeichen aus Stoff an die Kleidung zu heften. Man »erwartete von ihm, dass er dieses unverwechselbare Emblem nicht wieder entfernte, bis er sein Versprechen erfüllt hätte«; (Riley-Smith, Wozu heilige Kriege?, 2003, S. 10).
• musste klare und einsichtige Ziele vorgeben und benötigte sorgfältige Vorbereitungen.
• sollte von jedem Kreuzzugsteilnehmer selbst finanziert werden;
• war mit geistlichen Privilegien (›remissiones‹) für die Kreuzfahrer verbunden sowie Versprechungen der Kirche, für Frauen, Kinder und Erben in Abwesenheit der Kreuzfahrer zu sorgen und sich um ihre Ländereien kümmern.

Kreuzzüge als ›Negativmythen‹

Die Geschichtsschreibung zu den Kreuzzügen ist Legion. Ganze Bibliotheken könnten gefüllt werden, alleine mit dem Schrifttum aus dem ›Abendland‹. Die Kreuzzüge im Nahen Osten vom 11.-13. Jahrhundert sind auch besonders reichhaltig in den Geschichtsquellen dokumentiert. Die zahllosen Darstellungen bis in die Gegenwart spiegeln den jeweiligen ›Geist der Zeiten‹ im Spannungsbogen von ›Hosianna‹ und ›Kreuziget ihn‹. Die Kreuzzüge sind, wie ein Kreuzzugexperte treffend festgestellt hat, zu einem »Polymythos« und »gesamteuropäischen Phänomen« geworden (Jaspert, Die Kreuzzüge und ihre Deutungen, 2011, S. 14f.). Es ist nicht verwunderlich, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Schriften der ›Kreuziget-Fraktion‹ von Historikern, Schriftstellern und Journalisten in den Vordergrund traten, ganz zu schweigen von öffentlichen Bekundungen im politischen Diskurs. Kaum einer wagte den Bewertungen der Kreuzzüge als barbarische, christlich-imperialistische Raub- und Mordaktionen zu widersprechen. Im Lichte dieser Negativbewertungen erschienen die Kreuzzüge als expansionistisch-imperialistische Abenteuer, in Szene gesetzt von machtsüchtigen Päpsten und ihren geistlichen Hasspredigern zur Vernichtung der ›Ungläubigen‹. Landlose, eroberungsgierige und beutelechzende abendländische Ritter sowie Massen leichtgläubiger, verführbarer einfacher Menschen, darunter nicht wenige ›unehrliche Leute‹ (z.B. fahrendes Volk, Gaukler, Spielleute, Bettler Marktschreier, Prostituierte, Kriminelle) hätten sich aufgemacht, das ›heilige Jerusalem‹ zu befreien.

Erinnerungen an die Kreuzzüge sind, wie gezeigt, in den Alltagswelten unserer Gesellschaft nach wie vor vorhanden. Die noch im 19. und 20. Jahrhundert erkennbaren, teilweise positiven, Gesamtbewertungen sind fast völlig verschwunden. Die Waagschale der Beurteilungen neigte sich tief zur ›Damnatio Memoriae‹ und verharrt dort. Es ist kein Zufall, dass angesichts eines politischen Klimas, in dem die Gefahren eines ›politischen Islam‹ weitgehend heruntergespielt und verharmlost werden, schon die faktenorientierte Beschäftigung mit den Kreuzzügen als latent islamfeindlich verdächtigt wird. Wer sich ernsthaft bemüht, Zerrbilder, Fehlwahrnehmungen und politische Instrumentalisierungen der Kreuzzüge aufzudecken und zurechtzurücken, sieht sich mit dem Vorwurf des ›Revisionismus‹ konfrontiert. Der Begriff ist im deutschen Kontext als »verdorbenes Wort« (Kandel, Verdorbene Worte? negativ konnotiert und wird, nur politisch verstanden, oft umstandslos mit ›revanchistisch‹ gleichgesetzt. Im angloamerikanischen Kontext ist das ganz anders, hier wird ganz unbefangen von ›historischem Revisionismus‹ gesprochen. Der englische Kreuzzugexperte Christopher Tyerman begründet die Verwendung damit, dass Geschichte grundsätzlich ›revisionistisch‹ sei: »All history is revisionist, a response to what others have written. Thus, at its simplest, reading other historians will help any writer of history clarify their own views of the past.« (Tyerman, The Debate on the Crusades, 20122, S. xi).

