von Ulrich Schödlbauer

Wenn man aufhört, Furcht vor dem Tod zu haben, wird das Leben plötzlich
schön, faszinierend und gänzlich unnütz.
E.M. Cioran

Pschyrembel 2020: Covid-19 + Vorerkrankungen.

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DER WESTEN † Todesursache: COVID-19 R.I.P. (»Test the West!«)

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Kein Schaden ist so groß, dass er nicht locker verantwortet würde, solange kein Anspruch auf Schadenersatz droht.

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Mit dem aufkommenden Anspruch auf Schadenersatz beginnt die Flucht aus der Verantwortung: »Hätten wir das damals gewusst, was hätten wir (nicht) getan!«

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Das Wissen von heute ist die nicht zugelassene Expertise von gestern. Prinzip Verantwortung.

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Gäbe es eine Krankheit mit der Lizenz für den Einzelnen, die Welt anzuhalten, die Welt wäre ein Glockenspiel aus verwesten Klängen.

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Die Diktatur der Zyniker wird aufgebrüht durch die Tyrannei der Törichten.

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Die Zügellosen kümmern sich um die Beherrschten, indem sie die Zügel anziehen.

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Glückliche Zeiten, in denen eine Fehlentscheidung das Amt kosten konnte; seltsame Zeiten, in denen das Amt gerade die emporträgt, welche die krassesten treffen.

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Regel für Westentaschen-Despoten: Verfüge so, dass die von dir ergriffenen Maßnahmen einer Mehrheit erträglich und einer Minderheit unerträglich vorkommen, und du wirst die Mehrheit mit einem gewissen Fanatismus auf deiner Seite haben, weil sie sich auf deine Seite schlägt. Die Biederen sind’s zufrieden und die Aufgeregten verlangen schärferes Vorgehen.

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Hochtrabende, Hochtreibende, Hygienende.

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Dieser Mensch weiß etwas, was du wissen solltest. Warum siehst du nicht hin? Weil sein Name markiert wurde: Du jaulst auf, sobald er fällt. Bist du ein Hund?

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Wie nennen wir ein System, in dem ein Beamter, der eine Risikoanalyse erstellt, als Risiko gilt? Riskant (in mehrfacher Hinsicht).

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Nie wieder wegsehen: Kein Schwur wird so leicht gebrochen wie dieser. Menschen vergessen ihn zuverlässig in Situationen, in denen sie sich seiner zwingend erinnern müssten.

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Ich diskutiere nicht mit Halbinformierten, die zu jeder Zahl und jeder Tabelle eine andere aus der Tasche ziehen, um meine Auffassung niederzukämpfen. Diese Leute verstehen weder den Wert eines Arguments noch den Zweck einer Demonstration. Ein Intellektueller mischt sich nicht in den Streit der Fachleute, er lernt von ihnen, er sammelt ihre Argumente und kontrolliert sie auf formale Stimmigkeit und Vollständigkeit – dies alles im Rahmen seiner ›Kompetenz‹. Im übrigen zieht er seine Schlüsse, er hat verstanden. Dasselbe verlangt er von einem Politiker, der sein Handwerk versteht.

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Sich kundig machen, indem man Denunzianten das Wort erteilt: kundige Leute. Mehr als kundige Leute.

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Ein Argument unter Kuratel stellen: Tiefer geht’s nimmer.

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Stelle das Wissen unter Aufsicht und es verfault unter deinen Augen.

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Wissenschaft geht nach dem Geld heißt: Geld geht der Wissenschaft vor.

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Wie lange hält eine Glaubwürdigkeit, die man von der Wissenschaft borgt? Bis zur nächsten Studie. Wie immunisiert man sich gegen eine Wissenschaft, bei der man geborgt hat, wenn sie erst mehr weiß? »Man hat so vieles von euch gehört … forscht weiter! Derweil erledigen wir unseren Job.«

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Die Sätze der Wissenschaft klingen in Laien-Ohren anders, als sie gedacht sind. Wissenschaft antwortet auf keine Laienfrage. Sie gibt Auskunft, aber das ist etwas anderes. Eigentlich sollten nur Apotheker Auskünfte geben.

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Wer den Propagandarummel nicht riechen kann, der trägt eine kluge Maske.

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Sei halblaut und achte darauf, wohin der Wind deine Worte trägt.

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Corona-Politik oder die Chuzpe Unglücklicher, auf halber Strecke auf Sieg durch Unwissenheit zu setzen.

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Drücke einem Deutschen eine Fahne in die Hand und schon beginnt das Hauen und Stechen.

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Jede Tyrannei beginnt als Maßnahme: Etwas tut not. Ist die Not gewendet, hat sich die Maßnahme blendend bewährt. Warum sollte man sie beenden? Damit das alte Elend wiederkehrt? Das wäre ja unsinnig und der ängstliche Bürger sagt njet. Jede Verfügung, die über das Nötige hinausgeht, trägt die Handschrift des ängstlichen Bürgers.

