von Gunter Weißgerber

»Sehr lange schon habe ich die Namen der Dissidenten, Pfarrer, Schriftsteller der DDR zusammengetragen, bei denen ich keinen natürlichen Tod vermutete. Es sind etwa siebzig Menschen. Andere sind schwer krank oder siechen auf irgendeine Art dahin – ihnen allen möchte ich dieses Buch widmen, ihren Freunden und Verwandten. … Dabei behaupte ich nicht, was ich juristisch ohnehin nicht beweisen könnte. Ich schlage dem Leser lediglich vor, auch diese Variante und deren Logik zu durchdenken. Den wieso zweifelt beispielsweise kaum einer an den Gifttoten des Schriftstellers Umberto Eco in ferner Vergangenheit, nimmt aber das verzweigte Wirken der Staatssicherheit der DDR im 20. Jahrhundert noch immer nicht ernst? ‚Du kannst das juristisch nicht beweisen!‘, lautet noch immer die Devise der DDR-Freunde.« (Freya Klier/fortan FK auf S.7).

Wie lange noch wird es in der zunehmend zum linkslastigen Haltungsstaat degenerierenden Bundesrepublik Deutschland möglich sein, Bücher wie Unter mysteriösen Umständen, die sich mit den Verbrechen der zweiten (linken) Diktatur auf deutschem Boden beschäftigen, selbstverständlich zu publizieren? Mir schwant nichts Gutes. Warum? Das bedarf der Erläuterung. Die Zeiten erfordern das. Damit nie wieder Bücher wie Unter mysteriösen Umständen in Deutschland geschrieben werden müssen.

2013 machte die SPD mit ihrem Beschluss zu Koalitionen mit der Linkspartei auf Bundesebene und dem daraus folgenden so bleischwerem wie inhaltsleerem ›Kampf gegen rechts‹ unter Einschluss der Kommunistischen Plattform und der Antifa eine demokratietheoretisch unsinnige und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) zuwiderlaufende Front gegen den Teil der eigenen Bevölkerung auf, der sich in der demokratischen Mitte und im demokratischen Spektrum rechts der Mitte verortet.

Im trüben Lichte dieser Lesart erscheinen die Bundeskanzler Adenauer, Erhard, Kiesinger und Kohl samt ihrer CDU nachträglich als rechte, sprich faschistische Ansammlungen. Womit die SED, die 68er (West) und die RAF wohl doch noch irgendwie siegten. Nach Lesart der Diktaturpartei waren die ›Bonner Ultras‹, Westdeutschland/Bundesrepublik und CDU/CSU Ort und Behüter des Revanchismus und des Faschismus. Deshalb ›Antifaschistischer Schutzwall‹ und antifaschistische Demo am sowjetischen Ehrenmal am 3. Januar 1990 im Treptower Park. Sic! Der Hilferuf an die sowjetischen Freunde verhallte, anders als 1968 in Prag. Erst jetzt, mit dem platten ›Kampf gegen rechts‹ wird die Bundesrepublik der Hort des Fortschritts, des Antifaschismus in Nachfolge der untoten DDR und ihrer untoten politischen Geheimpolizei. Gegen Rechts- und Linksaußen kämpft eine Demokratie effektiv mittels guter Wirtschafts- und Sozialpolitik unter freiheitlichen Bedingungen. Parolen wecken Argwohn und bringen keine Arbeitsplätze. Dieses kleine Einmaleins der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik ist im Moment verloren.

In ihrer strategischen Hinwendung infolge des Jahrhundertversagens 2015 zum grün-linken Politikspektrum nahm Angela Merkel diese fatale Linie auf und verstärkte sie im Einvernehmen mit großen Teilen des deutschen Feuilletons. Gewissermaßen zerbröselte die CDU-Bundeskanzlerin ihre Partei durch ihre grün-linke Umkostümierung. Ob nun Ziel oder Zufall, im Ergebnis ist die Union am Boden, Deutschland in seit 1945 nie dagewesener gesellschaftlicher Verwahrlosung und politischer Instabilität und die Europäische Union steht kurz vor einem Scherbenhaufen.

