Auf Willy Brandt folgte Helmut Schmidt. Ohne Schmidts KSZE-Politik, ohne seine wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz und ohne seine Standhaftigkeit in der Frage der russischen Mittelstreckenraketen auf die Bundesrepublik und Westeuropa – NATO-Doppelbeschluss hätte es die weltgeschichtliche Situation, in der die Sowjetunion zur Vernunft gekommen war, so nicht gegeben.

Für manche Sozialdemokraten mag es absurderweise bitter sein, doch ihr eigener Kanzler lag damals richtig. Der INF-Vertrag als erster und bisher einziger Atomabrüstungsvertrag in der Geschichte der Menschheit war nicht nur die Folge des Doppelbeschlusses, nein. Der Doppelbeschluss war Teil des Anfangs vom Ende des sowjetischen Kolonialreiches. Gorbatschow hat dies Schmidt gegenüber bereits 1990 bestätigt. 1989/90 war es dann endlich soweit. Gorbatschow setzte die Breschnew-Doktrin außer Kraft, die kommunistischen Einzelstaaten konnten ihren eigenen Weg gehen.

Am 2. Mai 1989 begannen die Ungarn – die lustigste Baracke im Ostblock- ihre Grenzanlagen abzubauen. Spätestens ab hier war klar, es wird brachiale Änderungen geben, auch in der DDR.

Ostdeutsche, die sich als Sozialdemokraten fühlten, begannen sich Gedanken über eine mögliche Parteigründung zumachen. So ich mit Freunden, andere mir Bekannte genauso, so auch Markus Meckel und Martin Gutzeit. Deren Initiative zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei vom 24. August 1989 kann als das Gründungsdokument der Ost-SPD gelten. Noch unter der offenen und allgegenwärtigen Herrschaft der Diktatur geschrieben, kündet es von großem Mut und langer politischer Linie.

Wir dürfen nicht vergessen: Die sogenannte friedliche Revolution begann alles anders als friedlich. Bis zum 9. Oktober 1989 wurde schwer geprügelt, wurde exzessiv verhaftet, wurden massiv Wasserwerfer eingesetzt, Schutzhaftlager vorbereitet und in die Markkleeberger Pferdeställe eingeliefert. Sage niemand, es war nicht gefährlich!

Zu unserem Glück blieben die sowjetischen Panzer in ihren Garagen und die Staatsmacht von Honecker und Co. war plötzlich allein zu Haus.

Die weitere Entwicklung der friedlichen Revolution bis zur deutschen Einheit ist im letzten Jahr oft beschrieben worden. Ich verzichte auf die Details. Nur so viel, die neue Sozialdemokratie war von Anfang an dabei, besonders in Leipzig, und war guter Dinge, die Wahlen vom 18.3. 1990 erfolgreich zu bestehen. Was leider so nicht geschah. Persönlich und dramatisch erlebte ich den Absturz in der Sympathie der Hunderttausende in Leipzig.

Ibrahim Böhmes Gerede vom alternativen Marxisten, der er sei, der naiv wackelnden Haltung des Ost-SPD-Vorstands im November/Dezember 1989 zu Fragen der möglichen deutschen Einheit, dem ungläubigem Aufhorchen der Leute, als in der SPD vom Sozialismus und von Genossen gesprochen wurde, und als absoluten Nullpunkt Lafontaines Haltung zur deutschen Frage als einer auch sozialen Frage – und für viele von uns einer Sicherheitsfrage. Die Menschen wandten sich von uns ab und der »Allianz für Deutschland« zu.

Nur die deutsche Einheit bot Gewähr vor Rückabwicklung des gerade Gewonnenen.
Achtzehn Monate später wurde in Moskau erfolglos geputscht und wir waren schon acht Monate Bundesrepublikaner und damit Mitglied von EU und Nato und somit in Sicherheit.
Was hätte kommen können im Fall eines siegreichen Moskauer Putsches, das wussten wir aus der kommunistischen Gewaltgeschichte. Wir genossen 1991 das Glück der Tüchtigen!
An dieser Stelle großen Dank an unsere Freunde in der damaligen West-SPD! Wir brauchten ihre Hilfe im Volkskammerwahlkampf und noch lange darüber hinaus und wir haben sie selbstverständlich bekommen – personell, finanziell, logistisch.

