von Markus C. Kerber

Wer Sigmar Gabriel auch nur für kurze Zeit aus persönlicher Nähe kennengelernt hat, konnte schnell feststellen, dass dieser hochbegabte Mann mit rasanter Auffassungsgabe nur ein Anliegen hat: sich selbst.

Da es ihm an politischen Maßstäben ebenso wie an einem inneren Wertekompass stets gefehlt hat, konnte er sich vorbehaltlos dem Kurs seines Vorbilds Gerhard Schröder verschreiben. Auch der hatte, endlich an die Macht gekommen, schnell seine Projekte als Chef der deutschen Jungsozialisten über Bord geworfen und fand es auf einmal sehr viel schicker, mit den Großen, Reichen, Mächtigen per Du zu sein. Seine devote Haltung gegenüber dem VW Großaktionär Piech sowie seine Besuche beim Wiener Opernball sind noch gut in Erinnerung.

Gabriel ist auch eine Pflanze aus jenem Hannoveraner Sumpf die, koste es, was es wolle, sich auf die Sonnenseite des Lebens schlagen will. Als es nach einer glücklosen Zeit als SPD Ministerpräsident und Schröder-Nachfolger mit der politischen Karriere in offiziellen Ämtern zu Ende war, suchte er sich neue Betätigungs- und Bestätigungsmöglichkeiten. Schnell fand er die für hierfür notwendigen Plattformen. Erst ließ er sich zum Pop-Beauftragten der SPD ernennen, dann wurde er mit Internationalem befasst und schließlich – dies zeigt die radikale Pragmatik des Aufsteigers Gabriel – hatte er sogar die rechtssozialdemokratische Kurt-Schumacher-Gesellschaft für sich entdeckt. Annemarie Renger, die Gründerin und langjährige Vorsitzende der Gesellschaft, machte ihn zu ihrem Stellvertreter, obwohl Gabriel weder von Kurt Schumacher sehr viel wusste, noch irgendetwas mit dem prinzipienfesten Nazigegner, KZ-Häftling und Wiederaufbau-Sozialdemokraten gemeinsam hatte.

Dass nun herauskommt, welche Gefälligkeiten Gabriel angeblich noch als Wirtschaftsminister bei der Niederschlagung von Kartellverfahren gegen den Fleischlieferanten Tönnies zu organisieren bereit war, passt rundum in das Bild eines Mannes, der die adverse Selektion des deutschen Parteienstaates in besonders anschaulicher Weise verkörpert.

Hatte doch Gabriel auch schon auf die ›Pegida-Bewegung‹ ›konstruktiv‹ reagiert. Er wolle mit diesen Leuten mal reden. Ob er sich den Pegida-Gründer Bachmann und sein Vorstrafenregister vor dieser Äußerung genau angeguckt hatte, lässt sich im Nachhinein kaum noch ermitteln. Umso mehr wissen wir, dass Gabriel sich als Außenminister so gut zu inszenieren wusste und auf allen Spielplätzen der Menschenrechte vorzufinden war, dass Scholz und Nahles es leid waren, ihm die Bühne zu überlassen. Der unterlassenen Berücksichtigung als Ministerkandidat folgte dann schnell die Niederlegung des Bundestagsmandats und natürlich die erste Beratertätigkeit für das nicht gerade mittelständische Unternehmen Siemens. Nun wird sichtbar, dass Gabriel seine politischen Beziehungen auch in der Fleischbranche auszuschlachten wusste. Ob er hierfür zuviel Geld verdient hat, ist von untergeordneter Bedeutung. Die Wirkung seiner dubiosen Tätigkeit nicht nur für das Gütersloher Schlachthaus, sondern auch diverse andere Wirtschaftsinteressen betrifft seine Legitimität als ehemals ›demokratisch gewählter Politiker‹. Zunehmend muss die deutsche Bevölkerung den Eindruck haben, dass Politiker ein öffentliches Amt nicht abgeben können ohne im Nachhinein die dadurch gewonnenen politischen Beziehungen kommerziell ausschlachten zu wollen. Dies gilt auch für Gabriels Einzug in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Die Bürger empfinden die kommerzielle Ausschlachtung politischer Beziehungsportfolios zu Recht als unanständig. Und sie misstrauen der politischen Klasse immer mehr.

Wie wichtig das Vertrauen zwischen Wählern und Gewählten ist, wird den Repräsentanten der Demokratie erst deutlich, wenn dieses Vertrauen endgültig abhandengekommen ist. Doch dann ist es zu spät. Indessen gibt es auch löbliche Beispiele. Der prinzipientreue Bundestagsabgeordnete Dr. Fritz Felgentreu, viele Jahre verteidigungspolitischer Sprecher der SPD Fraktion und habilitierter Gräzist erklärte kürzlich, nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen. Dies ist sicherlich kein freiwilliges Eingeständnis, zumal die Wiederaufstellungschancen für Felgentreu in seinem Parteibezirk Neukölln nicht zum Besten standen. Aber es ist auch ein Ausdruck von Abgeordnetenwürde, sich nicht dem Diktat irgendwelcher Parteiplebejer, die in Hinterzimmern ihre Intrigen schmieden, beugen zu wollen. Allerdings bleibt Felgentreu fürs Erste die Ausnahme.

Die Regel bilden Figuren wie Gabriel, die Politik als Geschäft auffassen gestern, heute, morgen. Politik verderbe den Charakter, sagt man. Wer weiß schon, ob diese Verallgemeinerung zutrifft. Aber eins ist sicher: verdorbene Charakter sind Gift für die Demokratie.