Ein großer Teil der Deutschen hat Angst, sich politisch zu äußern. Kritik am Regierungskurs und den einsamen Entscheidungen der Kanzlerin gelten als rechts und wirken sich bereits für so manchen Zeitgenossen existenzgefährdend aus. Es ist nicht DDR, aber es schmeckt hie und da schon wie DDR. Nur noch 45 Prozent der Befragten einer Allensbach-Umfrage vom 16. Juni 2021, die im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durchgeführt wurde, sind der Ansicht, dass sie ihre politische Meinung frei äußern könnten; 44 Prozent halten es für besser, sich zu politischen Themen nicht zu äußern.

Bärbel Bohley sagte 1991 im Gespräch mit Chaim Noll (https://www.achgut.com/artikel/baerbel_bohley_die_frau_die_es_voraussah):

»Alle diese Untersuchungen, die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen. Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.«

Liebe Freya Klier, wir sind auf diesem Wege in Altbekanntes. Ich weiß, Du hast große Sympathie für Angela Merkel. Die kann und will ich dir nicht ausreden. Doch mit meiner Einführung in die Rezension deines wunderbaren und wichtigen Buches musst Du leben.

Noch ist die Antifa eine mittels Regierungsprogrammen gemästete NGO eines noch nicht wieder existierenden Ministeriums für (bundesdeutsche) Staatssicherheit. Doch da kommen wir hin, wenn wir nicht alle zusammen gut aufpassen. Der Fürsorgestaat hat sich bereits dem weiten Feld der Ahndung von angeblichen und tatsächlichen Beleidigungen an unserer statt angenommen. Das ›Netzwerk-Durchsetzungsgesetz‹ öffnete dem Zersetzen und Mundtotmachen Tür und Tor. Das Klima ist vergiftet und Bücher wie Unter mysteriösen Umständen werden derzeit noch im früheren MfS- und SED-Spektrum als Beleidigung und Angriff auf das revolutionäre Bewusstsein abgehandelt. Noch. Die ›DDR-Neuerzähler‹ in der Bundespolitik, der Bundeszentrale für politische Bildung und Feuilleton werden sich dieses Buches bald beherzt annehmen so wie sie sich Hubertus Knabes ebenso beherzt annahmen. Ich übertreibe? Wir werden sehen. Wir fühlen uns im gleichen Boot unwohl.

Am 24. Februar 1990 saßen einige DDR-Neusozialdemokraten zu mitternächtlicher Stunde in einer wunderbaren Runde mit Wolfgang Leonhard und seiner Frau Elke im Leipziger Interhotel ›Merkur‹ beisammen. Ich war dabei. Mich sprach Wolfgang Leonhard auch direkt an. Ihm war ich in den zurückliegenden Monaten als SDP/SPD-Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen aufgefallen und in der Annahme, dass ich am 18. März in die erste freie Volkskammer gewählt werden würde, gab er mir eine Bitte mit auf den Weg: Ich möge in der Volkskammer hinsichtlich einer Historikerkommission aktiv werden. Viele ungeklärte Verbrechen, das Schicksal vieler verschwundenen DDR- und SED-Kritiker harrten der Aufklärung.

Wolfgang Leonhard machte das am Beispiel des ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach dem zweiten Weltkrieg Rudolf Friedrichs und an Robert Bialek deutlich. Im Falle Friedrichs ging es um die Annahme, dass Rudolf Friedrichs (ehemals SPD) 1947 keines natürlichen Todes gestorben sei, sondern das sein sehr brutal agierender Inner-SED-Konkurrent Kurt Fischer (ehemals KPD) seine Hände im Spiel gehabt haben könnte. Der NS-Widerstandskämpfer Robert Bialek, der mit Kurt Fischer und Erich Mielke in Konflikt geriet und nach Westberlin ging, wurde 1956 in die DDR entführt und kam dort unter mysteriösen Umständen zu Tode. Das und vieles mehr sollte aufgeklärt werden.

Wolfgang Leonhard ›zündete‹ mich in jener Nacht sozusagen an und ich nahm mir vor, sofort nach der erfolgreichen Wahl in die Volkskammer hinsichtlich einer unabhängigen Historikerkommission initiativ zu werden. Was ich dann auch tat. In der ersten SPD-Volkskammerfraktionssitzung thematisierte ich diese Notwendigkeit und schrieb in der Folge auch mehrere Anträge an die Fraktionsspitze. In der Volkskammer kam es dann nicht mehr zur Einsetzung einer Kommission. Das Projekt wurde in den Deutschen Bundestag übernommen.

