Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

 – die Gazetten berichteten, die Regierung wolle es einem Denunzianten millionenschwer entgelten, dass er ihr Steuerflüchtlinge namhaft mache. Ich war erinnert an eine mich seinerzeit irritierende Sentenz von Nicolás Gómez Dávila, der Mitte der Achtziger Jahre notierte »Die Kunst des Denunzianten wird in all ihrer Perfektion nur in Zeiten reiner Demokratie praktiziert.« War der alte Reaktionär wieder einmal – wie immer! – grundeinsichtig? Lernen wir nur von ihm und Seinesgleichen etwas über wirkliche Lebenslagen unserer sozialen Welt?

– Etwa: Wie parlamentarische Demokratien mit den sie konstituierenden spirituellen Grundlagen umgehen, allen voran mit Geist und Idee des Rechts. Ist das Recht geschmeidig angesichts fiskalischer Boni [so wie früher angesichts politischer Opportunität]? Was ist mit fiat iustitia et pereat mundus? Folgte sogar ein Dschingis Khan eher jener kantianischen Maxime, als er Denunzianten, die ihm einen lange gesuchten Feind in die Hände spielten, zuerst aufknüpfen ließ?

Denunziation als erwünschtes Informations- und Handlungsmittel sagt etwas aus über den inneren Zustand eines Gemeinwesens, zu dessen Wohle hier verraten wird. Gerade wir Deutsche sollten durch unsere jüngere Geschichte denunziationsbetroffen empfindlich sein. Hier nämlich, wo Verrat als legitime Verkehrsform in Menschengemeinschaften – national- wie realsozialistisch – massenhaft akzeptiert wurde, wo der Verrat gewissermaßen Rechtsform bekam, wandelte sich der Mensch zum Material, zum Objekt, verwandeln lebendige Beziehungen zwischen Menschen sich in hoheitliche Regalien. Alles Private wird auf diese Weise auf Öffentliches, auf Verwaltung hin reduziert und so zerstört. Das Private wird ab jetzt als das nur noch auf seine Offenbarwerdung (vulgo:Verrat) wartende, zu verwandelnde Egoistische begriffen – alles Private ist politisch, so tönt immer wieder einmal die ›emanzipatorische‹ Botschaft von Kritikern des liberalen Rechtsstaats. Der Verräter stünde damit – paradoxerweise – im Dienst der Öffentlichkeit! Das verbindet Kritiker wie Akteure des demokratischen Rechtsstaats: beide sind fasziniert von der Aura des Verrats.

Was bleibt ist eine einfache Wahrheit: alles was Recht ist, soll Recht bleiben und nicht handhabbar werden als flexibles Instrument momentaner legislaturperiodischer politischer Klugheit.

Steffen Dietzsch

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