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Rattenfänger sind wir alle: Wir indoktrinieren die Kinder und beschweren uns, sobald aus ihnen der Aberwitz spricht.

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Gesellschaft: anderes Wort für Lügentheater. So spricht der Weise und fügt hinzu: Ach wie gut, dass niemand weiß… Der erfolgreiche Weise heißt Rumpelstilzchen. Q.e.d.

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Warum Märchen erzählen, wenn doch die Lüge als Wahrheit durchgeht? Weil alles, was durchgeht, sich bereits in Auflösung befindet.

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Deutschland verliert seine Kultur auf dem Transport. Sie schaffen sich in ihre ›Neue Normalität‹ hinüber, als gelte es, eine Furt zu überqueren. Man erkennt die Ochsenkarren, man erkennt die Ochsen, die sie ziehen, und dort … dort schwimmt das Mitgeschleppte, das ihnen heute entbehrlich vorkommt.

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Wer die Zukunft gepachtet hat, dem ist das Morgen schnuppe.

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Halbwüchsige … ein Wort aus einer untergegangenen Welt. Es braucht einen soliden Weltuntergang, um die Wahrheit aus ihrem Mund zu erfahren. Insofern ist ›Corona‹ die Umkehrung von ›Greta‹. Wenn Erwachsene hyperventilieren, werden Heranwachsende ruhig.

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Krise verlangt nach Führung. Führung verlangt nach Krise. Soviel zum banalen Teil der Geschichte. Der nicht banale liegt im Erwachen, denn jede Krise wird als Albtraum erlebt und ihr Ende steht unausweichlich bevor. Es ist gewissermaßen immer zur Hand.

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Diese linken Akademikermilieus … in gewisser Weise gibt es sie gar nicht. Was es gibt, ist gnadenloser Konformismus, der den Doublespeak tief verinnerlicht hat – tiefer als je sein Verhältnis zur Unbefleckten Empfängnis oder zu Stalins Geburtstag. Dieses Linkssein = Link-Sein unterwandert jede aufrichtige Gesinnung und wandelt sie in Makulatur, wie sich an praktisch jedem beliebigen Gegenstand zeigen lässt.

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Konformismus braucht Lautsprecher, keine Wortführer, er holt sich Schmeichler, Brusttonredner, Scheindebattierer, Geschlechtsvertreter ins Studio, aber doch keine Linken. Gäbe es tatsächlich irgendwo Linke, könnte er sie vermutlich auch brauchen … aber doch nicht fürs Linkssein. Eher schon fürs Dabeisein plus Hetzen – eine klassische Linken-Rolle übrigens, da sollte man sich nichts vormachen.

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Der Andere, eben noch unantastbar, gilt heute als Spinner. Was ist ein Spinner? Einer, der unerlaubt anders denkt. Der erlaubte Andere ist ein Körper, über den man verfügt. War das nicht eben noch die Formel für Sklaverei? Der gefügige Geist ist eine Art Steuerknüppel, eingepflanzt in einen Körper, den man gebrauchen kann.

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Wer über das Unrecht vergangener Kolonialreiche spricht, sollte den Kolonialismus nach innen nicht vergessen – die Disziplinierung der Europäer unter dem Diktat machtakkumulierender Staaten, die im millionenfachen Tod fürs Vaterland und dem ungebremsten Massenmord an Zivilisten ihren grausigen Höhepunkt fand. Seither sind die Bewohner Europas darüber gespalten, wieviel Vertrauen der Maßnahmenstaat benötigt, um nicht auseinanderzufallen, und wo Widerstand … nein, nicht zur Pflicht, sondern zur Überlebensklugheit wird.

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Jetzt erst wird die Lektion, die der Untergang des Ostblocks bereithält, begriffen. Solange ein Geschehen als Sieg betrachtet wird, bleibt es unverstanden. Wie jedes Begreifen ist auch das heutige schmerzhaft – und ambivalent.

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Korrekte Sprache: Zweitsprache fürs Durchkommen. In der zweiten Sprache rächt sich der Ausdruck am Denken. Er soll passabel wirken, stattdessen passiert nichts. »Damit passiert dir nichts«, sagt sich der Korrekte und lässt hinter sich, was hätte passieren können. Kann nicht Bedachtes trauern? Eine Klagemauer aus Unbedachtem: Das wäre der Narrensaum der PC.

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Etwas passiert immer. Wenn das Denken zurückbleibt, häufen sich die Unfälle. Man kann sie verbieten, dann häufen sich die Delikte. Man kann auch die Delikte verbieten. Was dann (angeblich) geschieht, entnimmt man den führenden Medien.