Zu Rudolf Friedrichs bat ich den Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf Nachforschungen anstellen zu lassen und drängte den SPD-Landesverband Sachsen, sich des Themas ebenfalls anzunehmen. In dem Buch Einer von beiden muß so bald wie möglich entfernt werden (https://hait.tu-dresden.de/ext/publikationen/publikation-111/ – Hannah-Arendt-Institut Dresden) beschreibt Mike Schmeitzner den Aufklärungsversuch. Der Tod Friedrichs konnte leider nicht mehr aufgeklärt werden.

Nun also Freya Klier und Unter mysteriösen Umständen. Nach dem Vorwort geht es in die Fünfziger Jahre mit dem jugendlichen Widerstand, Kidnapping und in die Hochschulen. Die Sechzigerjahre beschreibt FK mit dem Bauer Schwerdt, Michael Gartenschläger, Benno Ohnesorg und dem langen Arm der Stasi, Leipzig 1968 und dem Tod ihres Bruders. Weiter geht sie in die Siebzigerjahre zu Bettina und Claudia Wegner, Klaus Schlesinger, dem Prager Frühling, dem anheimelndem MfS, zur Arbeitsmethode Mord, Psychofolter und Frieder Weiße, verschwindenden Menschen in Bautzen II, einem Mordversuch auf der Sprungschanze, Lilo und Jürgen Fuchs. Die Achtzigerjahre und überall passierende Autounfälle, unter mysteriösen Umständen und einer nagenden Ratte am Fundament des Sozialismus, dem Freischwimmer Hans-Karl von Schnitzler, Sinus 1 & 2, dem zweiten Mordversuch an einem Spiegelkorrespondenten und die Giftakte Toxdat. Dann war offiziell Schluss mit der DDR. Aber nur offizieller Schluss.

Noch immer zappeln wir irgendwie im weiterhin wabernden Leichentuch der kommunistischen Diktatur, in den in der Antifa längst wieder vernetzten Resten ihrer politischen Polizei und vor allem in den Fängen ihrer Ideologie. Solange in Deutschland vom Faschismus statt vom Nationalsozialismus öffentlich gesprochen wird, so lange ist Stalin nicht wirklich tot. Es ist sein Begriff der Entehrung der deutschen Sozialdemokratie und ausgerechnet Parteivorsitzende der SPD fühlen sich mit dieser Beleidigung im Jahre zweiunddreißig nach der Friedlichen Revolution pudelwohl. Mich schaudert es.

Steffen Krummreich, Beat-Musik, Friseur, Haft, Psychiatrie, Gasherd

Musik vom Klassenfeind und lange Haare. Ein Staat sieht sich gefährdet.

»Als die Polizei mit einem Mannschaftswagen vorfährt, lassen die Bäckersleute die Kunden vorsichtig durch die Backstube und den Hintereingang raus, … Etwa ein Dutzend Polizisten umringt die sieben Jugendlichen, schlägt sie zusammen, meinem Bruder Steffen kugelt ein einziger Uniformierter den rechten Arm aus, er wird ohnmächtig. Andere schreien vor Schmerz und zwei rufen laut: ›Ihr Schweine, ihr Nazischweine!‹. Am Ende werden alle abtransportiert und verurteilt. Wie der Prozess abläuft, weiß niemand, … Doch die Urteile sprechen elf Jahre für den Jugendlichen aus, der am verzweifelsten ›Nazi-Schweine‹ gerufen hat, er wird zum Rädelsführer abgestempelt. … Die geringste Strafe bekommt mein erst siebzehnjähriger Bruder und ein weiterer Jugendlicher mit ebenfalls siebzehn Jahren – jeder vier Jahre Strafvollzug. … Mein Bruder Steffen kommt in die große Haftanstalt Bützow in Mecklenburg, wo er von kriminellen Gefangenen erst einmal zusammengeschlagen wird, weil er den falschen Dialekt spricht.« (S.88/89)

Nach den vier Jahren ist Steffen seelisch zerstört, eine Agenda hat er dennoch. Ein mutiger Junge.