Ein kleiner Einschub in die damalige SDP/SPD-Geschichte. Die SDP wurde am 7. Oktober 1989 in Schwante gegründet – ein Affront für das Regime in zweierlei Hinsicht. Die Gründung einer sozialdemokratischen Partei war die Kampfansage schlechthin an die SED und ihren Vollkommenheitsanspruch, die den Menschen seit Jahrzehnten suggerieren wollte (es gelang überhaupt nicht), sie sei aus Kommunisten und Sozialdemokraten zusammengesetzt.

Das war nun öffentlich erledigt und der Machtanspruch schwer lädiert. Der zweite Teil des Affronts betraf das Datum. Am 7. Oktober feierte die SED ihren Republik-Geburtstag…
Sofort mit der SDP-Gründung begannen die Diskussionen um den Namen. Je weiter weg von Ostberlin die neuen Sozis lebten, desto stärker der Ärger über SDP statt SPD. Und die ganz weit weg wie die Plauener wohnten, die nannten sich sofort ohne Schnörkel SPD. Die Mehrheit der ostdeutschen Sozis wollten SPD sein – so wie die riesengroße Mehrheit der Ostdeutschen überhaupt die deutsche Einheit wollte. Am 13. Januar 1990 war es dann soweit. Die SDP nannte sich in SPD um und beendete damit einen spürbaren Wettlauf mit der SED um die Bezeichnung SPD. Bis dahin waren wir uns nämlich nicht so sicher, ob die West-SPD auf uns oder auf die Tapezierer in der SED setzen würde. Das war nun endgültig ausgestanden.

Am 27. September 1990 kam es schließlich zur Fusion beider sozialdemokratischer Parteien in Berlin unter dem überholten Berliner Programm (deutsche Teilung, bipolare Welt, Fehlen der Geschichte der ostdeutschen Sozialdemokratie). Bis zur Korrektur dieses Programms sollte es weitere acht Jahre dauern.

Die erste Bewährungsprobe hatte die junge Ost-SPD in der Volkskammer zu bestehen. Die Frage Koalition oder Opposition spaltete die Partei und die Fraktion. Letztlich entschied die Mehrheit zugunsten der Koalition mit CDU/FDP/DA/DSU. Es ging um unsere Verantwortung für die Sicherheit vor dem »russischen Bären«, um die Sicherung von Freiheit und Demokratie und um maximalen Einfluss in den unendlich vielen Details eines kommenden Einigungsvertrages.

Dass ausgerechnet die älteste demokratische Partei Deutschlands in der Schicksalsfrage Deutschlands auf Opposition machen würde – eine mir widerliche Vorstellung.
Lafontaine sah das anders und wurde mit uns am 2. Dezember 1990 dafür gewaltig abgestraft.
Es dauerte noch acht Jahre, bis die SPD ihren Schock des eigenen Fehlverhaltens von 1990 überwunden hatte und die Bevölkerung in West- und Ostdeutschland der SPD das Vertrauen gab, welcher Regierungsverantwortung auf Bundesebene ermöglichte. Die SPD nahm den Auftrag an und begann gemeinsam mit den Grünen den Kohlschen Reformstau abzubauen. Wir haben Deutschland wieder fit gemacht!

Man stelle sich die aktuelle Finanz- und Weltwirtschaftskrise mit den acht Millionen Arbeitslosen von 2003 vor. Diese acht Millionen hatten wir aber 2008 nicht mehr! Mit 3, 5 Millionen waren zu Beginn der Krise immer noch viel zu viele Menschen ohne Arbeit, doch war der Staat auf Grund der gesunkenen Arbeitslosenzahlen und der Reformen im Wirtschafts- und Finanzsektor wesentlich handlungsfähiger als vor der AGENDA 2010. Das Deutschland seit 2008 nicht abgerutscht ist und die gesamte EU mitgerissen hat, dies hat diese Republik der SPD und Gerhard Schröder zu verdanken.

Angela Merkel erntet aktuell von Gerhard Schröder, so wie Helmut Kohl 1990 von Willy Brandt und Helmut Schmidt geerntet hatte. Politik kann ab und an die Falschen treffen!
Und sie wird wieder die Falschen treffen, wenn die Koalition in Berlin ihr derzeitiges Sparpaket tatsächlich ohne Abstriche durchzieht.
Die Schwerpunkte heute für die Zukunft heißen Forschung, Bildung, sozial uneingeschränkter Hochschulzugang, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sprich ein angemessenes Kita-Angebot und langes gemeinsames Lernen bei Chancengleichheit für Frauen und Männer.
Wer hier spart, der hat den letzten Schuss nicht gehört. Ich bin mir sicher, die SPD im Bund und in Sachsen weiß um diese Prämissen und kämpft dafür!