›Revisionist‹ ist demnach im angloamerikanischen Sprachgebrauch ganz üblich und jedem verständlich. Um Missverständnisse zu auszuschließen, vermeide ich hier das ›verdorbene Wort‹. Die nachstehenden Thesen greifen kontroverse Einzelthemen der Kreuzzughistorie auf und formulieren Widerspruch zu populär gepflegten und ideologisch motivierten Behauptungen.

Vom Zaun gebrochen?

Die Kreuzzüge wurden nicht voluntaristisch von machtgeilen und beutegierigen ›Kreuzrittern‹ vom Zaun gebrochen, sondern es gab aus Sicht der Zeitgenossen verständliche Gründe für ihren Beginn. Das war weitgehender Konsens der Historiker des 19. Jahrhunderts und es ist bis heute nicht falsch. Der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark kam zu dem Ergebnis: »Die Kreuzzüge fanden nicht ohne vorhergehende Provokationen statt. Sie waren nicht die erste Runde des europäischen Kolonialismus. Sie wurden nicht wegen Land, Beute oder aus Bekehrungsabsichten geführt. Die Kreuzritter waren keine Barbaren, die die kultivierten Muslime schlecht behandelten. Sie glaubten ernsthaft, dass sie in Gottes Bataillonen dienten« (Stark, Gottes Krieger, 2013, S. 344).

In der Kreuzzughistorie ist die Beurteilung von Ursachen und Anlass der Kreuzzüge umstritten geblieben, ebenso wie die Einschätzung des konkreten Ausmaßes der Bedrohung der östlichen Christenheit und des Westens durch den Islam im 11./12. Jahrhundert. Von einigen westlichen, eher pro-muslimischen Historikern, wurde anklagend vermerkt, dass der Papst mit ›aufwieglerischer Rhetorik‹ die Bereitschaft zum Krieg und die Kampfeslust der potentiellen Kreuzfahrer anzustacheln versucht habe. Er habe die Verteufelung, ja ›Dehumanisierung der islamischen Welt‹ betrieben, ›Rache‹ für die muslimische Eroberung des Heiligen Landes gefordert und die Bedrängnisse durch die türkischen Muslime bewusst übertrieben. Besonders drastisch fiel der Augenzeugenbericht des Dominikaners Robert von Reims (›der Mönch‹) aus, den er 1107 niederschrieb (Deutscher Wortlaut in: Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 1973, S. 329ff.).