»Ohne uns einzuweihen, geht er am Nordende der Stadt eines Tages auf das große, mit Maschendraht abgesperrte Gelände der Staatssicherheit in Dresden zu. An einer Ecke ein mittelgroßer Wachturm mit einem Uniformierten darauf. Erstaunt verfolgt der, wie mein Bruder auf den Wachturm zuläuft, unbewaffnet, ein Goethe- und ein Nietzsche-Zitat heraufruft. … Der ruft jetzt nach oben, sie sollten nicht immer auf Menschen schießen oder sie einsperren, sondern mit ihnen reden! … So geht jetzt das Tor auf, etwa zwanzig Männer mit und ohne Uniform zerren meinen Bruder ins Stasi-Gelände. … Er kommt auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Nervenheilanstalt Arnsdorf bei Dresden. … Und als mein Vater den Chefarzt sprechen will, sagt der (der Stationsarzt GW): ›auf keinen Fall den Chefarzt. Nein. Sie müssen an Erich Honecker schreiben, denn das ist eine politische Entscheidung!‹« (S.89/91).

»Nach ein paar Jahren wird mein Bruder Steffen Krummreich probehalber entlassen. … Doch er hat schon wieder eine Vorladung von der Dresdner Polizei. … Er hat in der Nähe ein leeres Haus entdeckt, in dem die Gasleitung noch funktioniert. Dort legt er seinen Kopf in einen Gasofen. Da ist mein Bruder dreißig Jahre alt.«(S.92).

Für das MfS und seine Verbrecherpsychologen war der Fall damit erledigt. Umberto Eco würde sagen: ›Die Mächte der Finsternis obsiegten und schienen nicht beteiligt. In der Tat waren sie die Regisseure des Selbstmordes des Corpus Delicti‹.

Klaus Schlesinger, Kulturopposition, mysteriöse Grenzkontrollen, Blutkrebs

»Drüben atmet Schlesinger auf, dass er nicht mehr diese besondere Prozedur über sich ergehen lassen muss: Aus der Schlange herausgewinkt zu werden und an eine bestimmte Stelle zu fahren. Und genau dort stehen zu bleiben und zu warten, etwa eine Stunde jeweils. Worauf? Kein Grenzer kam und wollte etwas von ihm. Er stand aber unter Beobachtung und durfte nicht einfach in die Autoschlange der anderen zurückfahren. Von seinem mulmigen Gefühl erzählte er jedes Mal Bettina Wegner, wenn er bei ihr ankam. Auch sie dachte, dass sie etwas mit ihm machen, aber was? Ein Röntgengerät oder etwas Ähnliches konnte er nirgendwo entdecken.« (S.102). »Klaus Schlesinger wird zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR an Blutkrebs sterben, doch das weiß er noch nicht.« (S.105).

Wolfgang Welsch, Studententheater, Haft, Gestapomethoden, Fluchthelfer, versuchte Liquidierung

»Die Liquidierung des ursprünglichen Ost-Berliners Welsch wird von Minister Mielke persönlich abgezeichnet. … Bis die Mauer fällt, wird Wolfgang Welsch in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren mehr als 220 Menschen zur Flucht in die Freiheit verholfen haben – darunter viele Ärzte, teilweise ganze Familien – über Drittländer des Ostblocks und mit diplomatischer Hilfe. Mit viel Glück überlebt der Verfolgte drei Mordanschläge zwischen 1979 und 1981, von denen der letzte wohl der bekannteste ist – mit Thallium-Vergiftung mittels Buletten auf einem israelischen Campingplatz.« (S.112).