Am 17. Juni wurde Helmut Schmidt vom Kuratorium Deutsche Einheit mit dem Point-Alpha-Preis für seinen Anteil am Einreißen des Eisernen Vorhangs, für den Doppelbeschluss und für sein Engagement für Europa geehrt.

Es war eine denkwürdige Veranstaltung mit mehreren Tausend Menschen. Alle waren sehr berührt und schwer begeistert vom großen alten und sehr weisen Sozialdemokraten Helmut Schmidt. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren:

»Diese seit Jahrzehnten anhaltende deutsche Stetigkeit, unsere zuverlässige Berechenbarkeit ist zu einem der mehreren unverzichtbaren Faktoren des in Europa anhaltenden Friedens geworden – und zugleich zu einem der mehreren unverzichtbaren Faktoren, die heute vor zwanzig Jahren die deutsche Vereinigung möglich gemacht haben.
Es war der für alle unsere europäischen Nachbarn historisch einmalige neue Eindruck stetiger deutscher Zuverlässigkeit, es war die Erfahrung deutscher Zuverlässigkeit – und dazu das Beispiel Gorbatschows –, die es Bush Senior und Helmut Kohl ermöglicht haben, die Skepsis und den Widerstand unserer Nachbarn gegen die Wiedervereinigung zu überwinden.
Schließlich haben unsere Nachbarn damit Deutschland zum volkreichsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union gemacht hat und zugleich zu ihrer größten Volkswirtschaft.
Heute ist Deutschland doppelt so groß wie Polen, achtmal so groß wie die Tschechische Republik, fünfmal so groß wie Holland, fünfzehnmal so groß wie Dänemark, und unsere Volkswirtschaft ist die viertgrößte der ganzen Welt. Diese angesichts der bisherigen Geschichte einmalige Größenordnung unseres Vaterlandes muss uns drängen zur Rücksichtnahme auf unsere vielen Nachbarn und auf unsere EU-Partner.
Wenn ein dicker und fetter Nachbar sich gegenüber einem kleineren Nachbarn anmaßend benehmen sollte, dann weckt er bei dem Nachbarn Ängste und Abneigung. Wenn dann noch die Erinnerung an die deutsche Besatzung und ihre Verbrechen im letzten Weltkrieg hinzukommen sollte, wenn obendrein der Genozid an den Juden keineswegs vergessen ist, dann kann daraus Unheil für beide Nachbarn entstehen.
Aber auch dann, wenn wir Deutschen uns wieder einmal in übertriebener Weise ängstigen lassen sollten, zum Beispiel heute wegen der Zukunft der Weltwährung Euro, so kann sich daraus die Versuchung zu einem deutschen Alleingang ergeben.
Jedoch dürfen wir solcher Versuchung nicht nachgeben. Vielmehr muss die Rücksichtnahme auf unsere Nachbarn und Partner Vorrang behalten. Unser Feld ist nicht die Weltpolitik und nicht die atomare globale Strategie, nicht Asien, nicht der Nahe und Mittlere Osten oder Afrika, sondern unsere europäischen Nachbarn sind unser Arbeitsfeld.
Der Ausbau der Europäischen Union geschieht nicht aus Idealismus. Sondern für uns Deutsche ist er eine strategische Notwendigkeit. Das vereinigte Deutschland hat die Einbindung in die Gemeinschaft der Europäer dringend nötig. Unsere Regierung darf dabei niemals vergessen: Ohne Frankreich bliebe alle Arbeit an der Integration erfolglos.«

Ich habe Helmut Schmidt mit diesen Äußerungen zitiert, weil es für die SPD neben der sozialen Gerechtigkeit unter freiheitlich-demokratischen im Inland auch immer um das friedliche und das gemeinsame Wohl der Europäer gehen muss.

Liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste, sorgen wir alle dafür, dass in Deutschland nie wieder demokratische Parteien im Untergrund agieren müssen, dass nie wieder Unrecht staatlich legitimiert wird! Setzen wir auf die Stärke der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die noch lange gebraucht wird.

Auf mindestens weitere 140 Jahre SPD in Döbeln und in Deutschland!

Herzlichen Dank!

Nachsatz 2018: Dem Mutigen gehört Welt! Nicht dem verzagten Erzieher.

 

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