Denn im ›Heiligen Land‹ des 11. Jahrhunderts sei das Pilgerwesen bis zum Einfall der Seldschuken verhältnismäßig ungestört geblieben und ferner hätten hier noch zahlreiche christliche Bevölkerungsgruppen gelebt, was auf die »relativ ausgeprägte Toleranz« des Islam »im Umgang mit Andersgläubigen« schließen lasse (Asbridge, Die Kreuzzüge, 2021, S. 46ff.). Außerdem liege die Eroberung Jerusalems mehr als 450 Jahre zurück und könne nicht als Legitimation für die Kreuzzüge dienen. Doch das war keineswegs so. Hier scheint es bei einigen Kreuzzugforschern einen blinden Fleck zu geben. Seit der Eroberung Jerusalems im Jahre 638 n. Chr. war es in muslimischer Hand geblieben. Der imperialistische Expansionismus der Araber, angetrieben durch die »universelle Eroberungsvision des Islam«, blieb auch für die Christen im Osten und Westen des 11. Jahrhunderts eine fortwirkende Gefahr (Karsh, Imperialismus im Namen Allahs, 2007, S. 40). Die anhaltende muslimische Herrschaft in Jerusalem war eine schwärende Wunde für die christliche Identität. Mit großen Anstrengungen war die Expansion des Islam im Osten vorläufig zum Stillstand gebracht worden. Zweimal waren die Attacken islamisch-arabischer Heere auf Konstantinopel gescheitert, zuletzt im Jahre 717. Byzanz blieb das Bollwerk gegen den Islam, ständig bedroht von weiteren islamischen Überfällen. So wurde das Reich z.B. durch die verheerende Niederlage im Juli 838 gegen die Armee des Kalifen Abu Ishak al-Mu’tasim bei Dazimon und die Erstürmung Amorions (heute Hisarköy), der drittgrößten Stadt von Byzanz nach Konstantinopel und Saloniki, bis ins Mark erschüttert. Im Westen war es von 711 bis 714 muslimischen Kriegern gelungen, fast die ganze Iberische Halbinsel zu erobern. Nur Katalonien, Aragon, Navarra und Leon blieben christlich und nahmen später die Wiedereroberung auf (›Reconquista‹). Erst 732 konnte der karolingische Hausmeier Karl Martell den weiteren Vormarsch der Muslime nach Europa bei Tours und Poitiers stoppen. Weitere Versuche, die muslimischen Eroberungen zurückzudrängen, scheiterten – so Karl der Große mit seinem Spanischen Feldzug 778 (Hintergrund der berühmten ›Rolandssage‹). Muslimische Heere eroberten Sizilien: 831 fiel Palermo, dann 843 Messina, 878 Syrakus, 902 Taormina, schließlich 918 Reggio in Kalabrien. Mit Rometta kapitulierte 965 auch der letzte byzantinische Stützpunkt in Italien. Sie setzten sich in Unteritalien fest, verheerten die angrenzenden Regionen und überfielen von dort die provençalische Küste. Sie drangen weiter ins Inland vor – bis zu den Alpenpässen. 972 gelang ihnen gar die Gefangennahme des hochgeehrten Abtes von Cluny, Majolus, der erst nach Zahlung eines gewaltigen Lösegelds wieder freikam. Das Abendland hatte somit allen Grund die Muslime (›Sarazenen‹) zu fürchten. Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass Historiker im Abendland, nicht nur des 19. Jahrhunderts, die Kreuzzüge als weltgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen Kreuz und Halbmond deuteten und die kriegerische Gewalt – im Konzept des Dschihad begründet - als ein Grundmerkmal des Islam als einer politischen Religion hervorhoben. Darüber wird bis heute heftig gestritten: Einen aktualisierenden Bezug stellte der Althistoriker Egon Flaig mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) her: Der Islam will die Welteroberung (FAZ Nr. 216, 16. September 2006). Der Artikel führte zu wütenden Kommentaren von Islamwissenschaftlern. In einem Leserbrief des emeritierten Islamwissenschaftlers Professor Stefan Wild aus Bonn, der sich im Namen verschiedener Kollegen zu Wort meldete, protestierte er gegen Flaigs Thesen. Neben der ehrabschneidenden Behauptung, dass Flaig nicht kompetent sei, weil er die »Originalquellen« nicht lesen könne (!), unterstellte er ihm, ein »Schwarzbuch« des Islam präsentiert und ein »verzerrtes Einheitsbild von Gewalt, Grausamkeit und Unterdrückung« verbreitet zu haben. Und er verstieg er sich zu der Behauptung: »Keine andere Kultur hat sich in den vergangenen Jahrhunderten so gewalttätig gezeigt wie die europäische, die sich auf ihr abendländisch-christliches Erbe beruft und die Prozesse der Aufklärung und Säkularisierung durchlaufen hat«. (FAZ, Nr. 225, 27. September 2006). Das war weit unter der Gürtellinie, sachlich komplett falsch und hätte eine deutliche Replik verdient gehabt. Dieser Disput zeigt, wie umstritten die Gewaltgeschichte des Islam als Religion und Kultur bis heute ist.

Die Tatsache, dass das Pilgerwesen bis zum Seldschuken-Einfall relativ ungestört blieb, darf nicht als Beleg für eine entspannte religiöse und soziale Lage von Christen unter muslimischer Herrschaft gewertet werden. Christen (wie auch Juden) lebten im Rechtsstatus sogenannter ›Schutzbefohlener‹ (›dhimmi‹), ein euphemistischer Ausdruck für eine Existenz als diskriminierte ›Bürger zweiter Klasse‹. Sie hatten eine Kopfsteuer (›jizya‹) zu entrichten und waren zahlreichen Repressionen unterworfen. Nie konnten sie vor Übergriffen auf ihre sakralen Gebäude (Kirchen und Klöster) sicher sein, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Gebäude zu reparieren, zu modernisieren oder gar neue zu errichten, war im Prinzip verboten, wurde aber von manchen muslimischen Autoritäten pragmatisch ignoriert oder konnte hier und da gegen Zahlung enormer Bestechungssummen ermöglicht werden. Das war im alten Europa wohlbekannt, wurde von den Päpsten schon vor Urban II. (besonders Gregor VII.) angesprochen. Der islamische Imperialismus und die Erinnerung an den Verlust Jerusalems vor hunderten von Jahren war nicht vergessen. Nicht blanke Eroberungssucht trieb die Kreuzzugbewegung an. Die Kreuzritter und große Scharen einfachen Volkes folgten mit ostentativer Frömmigkeit, persönlicher Leidenschaft und Pilgerbegeisterung, dem Aufruf des Papstes Urban II. vom 27. November 1095 in Clermont-Ferrand, das Heilige Land und das Heilige Grab in Jerusalem von den Muslimen zu befreien (›Deus lo vult‹).

Das Hilfsgesuch des byzantinischen Kaisers – Auftakt zum Kreuzzug?