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Es war schon klar, dass der Osten wiederkommen würde. Nur die Gestalt, die er annehmen würde, blieb lange Zeit ungewiss. Heute sind wir klüger: Er kommt als Pest. Worin besteht diese Pest? In der Raserei gegen den Anderen, der den unsichtbaren Feind in sich tragen könnte. Und nicht nur gegen den Anderen, sondern auch gegen den Anderen, der ich selbst bin. Denn auch ich kann Träger sein. Man könnte das Irrwitz nennen, aber es hat sich des Beistands der Wissenschaft versichert und hält sich für unangreifbar. Leider ist die Wissenschaft in solchen Partnerschaften eine unzuverlässige Größe. Einerseits hält sie fast alles für möglich, andererseits schreibt sie Statistiken, die das meiste davon als unwahrscheinlich zurückweisen.

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Es gibt Dinge, die man nicht aufschieben kann. Die Freiheit des Denkens gehört dazu und die Freiheit der Artikulation. Wie nirgendwo sonst gilt hier der Grundsatz: Weg ist weg. Andere werden kommen, um es besser zu machen, aber wer sich einmal, gegen seine innerste Überzeugung, bei voller Selbstwahrnehmung gebeugt hat, der ist für immer verloren. Er kann die Richtung ändern, doch krumm bleibt krumm. In dieser Hinsicht ist die Ideologie des Aufschubs, der différance, das Verheerendste, was ›Europa‹ in den letzten Jahrzehnten passieren konnte. Es hat jene tödliche Mentalität im Denken erzeugt, die auf nichts als Entwertung hinausläuft, selbst auf die der Entwertung: Alles, was den Kredit, den es einmal beanspruchte, aus gutem Grund auf immer verloren hat, steht auf und mischt wieder mit, als sei nichts geschehen, als sei es ein Quell neuer Verheißungen.

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Niemand entscheidet über die Semantik der Begriffe. Definitionen setzen sich durch oder nicht. Was die Menschen sich dabei denken, bleibt ohnehin umhüllt. Manchmal schneidet es wie ein Blitz durch die Landschaft.

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Ärzteverband: Da vertraut man besser den Krankenschwestern.

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»Sie testen die Menschen wie Vieh und behandeln die Ergebnisse wie eine neue Offenbarung.« Wer sagt so etwas? Wer darf so etwas sagen?

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»Wir sitzen in einem Boot.« Das war nicht die Frage. Die Frage lautet: »Wann wird es kentern«?

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Eine Frau demonstriert für ihre Grundrechte. Ein Polizist traktiert sie vor laufender Kamera wie einen Schwerverbrecher. Es sind auch seine Grundrechte, er traktiert sein Grundrecht als ein Verbrechen gegen den Staat, der es garantiert. Warum? Man hat es ihm befohlen. Wer befiehlt so etwas? Der Staat? Ganz sicher nicht. Warum gehorchen, wenn der Befehl unsauber ist? Der Polizist kennt keinen Staat, er kennt nur seinen Vorgesetzten, der ihm den Blick auf den Staat verstellt, der er selbst wäre, begriffe er, wofür diese Frau demonstriert.

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Wenn Hunderttausende für die Grundrechte demonstrieren, sieht das Gros der Medien Rechte. Blindheit, dein Name ist Re(d)aktion.

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Gestern war dieser Polizist Rassist, heute ist ihm das Allerheiligste aufgetan. Was ist passiert? Er stand zwischen ein paar Aufgeregten und den Türen, hinter denen sich ihre Abgeordneten treffen, und tat, was ihm aufgetragen war.

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Wer aus dem Osten kommt, weiß: Der Weg zum Glück aller führt durch den Gulag. Wer aus dem Westen kommt, denkt: Den Umweg hätten wir glücklich vermieden. Wessen Denkweise ist die klügere? Wetten werden noch angenommen.

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Ein Gulag der Menschenfreundlichkeit: Wie müsste er konstruiert sein?

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Es kommen auch andere aus dem Osten, die schreiben: Es gab keinen Gulag. Oder wenn es ihn gab, dann war er anders, als ihn die Opfer beschrieben. Es gibt keine Opfer, es gibt nur Feinde. Wir opfern niemanden, wir entfernen ihn nur. Richtet einen Untersuchungsausschuss ein und wir beweisen euch: Die Entfernung war sinnvoll. Was sinnvoll ist, das ist notwendig, und was notwendig ist, das muss getan werden.

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Aber die Welt: Was alle Welt treibt, ist das nicht per se gerechtfertigt? Wer ist ›alle Welt‹? Alle, die es genauso treiben? Worin liegt dann die Rechtfertigung?

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Der Osten steht, wie es scheint, noch bevor.

Geschrieben von: Schödlbauer Ulrich
Rubrik: Kultur