Rainer Eppelmann, Ralf Hirsch, Blues, Mordversuche

»Gerold Hildebrand, in dieser Zeit Krankenpfleger im Universitätsklinikum Jena und aktives Mitglied der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte, fährt, wenn er kann, zu den Blues-Messen nach Berlin. Und er weiß auch, warum die DDR-Jugendlichen so auf diese Musik stehen: ›Jugendprobleme. Der Zonen-Blues ergriff immer stärker Besitz von den Heranwachsenden, die mit dem Zonenkoller zu kämpfen hatten: Alkoholismus, Selbstmordversuche, Depression oder Aggression. Immer Jüngere fassten den Entschluss: Ich will hier raus! Das wurde zum Sprengsatz für das Regime‹. Wie klar staatsfeindlich die Stimmung unter DDR-Jugendlichen schon 1980 ist, verdeutlicht ein Tondokument: In einem Sketch werden Schlagzeilen aus der Ost- und Westpresse gegenübergestellt: Während des 28. Jahrestages der DDR prügelt auf dem Berliner Alexanderplatz die Polizei brutal auf jugendliche Konzertbesucher ein. Es wird gebuht, als die deutlich erkennbare Ost-Schlagzeile ›Jugendliche Rowdys stören‹ verlesen wird. Hingegen hallt bei der West-Schlagzeile ›Jugendliche Opposition protestiert‹ das Kirchenschiff von Jubel, Beifall und Heiterkeit wider. … Die Stasi setzt scharenweise Inoffizielle Mitarbeiter ein, die jetzt mit Schuhen auf die Kirchenbänke springen oder an anderer Stelle Buttersäureanschläge verüben. Der seit längerem verhasste Pfarrer Eppelmann hat bereits eine lebensgefährliche Attacke hinter sich: ›Es war ein Autounfall. Auf dem Weg von Hohenschönhausen zur Samaritergemeinde nahm mir am 14. November 1978 ein Skoda die Vorfahrt und rammte meinen Trabant von der Seite. Als ich wieder aufwachte, war mein Körper gefühllos. Aber ich hatte mehr als nur Glück. Ein Krankenwagen hatte mich zum Krankenhaus Friedrichshain befördert, in dessen neurotraumatischer Station Halswirbelbrüche nach einer neuen, in den Niederlanden entwickelten Methode operiert wurden. … Diese Erfahrung, einer Lähmung oder gar dem Tod entgangen zu sein, spornte mich (Rainer Eppelmann – GW) an: Der liebe Gott musste noch was mit mir vorhaben!« (S.175/176).

Rainer Eppelmann führte nicht nur die Jugendgottesdienste weiter, die ihm bereits die Aufmerksamkeit der Stasi verschafft hatten, er leitete seine entscheidende Etappe zum Staatsfeind Nr. 1 mit den Blues-Messen ein. »Vor allem ihretwegen eröffnete die Staatssicherheit de Operativen Vorgang ‚OV Blues‘ ein«. (S.176). Für die organisatorischen Ausuferungen benötigte Pfarrer Eppelmann einen Ordnungsdienst. Leiter wird Ralf Hirsch, der sich damit in die Todeszone des MfS begibt. Zum Glück überlebt er den Stasicocktail aus viel Alkohol und einem Betäubungsmittel in einer kalten Winternacht. Er sollte hinter einer Hecke erfrieren. »Der Plan findet sich später in den Stasiakten«. (S.176).

Matthias Domaschk, Tod in der Haft, noch immer ungeklärt

Wer hat Matthias Domaschk ermordet? Am 10. April 1981 fährt Matthias Domaschk mit seinem Freund Peter Rösch nach Berlin zu einer Geburtstagsfeier. Dort kamen sie nie an. In Jüterbog holte die Transportpolizei sie aus dem Zug, sie wurden in einen Kleinbus verfrachtet und abtransportiert. Beide wurden nach Gera ins Stasigefängnis gebracht und dort sofort getrennt. Die Einzelzelle konnte nur Peter Rösch lebend verlassen. Matthias Domaschk war tot. Angeblich hat er sich an seinem Hemd erhängt. Bis heute weiß niemand, was mit Matthias Domaschk geschah, wer ihn ermordet oder fahrlässig getötet hat. »Denn die Staatssicherheit ist ein Geheimbund«. (S. 192).

Unterleibskrebs

Die Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Maxie Wander, Irmtraut Morgner sterben an Unterleibskrebs. Die Stasi sagte »Die Siebzigerjahre seien eben die Zeit, in der so viele Frauen an schweren Krebsen sterben«. (S.242). Krebs, der sich politisch unliebsame Frauen suchen? Umberto Eco hätte diese Ungereimtheiten verarbeitet, Freya Klier nimmt sich dasselbe Recht. Weil der Stasi einfach alles zuzutrauen war und das MfS eine reichhaltige Apotheke zur Benutzung besaß. Stichwort ›Giftakte Toxdat‹.

Zurück zur Einführung und den fehlenden Beweisen. Es war die zentrale Aufgabe der Stasitäter, jegliche Beweise ihres verbrecherischen Tuns zu vernichten. Jedoch schafften sie es nicht, das Wissen um die Opfer vergessen zu machen. Freya Klier gebührt großer Dank und noch größere Anerkennung, den Kampf gegen das Vergessen zu führen und nicht aufzugeben.

Liebe Freya Klier, liebe Leser Unter mysteriösen Umständen ist überfällig! Wolfgang Leonhard, den ich noch gut kennenlernen durfte, würde Freya Klier bei einem Glas Wein freudig auf die Schulter klopfen. Dessen bin ich sehr sicher. Danke, Freya!

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