Der Papst folgte einem Hilfsgesuch des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos (reg. 1081-1118), der ihm im März 1095 beim Konzil von Piacenza vorgetragen worden war. Seine Gesandten hatten in seinem Namen den Papst und alle Christgläubigen demütig gebeten, ihm gegen die Heiden ›eine noch so kleine Hilfe‹ zu senden. Die Christen im Osten würden immer stärker von den ›Heiden‹ bedrängt und für die zahlreichen Pilger sei es nicht mehr möglich, ohne beraubt zu werden oder das Leben aufs Spiel zu setzen nach Jerusalem, zum Heiligen Grab zu gelangen. Der Kaiser hatte keineswegs im Sinn, eine Massenbewegung bewaffneter Pilger im Westen auszulösen, sondern erwartete nur eine zeitlich begrenzte militärische Hilfe gegen den expansionistisch-imperialistischen Islam, etwa in Form eines Kontingentes professioneller Krieger (Runciman, A History of the Crusades, Bd.1., S. 116ff. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, 19522, S.287ff.)

Seit dem Ansturm der Turkvölker (Turkmenen, Türken) aus dem Osten im 11. Jahrhundert hatte sich die politische Lage für das Byzantinische Reich dramatisch verschlechtert. Das war eine durchaus realistische Situationsschilderung: Seit den 1160er Jahren waren immer mehr Türken des Stammes der Seldschuken nach Syrien eingefallen. Der byzantinische Kaiser Romanos Diogenes IV., der ihnen 1071 beim armenischen Mantzikert nördlich des Van Sees (heute das türkische Malasgirt) entgegentrat, wurde vom Seldschuken Sultan, Alp Arslan, vernichtend geschlagen. Die Niederlage war eine Katastrophe nicht nur für Byzanz, sondern das christliche Abendland. Bis 1080 hatten die Türken große Teile Kleinasiens erobert. Die bekannten Festungsstädte Nicäa und Antiochien fielen in ihre Hände und den Griechen war künftig der Weg nach Osten versperrt. Dabei war die Eroberungswut dieser fanatischen Sunniten gar nicht in erster Linie gegen das christliche Byzanz gerichtet, sondern gegen ihre erbitterten muslimischen Feinde, die seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert in Ägypten herrschenden schiitischen Fatimiden. Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihnen zogen sich Jahrzehnte hin. Bis Ende des 11. Jahrhunderts hatten sich die Seldschuken in Syrien und Palästina nach Beseitigung des unübersichtlichen Mosaiks sich ständig befehdender arabischer Emire etabliert (Halm, Kalifen und Assassinen, 2014, S. 37ff.). Das christliche Pilgerwesen nach Jerusalem, das auch unter islamischer Herrschaft relativ ungestört fortbestanden hatte, – bis auf die Jahre der Christenverfolgung (1004-1014), veranlasst von Kalif al-Hakim (996-1021) – war faktisch zum Erliegen gekommen. In dieser Lage erfolgte das Gesuch des byzantinischen Kaisers. Auf diesen reagierte Papst Urban II. mit seinem Aufruf, wobei seine Hilfsbereitschaft mit seinem Eigeninteresse an einer Stärkung der päpstlichen Macht zusammentraf. Seine berühmte ›Kreuzzugrede‹ war der zwischenzeitliche Höhepunkt einer langen Reise durch Frankreich (seinem Geburtsland), die er im August 1095 begonnen hatte. Bei dieser waren viele Fragen der Kirchenreform zur Sprache gekommen und der Papst beriet sich mit wichtigen Persönlichkeiten des politischen und kirchlichen Lebens, vorzugsweise mit Bischof Ademar de Puy und Raimund von St. Gilles, Graf von Toulouse und Marquis der Provence (Runciman, A History of the Crusades, Bd.1. S. 108ff. WAAS, Geschichte der Kreuzzüge, 1956, S. 67ff.).

Von seiner Rede gibt es sechs verschiedene Berichte, darunter drei von Augenzeugen. Sie stimmten dahingehend überein, dass der Papst mit großer Überzeugungskraft und Eloquenz zur Befreiung Jerusalems aufgerufen habe. Die gewaltige Resonanz war unerwartet und erstaunlich. Es ist umstritten, ob bereits hier vom ›Heiligen Krieg‹ gesprochen wurde.

Ein weiterer Dissens besteht darin, ob der Papst, auf Überlegungen seines Vorgängers, Gregor VII. von 1074 zurückgreifend, bereits eine Blaupause für ein Kreuzzugunternehmen entwickelt hatte.

(Teil II folgt)

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